TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 I422 1423902-3

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Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46 Abs2
FPG §46a
FPG §46a Abs1 Z3
FPG §46a Abs3
FPG §46a Abs4
FPG §46a Abs5
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I422 1423902-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , StA. Algerien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2020, Zl. 811553100/200211616, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG stattgegeben. Der Aufenthalt des XXXX im Bundesgebiet ist geduldet.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte am 23.12.2011 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz. Die darüber ergangene negative Entscheidung erwuchs mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27.09.2013, Zl. 11 15.531-BAT, in Rechtskraft. Weiters wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen, welche seit dem 14.03.2014 rechtskräftig ist.

2. Am 31.01.2014 stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) bei der Vertretungsbehörde Algeriens einen Antrag auf Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer.

3. Da die Erlangung eines Heimreisezertifikates in der Folge trotz mehrmaliger Urgenz scheiterte, war der Aufenthalt des Beschwerdeführers erstmals ab 18.03.2015 geduldet. Die ihm ausgestellte Duldungskarte wurde in der Folge mit 18.03.2016, 18.03.2017, 18.03.2018 und 18.03.2019 jeweils für ein Jahr verlängert.

4. Nachdem der Beschwerdeführer am 21.02.2020 einen neuerlichen Antrag auf Verlängerung seiner Duldungskarte gestellt hatte, trug ihm die belangte Behörde mit Mandatsbescheid vom 03.06.2020, Zl. 811553100/200211616, auf, bei der zuständigen Behörde seines Herkunftsstaates ein Reisedokument einzuholen, dieses dem Bundesamt vorzulegen und die Erfüllung dieses Auftrages der belangten Behörde binnen vierwöchiger Frist nachzuweisen.

5. Mit Schreiben vom 01.07.2020 teilte der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers der belangten Behörde mit, dass er im Auftrag seines Mandanten mit Schreiben vom 18.06.2020 bei der diplomatischen Vertretung Algeriens in Österreich die Ausstellung eines Reisepasses für den Beschwerdeführer beantragt habe. Da keine Rückäußerung erfolgt sei, habe er am 30.06.2020 einen neuerlichen gleichlautenden Antrag gestellt. Ablichtungen beider Schreiben wurden dem Anbringen beigelegt.

6. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 15.07.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete vom 21.02.2020 gemäß § 46a Abs. 5 iVm Abs. 1 Z 3 FPG ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten würde und seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Zudem sei er der Aufforderung, sich ein Reisedokument ausstellen zu lassen nicht nachgekommen. Die Schreiben seines Rechtsanwaltes wären zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflicht nicht ausreichend, vielmehr hätte der Beschwerdeführer persönlich vor der Vertretungsbehörde erscheinen müssen und eine Bestätigung darüber der belangten Behörde vorzulegen gehabt.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 05.08.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte darin die Gesetzwidrigkeit der gegenständlichen Entscheidung. Der Beschwerdeführer sei seiner Mitwirkungspflicht durch den schriftlichen Antrag und die anschließende Urgenz jedenfalls nachgekommen. Außerdem habe er am 28.07.2020 persönlich bei der algerischen Botschaft vorgesprochen, wobei ihm die Ausstellung eines Reisepasses jedoch mündlich versagt worden sei. Eine entsprechende Zeitbestätigung über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in der algerischen Botschaft wurde der Beschwerde beigelegt.

8. Beschwerde und zugehöriger Verwaltungsakt sowie eine Stellungnahme der belangten Behörde zur Beschwerde wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.08.2020 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Algerien. Er ist Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und kommt ihm auch nach anderen Bundesgesetzten kein Aufenthaltsrecht zu. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Ein Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde rechtskräftig negativ entschieden und besteht gegen den Beschwerdeführer seit 14.03.2014 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung. Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung bislang nicht nach und ist er seit diesem Zeitpunkt unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Der Beschwerdeführer besitzt kein Reisedokument. Er hat jedoch sowohl zunächst im mehrjährigen Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates, als auch in weiterer Folge - dem Auftrag der belangten Behörde vom 03.06.2020 entsprechend - an der Erlangung eines Reisedokumentes mitgewirkt.

Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet seit 2012 durchgehend meldebehördlich registriert, seit 01.12.2017 selbstständig erwerbstätig, sozialversichert und strafrechtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Zudem wurde Einsicht genommen in den Gerichtsakt des Asylgerichtshofes zu B6 423902-1/2012. Ergänzend wurden die Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (AJ-Web), des Betreuungsinformationssystems des Bundes (GVS), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR) und des Strafregisters eingeholt.

Die personenbezogenen Feststellungen hinsichtlich des Beschwerdeführers beruhen zum einen auf den eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, dem AJ-WEB Auskunftsverfahren und dem Strafregister sowie zum anderen auf den Angaben des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren. Mangels Vorlage eines Identitätsdokumentes steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass seine Angaben zu seiner Identität nicht den Tatsachen entsprechen würden, zumal seine personenbezogenen Angaben seit seinem Antrag auf internationalen Schutz gleichlautend sind und ergeben sich aus dem Administrativverfahren zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und der dabei vorgenommenen Einsicht in den Gerichtsakt des Asylgerichtshofes zu B6 423902-1/2012 keine Rückschlüsse dafür, dass der Beschwerdeführer falsche Angaben zu seiner Identität bzw. zu seinem Herkunftsstaat tätigte.

Aus der der Einsichtnahme in den Gerichtsakt des Asylgerichtshofes zu B6 423902-1/2012 sowie einem Auszug des IZR und dem ZMR gründen die Feststellungen zum bereits rechtskräftig negativ entschiedenen Asylverfahren des Beschwerdeführers und seinem daraufhin folgenden unrechtmäßigen Verbleib im Bundesgebiet.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, ergibt sich betreffend die Erlangung eines Heimreisezertifikates aus dem im Akt einliegenden Aktenvermerk der belangten Behörde vom 02.07.2018 (AS 131), wonach beginnend mit 31.01.2014 mehrfach versucht wurde, ein Heimreisezertifikat bei der algerischen Botschaft zu erlangen und der Beschwerdeführer daran auch mitgewirkt hat. Dass sich der Beschwerdeführer auch um die Erlangung eines Reisedokumentes bemüht hat, beruht auf den im Akt einliegenden Kopien der Schreiben seines Rechtsanwaltes an die algerische Botschaft (AS 423 ff) sowie auf der im Rahmen der Beschwerde eingebrachten Zeitbestätigung über den Besuch der algerischen Botschaft (AS 507).

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgabe des Antrags auf Ausstellung einer Karte für Geduldete:

3.1. Rechtslage:

Der mit „Duldung“ überschriebene § 46a Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:

„(1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange

1. deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;

2. deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;

3. deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder

4. die Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;

es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. Die Ausreiseverpflichtung eines Fremden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Satz 1 geduldet ist, bleibt unberührt.

(2) Die Duldung gemäß Abs. 1 Z 3 kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden; sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) während des anhängigen Verfahrens mitzuteilen; über sie ist insbesondere hinsichtlich ihrer Fortdauer im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 56 gilt sinngemäß.

(3) Vom Fremden zu vertretende Gründe (Abschiebungshindernisse) liegen jedenfalls vor, wenn er

1. seine Identität verschleiert,

2. einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder

3. an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen „Republik Österreich“ und „Karte für Geduldete“, weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.

(5) Die Karte für Geduldete gilt ein Jahr beginnend mit dem Ausstellungsdatum und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 über Antrag des Fremden für jeweils ein weiteres Jahr verlängert. Die Karte ist zu entziehen, wenn

1. deren Gültigkeitsdauer abgelaufen ist;

2. die Voraussetzungen der Duldung im Sinne des Abs. 1 nicht oder nicht mehr vorliegen;

3. das Lichtbild auf der Karte den Inhaber nicht mehr zweifelsfrei erkennen lässt oder

4. andere amtliche Eintragungen auf der Karte unlesbar geworden sind.

Der Fremde hat die Karte unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen, wenn die Karte entzogen wurde oder Umstände vorliegen, die eine Entziehung rechtfertigen würden. Wurde die Karte entzogen oder ist diese vorzulegen, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und das Bundesamt ermächtigt, die Karte abzunehmen. Von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes abgenommene Karten sind unverzüglich dem Bundesamt vorzulegen.

(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet.“

3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Nach dem Gesetzestext des § 46a FPG ist Voraussetzung für die Ausstellung einer „Karte für Geduldete“, dass der Aufenthalt des Fremden im Sinne von Abs. 1 dieser Bestimmung geduldet ist, was dann der Fall ist, wenn einer der dort genannten Tatbestände (alternativ) erfüllt ist. Ist einer dieser Tatbestände erfüllt, ist die Karte, aus der sich die Duldung des Aufenthaltes der dort angeführten Person ergibt, auszustellen.

Da ein unter § 46a Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 FPG zu subsumierender Sachverhalt weder vorgebracht wurde noch sich sonst wie ergeben hat ist daher gegenständlich zu überprüfen, ob die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich war (Z 3 leg. cit.). Vom Fremden zu vertretende Gründe liegen gemäß § 46a Abs. 3 FPG jedenfalls vor, wenn er seine Identität verschleiert, einen Ladungstermin zur Klärung seiner Identität oder zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes nicht befolgt oder an den zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes notwendigen Schritten nicht mitwirkt oder diese vereitelt.

Dazu ist festzuhalten, dass ein zur Ausreise verpflichteter Fremder, der über kein Reisedokument verfügt und ohne ein solches seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen kann, gemäß § 46 Abs. 2 FPG - vorbehaltlich des Abs. 2a - bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde aus Eigenem ein Reisedokument einzuholen und gegenüber dieser Behörde sämtliche zu diesem Zweck erforderlichen Handlungen, insbesondere die Beantragung des Dokumentes, die wahrheitsgemäße Angabe seiner Identität (§ 36 Abs. 2 BFA-VG) und seiner Herkunft sowie die Abgabe allfälliger erkennungsdienstlicher Daten, zu setzen hat, es sei denn, dies wäre aus Gründen, die der Fremde nicht zu vertreten hat, nachweislich nicht möglich. Die Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Fremde dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen.

Diese Bestimmung wurde in den Gesetzesmaterialien zum FrÄG 2017 (RV2285 BlgNR 25. GP 18) auszugsweise wie folgt erläutert:

Liegen nun im Einzelfall bestimmte faktische Ausreisehindernisse vor, wie sie insbesondere im Fehlen eines für die Ausreise erforderlichen Reisedokumentes bestehen können, so ist es auch Teil einer freiwilligen Erfüllung der Ausreiseverpflichtung, sich aus Eigenem um die Beseitigung dieser Ausreisehindernisse zu kümmern, im Falle eines nicht (mehr) vorhandenen Reisedokumentes also zB. dessen Neuausstellung bei der zuständigen ausländischen (Vertretungs-)Behörde zu beantragen. Der vorgeschlagene Abs. 2 trägt dem Rechnung und sieht daher vor, dass ein zur Ausreise verpflichteter Fremder grundsätzlich angehalten ist, das im Fehlen eines Reisedokumentes regelmäßig gelegene Ausreisehindernis im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst zu beseitigen. Die Neuregelung ist erforderlich, weil der Wortlaut des bisherigen Abs. 2 auf die Mitwirkung des Fremden an den Maßnahmen bzw. Amtshandlungen des Bundesamtes zum Zwecke der Erlangung der für die Abschiebung erforderlichen Bewilligung(en) eingeschränkt ist und daher die Pflicht des Fremden, Vorbereitungen für seine Ausreise eigenständig - und somit außerhalb einer Amtshandlung des Bundesamtes - zu treffen, nicht umfasst (VwGH 23.03.2017, Ro 2017/21/0005 und Ra 2017/21/0035).

Die Pflicht des Fremden nach dem vorgeschlagenen neuen Abs. 2 umfasst unter anderem die AntragsteIlung auf Ausstellung eines Reisedokumentes bei der dafür zuständigen ausländischen Behörde (Botschaft oder Konsulat) sowie die Erstattung sämtlicher dazu erforderlicher Angaben, insbesondere die wahrheitsgemäße Angabe der Identität und die Bekanntgabe allfälliger sonstiger erkennungsdienstlicher Daten. Da je nach Herkunftsstaat die zuständigen ausländischen Behörden unterschiedliche Anforderungen für die Ausstellung von Reisedokumenten aufstellen, ist eine abschließende Aufzählung der diesbezüglich vom Fremden zu setzenden Einzelschritte nicht zweckmäßig. Trägt das Bundesamt dem Fremden die Erfüllung der Pflicht gemäß dem vorgeschlagenen Abs. 2 mit Bescheid auf - wozu es bloß ermächtigt, keineswegs aber verpflichtet ist -, sind die vom Fremden konkret zu setzenden Schritte im Spruch des Bescheides genau zu bezeichnen. Bei der Bezeichnung dieser Einzelschritte werden die Anforderungen, welche die zuständige ausländische (Vertretungs-)Behörde für die Ausstellung von Reisedokumenten jeweils vorsieht, entsprechend zu berücksichtigen sein.

Satz 2 sieht vor, dass der Fremde die Erfüllung seiner Pflichten dem Bundesamt gegenüber nachzuweisen hat. Die eigenständige Beschaffung eines Reisedokumentes und die Erstattung der dazu erforderlichen Angaben gemäß Abs. 2 erfolgt im Zusammenwirken zwischen dem Fremden und der zuständigen ausländischen Behörde (Botschaft oder Konsulat), also ohne direkte Einbeziehung des Bundesamtes. Das Bundesamt hat daher ein Interesse daran, über die diesbezüglichen Maßnahmen des Fremden und deren Erfolg unterrichtet zu sein, zumal die Nichterfüllung der Verpflichtung gemäß Abs. 2 nicht nur zur Verhängung von Zwangsstrafen nach dem VVG, einschließlich der Beugehaft, führen kann, sondern auch für die Prüfung der Zulässigkeit einer (späteren) Anordnung der Schubhaft zu berücksichtigen ist (insoweit wird auf die Erläuterungen zu dem vorgeschlagenen § 76 Abs. 3 Z 1a verwiesen).

Der Beschwerdeführer stützte seinen Antrag im gegenständlichen Fall darauf, dass die Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich erscheint. Ein unter § 46a Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Z 4 FPG zu subsumierender Sachverhalt wurde seitens des Beschwerdeführers weder vorgebracht, noch ergibt sich ein solcher aus dem amtswegigen Ermittlungsverfahren. Zu überprüfen ist daher gegenständlich, ob die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Algerien aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenden Gründen unmöglich ist.

Unbestritten ist, dass sich belangte Behörde über mehrere Jahre hinweg um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer bemüht hat. Nachdem eine Ausstellung nicht möglich erschien, trug sie dem Beschwerdeführer mit Mandatsbescheid vom 03.06.2020 auf, bei seiner zuständigen ausländischen Vertretungsbehörde seines Herkunftsstaates ein Reisedokument einzuholen und dieses dem Bundesamt vorzulegen. Vom Beschwerdeführer konkret zu setzende Einzelschritte wurden im genannten Bescheid nicht aufgeführt.

Seiner Pflicht zur Mitwirkung an der Erlangung eines Reisedokumentes ist der Beschwerdeführer im Anschluss an diesen Bescheid nachgekommen. So stellt die (fristgerechte) Kontaktaufnahme seines Rechtsanwaltes mit der algerischen Botschaft in Österreich jedenfalls ein taugliches Mittel dar, um in weiterer Folge – etwa bei einem vereinbarten persönlichen Termin – die Ausstellung eines Reisedokumentes durchführen zu können. Diese Bemühungen wurden der belangten Behörde im Weiteren auch innerhalb der zugestandenen Frist nachgewiesen. Insoweit die belangte Behörde ihre abweisende Entscheidung damit begründet, dass der Beschwerdeführer seiner Mitwirkungspflicht nur im Wege einer persönlichen Antragstellung bei der algerischen Botschaft nachkommen hätte können, so ist dem zu entgegnen, dass die belangte Behörde diese Form der Antragstellung weder im Spruch des Mandatsbescheides vom 03.06.2020 ausdrücklich angeordnet hat, noch sich eine solche Pflicht zur Antragstellung in einer bestimmten Form aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Zudem ist der Beschwerdeführer nach der Erlassung des verfahrensgegenständlichen Bescheides auch persönlich bei der algerischen Botschaft vorstellig geworden und hat darüber eine Zeitbestätigung vorgelegt, sodass auch aus diesem Verhalten durchaus auf eine vorhandene Mitwirkungsbereitschaft geschlossen werden kann.

Für das Bundesverwaltungsgericht steht zusammengefasst fest, dass der Umstand, dass ein Reisedokument bis dato nicht erlangt werden konnte, nicht auf eine mangelnde Mitwirkung oder Eigeninitiative des Beschwerdeführers zurückzuführen ist.

Daraus ergibt sich, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus tatsächlichen, von ihm nicht zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Da die Voraussetzung des § 46a Abs. 1 Z 3 FPG somit vorliegt und der Beschwerdeführer keinen Ausschlusstatbestand des Abs. 3 leg. cit. verwirklicht hat, ist ihm gemäß Abs. 4 leg. cit. eine Karte für Geduldete auszustellen.

4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik der Mitwirkungspflicht eines Fremden an der Erlangung eines Reisedokumentes (VwGH 23.03.2017, Ro 2017/21/0005 und Ra 2017/21/0035) auseinander.

Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Ausreiseverpflichtung Duldung illegaler Aufenthalt Karte für Geduldete Mitwirkungspflicht Reisedokument

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I422.1423902.3.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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