TE OGH 2021/1/27 9ObA108/20b

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Veröffentlicht am 27.01.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Hon.-Prof. Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Helmut Frick (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Inneres, 1010 Wien, Herrengasse 7), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17–19, 1011 Wien, gegen die beklagte Partei Dr. E*****, vertreten durch Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft (OG) in Dornbirn, wegen 36.000 EUR, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Oktober 2020, GZ 13 Ra 19/20x-18, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1]            Die Klägerin bringt vor, nach Aufhebung des zweiten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahl 2016 durch den Verfassungsgerichtshof seien ihr durch die Wiederholung der Wahl Mehraufwendungen in Höhe von 8,47 Mio EUR entstanden. Ursächlich dafür sei ua das rechtswidrige und grob fahrlässige Verhalten des beklagten Bezirkshauptmannes als Wahlleiter der Bezirkswahlbehörde bei der Auszählung von Wahlkartenstimmen gewesen. Nach § 1 OrgHG werde unter Vorwegnahme des richterlichen Mäßigungsrechts ein Teilbetrag von 36.000 EUR klageweise geltend gemacht.

[2]            Der Beklagte wendete – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – ein, er habe die Auswertung der im Wege der Briefwahl eingelangten Stimmen an den Bezirkshauptmann-Stellvertreter als stellvertretenden Bezirkswahlleiter delegiert. Etwaige am Tag nach der Wahl bei der Auszählung unterlaufene Rechtswidrigkeiten seien ihm nicht zurechenbar.

[3]            Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es fehle der für die Haftung des Beklagten erforderliche Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen den Wahlvorschriften und allfälligen Mehrkosten der Klägerin infolge etwaiger Wahlaufhebungen.

[4]       Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Rechtlich führte es aus, auch unter Zugrundelegung des gegenteiligen Rechtsstandpunkts der Klägerin zum Rechtswidrigkeitszusammenhang sei der Klägerin der Nachweis eines rechtswidrigen Verhaltens des Beklagten nicht gelungen. Wie sich aus den Feststellungen ergebe, habe dieser seine Aufgaben als Bezirkswahlleiter für die Auszählung der Wahlkarten am 23. 5. 2016, dem Tag nach der Wahl vom 22. 5. 2016 an den Bezirkshauptmann-Stellvertreter delegiert. Inwiefern dem Beklagten dennoch die an diesem Tag unterlaufenen Gesetzwidrigkeiten zurechenbar sein sollten, sei nicht ersichtlich. Da diese Frage nur einzelfallbezogen zu beurteilen sei, sei die ordentliche Revision nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[5]       Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zurückzuweisen.

[6]            1.1 Auch die Klägerin geht in ihrem Rechtsmittel grundsätzlich davon aus, dass der Beklagte die ihm als Wahlleiter der Bezirkswahlbehörde bei der Auszählung der Wahlkarten am 23. 5. 2016 zukommende Aufgabe an den Bezirkshauptmann-Stellvertreter delegiert hat. Diese Delegierung sei jedoch – entgegen der Annahme des Berufungsgerichts – erst mit 9:00 Uhr des 23. 5. 2016 erfolgt. Schon vor 9:00 Uhr sei es am 23. 5. 2016 durch ein Hilfsorgan zum rechtswidrigen Öffnen der Wahlkarten (der Außenkuverts) gekommen. Dies wäre aber noch in die Verantwortung des Beklagten gefallen.

[7]       2.1 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Auslegung der in einer gerichtlichen Entscheidung erhaltenen Festellungen jeweils nur einzelfallbezogen erfolgen kann und regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage bildet. Nur wenn die Auslegung der erstrichterlichen Feststellungen durch die zweite Instanz eine unvertretbare Fehlbeurteilung darstellt, ist die Anrufung des Obersten Gerichtshofs zur Korrektur zulässig (RS0118891 [T4 und T5]). Eine solche liegt hier jedoch nicht vor.

[8]            2.2 Die maßgeblichen Wahlvorschriften lassen sich zunächst wie folgt zusammenfassen:

[9]            Zur Leitung und Durchführung der Wahl des Bundespräsidenten sind ua die Bezirkswahlbehörden berufen, die aus dem Bezirkshauptmann und neun Beisitzern besteht (§ 10 Abs 2 NRWO). Auf diese Wahlbehörden sind die einschlägigen Bestimmungen der NRWO sinngemäß anzuwenden (§ 2 Abs 1 und 2 BPräsWG). Die Leitung der Bezirkswahlbehörde obliegt dem Wahlleiter; er hat die Geschäfte zu besorgen, die ihm nach der NRWO zukommen und für die Beachtung der Bestimmungen der NRWO Sorge zu tragen (§ 62 Abs 2 NRWO). Die Wahlleiter haben auch die Sitzungen der Wahlbehörden vorzubereiten sowie die Beschlüsse der Wahlbehörden durchzuführen (§ 7 Abs 1 NRWO). Für den Fall seiner vorübergehenden Verhinderung hat der Bezirkswahlleiter mehrere Stellvertreter zu bestellen und die Reihenfolge zu bestimmen, in der diese zu seiner Vertretung berufen sind (§ 10 Abs 3 NRWO). Die notwendigen Hilfskräfte und Hilfsmittel werden den Wahlbehörden aus dem Stand des Amtes zugewiesen, dem der Wahlleiter vorsteht oder von dessen Vorstand er bestellt wird (§ 7 Abs 2 NRWO).

[10]           2.3 Wenn nun das Berufungsgericht vor diesem rechtlichen Hintergrund die erstgerichtlichen Feststellungen dahin interpretierte, dass der Beklagte den Bezirkshauptmann-Stellvertreter zu seiner Vertretung berufen (§ 10 Abs 3 NRWO) und an ihn sämtliche im Zusammenhang mit der Auszählung der Wahlkarten am 23. 5. 2016 vorzunehmenden Aufgaben als Leiter der Bezirkswahlbehörde delegiert hat (somit auch die vor Beginn der Sitzung am 23. 5. 2016 notwendigen Vorbereitungsarbeiten) ist dies nach der Lage des Falls vertretbar, wird doch in § 7 NRWO als eine der Aufgaben des Wahlleiters ausdrücklich auch die Vorbereitung der Sitzungen der Wahlbehörde genannt. Die Mitteilung an den Stellvertreter, dieser habe „ab 9:00 Uhr die Auszählung der Wahlkarten zu leiten“, war im gegebenen Kontext so zu verstehen, dass der Beklagte den Stellvertreter auch über den Zeitpunkt des Beginns der Sitzung der Bezirkswahlbehörde informieren, nicht aber etwa damit zum Ausdruck bringen wollte, dass der Beklagte bis 8:59 Uhr des 23. 5. 2016 noch selbst die Aufgaben des Bezirkswahlleiters bei der Vorbereitung der Sitzung ausüben wollte. Wieviele Minuten der Stellvertreter bei der Sitzung am 23. 5. 2016 vor 9:00 Uhr eingetroffen ist, spielt für die Auslegung der Delegierung des Stellvertreters durch den Beklagten keine Rolle.

[11]           3. Da eine für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidende Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht aufgezeigt wird, ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 Sätze 3 und 4 ZPO).

Textnummer

E130730

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00108.20B.0127.000

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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