TE Bvwg Erkenntnis 2020/12/30 I419 2238078-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.12.2020
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Entscheidungsdatum

30.12.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §19
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I419 2238078-1/3E 30.12.2020

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. ALGERIEN, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 24.11.2020, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt III des bekämpften Bescheids zu lauten hat: „Eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ gemäß § 57 AsylG 2005 wird Ihnen nicht erteilt.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal ein und stellte am 20.11.2020 nach erfolglos versuchter Weiterreise nach Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA mit dem bekämpften Bescheid betreffend die Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I) sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Algerien (Spruchpunkt II) als unbegründet abwies, wobei es dem Beschwerdeführer zugleich keine Aufenthaltsberechtigung „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ erteilte (Spruchpunkt III), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erließ (Spruchpunkt IV) und feststellte, dass dessen Abschiebung nach Algerien zulässig sei (Spruchpunkt V).

Ferner stellte das BFA fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI), und aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt VII).

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei zwar privater Verfolgung ausgesetzt, allerdings ließen die äußerst geringen Strafen, die über die Täter verhängt worden seien, darauf schließen, dass die Sicherheitsbehörden nicht willens seien, ihm ausreichend Schutz zu bieten. Die Reisewarnung des BMEIA wegen der Pandemie weise auf die Unzulässigkeit der Abschiebung hin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist gesund, nimmt keine Medikamente, steht nicht in ärztlicher Behandlung und hat keine chronische Krankheit, ist gesund und arbeitsfähig. Er ist Anfang 30, geschieden, kinderlos, Sunnit und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Außer Arabisch spricht er Französisch, Englisch und Türkisch, jedoch kein Deutsch.

Er ist im Herkunftsstaat in der Gemeinde XXXX im gleichnamigen Bezirk der Provinz Bordj Bou Arreridj geboren. Seine Familie besitzt dort ein Haus im Viertel „ XXXX ), in dem sie wohnt. Von 09.07.2017 bis 04.06.2018 war er mit einer zwei Jahre jüngeren, in derselben Gemeinde geborenen Frau verheiratet.

Außer ihm wohnten bei seiner Ausreise dort seine Eltern, Anfang und Mitte 60, sowie sein Bruder, Mitte 20. Diese wohnen weiterhin dort, sind gesund und vermissen den Beschwerdeführer, der mit ihnen in Kontakt ist. Als er verheiratet war, lebte bis etwa März 2018 auch seine Frau dort. Seine beiden verheirateten Schwestern sind Mitte 30 und haben bereits das Haus verlassen. Diese leben ebenso im Herkunftsstaat wie auch Tanten und Onkel.

Sein Vater hat in England studiert und ist Pensionist mit etwa € 250,-- Rente, der Bruder bei einer Ölfirma tätig. Die Familie hat ihr Auskommen, laut Beschwerdeführer geht es ihr „halbwegs gut, sie kommen über die Runden“.

Der Beschwerdeführer hat 12 Jahre lang die Schule besucht, maturiert und 1,5 Jahre eine College-Ausbildung als Zolldeklarant absolviert, als welcher er zuletzt tätig war. Zuvor hatte er auch als Friseur und als Elektriker gearbeitet.

Nach eigenen Angaben reiste er im Herbst 2018 zunächst legal in die Türkei, wo er ein Jahr lang gearbeitet hat, danach von dort nach Griechenland, wo er sich ca. 8 Monate lang eine Mietwohnung mit anderen Algeriern teilte, und hielt sich später ca. 4 Monate in Bosnien auf. Am Tag der Antragstellung verfügte er über € 50,-- und 10 bosnische Feninga (€ 0,05).

In Frankreich lebt ein Cousin des Beschwerdeführers, in Portugal leben Verwandte seiner Mutter.

Im Inland hat er außer den Behörden- und Verfahrenskontakten sowie den täglichen Verrichtungen keinerlei privaten sowie keine familiären Anknüpfungspunkte. Er lebt von der Grundversorgung, auf die er mangels eigener Mittel angewiesen ist, und geht keinem legalen Erwerb nach. Strafrechtlich ist er unbescholten.

1.2 Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

1.2.1 Algerien ist nach § 1 Z. 10 HStV ein sicherer Herkunftsstaat im Sinne des § 19 BFA-VG. Im angefochtenen Bescheid wurde darauf und auf das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien verwiesen, aus dem unten unter 1.3 zitiert wird. Im Beschwerdeverfahren ist keine Änderung eingetreten, sodass das Gericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und sie zu den seinen erhebt.

1.2.2 Erstbefragt gab der Beschwerdeführer an, die Familie seiner Ex-Frau habe versucht, ihn zu töten und ihn mit einem LKW niedergefahren, weshalb er im Spital gewesen sei. Sie hätten ihn bis in die Türkei verfolgt, weil sie mit ihm als Ehemann nicht einverstanden gewesen seien. Den Ausreiseentschluss habe er 2018 gefasst.

1.2.3 Beim BFA anschließend einvernommen, gab er an, er habe im August 2017 geheiratet, nachdem er bereits 8 Jahre lang heimlich eine Beziehung zu seiner Braut gehabt habe, von der seine Freunde sowie sein Bruder und seine ältere Schwester gewusst hätten. Die Schwiegereltern seien anfangs dagegen gewesen, seien aber von der Braut umgestimmt worden. Sie hätten danach herausgefunden, dass die Beziehung schon acht Jahre angedauert habe und die Frau gezwungen, sich scheiden zu lassen.

Sein Vater habe dem Schwiegervater von einem Streit des Paares erzählt, worauf der Schwiegervater im März 2018 die Frau wieder heimgeholt habe. Im April und Mai habe es Gerichtstermine gegeben, bei denen der Beschwerdeführer dabei gewesen sei.

Die Cousins der Frau hätten ihn bedroht, was er angezeigt habe, worauf einer davon zwei Tage später im Mai den Beschwerdeführer vor dessen Haustüre mit einem LKW überfahren habe. Auch dies habe er nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus angezeigt, wo er eine Woche verbracht habe, worauf über den Cousin eine unbedingte Geldstrafe von € 200,-- und eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden sei.

Als der Vorfall mit dem LKW gewesen sei, habe er der Scheidung zugestimmt.

Die Drohungen hätten sich dann telefonisch fortgesetzt, man habe ihm angekündigt, ihn zu zerstückeln und umzubringen, und ihn auch noch in der Türkei angerufen und bedroht. Etwa 1,5 Monate nach dem Vorfall mit dem LKW sei er vom Bruder und vom Cousin der Frau geschlagen worden, was er angezeigt habe, ohne dass es zu einer Bestrafung gekommen sei. Im Rückkehrfall würden sie – vielleicht – versuchen, ihn umzubringen.

1.2.4 Der Beschwerdeführer wurde am 08.06.2018 Opfer eines Unfalls auf einer öffentlichen Straße (victime d‘accident de la voie public) und erlitt dabei einen Bruch des rechten Schlüsselbeins, der orthopädisch behandelt wurde (fracture de la clavicule droite traitée orthopédiquement). Er war von 08. bis 13.06.2018 auf der medizinischen Intensivstation (réanimation medicale) stationär aufgenommen war, dann noch von 13. aus 14.06.2018 auf der allgemeinen Chirurgie (chirurgie generale), beides im Krankenhaus des Wohnorts.

Zunächst war er deshalb bis 07.07.2018 krankgeschrieben, anschließend weitere 15 Tage, somit bis 22.07., wobei die vorgelegten Krankschreibungen vom 08.06. und 08.07. stammen und die Aufenthaltsbestätigungen des Spitals am 05.11.2018 ausgestellt wurden.

1.2.5 Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat aus nicht asylrelevanten Gründen verlassen. Es kann nicht festgestellt werden, dass er dort aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer auch nur unterstellten politischen Gesinnung verfolgt wurde oder verfolgt werden würde.

1.2.6 Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass er von Angehörigen der Familie seiner ehemaligen Gattin vorsätzlich verletzt oder bedroht worden wäre oder nach einer Rückkehr deren Angriffe zu fürchten hätte. Gegen eine solche – nicht festgestellte – drohende private Verfolgung wäre der Herkunftsstaat jedoch schutzwillig und -fähig.

1.2.7 Der Beschwerdeführer erstattete kein substantiiertes Vorbringen über eine andere ihm drohende Gefährdung in seinem Herkunftsstaat im Falle seiner Rückkehr. Auch sonst ergaben sich im Verfahren keine diesbezüglichen Hinweise.

1.2.8 Eine nach Algerien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt. Zusammenfassend wird in Bezug auf das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers und aufgrund der allgemeinen Lage im Land festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird.

1.2.9 Dem Beschwerdeführer drohen nach seiner Rückkehr keine Verletzung der EMRK, keine ausweglose Lage und keine willkürliche oder strukturelle Gewalt. Entgegen seinem Beschwerdevorbringen droht ihm auch keine solche ausweglose Situation, die Asylrelevanz erreicht.

1.3 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Algerien mit Stand 26.06.2020 zitiert.

Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Aus Berichten des Auswärtigen Amts (Deutschland) ergibt sich betreffend die Pandemie in Algerien:

Algerien ist weiterhin von COVID-19 betroffen. Regionale Schwerpunkte sind der Großraum Algier sowie die Provinzen Blida und Oran. […] Der internationale Personenflugverkehr aus und nach Algerien und der Fährverkehr sind seit Mitte März 2020 eingestellt. […] Der nationale Flugverkehr wurde seit dem 6. Dezember 2020 wiederaufgenommen. Der Zug- und Bahnverkehr ist seit März 2020 eingestellt. Öffentliche Verkehrsmittel und Taxis für den individuellen Transport dürfen nur innerhalb der Provinzen verkehren, Taxis und Busse zwischen den Provinzen sind verboten. […] In 34 Provinzen, darunter Algier und Oran, besteht eine Ausgangssperre von 20 Uhr bis 5 Uhr. Aufgrund von örtlichen Infektionsherden können lokale Behörden jederzeit auch kurzfristig weitere einschränkende Anordnungen verfügen. […] (www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/algeriensicherheit/219044 – Abfrage 30.12.2020, Stand 08.12.2020)

Andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 29.659 per 28.12.2020 (Johns-Hopkins-Universität, coronavirus.jhu.edu/map.html), zur Bevölkerungszahl (ca. 42 Mio.), einen Anteil von ca. 706 pro Million, was verglichen mit Österreich und dem Anteil hier von ca. 2.326 pro Million (20.785 von ca. 8,9 Mio.) lediglich rund ein Drittel der hier festgestellten Quote ist.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.3.1 Rechtsschutz / Justizwesen

Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter sowie Staatsanwälte zuständig ist (USDOS 11.3.2020). Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 29.4.2020). Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet (BS 29.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020), sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt (USDOS 11.3.2020). Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt (AA 25.6.2019). Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen (BS 29.4.2020). Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden (AA 25.6.2019). Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann (GIZ 12.2016a).

Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt (AA 25.6.2019; vgl. GIZ 12.2016a).

Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess (USDOS 11.3.2020), aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 4.4.2018). Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich (USDOS 11.3.2020). Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz (AA 25.6.2019).

1.3.2 Sicherheitsbehörden

Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll (GIZ 12.2016a). Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen (GIZ 12.2016a). Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit (GIZ 12.2016a; vgl. USDOS 11.3.2020). Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 130.000 Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen (USDOS 11.3.2020). Sie untersteht dem Verteidigungsministerium (GIZ 12.2016a).

Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch (GIZ 12.2016a).

Straffreiheit bleibt ein Problem (USDOS 11.3.2020). Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren (ÖB 11.2019). Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte (USDOS 11.3.2020).

1.3.3 Rückkehr

Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009) (ÖB 11.2019; vgl. AA 25.6.2019). Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor (ÖB 11.2019)

Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt (AA 25.6.2019).

Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wiederaufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen (ÖB 11.2019).

Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden am 17.3.2020 alle Luft-, See- und Landgrenzübergänge geschlossen. Über eine mögliche Aufhebung der Sperren soll im Juli 2020 entschieden werden (National 14.6.2020; vgl. USEMB 16.6.2020, IATA 17.4.2020/17.6.2020, Garda 13.6.2020).

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsakts des BFA und des Gerichtsaktes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich, soweit unstrittig, auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Die Berufsbezeichnung konnte anhand der Abschrift aus dem Ehebuch präzisiert werden („Déclarent douane“, AS 181).

Aus seiner Gesundheit, dem Alter und der Angabe, er habe zunächst nach England wollen, wegen der Arbeit, weil er dir dortige Sprache könne, (AS 47) ergab sich seine Arbeitsfähigkeit.

2.3 Zum Fluchtvorbringen:

Der Beschwerdeführer gab erstbefragt an, er habe den Ausreiseentschluss 2018 gefasst, ausgereist sei er im Oktober (AS 11, 13), in der anschließenden Einvernahme zunächst, dass er sich 2017 zur Ausreise entschlossen und zwei Monate später – 2018 – das Land verlassen habe (AS 46). In derselben Einvernahme erklärte er, seine Frau sei im März 2018 ausgezogen und er im November 2018 ausgereist (AS 49 f). Zur Ausreise habe er sich nach dem Vorfall mit dem LKW entschlossen, der im Mai 2018 gewesen sei. Auf Vorhalt des Widerspruchs erklärte er: „Vielleicht habe ich mich vertan. Vielleicht war es 2018.“ (AS 51)

Der Zusammenhang zwischen Ausreise und Scheidung sowie behaupteten Auseinandersetzungen mit der Familie der Frau ergibt sich daraus nicht schlüssig. Dazu kommt, dass die Angaben auch nicht zu den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Urkunden passen, sowohl was den Unfallzeitpunkt betrifft (Mai, AS 50, versus Spitalsaufnahme am 08.06., AS 195, Überweisung zum Hirn-CT - tomodensitométrie cérébrale - und zur Ultraschalluntersuchung - échographie - auch vom 08.06., AS 179), als auch betreffend die Unmöglichkeit früherer Abreise („weil ich immer wieder im Krankenhaus war“, AS 51, versus Krankschreibung bis 22.07., AS 175, Arbeit und Freunde treffen in den zwei Monaten vor der Ausreise, AS 47).

Auch die Angaben zur Ehe sind inkonsistent, beim BFA angeblich Hochzeit im August und Zustimmung zur Scheidung im Mai (AS 49 f), laut Urkunden Heirat am 09.07. (Neuf juillet), Scheidung ausgesprochen am 04.06.2018 (AS 181). August und Juli sind auch in den verwendeten Fremdsprachen akustisch unterschiedlich (juillet/yuliu versus août/'aghustus).

Wenig plausibel ist auch, dass die angeblichen Verfolger ihn bis Oktober oder November - von einer (erst auf Nachfrage berichteten) Prügelei abgesehen - nur verbal bedroht hätten, dann aber nach der Ausreise (aus nicht erklärten Gründen) den jüngeren Bruder (AS 51) und noch nach der Scheidung den inzwischen in der Türkei befindlichen Beschwerdeführer am Telefon (AS 50).

Angesichts dieses inkonsistenten und kaum plausiblen Vorbringens ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine konkrete, gegen seine Person gerichtete Verfolgung oder Verfolgungsgefahr („Vielleicht versuchen sie mich umzubringen.“, AS 51) glaubhaft zu machen. Aus den Angaben des Beschwerdeführers, wonach eine Geldstrafe in Höhe von 80 % der Monatsrente seines Vaters und eine bedingte Freiheitsstrafe von mehreren Monaten über den Lenker des Unfallautos verhängt wurde, sowie den Länderfeststellungen der Kapitel „Rechtsschutz / Justizwesen“ und „Sicherheitsbehörden“ lässt sich zudem schließen, dass die Behörden des sicheren Herkunftsstaats Algerien in einem Fall, wie der Beschwerdeführer ihn zu fürchten vorgibt, sowohl schutzwillig als auch –fähig sind.

In der Beschwerde wird darüber hinaus lediglich vorgebracht, der Beschwerdeführer habe wegen der Versorgungs- und Lebensbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten (AS 169), ohne weiter zu erklären, warum das so sein sollte („unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse“).

Demnach ist dem BFA zuzustimmen, das beweiswürdigend ausführt, das Vorbringen dokumentiere keine individuelle aktuelle asylrelevante Verfolgung (AS 93, 109 f).

Aus der angegebenen Lage der Familie („halbwegs gut, sie kommen über die Runden“, AS 48) folgt angesichts der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers nicht, dass er existenziell gefährdet wäre, zumal auch sein Bruder Arbeit hat, und die Familie gesund ist.

Ob der Beschwerdeführer nun in seinem bisherigen Beruf als Zolldeklarant Arbeit findet (was nicht ausgeschlossen erscheint, hat er doch angegeben, bis zur Ausreise dort tätig gewesen zu sein), als Friseur wie früher oder mit Hilfstätigkeiten sein Auskommen finden muss, hat keinen entscheidenden Einfluss.

Da der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde dem bekämpften Bescheid nicht substantiiert entgegentrat und als Neuerung eine existenzielle Notlage geltend macht, ohne nachvollziehbare Gründe dafür darzulegen, ergeben sich auch keine Zweifel am Zutreffen der entscheidungsrelevanten Feststellungen des BFA.

Damit sind die Beurteilung der Fluchtgründe und die diesbezügliche Beweiswürdigung durch die belangte Behörde nicht zu beanstanden, sodass sich das Gericht der Beweiswürdigung anschließt. Der Beschwerde ist nichts zu entnehmen, was diese infrage stellen würde.

2.4 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Algerien (in der vom BFA verwendeten Version Stand 26.06.2020) samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer am 21.11.2020 zur Einsicht und Stellungnahme bei der nächsten Einvernahme angeboten (AS 52). Darauf verzichtete er ausdrücklich. Damit ist er den Länderfeststellungen nicht qualifiziert entgegengetreten.

Die weiteren Feststellungen entstammen den auch vom BFA verwendeten Angaben des CoV-Dashboards der Johns Hopkins Universität (coronavirus.jhu.edu/map.html), die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk) vom 28.12.2020.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1 Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I):

3.1.1 Nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht, und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.1.2 Zum Vorbringen des Beschwerdeführers ist festzuhalten, dass die behauptete Verfolgung nicht einmal dann Asylrelevanz zukäme, wäre sie feststellbar, weil die Behörden des Herkunftsstaats bei privaten Nachstellungen der beschriebenen Art schutzwillig und schutzfähig sind.

Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3.2 Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II):

3.2.1 Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.

3.2.2 Angesichts der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Gesundheit und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers hegt das Gericht entgegen dem Beschwerdevorbringen betreffend die Rückkehrsituation keine derartigen Bedenken. Es mag sein, dass der Beschwerdeführer keinen Arbeitsplatz mehr hat, ferner auch, dass er seit 2018 nicht mehr im Herkunftsstaat war, jedoch folgt daraus nicht, dass es dem Beschwerdeführer deshalb unmöglich wäre, eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage wie allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse liegen nicht vor, wie auch die Feststellungen betreffend die Pandemie ergeben, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Verdacht auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.

3.2.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig wurde jedoch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EGMR betont, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

Das gilt auch dann, wenn eine Unterstützung durch die Angehörigen des Beschwerdeführers zeitlich begrenzt bleibt, weil er arbeitsfähig ist, die dortige Sprache spricht und auch bereits gearbeitet hat. Inzwischen hat er auch Auslandsjahre aufzuweisen und war in mehreren Industriestaaten unterschiedlicher Sprachen, was den Wert seiner Arbeitskraft verbessert hat. Seine jahrelange lokale Ausbildung ging ihm daneben nicht verloren, weshalb der Beschwerdeführer den vorhandenen Arbeitsmarkt nutzen kann.

Aufgrund all dessen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät, sodass auch Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides zu bestätigen war.

3.3 Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkte III bis V):

3.3.1 Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

Im Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel „aus berücksichtigungswürdigen Gründen“ „gemäß § 57 AsylG“ nicht erteilt werde. Damit war das in § 57 AsylG 2005 beschriebene Rechtsinstitut „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gemeint, wie die Bescheidbegründung erweist (S. 44, AS 118). Dem war durch die Richtigstellung des Spruchs Rechnung zu tragen.

Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.3.2 Rückkehrentscheidung

Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend den Status des Asyl-, als auch jenen des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, wie im bekämpften Bescheid geschehen, ist nach § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG vorgesehen, dass das BFA eine Rückkehrentscheidung erlässt.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Dabei ergibt im Fall des Beschwerdeführers eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

Der Beschwerdeführer hat kein Familienleben und von seinem Asylverfahren samt der dafür nötigen Unterbringung etc. abgesehen kein Privatleben im Bundesgebiet. Er hält sich hier weniger als zwei Monate auf und hat keinen Wohnsitz außer dem zugewiesenen Quartier.

Nach der genannten Anwesenheitsdauer kann nicht von einer Aufenthaltsverfestigung ausgegangen werden. Zudem beruhte der Aufenthalt auf einem Asylantrag, der unbegründet war, weshalb sich der Beschwerdeführer des unsicheren Aufenthalts bewusst sein musste.

Es liegen keine Hinweise vor, dass der Beschwerdeführer in Österreich einen Grad an Integration erlangt hätte, der seinen persönlichen Interessen ein entscheidendes Gewicht verleihen würde.

Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat (über 2,5 Jahrzehnte), familiäre, sprachliche und kulturelle Verbindungen, speziell seine Eltern und Geschwister.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehen öffentliche Interessen gegenüber. Zuerst steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

Es würde eine Benachteiligung jener Fremden gleichkommen, die die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen in Österreich beachten, wenn sich der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen könnte, obwohl er seinen Aufenthalt lediglich durch seine faktische Einreise und einen unbegründeten Asylantrag erzwungen hat. In letzter Konsequenz würde ein solches Verhalten zu einer unsachlichen und damit verfassungswidrigen Differenzierung der Fremden untereinander führen.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden.

3.3.3 Zulässigkeit der Abschiebung

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat auch unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.

§ 50 Abs. 3 FPG erklärt die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Algerien einer realen Gefahr der Folter, der unmenschlichen Strafe oder Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt wäre.

Auch fehlt es an jedem Indiz, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr durch einen innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konflikt Gefahr laufen würde, in seinem Leben bedroht, in seiner Unversehrtheit beeinträchtigt oder gar getötet zu werden.

Es gibt zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und damit die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Selbst die Beschwerde belässt es beim Vorbringen, ohne dazu konkret auszuführen, warum das beim Beschwerdeführer im Gegensatz zu seinen Angehörigen zutreffen sollte.

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes in der Lage sein, in Algerien zumindest notdürftig leben zu können. Er spricht Arabisch, hat mehr als 10 Jahre die Schule besucht und im Herkunftsstaat auch schon Arbeitserfahrung gesammelt. So kann er vorhandene Sozialkontakte nutzen und neue knüpfen, selbst wenn die familiäre Unterstützung durch Eltern und Geschwister wider Erwarten nicht hinreicht.

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich wirtschaftlich besser leben kann als im Herkunftsstaat, genügt nicht für die Annahme, er würde dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Zudem besteht in Algerien keine so extreme Gefahrenlage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass dort das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht substantiiert behauptet.

Eine der Abschiebung nach Algerien entgegenstehende Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte besteht nicht.

Daher erwiesen sich die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat als rechtmäßig und die Beschwerde daher insoweit als unbegründet. Die Beschwerde war daher auch betreffend die Spruchpunkte III bis V abzuweisen.

3.4 Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI):

Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und dies mit der soeben erörterten Voraussetzung des § 18 Abs. 1 BFA-VG begründet. Wie sogleich gezeigt wird (3.5), hat es diese Bestimmung zu Recht angewendet.

Bereits unmittelbar aus § 55 Abs. 1a FPG ergibt sich, dass eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht besteht, wenn eine Entscheidung aufgrund eines Verfahrens nach § 18 BFA-VG durchführbar wird, was hier - nach dem Spruchpunkt VII des angefochtenen Bescheides - zutrifft.

Für die freiwillige Ausreise steht daher – nach Wiederherstellung der Reisemöglichkeit in den Herkunftsstaat (vgl. zum Ausreisehindernis der Strafhaft VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237) – keine Frist offen. Demnach war die Beschwerde auch zum Spruchpunkt VI abzuweisen.

3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt VII):

Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das BFA die aufschiebende Wirkung unter anderem dann aberkennen, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt (§ 18 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG). Das ist der Fall.

Die Interessensabwägung zwischen den Interessen des Beschwerdeführers und jenen Österreichs ergibt schon wegen dessen kurzen, auf den unbegründeten Asylantrag zurückzuführenden Aufenthalts, aber auch wegen seiner fehlenden sonstigen Integrationsmerkmale einen Überhang der Interessen Österreichs an der unverzüglichen Vollstreckung des bekämpften Bescheids, sodass das BFA der Beschwerde zu Recht die aufschiebende Wirkung aberkannte, zumal auch kein Grund vorlag, im Rahmen der Ermessensübung davon abzusehen.

Die Beschwerde erweist sich daher auch insoweit als unbegründet, sodass sie auch zum Spruchpunkt VII abzuweisen war.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die vorliegende Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Fluchtgründen, zur Relevanz des Privat- und Familienlebens bei Rückkehrentscheidungen oder zur Maßgeblichkeit staatlichen Schutzes bei privater Verfolgung.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.

Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht rund 5 Wochen liegen - die gebotene Aktualität auf. Der Beweiswürdigung durch die belangte Behörde hat sich das Gericht zur Gänze angeschlossen.

Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel aufschiebende Wirkung - Entfall begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung sicherer Herkunftsstaat subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2238078.1.00

Im RIS seit

05.03.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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