TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/16 L521 2177501-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2020
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Entscheidungsdatum

16.09.2020

Norm

AVG §59 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


L521 2177501-3/2Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Mag. Thomas Loos, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Schönauerstraße 7, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2020, Zl. 1076749806-190971300, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheide Folge gegeben und Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG ersatzlos behoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid somit gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Feststellungen:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte nach unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 07.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Zum bisherigen Verfahrensgeschehen wird auf die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, sowie vom 07.08.2020, L524 2177501-2/2E, verwiesen.

Mit dem erstangeführten Erkenntnis vom 10.07.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers Antrag auf internationalen Schutz im Instanzenzug bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde schließlich eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Mit dem zweitangeführten Erkenntnis vom 07.08.2020 wurde der Antrag des Beschwerdeführer auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 4 iVm Abs. 1 Z. 3 FPG 2005 im Instanzenzug abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt, die Beschwerde- bzw. Revisionsfrist ist noch nicht abgelaufen.

3. Einer vom Beschwerdeführer gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, erhobenen außerordentlichen Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 10.10.2019, Ra 2019/14/0450-5, die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.03.2020, Ra 2019/14/0450-7, wurde die Revision zurückgewiesen.

4. Der Beschwerdeführer kam seiner aufgrund des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, bestehenden Verpflichtung zur Ausreise bis dato nicht nach.

5. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 24.09.2019 wurde dem Beschwerdeführer seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes mit der Begründung zur Kenntnis gebracht, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung zur Ausreise nicht nachgekommen sei. Darüber hinaus wurden dem Beschwerdeführer insgesamt 21 Fragen (im Wesentlichen zu seinem Privatleben im Bundesgebiet) gestellt.

6. In seiner Stellungnahme vom 08.10.2019 weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass aufgrund seiner gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, erhobenen außerordentlichen Revision bereits das Vorverfahren eingeleitet worden sei. Die „Erlassung einer nicht rechtskräftigen Rückkehrentscheidung“ rechtfertige für sich alleine kein Einreiseverbot. Da der Beschwerdeführer im Übrigen strafgerichtlich unbescholten sei, werde die Einstellung des Verfahrens beantragt.

7. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 10.06.2020 wurde dem Beschwerdeführer neuerlich die beabsichtigte Erlassung einer Rückkehrentscheidung sowie eines Einreiseverbotes mit der Begründung zur Kenntnis gebracht, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung zur Ausreise noch immer nicht nachgekommen sei, obwohl der Verwaltungsgerichtshof die gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, erhobene außerordentliche Revision zuletzt zurückgewiesen habe. Darüber hinaus wurden dem Beschwerdeführer neuerlich insgesamt 21 Fragen (im Wesentlichen zu seinem Privatleben im Bundesgebiet) gestellt.

8. In seiner Stellungnahme vom 22.06.2020 bringt der Beschwerdeführer vor, dass die Frist für die freiwillige Ausreise am 09.04.2020 geendet habe, eine sofortige Ausreise jedoch aufgrund der zu diesem Zeitpunkt geltenden Ausgangsbeschränkungen nicht möglich gewesen sei. Überhaupt stelle sich eine Reise in den Irak aufgrund der Covid-19-Pandemie als „generell unmöglich“ dar. Die nicht fristgerechte Ausreise stelle darüber hinaus per sei keinen Grund für die Erlassung eines Einreiseverbotes dar.

9. Mit Note vom 29.06.2020 übermittelte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak und räumte eine Frist zur Stellungnahme ein.

10. In seiner Stellungnahme vom 06.07.2020 geht der Beschwerdeführer auf das ihm vorgehaltenen Länderinformationsblatt nicht ein. Vielmehr wird ergänzend vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Irak Verfolgung aufgrund seines sunnitischen Religionsbekenntnisses drohen würde und eine direkte Reise nach Bagdad weiterhin nicht möglich sei. Der Beschwerdeführer sei bereits mehr als fünf Jahre im Bundesgebiet „großteils rechtmäßig aufhältig“ und sehr gut integriert, weshalb sich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme auch nach § 9 BFA-VG als unzulässig darstelle.

11. Mit den nunmehr in diesem Verfahren angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2020 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 jeweils nicht erteilt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer neuerlich eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt II.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Wider den Beschwerdeführer wurde ferner gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG 2005 ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.) Gemäß § 55 Abs. 1a FPG 2005 wurde dem Beschwerdeführer schließlich keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe keine Schritte gesetzt, um seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Der Beschwerdeführer sei außerdem mittellos und bestreite sein Auskommen lediglich im Wege der Inanspruchnahme staatlicher Zuwendungen, sodass eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem Einreiseverbot zu erlassen sei. Im Rahmen der Begründung zu Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird auf die Erwägungen zum Einreiseverbot verwiesen und daraus eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abgeleitet, die eine sofortige Ausreise des Beschwerdeführers erfordern würde. Da sich der Beschwerdeführer weiterhin weigere, das Bundesgebiet zu verlassen, sei zu befürchten, dass er auch weiterhin „in der Rechtswidrigkeit [seines] Aufenthaltes verharren werde“. Dem Beschwerdeführer sei es im Übrigen zumutbar, den Ausgang des Verfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten.

12. Mit Verfahrensanordnung vom 31.07.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

13. Gegen den dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 03.08.2020 zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2020 richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchzuführen. In der Sache bringt der Beschwerdeführer vor, über Arbeitsplatzzusagen zu verfügen – darunter einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag vom 08.06.2020 – und das Modul 2 der Integrationsprüfung abgeschlossen zu haben. Er verfüge über ein umfassendes soziales Netz an Freunden und Bekannten. Eine Ausreise des Beschwerdeführers sei aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht möglich, woraus sich eine wesentliche Änderung der Sachlage gegenüber dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, ergeben würde. Darüber hinaus habe sich die Sicherheitslage in Bagdad wesentlich verschlechtert, sodass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu gewärtigen habe und darüber hinaus die sichere Erreichbarkeit des Heimatortes aufgrund der Covid-19-Pandemie nicht gegeben sei.

Die Voraussetzungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wären nicht gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich während der Covid-19-Pandemie an die Ausgangsbeschränkungen gehalten, sodass ihm kein beharrliches Verweigern der Ausreise vorbeworfen werden könne. Darüber hinaus bestehe die Begründung der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung aus schablonenhaften und unsubstantiierten Ausführungen und es liege ohnehin bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung wider den Beschwerdeführer vor, die jederzeit vollzogen werden könne, womit den ins Treffen geführten öffentlichen Interessen bereits entsprochen werde.

14. Die Beschwerdevorlage langte am 28.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

15. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Er verfügt über einen meldebehördlich erfassten ordentlichen Wohnsitz in XXXX und bezieht derzeit Leistungen der Grundversorgung.

16. Der vorstehende Verfahrensgang ergibt sich zweifelsfrei aus den vorgelegten Verwaltungsakten sowie amtswegig eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, dem Betreuungsinformationssystem und dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister und ist unstrittig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Rechtslage und Judikatur:

1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid aufhebt.

1.2. Gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG hat das Bundesamt einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz die aufschiebende Wirkung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.

Diese Entscheidung über die Zu- oder Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung (VwGH 13.12.2017, Ro 2017/19/0003). In Anbetracht des europarechtlichen Hintergrundes ist ein restriktives Verständnis dieser Bestimmung angezeigt (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 18 BFA-VG K.3). Art. 31 Abs. 8 lit. j der Richtlinie 2013/32/EU verlangt in diesem Zusammenhang schwerwiegende Gründe für die Annahme, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt oder er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde.

1.3. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

§ 53 Abs. 2 FPG zufolge ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige einen der in den Ziffern 1 bis 9 des § 53 Abs. 2 FPG angeführten Tatbestände verwirklicht.

2. Zum gegenständlichen Verfahren:

2.1. Das belangte Bundesamt stützt die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschließlich auf seine Erwägungen hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts setzt die Feststellung, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass ein Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt, eine Beurteilung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls voraus, um zu ermitteln, ob in Anbetracht der begangene Handlungen und der individuellen Situation des Asylwerbers tatsächlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht (vgl. hiezu VwGH 17.02.2015, Ra 2014/01/0172, zu § 6 AsylG 2005).

Das belangte Bundesamt wirft dem Beschwerdeführer im gegebenen Zusammenhang vor, der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen zu sein und sich gegenwärtig nicht ausreisewillig zu zeigen, über keine finanziellen Mittel zur Sicherstellung des eigenen Unterhaltes zu verfügen und den Unterhalt deshalb ausschließlich aus öffentlichen Unterstützungsleistungen zu bestreiten. Weitere Gründe, weshalb die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist, werden im angefochtenen Bescheid nicht dargetan.

2.2. Die rechtswidrige Einreise und der rechtswidrige Aufenthalt von Fremden stellen Verwaltungsübertretungen dar, die nach Maßgabe des § 120 FPG zu bestrafen sind. Dass bereits eine (rechtskräftige) Bestrafung erfolgte, kann dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden. Der Beschwerdeführer hat bislang auch keine unberechtigten Folgeanträge gestellt. Er widersetzte sich auch keiner Abschiebung. Dass der Beschwerdeführer nicht im gebotenen Ausmaß an der Erlangung eines Heimreisezertifikates mitgewirkt hat, kann dem vorgelegten Verwaltungsakt und den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ebenfalls nicht entnommen werden.

Der Beschwerdeführer lebt derzeit in einer dem belangten Bundesamt bekannten Unterkunft und unterhält dort einen ordentlichen Wohnsitz. Ihm werden weiterhin – ungeachtet der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung – Leistungen der Grundversorgung gewährt.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann das Bundesverwaltungsgericht nicht erkennen, der Beschwerdeführer eine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich darstellen würden, dass nunmehr die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers geboten wäre. Insbesondere hat der Verwaltungsgerichtshof im gegebenen Zusammenhang bereits mehrfach erkannt, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt per se noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes rechtfertigt. Erst im Fall einer qualifizierten Verletzung der Ausreiseverpflichtung kann nach der Rechtsprechung eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit angenommen werden, die die Verhängung eines Einreiseverbots erforderlich macht (VwGH 24.05.2018, Ra 2018/19/0125; 12.08.2019, Ra 2018/20/0514; jüngst ausführlich VwGH 27.04.2020, Ra 2019/21/0277). Auch wenn der Beschwerdeführer spätestens seit der Zurückweisung der gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019, G312 2177501-1/13E, erhobenen außerordentlichen Revision zur Ausreise verpflichtet ist, liegt – ausgehend von den Feststellungen des angefochtenen Bescheides – keine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, zumal weder festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer sich gebotenen Schritten im Rahmen seiner Mitwirkungsverpflichtung konkret verweigert hat, noch dass er sich dem belangten Bundesamt durch Untertauchen entzog, noch dass er weitere unbegründete Anträge lediglich zum Zweck der Perpetuierung seines nicht rechtmäßigen Aufenthaltes einbrachte.

Die vom belangten Bundesamt auf § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG gestützte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erweist sich insoweit schon als grundsätzlich verfehlt, da keine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vorliegt und folglich im Lichte der zitierten Rechtsprechung auch keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit angenommen werden darf.

Dazu tritt, dass nach der Rechtsprechung die Überlegungen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes anzustellen sind, eine gesonderte Begründung für die Versagung der aufschiebenden Wirkung nicht ersetzen können (VwGH 12.09.2013, Zl. 2013/21/0094; VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0053). Es genügt insbesondere nicht, auf eine – die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende – Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort – ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens – zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich gewesen sind. Es bedarf einer über die Erwägungen für die Erlassung des Einreiseverbotes hinausgehenden besonderen Begründung, weshalb die Annahme gerechtfertigt ist, der weitere Aufenthalt des Fremden während der Dauer des Beschwerdeverfahrens gefährde die öffentliche Ordnung oder Sicherheit derart, dass die sofortige Ausreise bzw. Abschiebung des Fremden schon nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens erforderlich ist (VwGH 16.01.2020, Ra 2019/21/0360). Eine diesen Anforderungen entsprechende besonderen Begründung enthält der angefochtene Bescheid nicht. Wenn nämlich mangels einer qualifizierten Verletzung der Ausreiseverpflichtung nicht einmal von einer die Verhängung eines Einreiseverbotes rechtfertigenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit angenommen werden kann, liegt ohne das Dazutreten weiterer Umstände erst Recht keine solche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vor, die eine umgehende Ausreise des Beschwerdeführers erfordern würde.

In der Beschwerde wird darüber hinaus zutreffend darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer einen ordentlichen Lebenswandel führt, über eine Unterkunft verfügt und sein Unterhalt derzeit – wenn auch im Wege des Bezuges von Leistungen der Grundversorgung – gesichert ist. Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass vom Beschwerdeführer ausgehende Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen wären. Einerseits liegen keine Hinweise darauf vor, dass die Leistungen der Grundversorgung in Ansehung des Beschwerdeführers eingestellt wurden oder der Einstellung unmittelbar bevorsteht. Ausgehend davon ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Abgleiten in die Kriminalität zu besorgen, zumal der Beschwerdeführer bereits mehrere Jahre lang mit den Leistungen der Grundversorgung das Auslangen finden, ohne dass er bislang strafffällig wurde.

Die potentielle Verwirklichung eines Verwaltungsstraftatbestandes alleine vermag kein überwiegendes öffentliches Interesse an einer raschen Außerlandesbringung zu rechtfertigen und liegt bislang auch keine rechtskräftige Bestrafung der Beschwerdeführer vor (der Verwaltungsakt lässt auch nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer seitens des belnagten Bundesamtes wegen unrechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet angezeigt worden wäre).

Zusammenfassend sind aus dem von der belangten Behörde erhobenen Sachverhalt keine schwerwiegenden Gründe im Sinn des § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG abzuleiten, welche eine sofortige Ausreise der Beschwerdeführer im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich erscheinen ließe. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass im gegenständlichen Fall einer der sonstigen Tatbestände des § 18 Abs. 1 oder 2 BFA-VG heranzuziehen wäre.

2.3. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides ist daher ersatzlos zu beheben und festzustellen, dass den Beschwerden somit gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG jeweils die aufschiebende Wirkung zukommt.

2.4. Bereits an dieser Stelle ist festzuhalten, dass das Vorgehen des belangten Bundesamtes auch insoweit verfehlt ist, als die in der Sache der Beschwerdeführer ergangenen rechtskräftigen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019 (derzeit) eine hinreichende Grundlage für aufenthaltsbeendende Maßnahmen darstellt. Wenn das belangte Bundesamt die weitere Präsenz des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als Störung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ansieht, steht es ihm frei, den Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat abzuschieben.

Der Aktenlage nach wurden bislang keine Anstrengungen unternommen, eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat auch nur vorzubereiten. Dass nunmehr ein neues Verfahren – samt damit verbundenem Aufwand beim belangten Bundesamt und beim Bundesverwaltungsgerichte – eingeleitet wird, anstatt die rechtskräftigen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2019 zu effektuieren, ist nicht nachvollziehbar und aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten vollkommen unzweckmäßig. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 05.05.2020, Ra 2019/21/0061, in einem insoweit vergleichbaren Fall beanstanden, dass nicht dargelegt wird, worin der aus der Sicht des öffentlichen Interesses bestehende und einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand rechtfertigende Mehrwert liegt, wenn trotz Bestehens einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung diese wiederholt und mit einem Einreiseverbot verbunden wird, zumal damit ein neuerlicher Instanzenzug eröffnet wird.

2.5. Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkte VI. spruchreif ist und die Trennung – auf Grund der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für den Beschwerdeführer – auch zweckmäßig erscheint. Über die Beschwerde gegen die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides wird gesondert nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens entschieden werden.

2.6. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen, da der für die Erlassung des gegenständlichen Teilerkenntnisses maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, vorstehend im Einzelnen zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Gewährung von internationalem Schutz ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Aus den dem gegenständlichen Erkenntnis entnehmbaren Ausführungen geht hervor, dass das zur Entscheidung berufene Gericht in seiner Rechtsprechung im gegenständlichen Fall nicht von der bereits zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgeht. Darüber hinaus liegt bei Fehlen einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor, wenn die Rechtslage wie im gegenständlichen Fall eindeutig ist (VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung Ausreiseverpflichtung Begründungsmangel ersatzlose Teilbehebung Gefährdung der Sicherheit Teilerkenntnis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L521.2177501.3.00

Im RIS seit

16.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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