TE Vwgh Erkenntnis 2021/2/1 Ra 2020/13/0087

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Veröffentlicht am 01.02.2021
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §20
BAO §280 Abs1 lite
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
BAO §93 Abs3 lita

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des H in S, vertreten durch Mag. Franz Doppelhofer, Rechtsanwalt in 8055 Seiersberg-Pirka, Mitterstraße 177, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 7. August 2020, Zl. RV/2100421/2018, betreffend Haftung gemäß § 9 und § 80 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber war seit 24. Jänner 2009 Geschäftsführer der J GmbH. Seit 27. Mai 2011 vertrat er die Gesellschaft gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Sohn. Mit Beschluss des Landesgerichts wurde im Juni 2013 über das Vermögen der J GmbH das Konkursverfahren eröffnet. Das Konkursverfahren wurde im August 2017 mangels Kostendeckung aufgehoben.

2        Mit Haftungsbescheid vom 21. Dezember 2017 wurde der Revisionswerber als ehemaliger Geschäftsführer der J GmbH als Haftungspflichtiger gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für die - im Bescheid näher dargestellten - aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der J GmbH (aus dem Zeitraum April 2011 bis Juni 2013) im Ausmaß von insgesamt 60.219,97 € in Anspruch genommen. In der Begründung wurde ausgeführt, über das Vermögen der J GmbH sei im Juni 2013 das Konkursverfahren eröffnet und im August 2017 mangels Kostendeckung aufgehoben worden. Die angeführten Rückstände seien somit als uneinbringlich anzusehen. Der Revisionswerber habe im Streitzeitraum die J GmbH als Geschäftsführer vertreten; ihm sei die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Trotz zahlreicher Fristverlängerungen habe der Revisionswerber keine Unterlagen vorgelegt, aus denen eine Gläubigergleichbehandlung hätte abgeleitet werden können.

3        Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte im Wesentlichen geltend, es seien ab 27. Mai 2011 zwei weitere Geschäftsführer hinzugetreten; unter anderem der Sohn des Revisionswerbers, der selbst mit seinen wirtschaftlichen Unternehmungen gescheitert sei. Der Sohn habe mit Einverständnis des Revisionswerbers tatsächlich die Geschäftsführung und die Wahrnehmung der steuerlichen Interessen übernommen. Im Jahr 2011 habe sein Sohn unter massiver Arbeitsüberlastung gelitten; er sei wegen eines Burn-Out-Syndroms im Jahr 2011 in ärztlicher Behandlung gestanden. Die Behandlung sei jedoch abgebrochen und erst im Jahr 2013 wieder fortgesetzt worden. Im Jahr 2013 habe sein Sohn einen Nervenzusammenbruch erlitten. Im Finanzstrafverfahren sei nur der Sohn schuldig gesprochen worden. Es liege keine schuldhafte Pflichtverletzung des Revisionswerbers vor.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge und änderte den Haftungsbescheid ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht - soweit entscheidungswesentlich - aus, der Revisionswerber sei zur Erbringung des Nachweises der Gleichbehandlung von Gläubigern aufgefordert worden. Eine konkrete Darlegung sei nicht erfolgt. Er habe sich auf den Hinweis beschränkt, dass nur der Sohn wegen des Verdachtes der Hinterziehung von Abgaben verantwortlich gemacht und er selbst finanzstrafrechtlich nicht verurteilt worden sei. Die Beurteilung der Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen sei aber von der finanzstrafrechtlichen Würdigung zu unterscheiden, zumal im Haftungsverfahren eine bestimmte Schuldform nicht gefordert sei. Es genüge bereits leichte Fahrlässigkeit. Abgesehen davon sei im von dem Revisionswerber angeführten Erkenntnis angemerkt worden, dass der Unwert der Unterlassungen des Sohnes des Revisionswerbers durch seine psychischen Schwierigkeiten zwar abgemildert sei, er sei aber in seiner grundsätzlichen Entscheidungsfähigkeit als Geschäftsführer nicht wesentlich beeinträchtigt gewesen. Er habe drei Jahre hindurch als Entscheidungsträger gearbeitet und unternehmerische Dispositionen getroffen. Eingedenk des angegriffenen Gesundheitszustandes des Sohnes hätte dieser „wohl“ das Amt als Geschäftsführer gar nicht annehmen sollen. Der Revisionswerber sei bis Mai 2011 Alleingeschäftsführer der J GmbH gewesen. Es wäre an dem Revisionswerber als Geschäftsführer gelegen gewesen, zu überprüfen, ob der Sohn seine Position als Geschäftsführer aus gesundheitlichen Gründen überhaupt hinreichend ausfüllen könne. Die Haftung sei in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt. Die Geltendmachung der Haftung stelle die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung des Abgabenanspruches dar. Die Geltendmachung der Haftung sei in der Regel dann ermessenskonform, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich sei. Die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden könne hingegen vernachlässigt werden.

6        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision. Zur Zulässigkeit wird in der Revision insbesondere geltend gemacht, es habe für den Revisionswerber keine Hinweise gegeben, dass sein Sohn die ihm auferlegten Pflichten nicht erfüllen würde. Das Bundesfinanzgericht habe sich zudem mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, sein Sohn sei intern für die Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen zuständig gewesen, nicht auseinandergesetzt. Das Bundesfinanzgericht habe es auch unterlassen, sich im Rahmen der Begründung des Ermessens damit auseinanderzusetzen, dass mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Betracht kommen.

7        Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

8        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9        Die Revision ist zulässig und begründet.

10       Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Insbesondere haben sie dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

11       Nach § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

12       Zutreffend rügt die Revision, dass im Hinblick darauf, dass mehrere Vertreter als Haftungspflichtige in Frage kommen (neben dem Revisionswerber auch seine Ehefrau und sein Sohn als weitere Geschäftsführer), die Ermessensentscheidung, wer von ihnen und gegebenenfalls in welchem Ausmaß in Anspruch genommen wird, entsprechend zu begründen ist (vgl. z.B. VwGH 20.9.1996, 94/17/0122; 17.12.2002, 98/17/0250). Eine derartige Begründung enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Schon aus diesem Grund erweist sich das angefochtene Erkenntnis als rechtswidrig.

13       Im Übrigen ist zu bemerken, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Haftung bei einer Mehrheit von Geschäftsführern in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertritt, dass bei Vorliegen einer Geschäftsverteilung die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit denjenigen Geschäftsführer trifft, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist. Der von den finanziellen, insbesondere steuerlichen Angelegenheiten ausgeschlossene Geschäftsführer ist in der Regel nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser haftet jedoch selbst, wenn er eigene Pflichten dadurch grob verletzt, dass er es unterlässt, Abhilfe gegen Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Bestellten zu schaffen. In einem solchen Fall könnte ihn nur entschuldigen, dass ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten aus triftigen Gründen unmöglich gewesen wäre (vgl. z.B. VwGH 18.11.1991, 90/15/0123, mwN; 18.10.1995, 91/13/0037, 0038, VwSlg. 7038/F; 20.9.1996, 94/17/0122).

14       Eine Pflichtverletzung des nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten befassten Geschäftsführers ist aber erst dann anzunehmen, wenn für diesen ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des anderen Geschäftsführers zu zweifeln und er dennoch nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen (vgl. neuerlich VwGH 18.11.1991, 90/15/0123; 18.10.1995, 91/13/0037, 0038, VwSlg. 7038/F; 25.11.2002, 99/14/0121; 20.1.2010, 2005/13/0086, mwN; vgl. auch VwGH 13.4.2005, 2005/13/0001; vgl. weiters - zu § 25 Abs. 7 BUAG - VwGH 4.10.2001, 99/08/0120, mwN).

15       Ob - wie der Revisionswerber vorbringt - im Rahmen der Geschäftsführung der J GmbH eine Aufgabenverteilung (Zuständigkeitsverteilung) bestand, geht aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht hervor. Ebenso wenig geht daraus hervor, ob - bei Annahme einer derartigen Aufgabenverteilung - für den Revisionswerber ein Anlass bestanden hätte, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung des mit der Wahrnehmung der steuerlichen Angelegenheiten Betrauten zu zweifeln (vgl. bereits zum Verfahren der Ehefrau des Revisionswerbers VwGH 31.12.2020, Ra 2020/13/0084).

16       Das angefochtene Erkenntnis war in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. Februar 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020130087.L00

Im RIS seit

07.04.2021

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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