TE Bvwg Erkenntnis 2021/1/8 I414 2235028-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2021
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Entscheidungsdatum

08.01.2021

Norm

ASVG §293 Abs1 lita
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs4 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z3
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs3
NAG §11
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I414 2235028-1/9E 08.01.2021

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Tunesien, vertreten durch RA Mag. Dr. Martin ENTHOFER, Promenade 16/II, 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.08.2020, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.12.2020 zu Recht:

A)

Der Beschwerde hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass das Einreiseverbot auf 12 Monate herabgesetzt wird.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Am 20.09.2019 wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei der unerlaubten Ausübung einer Beschäftigung betreten und mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 27.02.2020 mit einer Geldstrafe von EUR 500,-- bestraft.

Am 10.03.2020 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde niederschriftlich einvernommen.

Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 07.08.2020 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass seine Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt II.). Weiters wurde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.) und eine 30-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.).

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 02.09.2020 mit den Anträgen, die Rückkehrentscheidung für unzulässig zu erklären, die Abschiebung für unzulässig zu erklären, das Einreiseverbot zu beheben bzw. in eventu herabzusetzen, den Bescheid zur Gänze zu beheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen sowie jedenfalls eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer rechtmäßig in Österreich aufhalte und sich sowohl die erlassene Rückkehrentscheidung als auch das erlassene Einreiseverbot aus diesem Grund als rechtswidrig erweisen würden. Im Sommersemester habe er aufgrund der Covid-Pandemie keine schulischen Leistungen erbringen können, er würde jedoch nach wie vor die Abendschule besuchen und sei zudem selbstständig erwerbstätig.

Mit Schriftsatz vom 10.09.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 14.09.2020, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16.12.2020 in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Mit Schriftsatz vom 22.12.2020 wurden mehrere Empfehlungsschreiben vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Tunesien. Er ist ledig und kinderlos. Seine Identität steht fest.

Er hält sich seit 27.02.2018 - abgesehen von einem neuntägigen Heimaturlaub im Dezember 2019 - durchgehend im Bundesgebiet auf. Ihm wurde von 27.02.2018 bis 27.02.2019 und von 28.02.2019 bis 28.02.2020 eine Aufenthaltsbewilligung mit dem Zweck „Schüler“ erteilt. Am 24.02.2020 stellte er rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung.

Während seines Aufenthaltes war der Beschwerdeführer nahezu durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt. So war er von 07.08.2018 bis 24.09.2018 als Arbeiter, von 03.10.2018 bis 02.11.2018 als geringfügig beschäftigter Arbeiter, von 14.11.2018 bis 23.06.2019 als Arbeiter und von 07.06.2019 bis 23.09.2019 erneut als geringfügig beschäftigter Arbeiter erwerbstätig. Über die entsprechenden AMS-Bewilligungen nach dem AuslBG verfügte der Beschwerdeführer nicht.

Am 20.09.2019 wurde der Beschwerdeführer im Zuge einer Fahrzeugkontrolle bei der unerlaubten Beschäftigung als Taxilenker betreten und in der Folge mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 27.02.2020, GZ XXXX wegen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes gemäß §120 Abs. 1a FPG mit Geldstrafe von EUR 500,-- bestraft (rechtskräftig am 18.03.2020).

Der Beschwerdeführer ist seit dem 07.11.2019 handelsrechtlicher Geschäftsführer der TAXI XXXX Gesellschaft mbH, Firmenbuchnummer: XXXX .

Die Gesellschaft verfügt über die gewerberechtliche Konzession zum Betrieb des Mietwagengewerbes mit sieben Personenkraftfahrzeugen und über die gewerberechtliche Konzession für das Taxigewerbe mit sieben Personenkraftfahrzeugen.

Für das reglementierte Mietwagen- und Taxigewerbe ist ein gewerberechtlicher Geschäftsführer bestellt.

Darüber hinaus verfügt die Gesellschaft über die Gewerbeberechtigungen Gastgewerbe sowie für das freie Güterbeförderungsgewerbe.

Die Gesellschaft hatte vor der Corona-Pandemie zwischen 18 und 20 Mitarbeiter, derzeit beschäftigt die Gesellschaft 8 Mitarbeiter.

Die Gesellschaft des Beschwerdeführers weist Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 30.00.--. auf

Der Beschwerdeführer absolvierte in seinem Herkunftsstaat eine 14-jährige Schulausbildung mit Matura. Anschließend besuchte er im Schuljahr 2017/2018 eine Privatschule in Österreich und im darauffolgenden Schuljahr eine HTL, welche er mangels schulischem Erfolg nach kurzer Zeit abbrach. Nunmehr besucht der Beschwerdeführer eine Abendhandelsschule, wobei auch diesbezüglich kein schulischer Erfolg gegeben ist und der Beschwerdeführer im Schuljahr 2019/2020 in nahezu allen Unterrichtsgegenständen mit „nicht beurteilt“ benotet wurde.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf Niveau A2 und führt eine Beziehung im Bundesgebiet. In Österreich lebt die Tochter eines Cousins des Beschwerdeführers, in Frankreich lebt ein Bruder des Beschwerdeführers. Ansonsten bestehen keine weiteren familiären oder maßgeblichen privaten Beziehungen. Eine integrative Verfestigung in sprachlicher, sozialer oder kultureller Hinsicht liegt nicht vor.

In Tunesien leben die Eltern, eine Schwester und fünf Brüder des Beschwerdeführers, zu welchen er regelmäßigen Kontakt pflegt. Er spricht Arabisch, Französisch und Englisch und ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer unterliegt in Tunesien keiner asylrelevanten Verfolgung.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich dient zur Ausübung einer Beschäftigung und nicht zum Zweck eines Schulbesuchs.

1.2. Zur Lage in Tunesien:

Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd Herkunftsstaatenverordnung.

Grundversorgung und Wirtschaft

Die Grundversorgung der Bevölkerung gilt als gut (AA 17.4.2020). Tunesien verfügt über eine moderne Wirtschaftsstruktur auf marktwirtschaftlicher Basis sowie wichtige Standortvorteile: Ein hoher Industrialisierungsgrad, gute Infrastruktur, Nähe zu Europa sowie qualifizierte Arbeitskräfte (AA 6.5.2019b) und Steuervorteile für Exportbetriebe ("Offshore-Sektor") (GIZ 6.2020c). Den größten Anteil am Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet der Dienstleistungssektor (ca. 50% aller Erwerbstätigen), gefolgt von der Industrie (32%) und der Landwirtschaft (ca. 25%) (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 6.2020c). Neben dem Bergbau, der einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Wirtschaft ist, spielen Landwirtschaft, Textilfabrikation und Tourismus eine wichtige Rolle für die tunesische Wirtschaft. Im Dienstleistungssektor spielen vor allem nach Tunesien ausgelagerte Callcenter französischer Firmen und IT-Unternehmen eine große Rolle. Außerdem gründen sich seit 2011 immer mehr Start-Ups. Der sogenannte Start Up Act, der im April 2018 verabschiedet wurde, soll aufstrebenden jungen Kleinunternehmen v.a. im IT-Bereich den Start erleichtern. Seine Umsetzung wird jedoch kritisiert (GIZ 6.2020c).

Der Förderung der Wirtschaft und der Schaffung von Arbeitsplätzen kommt nach der Revolution große Bedeutung zu, da die politischen Ereignisse für einen deutlichen Einbruch der Wirtschaft gesorgt haben. Die Arbeitslosigkeit bleibt eines der dringlichsten Probleme des Landes. Die tunesische Wirtschaft ist auch mehr als sieben Jahre nach dem Umbruch nicht besonders konkurrenzfähig. Das Finanzgesetz 2018 hatte zu Beginn des Jahres massive Proteste ausgelöst (GIZ 6.2020c).

Die größten Herausforderungen liegen in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (AA 6.5.2019; vgl. GIZ 6.2020c) und der Beschäftigungsförderung, der Verbesserung der arbeitsmarktorientierten Aus- und Fortbildung, sowie der Erhöhung des Investitionsniveaus im privaten und öffentlichen Sektor (AA 6.5.2019b). Die Arbeitslosigkeit bewegt sich zwischen 15 und 16%, wobei junge Menschen, Frauen, Akademiker (ca. 300.000) und die benachteiligten Regionen im Binnenland überproportional betroffen sind (AA 6.5.2019b; vgl. GIZ 6.2020c, ÖB 11.2019).

Um regionalen Ungleichheiten zu begegnen, hat Tunesien ein ambitioniertes Programm zur Regionalentwicklung vorgelegt (AA 6.5.2019b). Die aktuelle Regierung hat zur Verbesserung der Grundversorgung der Bevölkerung in den armen Gegenden des Südens und des Landesinnern eine Umwidmung der staatlichen Ausgabenprogramme weg vom gut entwickelten Küstenstreifen hin zu den rückständigeren Regionen vorgenommen (AA 17.4.2020).

Der staatliche Mindestlohn wurde nach der Revolution von 225 auf 380 Dinar monatlich (umgerechnet knapp 125 Euro) angehoben. Dies genügt kaum, um den Lebensunterhalt einer Person zu decken, geschweige denn davon eine Familie zu ernähren. Laut einer aktuellen Untersuchung des Sozialministeriums leben rund 24% der Bevölkerung in Armut, d.h. sie leben von weniger als dem staatlichen Mindestlohn (GIZ 6.2020c). Tunesien ist ein Niedriglohnland. Die durchschnittlichen Monatslöhne im produzierenden Gewerbe liegen zwischen 500 und 800 Dinar. Arbeiter im öffentlichen Sektor verdienen rund 900 Dinar, Beamte 1.000-1.600 Dinar (ÖB 11.2019).

Fast ein Viertel der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, lebt in Armut. Nichtsdestotrotz verfügt das Land über eine relativ breite, weit definierte Mittelschicht aus selbständigen Kleinunternehmern, Angestellten und Beamten (deren Einkommen niedrig ist) und einer schmalen Oberschicht. Diese spaltet sich in alteingesessenes Bildungsbürgertum und ökonomische Elite (GIZ 6.2020b).

In Tunesien gibt es ein gewisses strukturiertes Sozialsystem. Es bietet zwar keine großzügigen Leistungen, stellt aber dennoch einen gewissen Basis-Schutz für Bedürftige, Alte und Kranke dar. Der Deckungsgrad beträgt 95%. Folgende staatlichen Hilfen werden angeboten: Rente, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld, Witwenrente, Waisenrente, Invalidenrente, Hilfen für arme Familien, Erstattung der Sach- und Personalkosten bei Krankenbehandlung, Kredite für Familien. Eine Arbeitslosenunterstützung wird für maximal ein Jahr ausbezahlt – allerdings unter der Voraussetzung, dass man vorab sozialversichert war. Es gibt folgende Arbeitsvermittlungsinstitutionen: Nationale Arbeitsagentur (ANETI), Berufsbildungsagentur (ATFP), Zentrum für die Ausbildung der Ausbilder und die Entwicklung von Lehrplänen (CENAFFIF), Zentrum für die Weiterbildung und Förderung der beruflichen Bildung (CNFCPP) (ÖB 11.2019).

Es existiert ein an ein sozialversichertes Beschäftigungsverhältnis geknüpftes Kranken- und Rentenversicherungssystem. Nahezu alle Bürger finden Zugang zum Gesundheitssystem. Die Regelungen der Familienmitversicherung sind großzügig und umfassen sowohl Ehepartner, als auch Kinder und sogar Eltern der Versicherten. Allerdings gibt es keine allgemeine Grundversorgung oder Sozialhilfe. Die mit Arbeitslosigkeit verbundenen Lasten müssen überwiegend durch den traditionellen Verband der Großfamilie aufgefangen werden, deren Zusammenhalt allerdings schwindet (AA 17.4.2020).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        AA - Auswärtiges Amt (9.2019b): Tunesien - Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/tunesien-node/-/219026, Zugriff 21.10.2019

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020b): Tunesien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020c): Tunesien - Wirtschaft & Entwicklung, http://liportal.giz.de/tunesien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgung (einschließlich eines akzeptabel funktionierenden staatlichen Gesundheitswesens) hat das für ein Schwellenland übliche Niveau (AA 17.4.2020) und ist gewährleistet (BMEIA 30.6.2020). Eine weitreichende Versorgung ist in den Ballungsräumen (Tunis, Sfax, Sousse) gewährleistet; Probleme gibt es dagegen in den entlegenen Landesteilen. Auch die Behandlung psychischer Erkrankungen ist möglich. Die medizinische Behandlung von HIV-Infizierten bzw. AIDS-Kranken ist sichergestellt; es handelt sich jedoch um ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema (AA 17.4.2020). Zwar gibt es in allen Landesteilen staatliche Gesundheitseinrichtungen, diese sind jedoch trotz guter medizinischer Ausbildung der Beschäftigten oft in desolatem Zustand: es mangelt an Ausstattung und Fachärzten, die vor allem in den Großstädten an der Küste angesiedelt sind. Darunter leiden vor allem bedürftige Patienten (GIZ 6.2020b).

In Einzelfällen kann es, insbesondere bei der Behandlung mit speziellen Medikamenten, Versorgungsprobleme geben. Ein Import dieser Medikamente ist grundsätzlich möglich, wenn auch nur auf eigene Kosten der Patienten. In Einzelfällen ist also eine konkrete Nachfrage bezüglich der Verfügbarkeit der benötigten Medikamente erforderlich, in den allermeisten Fällen sind sie vor Ort problemlos erhältlich (AA 17.4.2020). Seit dem Sommer 2018 fehlt es überdies immer häufiger an Medikamenten, die auf Grund von Zahlungsschwierigkeiten der Zentralapotheke nicht mehr eingekauft werden (GIZ 6.2020b).

Darüber hinaus gibt es ein weites Netz an Privatkliniken und niedergelassenen Ärzten von oft deutlich besserer Qualität. Tunesien gibt rund 6% seines Staatshaushaltes für das Gesundheitswesen aus. Die staatliche Krankenkasse CNAM ist für die Versicherung zuständig und erstattet Behandlungen in staatlichen Einrichtungen und teilweise auch Behandlungskosten bei niedergelassenen Ärzten. Ähnlich wie in Deutschland wird dabei ein Hausarzt-Modell praktiziert. Auch Medikamente werden teilweise erstattet (GIZ 6.2020b).

Tunesien hat lange Zeit in das Gesundheitswesen investiert. Ein Großteil der Ärzteschaft ist gut ausgebildet (z.T. auch im Ausland) und das Pflegepersonal ist günstig – die Basis für einen zunehmenden Gesundheitstourismus. Eine stark angestiegene Anzahl an Privatkliniken bedient meist Ausländer, u.a. zahlungskräftigen Libyer und Algerier. Die öffentliche Gesundheitsversorgung ist nach einem dreistufigen System organisiert und dringend reformbedürftig: erweiterte Leistung der Bezirkskrankenhäuser, verstärkte Ausstattung der Regionalkrankenhäuser und Ausbau der Uni-Kliniken. Zwar beträgt der Radius weniger als 5 km zur Erlangung medizinischer Hilfe, jedoch ist die qualitative Ausstattung in den öffentlichen Krankenhäusern katastrophal: fehlende Spezialisten, Überbelegung, lange Wartezeiten, katastrophale sanitäre Zustände, geringe Anfangsgehälter für ausgebildete Ärzte sind Realität. Beim Aufsuchen eines Arztes muss der Behandlungspreis stets sofort entrichtet werden. Je nach Praxis (Krankenhaus, Klinik, Hospital, Fachgebiet) sind das zwischen 20 und 80 Dinar, also etwa 8-30 Euro. 2005 wurden die beiden Krankenkassen (CNSS: Caisse nationale de sécurité sociale und CNRPS: Caisse nationale de retraite et de prévoyance sociale) zur Caisse Nationale d’Assurance Maladie (CNAM) zusammengelegt. Allerdings ist diese Kasse mit ca. 1 Milliarden Dinar hoch verschuldet – fehlende Beitragszahlungen und verteuerte Medikamente sind nur einige der Gründe. Tatsächlich besteht eine Klassengesellschaft innerhalb der medizinischen Versorgung. Nur gut betuchte können sich Privat- und Spezialkliniken oder Ärztezentren leisten, wo die Versorgung hochpreisig, einwandfrei und an westlichen Standards angepasst ist (ÖB 11.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (30.6.2020): Reiseinformationen Tunesien, http://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/tunesien/, Zugriff 30.6.2020

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2020b): Tunesien - Gesellschaft, http://liportal.giz.de/tunesien/gesellschaft/, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Rückkehr

Es gibt keine speziellen Hilfsangebote für Rückkehrer. Soweit bekannt, werden zurückgeführte tunesische Staatsangehörige nach Übernahme durch die tunesische Grenzpolizei einzeln befragt und es erfolgt ein Abgleich mit den örtlichen erkennungsdienstlichen Registern. Sofern keine innerstaatlichen strafrechtlich relevanten Erkenntnisse vorliegen, erfolgt anschließend eine reguläre Einreise. Hinweise darauf, dass, wie früher üblich, den Rückgeführten nach Einreise der Pass entzogen und erst nach langer Wartezeit wieder ausgehändigt wird, liegen nicht vor. An der zugrundeliegenden Gesetzeslage für die strafrechtliche Behandlung von Rückkehrern hat sich indes nichts geändert. Sollte ein zurückgeführter tunesischer Staatsangehöriger sein Land illegal verlassen haben, ist mit einer Anwendung der Strafbestimmung in §35 des Gesetzes Nr. 40 vom 14.5.1975 zu rechnen: „Jeder Tunesier, der beabsichtigt, ohne offizielles Reisedokument das tunesische Territorium zu verlassen oder zu betreten, wird mit einer Gefängnisstrafe zwischen 15 Tagen und sechs Monaten sowie einer Geldstrafe zwischen 30 und 120 DT (ca. 15 bzw. 60 Euro) oder zu einer der beiden Strafarten verurteilt. Bei Wiederholung der Tat (Rückfälligkeit) kann sich das im vorhergehenden Absatz aufgeführte Strafmaß für den Täter verdoppeln.“ Soweit bekannt, wurden im Jahr 2019 ausschließlich Geldstrafen verhängt. Die im Gesetz aufgeführten Strafen kommen nicht zur Anwendung bei Personen, die das tunesische Territorium aufgrund höherer Gewalt oder besonderer Umstände ohne Reisedokument betreten (AA 17.4.2020).

Eine „Bescheinigung des Genusses der Generalamnestie“ wird auf Antrag vom Justizministerium ausgestellt und gilt als Nachweis, dass die in dieser Bescheinigung ausdrücklich aufgeführten Verurteilungen - kraft Gesetz - erloschen sind. Eventuelle andere, nicht aufgeführte zivil- oder strafrechtliche Verurteilungen bleiben unberührt. Um zweifelsfrei festzustellen, ob gegen eine Person weitere Strafverfahren oder Verurteilungen vorliegen, kann ein Führungszeugnis (das sog. „Bulletin Numéro 3“) beantragt werden (AA 17.4.2020).

Seit der Revolution 2011 sind tausende Tunesier illegal emigriert. Vor allem junge Tunesier haben nach der Revolution das Land verlassen, kehren nun teilweise zurück und finden so gut wie keine staatliche Unterstützung zur Reintegration. Eine kontinuierliche Quelle der Spannung ist die Diskrepanz zwischen starkem Migrationsdruck und limitierten legalen Migrationskanälen. Die Reintegration tunesischer Migranten wird durch eine Reihe von Projekten von IOM unterstützt. Sowohl IOM als auch UNHCR übernehmen die Registrierung, Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Tunesien. Finanzielle Hilfe dafür kommt hauptsächlich von der EU, sowie aus humanitären Programmen der Schweiz und Norwegens. Die Schweiz ist dabei einer der größten Geber und verfügt über zwei Entwicklungshilfebüros vor Ort. Wesentlich für eine erfolgreiche Reintegration ist es, rückkehrenden Migranten zu ermöglichen, eine Lebensgrundlage aufzubauen. Rückkehrprojekte umfassen z.B. Unterstützung beim Aufbau von Mikrobetrieben, oder im Bereich der Landwirtschaft. Als zweite Institution ist das ICMPD [International Centre for Migration Policy Development] seit 2015 offizieller Partner in Tunesien im Rahmen des sog. „Dialog Süd“ – Programms (EUROMED Migrationsprogramm) (ÖB 11.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (17.4.2020): Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Tunesien (Stand: Februar 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2030006/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Republik_Tunesien_%28Stand_Februar_2020%29%2C_17.04.2020.pdf, Zugriff 30.6.2020

-        ÖB - Österreichische Botschaft Tunis (11.2019): Asylländerbericht Tunesien

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Am 25.02.2020 wird das Coronavirus in Österreich registriert. In Tunesien gibt es mit Stand 08.10.2020 25 765 bestätigte Infektionen und 364 Todesfälle. Im Vergleich gibt es in Österreich derzeit (Stand 08.10.2020) 50 435 bestätigte Infektionen und 840 Todesfälle.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Quellen:

-        https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus.html [08.10.2020]

-        https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/ [08.10.2020]

-        https://covid19.who.int/ [08.10.2020]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle Länderinformationsblatt zu Tunesien und unter zentraler Berücksichtigung der Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.12.2020. Außerdem wurden Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), der Grundversorgung (GVS), dem Strafregister, dem Gewerbeinformationssystem (GISA) und der Sozialversicherung ergänzend eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der im Akt einliegenden Kopie seines gültigen tunesischen Reisepasses fest (AS 37 ff).

Aus der Einsichtnahme in das Fremdenregister das Melderegister gründen die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 27.02.2018, zu den ihm erteilten Aufenthaltsbewilligungen und zum Verlängerungsantrag. Der neuntägige Heimaturlaub im Dezember 2019 ist durch die entsprechenden Ein- und Ausreisestempel in seinem Reisepass belegt.

Die Beschäftigungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sind durch die Einsichtnahme in den eingeholten Auszug aus dem AJ-WEB Auskunftsverfahren belegt. Mangels Vorlage derselben war davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht über die entsprechenden Bewilligungen nach dem AuslBG verfügte.

Die Betretung bei einer unerlaubten Beschäftigung als Taxilenker und die deshalb ergangene rechtskräftige Bestrafung ergeben sich aus der im Akt einliegenden Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich (AS 143).

Aus dem vorgelegten Notariatsakt (AS 53 ff), Firmenbuchauszug (AS 67 ff), den Gewinn- und Verlustrechnungen (AS 85 ff) und Kontoauszügen (AS 115) in Zusammenschau mit den plausiblen Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 10.03.2020 gründen die Feststellungen zur selbstständigen Tätigkeit des Beschwerdeführers und den Verbindlichkeiten seines Unternehmens. Aus dem AJ-WEB Auskunftsverfahren ist die bestehende Krankenversicherung ersichtlich.

Die Feststellungen, wonach der Beschwerdeführer seit dem 07.11.219 Gesellschafter der TAXI XXXX Gesellschaft mbH ist und die Gesellschaft über zwei konzessionierte und zwei freie Gewerbeberechtigungen verfügt, ergibt sich aus dem Gewerbeinformationssystem (GISA). Ebenfalls ergibt sich aus dem GISA-Auszug, dass für die konzessionierten Gewerbe ein gewerberechtlicher Gesellschafter bestellt wurde, da der Beschwerdeführer nicht über die Befähigungsnachweise für diese Gewerbeberechtigungen verfügt. So gab er in der mündlichen Verhandlung am 16.12.2020 an, dass die Voraussetzungen noch nicht erfüllt sind.

Die Feststellung, wonach in der Gesellschaft vor Ausbruch der Corona-Pandemie zwischen 18 und 20 und gegenwärtig 8 Mitarbeiter beschäftigt sind, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 16.12.2020.

Die Feststellungen zur Schulbildung des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme sowie auf den vorgelegten Zeugnissen und Schulbesuchsbestätigung. So weist das Jahreszeugnis 2018/2019 acht Nichtgenügend, zwei Befriedigend, ein Gut und ein „Nicht beurteilt“ aus. Das Semesterzeugnis des Jahres 2019/2020 weist acht „Nicht beurteilt“ und ein Genügend aus. Im Sommersemester 2020 hat der Beschwerdeführer keinen Leistungsnachweis mehr erworben.

Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers sind durch das vorgelegte ÖSD-Zertifikat auf Niveau A2 belegt. Dass er eine Beziehung im Bundesgebiet führt, in Kontakt mit der hier lebenden Tochter eines Cousins steht, in Frankreich einer seiner Brüder lebt und ansonsten keine maßgeblichen Beziehungen bestehen, ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme. Hinweise auf eine Verfestigung in integrativer Hinsicht über die genannten beruflichen, sprachlichen und sozialen Merkmale hinaus haben sich im Verfahren nicht ergeben.

Aus den Angaben des Beschwerdeführers im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme gründen die Feststellungen zu den in Tunesien lebenden Familienmitgliedern und zu seinen Sprachkenntnissen. Der Beschwerdeführer gab auch an gesund zu sein, weshalb die entsprechende Feststellung zu treffen war. Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht, ergibt sich die festgestellte Arbeitsfähigkeit.

Hinweise auf eine asylrelevante Verfolgung in Tunesien haben sich im Verfahren nicht ergeben und hat der Beschwerdeführer insbesondere kein diesbezügliches Vorbringen erstattet und auch keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer keinerlei schulischen Erfolg vorzuweisen hat und demgegenüber während annährend der gesamten Dauer seines Aufenthaltes nicht bloß geringfügig erwerbstätig war und nunmehr sogar selbstständiger Unternehmer ist, ergibt sich, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich zur Ausübung einer Beschäftigung und nicht zum Zweck eines Schulbesuchs dient.

2.3. Zur Lage in Tunesien:

Tunesien ist ein sicherer Herkunftsstaat iSd Herkunftsstaaten-Verordnung (§ 1 Z 11).

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Tunesien samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von Nichtregierungsorganisationen, wie bspw. Open Doors, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wissentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln und wurden die dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegten Länderberichte vom Beschwerdeführer im Zuge der Beschwerde nicht beanstandet.

Aufgrund des Umstandes, dass der junge und gesunde Beschwerdeführer zu keiner Risikogruppe gehört und dass die ganze Welt von der Pandemie betroffen ist, kann von keiner besonderen Gefährdung des Beschwerdeführers in Tunesien im Zusammenhang mit der Covid-19 Pandemie ausgegangen werden. Auch wenn nicht verkannt wird, dass die vorliegenden Infektionszahlen lediglich als Anhaltspunkt hinsichtlich der aktuellen Situation dienen, ergibt sich aus diesen Zahlen dennoch, dass in Tunesien gegenüber Österreich jedenfalls kein erhöhtes Infektionsrisiko besteht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Anzuwendende Rechtslage:

§ 52 Abs. 4 FPG lautet:

„(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

...

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) lauten:

Der mit „Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel“ betitelte § 11 NAG lautet (auszugsweise):

㤠11. (1) ...

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

...

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

...

(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung (§ 2 Abs. 1 Z 15) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

...“

Der mit „Schüler“ betitelte § 63 NAG lautet:

„§ 63. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Schüler ausgestellt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. ordentliche Schüler einer öffentlichen Schule sind;

2. ordentliche Schüler einer Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht sind;

3. Schüler einer Statutschule mit Öffentlichkeitsrecht nach § 14 Abs. 2 lit. b des Privatschulgesetzes, BGBl. Nr. 244/1962, sind;

4. Schüler einer zertifizierten nichtschulischen Bildungseinrichtung sind (§ 70);

5. außerordentliche Schüler einer Schule nach Z 1, 2 oder 6 sind, soweit es sich um die erstmalige Ausstellung einer Aufenthaltsbewilligung handelt, oder

6. Schüler einer Privatschule sind, für die im vorangegangenen Schuljahr das Öffentlichkeitsrecht verliehen und nicht gemäß § 16 Abs. 1 des Privatschulgesetzes entzogen worden ist sowie für das laufende Schuljahr um die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes angesucht wurde.

Eine Haftungserklärung ist zulässig.

(2) Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit richtet sich nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz. Diese Erwerbstätigkeit darf das Erfordernis der Schulausbildung als ausschließlicher Aufenthaltszweck jedenfalls nicht beeinträchtigen.

(3) Dient der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen dem Besuch einer Schule im Sinne des Abs. 1, ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung für diesen Zweck nur zulässig, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis über den Schulerfolg und in den Fällen des Abs. 1 Z 5 darüber hinaus über die Aufnahme als ordentlicher Schüler erbringt. Wurde die Aufnahme als außerordentlicher Schüler gemäß § 4 Abs. 3 zweiter Satz des Schulunterrichtsgesetzes, BGBl. Nr. 472/1986, von der Schulbehörde um weitere zwölf Monate verlängert, kann in den Fällen des Abs. 1 Z 5 trotz fehlendem Nachweis über die Aufnahme als ordentlicher Schüler die Aufenthaltsbewilligung einmalig verlängert werden. Liegen Gründe vor, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen, unabwendbar oder unvorhersehbar sind, kann trotz Fehlens des Schulerfolges eine Aufenthaltsbewilligung verlängert werden.

...“

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Tunesien und somit Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Aufgrund des ihm erteilten Aufenthaltstitels war sein Aufenthalt zunächst rechtmäßig. Mit rechtskräftiger Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 27.02.2020 wurde über den Beschwerdeführer eine Verwaltungsstrafe gemäß § 120 Abs. 1a FPG iVm §§ 31 Abs. 1a, 31 Abs. 1 FPG verhängt, da er am 20.09.2019 bei einer unerlaubten Beschäftigung betreten. Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, ging der Beschwerdeführer auch bereits vor dieser Betretung regelmäßig unerlaubten Erwerbstätigkeiten nach.

Aufgrund seines rechtmäßigen Aufenthaltes setzt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 4 FPG voraus, dass nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels, entgegengestanden wäre (Z 1) oder dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht (Z 4).

Gemäß § 63 Abs 3 NAG ist die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ grundsätzlich nur möglich, wenn der Fremde nach den maßgeblichen schulrechtlichen Vorschriften einen Nachweis über den Schulerfolg erbringt. Ein Schulerfolg kann mangels der Vorlage eines derartigen Nachweises dennoch gegeben sein, wenn Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen - unabwendbar oder unvorhersehbar – sind.

Auch wenn gemäß § 63 Abs 3 NAG mangels der Vorlage eines derartigen Schulerfolgsnachweises ein solcher dennoch gegeben sein kann, soferne Gründe vorliegen, die der Einflusssphäre des Drittstaatsangehörigen entzogen und unabwendbar oder unvorhersehbar sind, führt es keineswegs dazu, dass das Fehlen eines ausreichenden Schulerfolges in solchen Fällen unter keinen Umständen eine Beeinträchtigung öffentlicher Interessen darstellen kann. Es kann dabei dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er mit dieser Bestimmung auch einen Fremden, dessen bisheriges Verhalten über einen doch längeren Zeitraum gezeigt hat, dass er – aus welchem Grund auch immer – nicht in der Lage ist, einen ausreichenden Schulerfolg zu erbringen und bei dem auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine baldige Änderung dieser Situation vorliegen, die Möglichkeit verschaffen wollte, sich weiterhin zum ausschließlichen Zweck des Schulbesuchs in Österreich aufzuhalten (vgl. VwGH 17.12.2010, Zl: 2007/18/0643).

Nachdem solche Gründe nicht anzunehmen waren, sind somit mangels Fehlens besonderer Erteilungsvoraussetzungen im Sinne des § 63 NAG der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden.

Hinzu kommt, dass die Erwerbstätigkeit eines Fremden, dem eine Aufenthaltsbewilligung für Schüler ausgestellt wurde, das Erfordernis der Schulausbildung als ausschließlicher Aufenthaltszweck jedenfalls nicht beeinträchtigen darf. In diesem Zusammenhang sticht heraus, dass der Beschwerdeführer während seines Aufenthaltes nie in der Lage war, schulische Erfolge zu erreichen. So wurde er im Schuljahr 2018/2019 überwiegend negativ beurteilt und war nicht zum Aufstieg in die nächste Schulstufe berechtigt. Im Schuljahr 2019/2020 wurde der Beschwerdeführer lediglich in einem Unterrichtsgegenstand mit einem Genügend beurteilt, in allen anderen Pflichtgegenständen liegt keine Beurteilung vor. Selbst unter Annahme der Richtigkeit des Beschwerdeeinwandes, wonach ihm im Sommersemester 2020 aufgrund der Covid-Pandemie ein Schulbesuch nicht mehr möglich war, steht jedenfalls fest, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt ausreichende schulische Leistungen erbracht hat und dass sein Aufenthalt nunmehr nahezu ausschließlich seiner selbstständigen Tätigkeit dient.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 NAG darf einem Fremden ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte. Gemäß § 11 Abs. 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft, wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 ASVG entsprechen.

Der Richtsatz beträgt für das Jahr 2019 gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG EUR 933,06. Nach hg. Judikatur schadet ein geringfügiges Unterschreiten dieser Grenze nicht (vgl. VwGH 10.12.2019, Ra 2018/22/0288). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass sein Unterhalt für die beabsichtigte Aufenthaltsdauer gesichert erscheint (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0284; ua.).

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme selbst angegeben, lediglich über ein Einkommen von rund EUR 600,-- monatlich zu verfügen (wobei diesbezüglich die Verbindlichkeiten seines Unternehmens in Höhe von rund EUR 30.000,-- noch keine Berücksichtigung finden). Hinweise auf weiteres Vermögen haben sich nicht ergeben und wurde auch kein diesbezügliches Vorbringen erstattet. Es liegt daher ein nicht bloß geringfügiges Unterschreiten des Richtsatzes des § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG vor, sodass die belangte Behörde zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG ausgegangen ist. Auch wenn der Beschwerdeführer eine Bestätigung über ein Nettoeinkommen vom 01.01.2020 bis 30.09.2020 von EUR 6.134,77 verfügt, stehen diesem Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 30.000,-- gegenüber.

Die belangte Behörde ist somit grundsätzlich zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung ausgegangen. Es ist daher nachstehend zu prüfen, ob durch diese Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen wird und wenn der Eingriff bejaht wird in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob Erlassung der Rückkehrentscheidung zur Erreichung eines der in Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Art 8 Abs. 2 EMRK legt fest, dass der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft ist, soweit er gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet abzusprechen, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese auf Dauer unzulässig ist. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist nur dann von Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger und Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst.

Als Kriterien für die Beurteilung, ob eine Beziehung im Einzelfall einem Familienleben iSd Art 8 EMRK entspricht, kommen tatsächliche Anhaltspunkte in Frage, wie etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Art und die Dauer der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander, etwa durch gemeinsame Kinder, oder andere Umstände, wie etwa die Gewährung von Unterhaltsleistungen (EGMR 22.04.1997, X., Y. und Z., Zl. 21830/93; 22.12.2004, Merger u. Cros, Zl. 68864/01). So verlangt der EGMR auch das Vorliegen besonderer Elemente der Abhängigkeit, die über die übliche emotionale Bindung hinausgeht (siehe Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3, 197 ff.). In der bisherigen Spruchpraxis des EGMR wurden als unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Europäischen Kommission für Menschenrechte auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. So ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes etwa auch darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

Daraus folgt, dass auch mit Verwandten, die nicht zur „Kernfamilie“ gehören, zB „Seitenverwandte“ ein gemäß Art 8 EMRK schützenswertes Familien begründet werden kann.

Der Beschwerdeführer steht in Österreich mit der Tochter seines Cousins in Kontakt. Zudem führt er eine Beziehung im Bundesgebiet. Hinweise auf eine besondere Abhängigkeit oder ein intensives Naheverhältnis haben sich nicht ergeben. Insbesondere liegen kein gemeinsamer Wohnsitz und keine wechselseitige finanzielle Abhängigkeit, weder mit seiner Freundin noch mit der Tochter seines Cousins vor. Auch hält sich der Beschwerdeführer erst seit knapp über zweieinhalb Jahren in Österreich auf, sodass von einem Überschreiten der Intensitätsgrenze für ein Familienleben nicht ausgegangen werden kann.

Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.6.2005, Sisojeva ua, 60.654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Zwar ist ob des über zweieinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes des Beschwerdeführers, seine Schulbesuche, seine beruflichen Tätigkeiten und seine Beziehung im Bundesgebiet durchaus von einem schützenswerten Privatleben auszugehen, eine nachhaltige Integration oder enge soziale Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich sind jedoch nicht hervorgekommen. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 25.04.2018, Ra 2018/18/0187).

Im Sinne der durchzuführenden Interessenabwägung wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer durchaus einige Schritte zur Integration gesetzt hat. Er hat Deutsch auf Niveau A2 erlernt, geht (mittlerweile) einer erlaubten Erwerbstätigkeit nach und hat sich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (vgl. VwGH 26.11.2009, 2008/18/0720). Für einen besonderen Grad der Integration bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.

Demgegenüber hat der Beschwerdeführer in Tunesien den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht und dort seine Schulbildung absolviert. Er spricht die Landessprachen, seine Familie lebt dort und es ist davon auszugehen, dass er nach nur wenigen Jahren der Abwesenheit jedenfalls in der Lage sein wird, sich in die dortige Gesellschaft erneut einzugliedern.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermag seine persönlichen Interessen an einem Verbleib nicht entscheidend zu stärken (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Im Zusammenhang mit § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG ist zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer von Anfang bewusst sein musste, dass ihm die erteilte Aufenthaltsbewilligungen „Schüler“ nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht vermitteln konnte (vgl. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0016).

Demnach ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer das Privatleben zu einem Zeitpunkt begründete, zu dem er mit einem weiteren Verbleib in Österreich nicht rechnen durfte und die Schutzwürdigkeit des Privatlebens des Beschwerdeführers bereits dadurch maßgeblich relativiert wird.

Den Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich aus privaten Gründen stehen im gegenständlichen Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und an der Verhinderung der Umgehung der fremdenrechtlichen Bestimmungen gegenüber.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 15.12.2015, 2015/19/0247). Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften manifestieren, dürfen nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen; sie wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Es ist daher im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung höher zu bewerten, als das gegenläufige Interesse des Beschwerdeführers an der Fortführung seines Privatlebens im Bundesgebiet.

Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war somit spruchgemäß abzuweisen.

3.2. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 50 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art 2 EMRK oder Art 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK verletzt würden oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre (Abs. 1), wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Abs. 2) oder solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht (Abs. 3).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze bestehen weder Anhaltspunkte für eine Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13., noch droht dem Beschwerdeführer eine Gefahr des Lebens oder der Unversehrtheit in Tunesien. Der Beschwerdeführer hat keinen Asylantrag gestellt und liegt eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten nicht vor. Es steht auch keine Empfehlung oder vorläufige Maßnahme durch den EGMR entgegen. Tunesien ist gemäß § 1 Z 11 HStV ein sicherer Herkunftsstaat.

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß abzuweisen.

3.3. Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden. Gemäß § 53 Abs. 2 ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

Die belangte Behörde hat das gegenständliche Einreiseverbot auf § 53 Abs. 2 Z 3 und 6 FPG gestützt und im Wesentlichen mit der rechtskräftigen Strafverfügung gegen den Beschwerdeführer und seiner Mittellosigkeit begründet.

Ein Einreiseverbot ist nicht zwingend mit jeder Rückkehrentscheidung zu verbinden. Es ist dann zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen sei eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Dabei ist sowohl für die Frage, ob überhaupt ein Einreiseverbot zu verhängen ist, als auch für die Bemessung seiner Dauer eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose vorzunehmen, in die das Gesamtverhalten des Betroffenen einzubeziehen ist. Aufgrund konkreter Feststellungen ist eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick worauf die Annahme einer schwerwiegenden Gefährdung öffentlicher Interessen gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung und Bestrafung des Betroffenen abzustellen, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und das Persönlichkeitsbild, das sich daraus ergibt. Es ist im Rahmen einer Interessenabwägung zu prüfen, ob private oder familiäre Interessen des Betroffenen der Verhängung eines Einreiseverbots in der konkreten Dauer entgegenstehen (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 53 FPG K 10, 12; vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

In Bezug auf die für ein Einreiseverbot zu treffende Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme wie die Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Dabei ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist. Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen (vgl. VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002).

Mit Strafverfügung der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 27.02.2020 wurde der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen eines Verstoßes gegen das Fremdenpolizeigesetz bestraft. Die belangte Behörde ist daher zu Recht vom Vorliegen der Voraussetzung des § 53 Abs. 2 Z 3 FPG ausgegangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Judikatur bereits ausgeführt, dass aus der Mittellosigkeit eines Fremden die Gefahr der Beschaffung der Unterhaltsmittel aus illegalen Quellen bzw. einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft resultiert, weshalb im Fall des Fehlens ausreichender Unterhaltsmittel auch die Annahme einer Gefährdung iSd § 53 Abs. 2 FPG gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.09.2018, Ra 2018/20/0349; VwGH 12.07.2019, Ra 2018/14/0282).

Das soeben aufgezeigte Fehlverhalten des Beschwerdeführers rechtfertigt sowohl vor dem Hintergrund der vorgenommenen Gefährdungsprognose aber auch der zitieren Judikatur die Verhängung eines Einreiseverbotes gemäß § 53 Abs. 2 FPG, da dadurch der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet bzw. dem wirtschaftliche Wohl des Landes zuwiderläuft. Diese Gefährdung hat sich auch bereits verwirklicht, da der Beschwerdeführer mehrmals unerlaubten Beschäftigungen nachging und daher durchaus eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann. Wie umseits festgestellt, liegt kein Familienleben vor, welches die Erlassung eines Einreiseverbotes unzulässig erscheinen lassen würde. Hinsichtlich des Privatlebens des Beschwerdeführers wird es ihm möglich sein, die Kontakte zu seinen Freunden und Bekannten sowie zu seiner Freundin von Tunesien aus über diverse Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten.

Bei der Entscheidung über die Länge des Einreiseverbotes ist die Dauer der vom Fremden ausgehenden Gefährdung zu prognostizieren; außerdem ist auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen (VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109).

Zwar ist im Falle des Beschwerdeführers kein Familienleben und nur ein marginal ausgeprägtes Privatleben im Bundesgebiet gegeben, dennoch ist im gegenständlichen Fall zu berücksichtigen, dass bei einer möglichen Höchstdauer von fünf Jahren die Erlassung eines Einreiseverbots in der Dauer von drei Jahren im gegenständlichen Fall jenen Fällen kaum noch Spielraum

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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