TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/5 I414 2234177-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.10.2020
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Entscheidungsdatum

05.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I414 2234177-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christian EGGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. LIBYAN ARAB JAMAHIRIYA, vertreten durch Diakonie Volkshilfe Flüchtlings- und Migrantinnenbetreuung pA. ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle West (EASt-West) vom 03.08.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und der dieser Spruchpunkt behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte erstmals am 24.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, reiste dann aber nach Deutschland und Ungarn weiter, um auch in diesen Mitgliedsstaaten internationalen Schutz zu beantragen. Am 10.02.2016 trat er erneut in Österreich vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes auf, stellte einen weiteren Asylantrag und wurde das Verfahren in Österreich zugelassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als BFA bezeichnet) vom 21.01.2019, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 10.02.2016 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Libyen abgewiesen. Der Beschwerdeführer habe keine individuelle Verfolgungs- oder Bedrohungshandlung vorgebracht und damit keine Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen glaubhaft gemacht. Zur Beurteilung der Lage im Herkunftsstaat wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 20.10.2017 herangezogen und festgestellt, dass in Libyen kein Bürgerkrieg oder eine Hungersnot herrscht. Eine Abschiebung bedeute keine Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK, der Beschwerdeführer sei keiner realen Gefahr einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt. Eine Rückkehr nach Tripolis sei zumutbar und könne er dort oder in einer anderen größeren Stadt die Grundbedürfnisse durch Erwerbstätigkeit oder aufgrund familiären Rückhaltes decken. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Libyen zulässig ist. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen zu einem Verbrechen der absichtlich schweren Körperverletzung und zu einem Vergehen der Körperverletzung und der Verhängung von Freiheitsstrafen in der Dauer von fünf Jahren bzw. drei Monaten, wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Außerdem wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer das Recht zum Aufenthalt ab dem 07.04.2016 verloren hat.

Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer in der Haftanstalt zugestellt und erwuchs mit 21.02.2019 unbekämpft in Rechtskraft.

Am 06.07.2020 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz und gab an, keine neuen oder anderen Fluchtgründe zu haben. Befragt zu den Rückkehrbefürchtungen äußerte er Unkenntnis über den Verbleib seiner Familie und die dortige Kriegssituation. Vor dem BFA fanden am 14.07.2020 und am 30.07.2020 niederschriftliche Einvernahmen statt, wobei er wörtlich zu Protokoll gab: „Ich habe die gleichen Gründe wie in den ersten Verfahren. Ich habe keine Familie mehr. Und in Libyen herrscht auch Krieg.“ (AS 87) und „Ich weiß nicht genau, ob meine Eltern verstorben sind.“ „Als ich in Deutschland war, hatte ich Freunde aus meinem Stadtviertel getroffen. Diese sagten mir, dass das ganze Viertel dort zerstört worden sei.“ (AS 89). Zu den Länderberichten mit Stand der zuletzt eingefügten Kurzinformation vom 21.11.2019 gab er, vom Bürgerkrieg in Libyen in den Nachrichten gehört zu haben. Er könne nicht zurück, weil er nicht mit Waffen andere Muslime töten wolle (AS 131).

Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 03.08.2020, Zl. XXXX , wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Begründend wurde ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer auf dieselben Fluchtgründe wie im Vorverfahren stütz und somit keine neuen oder anderen Motive vorbrachte. Aus dem aktuellen Länderinformationsblatt haben sich im Vergleich zu den Feststellungen im Vorverfahren keine für den Beschwerdeführer maßgeblichen Änderungen bzw. Verschlechterungen ergeben.

Die dagegen erhobene Beschwerde moniert hauptsächlich, dass es seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung zu sicherheitsrelevanten Veränderungen gekommen sei. Der Beschwerdeführer stamme aus Tripolis und werde die Stadt seit Anfang April, sohin nach Erlassung des vorherigen Bescheides, umkämpft und haben die Kämpfe zu zahlreichen Opfern und Vertriebenen geführt. Generell sei die Sicherheitslage in ganz Libyen prekär und bestehe im ganzen Land eine Gefahr durch willkürliche Gewalt. Darüber hinaus sei die Versorgungs- und medizinische Lage völlig unzureichend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Um Wiederholungen zu vermeiden wird der soeben dargestellt Verfahrensgang als Sachverhalt festgestellt.

Zusätzlich werden nachstehende Feststellungen getroffen:

Der Beschwerdeführer ist libyscher Staatsangehöriger, er ist ledig, kinderlos und bekennt sich zum moslemischen Glauben.

Bis zu seiner Ausreise lebte er in Tripolis. In Libyen halten sich seine Eltern und Geschwister auf, zu denen er keinen Kontakt pflegt und er über deren Lebensumstände nicht Bescheid weiß.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Er reiste erstmals im Jahr 2015 nach Österreich ein, hielt sich in weiterer Folge auch in Deutschland und Ungarn auf und ist wieder seit Februar 2016 im Bundesgebiet aufhältig.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16.08.20116 wurde er mit 28.10.2016 rechtskräftig wegen absichtlich schwerer Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren verurteilt. Wegen einer begangenen Körperverletzung in der Haftanstalt wurde er weiters mit Urteil des Bezirksgerichtes Graz-West vom 20.09.2017, rechtskräftig am 26.09.2017, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Derzeit verbüßt er seine Haftstrafen in einer Justizanstalt.

Außer Aufenthalten in Haftanstalten hatte der Beschwerdeführer keinen gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet. Er verfügt über keine Verwandten in Österreich und trat außer durch Vergehen und Verbrechen gegen Leib und Leben und der Stellung von Asylanträgen nicht in Erscheinung.

In der Erstbefragung und auch vor dem BFA verwies der Beschwerdeführer auf seine im Erstverfahren vorgebrachten Fluchtgründe und gestalteten sich seine Antworten wie folgt: „Wie gesagt, meine Gründe haben sich nicht wirklich geändert. Ich kenne mich bei der derzeitigen Lage in Libyen nicht aus. (AS 9). […] Ich habe die gleichen Gründe wie in den ersten Verfahren. Ich habe keine Familie mehr. Und in Libyen herrscht auch Krieg. (AS 87) […] Meine Angaben sind richtig und ich halte diese aufrecht“ (AS 131).

Mit dem oben angeführten Bescheid des BFA wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asyl- als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das BFA ging im Hinblick auf den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten von bereits entschiedener Sache aus, wobei begründend dafür auf dasselbe Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wie in seinem Vorverfahren hingewiesen wurde. Entschiedene Sache nahm das BFA unter Verweis auf keine vorliegenden maßgeblichen Änderungen zur Lage im Herkunftsstaat auch im Hinblick auf seinen Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten an.

Zur auszugsweise wiedergegebenen Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformation:

Die politische Situation in Libyen ist nach wie vor instabil, und die Sicherheitslage ist nach wie vor gefährlich und unvorhersehbar (FCO 16.10.2019; vgl. AA 29.7.2019). Die staatlichen Sicherheitsorgane können grundsätzlich keinen ausreichenden Schutz garantieren (AA 29.7.2019). Die international anerkannte Einheitsregierung in Tripolis ist schwach und hat weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle (Standard 18.11.2019; vgl. BBC 27.10.2019). Kräfte, die gegen die anerkannte Regierung aktiv sind, haben Berichten zufolge die Kontrolle über eine Reihe von Städten erlangt (FCO 16.10.2019; vgl. Standard 18.11.2019). ICG beschreibt den Konflikt in Libyen im Oktober 2019 als verschlechtert („deteriorated situation“) im Vergleich zum Vormonat (ICG 10.2019).

Seit dem 3.4.2019 hat es im Westen Libyens einen erheblichen Aufbau militarisierter Streitkräfte gegeben (FCO 16.10.2019). Luftschläge der USA richten sich im Süden des Landes gegen den Islamischen Staat. Der Rest des Landes wird von den Kämpfen zwischen der Libyschen Nationalarmee (LNA) von Khalifa Haftar und der Regierung der Nationalen Übereinkunft (GNA, Government of National Accord) (ACLED 2.10.2019), die von der UN unterstützt wird, dominiert (ICG 10.2019). Allen Konfliktparteien wird vorgeworfen, an einem Verhalten beteiligt zu sein, das zu schweren Verletzungen der internationalen Menschenrechtsnormen und des humanitären Völkerrechts während der Kämpfe führen könnte (UNSC 26.8.2019).

Die anhaltenden Feindseligkeiten betreffen hauptsächlich die Vororte von Tripolis (MAE 8.10.2019; vgl. FCO 16.10.2019, AA 29.7.2019, ICG 10.2019) und viele Zivilisten wurden bei Konflikten in Wohngebieten getötet (FCO 16.10.2019; vgl. AI 22.10.2019, Standard 18.11.2019, ICG 10.2019). Seit Beginn der Schlacht um Tripolis am 4.4.2019 wurden etwa 1.000 Menschen getötet (BBC 27.10.2019); darunter waren Stand 29.7.2019 111 getötete und 289 verletzte Zivilisten; ca. 120.000 Menschen wurden zu IDPs (UNSC 26.8.2019; vgl. BBC 27.10.2019).

Luftangriffe und Raketenangriffe betreffen viele andere Gebiete, darunter die Städte Gharian, Tarhuna, Zintan, Zawia, Janzur, Sirte, Sebha und Murzuq (MAE 8.10.2019; vgl. AA 29.7.2019, MEAE 10.4.2019). Derna befindet sich in einem Belagerungszustand durch die libysche Nationalarmee; Zivilisten wurden bei Luftangriffen auf die Stadt getötet (FCO 16.10.2019). Kämpfe können überall ohne Vorwarnung ausbrechen, auch zwischen lokalen Milizgruppen (FCO 16.10.2019; vgl. AA 29.7.2019, MEAE 10.4.2019). Sporadische Zusammenstöße zwischen bewaffneten Gruppen können auch in städtischen Gebieten zu schweren Kämpfen führen (MEAE 10.4.2019). Es besteht ein hohes Risiko, dass Zivilisten willkürlich in allen Gebieten, in denen gekämpft wird, in Schusswechsel oder Granatenbeschuss, einschließlich Luftangriffe, geraten (FCO 16.10.2019; vgl. AI 22.10.2019, ICG 10.2019).

Es gibt weiterhin Berichte über Gewalt, Rachemorde, Plünderungen und Menschenrechtsverletzungen im ganzen Land (FCO 16.10.2019; vgl. MEAE 10.4.2019). Die öffentliche Infrastruktur und die öffentlichen Dienstleistungen sind ernsthaft beeinträchtigt, was zu Stromausfällen, Wasser-, Kraftstoff-, Nahrungsmittel- und Geldmangel, Mangel an Medikamenten und hoher Inflation geführt hat (FCO 16.10.2019). Es besteht landesweit ein sehr hohes Risiko für Entführungen (MAE 8.10.2019; vgl. FCO 16.10.2019, MEAE 10.4.2019, UNSC 28.8.2019) und willkürlicher Inhaftierung durch lokale Milizen. Der anhaltende Konflikt und die Verbreitung bewaffneter Milizen hat in den meisten Gebieten zu einem Anstieg der Kriminalität geführt (FCO 16.10.2019; vgl. MEAE 10.4.2019, UNSC 26.8.2019). Die geringe Präsenz von Sicherheitskräften in ländlichen Gebieten, insbesondere im Süden des Landes, hat die Bildung krimineller und terroristischer Gruppen gefördert (MEAE 10.4.2019).

Die terroristische Bedrohung bleibt sowohl innerhalb der Hauptstadt als auch im Rest des Landes real (MEAE 10.4.2019; vgl. MAE 8.10.2019). Dschihadistische Zellen sind in verschiedenen Teilen des Landes, einschließlich der Hauptstadt, vertreten. Auch in den großen Hotels der Hauptstadt sind keine angemessenen Sicherheitsstandards gewährleistet (MAE 8.10.2019).

Der Betrieb des einzigen operativen Flughafens der Hauptstadt, Mitiga, wurde nach wiederholten Bombardements eingestellt (MAE 8.11.2019; vgl. ICG 10.2019, AI 22.10.2019), aber auch die alternativen Flughäfen Misurata und Zuara sind gelegentlich von Luftangriffen betroffen (MAE 8.11.2019; vgl. ICG 10.2019). Die südliche Region und die Hauptstraßen des Landes, einschließlich des Küstenstraßenabschnitts von Tunesien nach Ägypten, weisen hohe

Kriminalitätsraten und Kontrollpunkte auf, die teilweise von irregulären bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Jede Reisebewegung auf dem Landweg stellt ein sehr hohes Risiko dar (MAE 8.10.2019).

Quellen:

• AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (29.7.2019): Libyen: Reisewarnung, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/libyen-node/libyensicherheit/219624, Zugriff 20.11.2019

• ACLED – Armed Conflict Location and Event Data Project (2.10.2019): Regional Overview – Africa, 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-africa-2-october-2019/, Zugriff 19.11.2019

• AI - Amnesty International (22.10.2019): Libya‘s Relentless Militia War - Civilians Harmed in the Battle for Tripoli, April - August 2019, https://www.amnesty.org/download/Documents/MDE1912012019ENGLISH.PDF, Zugriff 19.11.2019

• BBC – British Broadcasting Corporation (27.10.2019): Libya in chaos as endless war rumbles on, https://www.bbc.com/news/world-africa-49971678, Zugriff 21.11.2019

• FCO – Foreign and Commonwealth Office of the United Kingdom (16.10.2019): Foreign travel advice Libya – Safety and Security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/libya/safety-and-security, Zugriff 20.11.2019

• ICG – International Crisis Group (10.2019): CrisisWatch - Tracking Conflict Worldwide | Libya, https://www.crisisgroup.org/crisiswatch/november-alerts-october-trends-2019#libya, Zugriff 20.11.2019

• MAE - Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale della Repubblica Italiana (8.10.2019): Viaggiare Sicuri Informatevi – Libia, http://www.viaggiaresicuri.it/#/country/LBY, Zugriff 21.11.2019

• MEAE - Ministère de l’Europe et des Affaires étrangères de la République française (10.4.2019): Conseils aux Voyageurs – Libye - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/libye/#securite, Zugriff 20.11.2019

• Standard, der (18.11.2019): Sieben Tote und 30 Verletzte bei Luftangriff in Tripolis, https://www.derstandard.at/story/2000111219951/sieben-tote-und-30-verletzte-bei-luftangriff-intripolis, Zugriff 20.11.2019

• UNSC - United Nations Security Council (26.8.2019): United Nations Support Mission in Libya - Report of the Secretary-General S/2019/682, https://www.ecoi.net/en/file/local/2015610/S_2019_682_E.pdf, Zugriff 20.11.2019

In Bezug auf die Situation in Libyen ist im Vergleich zum Erstverfahren eine Lageänderung eingetreten, bei der nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass dadurch eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte. Änderungen haben sich beispielsweise in der Schlacht um Tripolis ab April 2019 ergeben. Die öffentliche Infrastruktur und die öffentlichen Dienstleistungen sind ernsthaft beeinträchtigt und hat sich eine Änderung in Bezug auf die Energie-, Wasser und Nahrungsmittelversorgung auswirkt und in Verbindung mit Geldmangel, Mangel an Medikamenten und hoher Inflation zu einer wesentlichen Änderung der allgemeinen Lebensumstände geführt hat. Das BFA hat sich nicht mit den Auswirkungen dieser neuen Gegebenheiten auf die individuelle Rückkehrsituation des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und geht pauschal von keiner maßgeblichen Änderung aus. Außerdem spricht es auf Bescheid S. 37 von „Feststellungen zur Lage in Algerien“ und stehen diese Länderinformationen in keinem Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang, die Feststellungen zu den bisherigen Asylverfahren und dem gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ergeben sich ohne Zweifel aus den Verwaltungsakten des BFA und dem Gerichtsakt.

Auch die Angaben zur Person, den früheren Lebensumständen des Beschwerdeführers in Libyen, seinen Angehörigen und den derzeit nicht bestehenden Kontakt und der bisherige Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die persönlichen Verhältnisse in Österreich ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in seinen niederschriftlichen Einvernahmen anlässlich seiner Asylverfahren. Zusätzlich wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Strafregister und dem Betreuungsinformationssystem eingeholt und konnten Feststellungen zu den Verfahren, Wohnsitz und Verurteilungen auch daraus getroffen werden.

Dass der Beschwerdeführer keine anderen oder neuen Fluchtgründe geltend macht, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben, die oben wörtlich und mit Angabe der Aktenzahl zitiert sind.

Die festgestellten Änderungen zur Lage im Herkunftsstaat ergeben sich aus einem Vergleich zwischen den in den Bescheiden Zlen. XXXX und XXXX herangezogenen und vollständig zitierten Länderinformationsblätter der Staatendokumentation für Libyen mit Stand Gesamtaktualisierung 20.10.2017 und Stand integrierte Kurzinformation 21.11.2019.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gegenstand des angefochtenen Bescheides war die Frage, ob jeweils entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vorliegt. Prozessgegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ist nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst.

3.1. Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten wegen entschiedener Sache (zu Spruchpunkt I.):

Entschiedene Sache liegt vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben (VwGH 21. 3. 1985, 83/06/0023, u.a.). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27. 9. 2000, 98/12/0057; siehe weiters die bei Walter/Thienel, Die Österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl. 1998, E 80 zu § 68 AVG wiedergegebene Judikatur).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH 8. 9. 1977, 2609/76).

Von verschiedenen "Sachen" im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG ist auszugehen, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391; VwGH 24.02.2005, 2004/20/0010 bis 0013).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 15.10.1999, 96/21/0097; VwGH 25. 4. 2002, 2000/07/0235).

Ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz auf behauptete Tatsachen stützt, die bereits zum Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die dieser/diese jedoch nicht bereits im ersten Verfahren vorgebracht hat, liegt schon aus diesem Grund keine Sachverhaltsänderung vor und ist der weitere Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. VwGH 24.08.2004, 2003/01/0431; VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391).

Für das Bundesverwaltungsgericht ist daher Sache des gegenständlichen Verfahrens die Frage, ob das Bundesamt den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers zu Recht gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

Die Anwendbarkeit des § 68 AVG setzt gemäß Abs. 1 das Vorliegen eines der "Berufung" nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides, dh eines Bescheides, der mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht (mehr) bekämpft werden kann, voraus.

Diese Voraussetzung ist hier gegeben, weil der abweisende Bescheid des BFA vom 21.01.2019 unbekämpft blieb und formell rechtskräftig wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl an, dass die Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren nicht geeignet sind, eine neue inhaltliche Entscheidung hinsichtlich seines Antrages auf Gewährung von Asyl zu bewirken und dass darin kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden kann. Aufgrund des Umstandes, dass es sich gegenständlich um Fluchtgründe handelt, welche der Beschwerdeführer bereits bei der Stellung seines ersten Antrages auf internationalen Schutz vortrug, kann von keiner Änderung des Sachverhalts ausgegangen werden.

Da diesbezüglich weder in der maßgeblichen Sachlage und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre des Beschwerdeführers gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte. Die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten wegen entschiedener Sache war rechtmäßig, weshalb die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. abzuweisen war.

3.2. Zu Spruchpunkt II. – subsidiärer Schutzstatus:

Bei Folgeanträgen sind die Asylbehörden auch dafür zuständig, mögliche Sachverhaltsänderungen in Bezug auf den subsidiären Schutzstatus des Antragstellers einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 15.05.2012, 2012/18/0041).

Es haben sich im Vergleich zum ersten Asylverfahren relevante Sachverhaltsänderungen bezogen auf die Situation im Herkunftsland ergeben.

Das Länderinformationsblatt bzw. die darin enthaltene aktuelle Kurzinformation vom 21.11.2019 beschreibt die nach Anfang April begonnene Schlacht um Tripolis geänderte Sicherheitslage in und um die Hauptstadt, eine generell gefährliche und unvorhersehbare Sicherheitslage im Land und die damit einhergehende Verschlechterung der Versorgungsmöglichkeiten, sowie die Schließung des einzigen operativen Flughafens der Hauptstadt nach Bombenangriffen. Noch im Bescheid vom 21.01.2019 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer in Tripolis oder jeder anderen größeren Stadt durch Erwerbstätigkeit oder familiäre Unterstützung seinen Lebensunterhalt sichern könne und es keine Hinweise auf einen Bürgerkrieg oder eine Hungersnot in Libyen gebe. Eine gefahrlose Rückkehr sei über den internationalen Flughafen Tripolis möglich (Bescheid S. 23, 24 und 31).

Damit ist seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens eine Lageänderung im Herkunftsstaat eingetreten, bei der nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass demnach eine andere Beurteilung in Bezug auf die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erfolgen könnte (Hinweis E vom 12. Oktober 2016, Ra 2015/18/0221), was einer Zurückweisung des Folgeantrages wegen entschiedener Sache entgegensteht.

Wegen der Begrenzung der Sache des Beschwerdeverfahrens auf die Überprüfung der Zulässigkeit der Zurückweisung des Folgeantrags (hier für den Satus der subsidiär Schutzberechtigten) ist es dem Bundesverwaltungsgericht in dieser Konstellation verwehrt, die Zurückweisung des BFA durch eine Sachentscheidung zu ersetzen. Daher hatte das Bundesverwaltungsgericht nur durch Aufhebung der Zurückweisung vorzugehen und durfte hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht in der Sache absprechen.

Das Bundesverwaltungsgericht merkt an, dass in dieser Aufhebung der Zurückweisung hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten keine Beurteilung liegt, wie der Folgeantrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen in der Sache zu erledigen ist. Zuletzt ist noch auf § 8 Abs 3a AsylG 2005 hinzuweisen, wonach eine Abweisung auch dann zu erfolgen hat, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 vorliegt, und ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 abzuweisen ist. In Blick zu nehmen wäre in diesem Fall die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens.

4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:

Da im gegenständlichen Fall der Sachverhalt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich auf die unter den einzelnen Spruchpunkten zitierte Judikatur stützen. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung entschiedene Sache Folgeantrag geänderte Verhältnisse Haft Haftstrafe Identität der Sache Kassation Körperverletzung real risk reale Gefahr Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata schwere Straftat Spruchpunktbehebung Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Straftat Verbrechen wesentliche Änderung Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I414.2234177.1.00

Im RIS seit

24.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

24.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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