TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/19 L514 2218979-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.10.2020
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Entscheidungsdatum

19.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §33
ZustG §17
ZustG §6

Spruch


L514 2218977-3/6E

L514 2218978-3/7E

L514 2218979-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin XXXX , geb XXXX , StA Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2020, Zl. 1142656908 - 170229595, zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Zweitbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2020, Zl. 569400902 - 170229565, zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. KLOIBMÜLLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Drittbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX , StA Türkei, vertreten durch die Mutter XXXX als gesetzliche Vertreterin, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.05.2020, Zl. 1193700010 - 180521811, zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Die Anträge auf internationalen Schutz der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers (jeweils vom XXXX .2017) und des Drittbeschwerdeführers (vom XXXX .2018) wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 27.11.2018, Zl. 1142656908 - 170229595, Zl. 569400902 - 170229565 und Zl. 1193700010 - 180521811, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen (Spruchpunkt II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Mit Verfahrensanordnungen des BFA vom 28.11.2018 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt und wurden die Beschwerdeführer gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG informiert, dass sie verpflichtet seien, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

Die Bescheide vom 27.11.2018 wurden den damals noch nicht vertretenen Beschwerdeführern am 30.11.2018 (Beginn der Abholfrist: 03.12.2018) an ihre aufrechte Meldeadresse durch Hinterlegung zugestellt. Nach Ablauf der vierwöchigen Rechtsmittelfrist erwuchsen die Bescheide, die von den Beschwerdeführern nicht behoben wurden, am 02.01.2019 in Rechtskraft.

2.       Am 22.03.2019 wurde der Zweitbeschwerdeführer vor dem BFA niederschriftlich einvernommen (Gegenstand der Amtshandlung: „Aufforderung zur Ausreise“) und wurde ihm der Bescheid vom 27.11.2018 übergeben.

Am 25.03.2019 wurden der Erstbeschwerdeführerin deren Asylbescheid und der des Drittbeschwerdeführers vom 27.11.2018 vom BFA ausgehändigt.

3.       Mit Schriftsatz vom 05.04.2019 beantragten die Beschwerdeführer durch ihre nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung zunächst die ordnungsgemäße Zustellung, in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand samt Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und erhoben gleichzeitig Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 27.11.2018.

Begründend wurde hinsichtlich des Antrages auf ordnungsgemäße Zustellung ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine Verständigung über die Hinterlegung („gelber Zettel“) erhalten hätten. Eine Heilung eines Zustellmangels könne gemäß § 7 Zustellgesetz nur zu jenem Zeitpunkt eintreten, in welchem den Beschwerdeführern die Dokumente tatsächlich zukommen. Im Falle der Beschwerdeführer also am 22.03.2019 bzw. am 25.03.2019. Zu diesem Zeitpunkt hätte erst die vierwöchige Beschwerdefrist zu laufen begonnen. In eventu wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt mit der Begründung, dass die Beschwerdeführer durch den Nichterhalt der Hinterlegungsanzeige daran gehindert waren rechtzeitig Beschwerde zu erheben. An diesem Ereignis würde sie kein Verschulden treffen. Abschließend wurden ausführlich die Beschwerdegründe dargelegt.

4.       Mit Bescheiden vom 12.04.2019, Zlen. 1142656908 - 170229595, 569400902 – 170229565 und 1193700010 – 180521811, wurden die Anträge der Beschwerdeführer vom 05.04.2019 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und wurde gemäß § 33 Abs. 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde dargelegt, dass mit der Hinterlegung der Bescheide am 30.11.2018 diese ordnungsgemäß zugestellt wurden. Die Beschwerdeführer hätten kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis geltend machen können, die die Zustellung in Zweifel ziehen konnte, weshalb diese rechtmäßig an die angegebene Adresse erfolgte.

Die Bescheide des BFA vom 12.04.2019 wurden den Beschwerdeführern am 17.04.2019 durch Hinterlegung an ihre aufrechte Meldeadresse zugestellt.

5.       Am 14.05.2019 erhoben die Beschwerdeführer durch ihre ausgewiesene Vertretung Beschwerde gegen die Bescheide des BFA vom 12.04.2019.

6.       Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.02.2020, L514 2218977-1/4, L514 2218978-1/4 sowie L514 2218979-1/4, wurde den Beschwerden stattgegeben und die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 13 Abs. 1 AVG wegen Unzuständigkeit ersatzlos behoben.

7.       Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.05.2020, L514 2218977-2/5, L514 2218978-2/5 sowie L514 2218979-2/5, wurden die Beschwerden in der Folge als verspätet zurückgewiesen.

Der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 29.07.2020, Ra 2020/19/0248 bis 0250-10, dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben.

8.       Mit Bescheiden des BFA vom 26.05.2020, Zlen. 1142656908 - 170229595, 569400902-170229565 und 1193700010 – 180521811, wurden die Anträge der Beschwerdeführer vom 05.04.2019 auf ordnungsgemäße Zustellung der Bescheide vom 27.11.2018 gemäß § 6 ZustlG iVm 17 ZustG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG abgewiesen. Den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde die aufschiebende Wirkung zuerkannt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde ausgeführt, dass es sich bei Postrückscheinen um eine öffentliche Urkunde iSd § 22 ZustG handelt, die die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat. Eine gegenteilige Behauptung ist zu begründen und entsprechende Beweise vorzulegen, sodass die reine Behauptung, die Hinterlegungsanzeige nicht vorgefunden werde konnte, nicht ausreichend ist. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend konnte kein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis festgestellt werden.

Mit Verfahrensanordnung vom 27.05.2020 wurde den Beschwerdeführern von amtswegen gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

9.       Gegen diese ordnungsgemäß zugestellten Bescheide wurde mit Schreiben vom 20.07.2020 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine Hinterlegungsanzeige erhalten hätten. Da ihnen nach der Einvernahme am 12.11.2018 bewusst gewesen sei, dass sie demnächst eine Entscheidung im Asylverfahren erhalten würden und sie über die Wichtigkeit dieser Zustellung im Klaren gewesen seien, hätten täglich und gewissenhaft ihr Postfach kontrolliert. Die Erstbeschwerdeführerin habe sich zudem mit ihrem Baby die meiste Zeit über zu Hause aufgehalten, es sei jedoch offenbar kein neuerlicher Zustellversuch unternommen worden. Zum Beweis dafür, dass die Beschwerdeführer niemals eine Hinterlegungsanzeige erhalten hätten, wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des zuständigen Briefträgers beantragt. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer auch versucht hätten, aus Eigenem herauszufinden, weshalb sie keine Verständigung über die Hinterlegung erhalten haben. Es wurde aus diesem Grund versucht, einen Nachforschungsauftrag bei der Post einzuleiten. Dafür hätten die Beschwerdeführer jedoch die Sendungsnummer benötigt, die ihnen nicht zur Verfügung gestanden sei. Auch eine Nachfrage beim BFA schlug in diesem Zusammenhang fehlt. Zum Beweis der Sorgfalt der Beschwerdeführer wurde eine Bestätigung der Hausverwaltung in Vorlage gebracht, welche bestätige, dass die Beschwerdeführer ihre Miete immer mittels Vorschreibung begleichen würden und somit immer ihre Post beheben würden. Aus diesem Grund würde im Falle der Beschwerdeführer ein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis vorliegen.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Sachverhalt:

Mit Bescheiden des BFA vom 27.11.2018, Zl. 1142656908 - 170229595, Zl. 569400902 - 170229565 und Zl. 1193700010 – 180521811, wurden die am XXXX .2017 und XXXX 2018 gestellten Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer abgewiesen.

Die Zustellung der Bescheide wurde an die Meldeadresse der Beschwerdeführer, XXXX , veranlasst. Nach erfolgtem Zustellversuch am 30.11.2018 wurden die Bescheide zur Abholung beim Postamt hinterlegt (Beginn der Abholfrist: 03.12.2018). Die Verständigung über die Hinterlegung wurde im Briefkasten der Beschwerdeführer eingelegt.

Die Bescheide erwuchsen mit Ablauf der Rechtsmittelfrist am 02.01.2019 in Rechtskraft.

Die Beschwerdeführer waren laut behördlicher Meldung vom XXXX 2018 bis XXXX 2020 in der XXXX wohnhaft.

2.       Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakte der belangten Behörde sowie des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zur ordnungsgemäßen Zustellung der Bescheide durch Hinterlegung und dazu, dass die Hinterlegungsanzeige in die Abgabeeinrichtung eingelegt wurde, ergibt sich aus dem im Akt einliegenden ausgefüllten Rückschein. Zusätzlich wurde ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister eingeholt, aus dem hervorgeht, dass die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Zustellung an der Zustelladresse gemeldet waren.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist das Dokument, sofern es nicht an der Abgabestelle zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter iSd § 13 Abs. 3 ZustG regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, zu hinterlegen. Der Empfänger ist dabei schriftlich von der Hinterlegung zu verständigen. Die Verständigung ist in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

Gemäß § 17 Abs. 2 ZustG ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in der für die Abgabestelle bestimme Abgabeeinrichtung (Briefkasten, Hausbrieffach oder Briefeinwurf) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen.

Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt.

Gemäß § 17 Abs. 4 ZustG ist die im Wege der Hinterlegung vorgenommen Zustellung auch dann gültig, wenn die im Abs. 2 genannte Verständigung beschädigt oder entfernt wurde.

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung zur Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

3.2.    Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes. Ein solcher ist gegeben, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung (VwGH 24.01.1996, 94/12/0179) auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann. Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und mit zumutbarer Vorsicht auch nicht vorhergesehen werden konnte (VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214).

Ein Verschulden der Partei hindert die Wiedereinsetzung nur dann nicht, wenn es sich dabei lediglich um einen minderen Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) handelt. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Eine solche liegt dann vor, wenn der Partei ein Fehler unterläuft, der gelegentlich auch einer sorgfältigen Person unterlaufen kann (VwGH 20.06.2002, 2002/20/0230), wobei an einen rechtskundigen Parteienvertreter ein höherer Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (VwGH 22.01.2003, 2002/04/0136). Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. VwGH 29.01.2014, 2001/20/0425).

Behauptet ein Wiedereinsetzungswerber, von einem ihn betreffenden Schriftstück oder einer Hinterlegungsanzeige keine Kenntnis erlangt zu haben, hat er detaillierte sachverhaltsbezogene Vorbringen darüber zu machen, was er üblicherweise unternimmt, um dies zu vermeiden (VwGH 21. 12. 1999, 97/19/0217; 4. 2. 2000, 97/19/1484; 2. 10. 2000, 98/19/0198). Das alleinige Vorbringen, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, reicht demzufolge nicht aus (vgl VwGH 21. 11. 2001, 2001/08/0011). Es sind vielmehr jene Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich des Wiedereinsetzungswerbers darzulegen, aus denen sich konkrete Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass dieser von einem in seine Gewahrsame gelangten Poststück aus bestimmten, keine auffallende Sorglosigkeit begründenden Umständen keine Kenntnis erlangen konnte (VwGH 20. 1. 1998, 97/08/0545). Insbesondere können hier Angaben darüber, wie viele Personen Zugang zur Hausbrieffachanlage hatten, wer die Entleerung derselben besorgte bzw wie oft eine solche Entleerung erfolgte, notwendig sein (VwGH 21. 12. 1999, 97/19/0217; 4. 2. 2000, 97/19/1484; 2. 10. 2000, 98/19/0198).

Die "Unerklärlichkeit" des Verschwindens eines durch Einwurf in einen verschlossenen Hausbriefkasten in seine Gewahrsame gelangten amtlichen Schriftstücks geht zu Lasten des Wiedereinsetzungswerbers, dh die bloße Unaufklärbarkeit der Gründe für die Unkenntnis vom Zustellvorgang reicht für eine Wiedereinsetzung nicht aus (VwGH 20. 1. 1998, 97/08/0545; 21. 9. 1999, 97/18/0418). Der von der Behörde anzulegende Sorgfaltsmaßstab darf allerdings auch nicht überspannt werden. Den konkreten Vorgang, wie es etwa zur Entfernung einer Hinterlegungsanzeige gekommen ist, wird eine Partei nämlich nur in den seltensten Fällen bescheinigen können. Sie wird sich, abgesehen von der Behauptung des Fehlens der Hinterlegungsanzeige in der Post, auf die Darlegung von Umständen beschränken müssen, welche die Entfernung der Hinterlegungsanzeige als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 19. 4. 1994, 94/11/0053).

3.3.    Für den vorliegenden Fall bedeutet dies Folgendes:

Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden damit begründet, dass die Beschwerdeführer keine Verständigung über die Hinterlegung („gelber Zettel“) erhalten hätten. Sie hätten ihr Postfach täglich und gewissenhaft kontrolliert. Außerdem wäre die Erstbeschwerdeführerin mit dem Baby auch die meiste Zeit zu Hause gewesen. Durch den Nichterhalt der Hinterlegungsanzeige seien sie daran gehindert gewesen, rechtzeitig Beschwerde zu erheben. An diesem Ereignis würde sie kein Verschulden treffen.

Die Rechtswirksamkeit eines Zustellvorgangs ist nicht davon abhängig, dass dieser dem Empfänger auch zur Kenntnis gelangt. Im Hinblick auf § 17 Abs. 4 ZustG hat weder eine Beschädigung noch die Entfernung der Hinterlegungsanzeige durch andere Personen Einfluss auf die Gültigkeit der Zustellung. Darin kann allenfalls ein Grund für eine Wiedereinsetzung liegen; die Unwirksamkeit der Zustellung kann daraus aber nicht abgeleitet werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. März 2004, 2004/04/0033, sowie den hg. Beschluss vom 2. Mai 2016, Ra 2016/16/0028).

Das Vorbringen zu Gründen für die Wiedereinsetzung erschöpft sich damit in - nicht hinreichenden - Behauptungen (vgl. VwGH 21. 3. 1997, 97/02/0093; 25. 2. 2003, 2002/10/2002). Die Beschwerdeführer haben keine Umstände, die einen Wiedereinsetzungsantrag begründen könnten, glaubhaft dargelegt.

In ihren Anträgen auf Wiedereinsetzung haben die Beschwerdeführer keine Bescheinigungsmittel bezeichnet und auch sonst nicht glaubhaft gemacht, inwiefern die Hinterlegungsanzeige "verschwinden" hätte können.

Da die Beschwerdeführer nicht angetroffen werden konnten, wurde laut Rückschein am 30.11.2018 eine Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt.

Bei dem genannten Rückschein handelt es sich um eine öffentliche Urkunde, die die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich hat, dass die Zustellung den Angaben auf dem Zustellschein entsprechend erfolgt ist. Diese Vermutung ist widerlegbar. Behauptet jemand, es lägen Zustellmängel vor, so hat er diese Behauptung entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzuführen, welche die im Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/02/0156; 11.11.2015, Ra 2015/04/0086, je mwN). Dazu bedarf es jedoch konkreter Darlegungen und eines entsprechenden Beweisanbotes (vgl. etwa VwGH 27.07.2007, 2006/10/0040; 21.07.2011, 2007/18/0827 mwN).

Die "Unerklärlichkeit" des behaupteten Verschwindens der Hinterlegungsanzeige geht daher zu Lasten des Beschwerdeführers (vgl. VwGH 20. 1. 1998, 97/08/0545; 21. 9. 1999, 97/18/0418). Dem Konkretisierungsgebot des VwGH entsprach der Wiedereinsetzungsantrag nicht. Das alleinige Vorbringen, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, reicht für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aus (vgl. VwGH 21. 11. 2001, 2001/08/0011.)

Der Judikatur des VwGH folgend ist die Verständigung von der Hinterlegung als eine öffentliche Urkunde anzusehen und als Beweis über die Zustellung. Dadurch ist ihr die Vermutung der Echtheit und der inhaltlichen Richtigkeit inne (vgl. VwGH 30.07.2020, Ra 2019/07/0036). Die hinterlegte Sendung gilt dadurch als am ersten Tag der Abholfrist zugestellt. Die bloße Behauptung der Beschwerdeführer, sie hätten keine Hinterlegungsanzeige erhalten genügt nicht, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Die Zustellung der Bescheide erfolgte am 03.11.2018 somit rechtswirksam.

Der Vollständigkeit halber ist zu den angebotenen Beweismitteln festzuhalten, dass diese zwar die Sorgfalt der Beschwerdeführer zu untermauern vermögen, jedoch nicht dartun können, weshalb keine Hinterlegungsanzeige erfolgt bzw wie diese verschwunden sein soll.

Aus den geschilderten Gründen ist das in den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand enthaltene Vorbringen nicht geeignet, das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes glaubhaft zu machen.

Die belangte Behörde ging daher im Ergebnis zutreffend davon aus, dass die Zustellung rechtmäßig erfolgte und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen war.

Die Beschwerden waren daher als unbegründet abzuweisen.

4.       Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 1) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2); wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird (Z 3).

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die mit Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben waren.

Zu B)

Revision

Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Wiedereinsetzung Zustellantrag Zustellung durch Hinterlegung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L514.2218979.3.00

Im RIS seit

08.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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