TE Vwgh Erkenntnis 1997/5/15 95/20/0386

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Veröffentlicht am 15.05.1997
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in H, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995, Zl. 4.331.365/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist syrischer Staatsangehöriger und reiste am 11. Februar 1992 in das Bundesgebiet ein. Am 12. Februar 1992 beantragte er die Gewährung von Asyl und wurde am 14. Februar 1992 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich dazu niederschriftlich befragt.

Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an:

"Ich bin Syrischer Staatsangehöriger. Ich war bei keiner Partei Mitglied und auch bei keiner anderen politischen Organisation. Jedoch bin ich ein Christ und unter diesen ein gläubiger Orthodoxe. Bei uns in Syrien gibt es die Glaubensgemeinschaft der Orthodoxen die sich SCHOUD JAHWA nennt. Diese Leute sind streng gläubig und versuchen, unserer Regierung bezubringen, daß man die Religionsausübung zuläßt. Sie unterrichten die Leute und wollen ihnen lernen, wie man christlich lebt, daß man anderen Menschen, gleich welcher Nationalität und dergleichen, hilft. Unsere Regierung ist aber diktatorisch und will dies unter allen Umständen verhindern. Die Regime-Anhänger bekämpfen sogar die eigenen Leute, wenn es der Diktator will, auch wenn sie nichts getan haben.

Jedenfalls hatte ich ca. 14 Tage vor meiner Flucht aus Ägypten einen Auftrag und sollte ca. 350 km von Damaskus entfernt, ein Haus ausmalen. Als ich damit fast fertig war, hatte ich keine Farbe mehr. Da der Hauseigentümer nicht kam, bin ich mit dem Linienbus nach Damaskus zurückgefahren. Im Bus habe ich dann erfahren, daß in meinem Dorf nach mir gesucht werde, vom Geheimdienst. Ich bin bei einer Raststation ausgestiegen und habe meinen Onkel angerufen. Dieser hat mir dann gesagt, daß ich keinesfalls nach Hause kommen dürfe, weil die Geheimpolizei mich suche. Meine Angehörigen sammelten dann im Dorf Geld, Kleidung und Proviant und brachten es mir. Hätte die Geheimpolizei mich erwischt, wäre ich sicher für ca. 30 Jahre eingesperrt worden, was einem Todesurteil gleichkommt. Das alles nur, weil ich Christ bin und meine Religion ausübe.

Ich ersuche daher, mir Asyl zu gewähren und mich nicht zurückzuschicken.

Ich habe nie einen Reisepaß besessen. Hätte ich um einen angesucht, wäre ich gleich festgenommen worden.

Ich habe vor ca. drei Wochen Syrien verlassen. Mit einem Taxi fuhr ich nach Beirut im Libanon. Dort habe ich von meiner Glaubensgemeinschaft Verbindungsleute getroffen. Ich blieb dann eine Woche bei diesen Leuten. Da es auch in Beirut Leute vom Syrischen Geheimdienst und solche Soldaten gibt, hatte ich Angst, daß sie mich erwischen."

Über Ungarn sei er dann über die grüne Grenze nach Österreich gelangt.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 9. Mai 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

In der dagegen gerichteten Berufung verwies der Beschwerdeführer auf seine Angaben bei der ersten Einvernahme und machte diese auch zum Inhalt seiner Berufungsausführungen. Auf der Sachverhaltsebene brachte er keine von seinen erstinstanzlichen Angaben abweichenden Umstände vor.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Februar 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Nach Darstellung des Verfahrensganges und der von ihr in Anwendung gebrachten Rechtslage führte die belangte Behörde in diesem Bescheid im wesentlichen aus, daß nicht einmal ansatzweise eine konkrete Verfolgungshandlung durch die syrischen Behörden vom Beschwerdeführer behauptet worden sei. Auch lasse sich seinen Angaben keineswegs entnehmen, daß er sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. Damit eine solche angenommen werden könne, müßten die Zustände im Heimatland des Asylwerbers auch aus objektiver Sicht betrachtet so sein, daß ein weiterer Verbleib dort unerträglich wäre. Auch die Angaben des Beschwerdeführers, daß er während der Busfahrt von einem Ort, der nach seinen eigenen Angaben ca. 350 km entfernt gewesen sei, nach Damaskus, erfahren habe, daß der syrische Geheimdienst in seinem Heimatort nach ihm gesucht habe, seien "dermaßen unglaubwürdig", zumal dieser Umstand sicherlich nicht in einer derart großen Entfernung zu seinem Heimatort Tagesgespräch sein könne. Darüber hinaus habe er weder bei der erstinstanzlichen Einvernahme, noch in der Begründung seines Berufungsantrages irgendwelche Benachteiligungen oder sogar Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Behörden behauptet.

Eine allgemeine Benachteiligung auf Grund der Religionszugehörigkeit könne nur dann als Verfolgungshandlung gewertet werden, wenn sie die Lebensgrundlage des Asylwerbers massiv bedrohe. Das gesamte Vorbringen lasse keinen Schluß auf eine konkrete Verfolgungshandlung seitens der syrischen Behörden zu. Vielmehr sei sein Vorbringen auf Behauptungen aufgebaut, die nach Ansicht der erkennenden Behörde äußerst unglaubwürdig seien, zumal diesem nicht einmal ansatzweise entnommen werden könne, daß die staatlichen Stellen von der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers überhaupt Kenntnis gehabt hatten. Die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen könne keinesfalls als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen der asylbegründenden Tatsachen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen sei, so könne von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden. Es ergebe sich daher, daß der Beschwerdeführer keine Verfolgung aus den im § 1 Z. 1 des Asylgesetzes 1991 genannten Gründen zu gewärtigen habe bzw. derzeit für den Fall einer etwaigen Rückkehr in seine Heimat zu befürchten hätte, weshalb ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht zukomme und deshalb die Asylgewährung zwingend ausgeschlossen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe schon in seiner Ersteinvernahme dargelegt, der christlichen Minderheit in Syrien anzugehören und orthodoxer Christ zu sein. Auf Grund des fundamentalistisch-islamisch orientieren Regimes in Syrien, dessen Behörden stets versuchten, den christlichen Glauben in Syrien auszumerzen, sei es dem Regime recht und billig, die im Land lebenden Christen mundtot zu machen. Nach Wiederholung seines im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens erklärte der Beschwerdeführer, wenn ihn die Geheimpolizei zum Zeitpunkt seiner Flucht erwischt hätte, so wäre er für ca. 30 Jahre eingesperrt worden, was einem Todesurteil gleichkomme, zumal die inhaftierten Christen nicht wieder lebendig aus dem Kerker zurückkämen. Obwohl er seine Religion nicht in provozierender Weise ausgeübt habe, sondern als Christ (bloß) an sämtlichen Veranstaltungen des christlichen Jahreskreises bzw. an den Gottesdiensten teilnehme, sei er anscheinend den syrischen Behörden aufgefallen. Deshalb sei beschlossen worden, ihn in Haft zu nehmen, um ihn einerseits mundtot zu machen bzw. ihn in der Haft ohne viel Aufsehen zu liquidieren. Die Verfolgung seiner Person durch die syrischen Behörden sei lediglich und ausschließlich in religiöser Hinsicht begründet. Im Hinblick darauf, daß der Beschwerdeführer begründet mit schwerwiegenden Verstößen gegen die Menschenrechte zu rechnen gehabt hätte, treffe auf ihn die Flüchtlingseigenschaft zu. Er habe berechtigte Gründe zur Annahme, wegen seines Glaubens verfolgt, inhaftiert und auch getötet zu werden bzw. müsse mit Repressalien seitens der syrischen Behörden rechnen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Z. 1 AsylG 1991 ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt des von § 1 Z. 1 AsylG 1991 aus Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet ist eine Furcht nur dann, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist.

Gemäß § 3 leg. cit. wird Asyl gewährt, wenn glaubhaft ist, daß der Asylwerber Flüchtling und die Gewährung von Asyl nicht gemäß § 2 Abs. 2 und 3 ausgeschlossen ist. Zentrale Entscheidungsgrundlage dafür ist das Vorbringen des Asylwerbers, dem es obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen. Weder in der Berufung noch in der Beschwerde wurde vom Beschwerdeführer eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens behauptet, weshalb auch für die belangte Behörde keine Veranlassung bestand, gemäß § 20 Abs. 2 AsylG dessen Ergänzung oder Wiederholung anzuordnen. Als Grundlage für die Entscheidung der belangten Behörde konnte daher das Ergebnis des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens herangezogen werden.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner Ersteinvernahme dargelegt, der Glaubensgemeinschaft der Orthodoxen mit Namen "SCHOUD JAHWA" anzugehören, welche um die freie Religionsausübung bemüht sei und daher "im Gegensatz zur Regierung stünde". Die Regierung sei "aber diktatorisch" und wolle dies "unter allen Umständen verhindern". Soweit diesen Ausführungen überhaupt die Behauptung allgemeiner Benachteiligungen für die Religionsgemeinschaft zu entnehmen ist, werden damit aber keine Eingriffe von asylrechtlich relevanter erheblicher Intensität vorgebracht (vgl. hg. Erkenntnis vom 21. November 1996, Zl. 95/20/0329).

Der Beschwerdeführer nannte während des Verfahrens die zufällig in Erfahrung gebrachte drohende Verhaftung samt zu erwartender lebenslänglicher Haft als asylbegründenden Umstand. Die belangte Behörde ging in ihrer Bescheidbegründung von der Unglaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers aus. Sie stützte dies einerseits darauf, daß es unwahrscheinlich sei, in solch großer Entfernung vom Heimatort von einem zufällig angetroffenen Bekannten derartige Informationen zu erhalten, "zumal dieser Umstand sicherlich nicht in einer derart großen Entfernung zu ihrem Heimatort Tagesgespräch sein kann". Weiters habe der Beschwerdeführer keinerlei Benachteiligungen oder sogar Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Behörden behauptet. Sein gesamtes Vorbringen lasse keinen Schluß auf eine konkrete Verfolgungshandlung seitens der syrischen Behörden zu. Die Behauptungen des Beschwerdeführers seien äußerst unglaubwürdig, "zumal seinem Vorbringen nicht einmal ansatzweise entnommen werden könne, daß die staatlichen Stellen von seiner Religionszugehörigkeit überhaupt Kenntnis hatten."

Diese von der belangten Behörde zur Begründung der Unglaubwürdigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers herangezogenen Argumente stellen aber keine schlüssige Begründung der Beweiswürdigung dar. Es ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes durchaus möglich, einen Bekannten auch in einer - übrigens nicht näher dargelegten - größeren Entfernung zum Heimatort zu treffen und Neuigkeiten von dort zu hören. Die von der Behörde genannte "derart große Entfernung" bezieht sich lediglich auf den Arbeitsort des Beschwerdeführers. In welcher Entfernung vom gemeinsamen Heimatort der Beschwerdeführer den Bekannten getroffen und die Information erhalten hat, ist nicht aktenkundig, zumal der Beschwerdeführer nur davon spricht, "im Bus" von der Suche nach ihm erfahren zu haben.

Auch die Argumentation der belangten Behörde hinsichtlich der Kenntnis der staatlichen Stellen von der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers ist unschlüssig, weil die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung, wegen seiner Religionszugehörigkeit gesucht worden zu sein, die Kenntnis der Behörde von der Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers in sich schließt. Es kann auch nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers sprechen, daß er keine (weiteren) Benachteiligungen bzw. Verfolgungshandlungen seitens der syrischen Behörden behauptet hat, da den Akten nicht zu entnehmen ist, daß dem Beschwerdeführer entsprechende Fragen überhaupt gestellt worden wären (vgl. hg. Erkenntnis vom 21. April 1994, Zl. 94/19/0283, vom 24. März 1994, Zl. 94/19/0089 u.a.).

Der sich an die obgenannten Ausführungen der belangten Behörde anschließende Exkurs zur "Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn" ist nicht nachvollziehbar. Sollte die belangte Behörde damit gemeint haben, der Beschwerdeführer habe für seine Behauptungen keinen Beweis erbracht, ist ihr zu entgegnen, daß im Asylverfahren anspruchsbegründende Tatsachen nicht zu beweisen, sondern nur glaubhaft zu machen sind. Sollte die belangte Behörde aber damit gemeint haben, daß die Behauptungen nicht glaubwürdig seien, so erweist sich diese Annahme aus den obgenannten Gründen als unzureichend begründet.

Es erweist sich somit, daß Ermittlungen bzw. entsprechend belegte Feststellungen zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes unterblieben sind, sodaß dieser in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben ist.

Somit wurden Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200386.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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