TE Vwgh Beschluss 2020/12/21 Ra 2020/01/0435

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Veröffentlicht am 21.12.2020
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
AVG §62 Abs4
AVG §64 Abs4
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §29
VwGVG 2014 §29 Abs4

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision der Landespolizeidirektion Steiermark gegen das am 16. September 2020 mündlich verkündete und am 14. Oktober 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark, Zl. LVwG 20.32-949/2020-20, betreffend Personendurchsuchung nach § 40 Abs. 1 SPG (mitbeteiligte Partei: J R in G, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Burggasse 116), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit am 16. September 2020 mündlich verkündetem Erkenntnis wurde der Maßnahmenbeschwerde des Mitbeteiligten wegen Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Landespolizeidirektion Steiermark (belangte Behörde, im Folgenden: Amtsrevisionswerberin) Folge gegeben und festgestellt, dass die der Amtsrevisionswerberin zurechenbare, am 23. März 2020 stattgefundene Maßnahme (Besichtigung des unbekleideten Körpers des Mitbeteiligten) rechtswidrig war (I.). Der Rechtsträger der Amtsrevisionswerberin wurde zu näher bezeichnetem Aufwandersatz verpflichtet (II.) und die Revision für unzulässig erklärt (III.).

2        Die Amtsrevisionswerberin stellte gemäß § 29 Abs. 2a Z 1 VwGVG den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.

3        Nach den vom Verwaltungsgericht vorgelegten Akten des Verfahrens wurde den Verfahrensparteien am 6. Oktober 2020 aufgrund eines technischen Problems eine schriftliche Ausfertigung elektronisch zugestellt, welche nicht mit der im Akt aufliegenden Urschrift („Konzept OZ 20“) übereinstimmte.

4        Mit Begleitschreiben vom 14. Oktober 2020 wurde den Verfahrensparteien vom Verwaltungsgericht mitgeteilt, dass aufgrund eines „Fehlers beim Digitalisieren“ des Erkenntnisses „irrtümlich eine falsche Entscheidung“ versendet worden sei, und am selben Tag eine mit der Urschrift übereinstimmende schriftliche Ausfertigung elektronisch zugestellt.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von der (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berichtigungsbefugnis nach § 62 Abs. 4 AVG abgewichen.

10       Nach dieser Rechtsprechung müsse „evidentermaßen“ der Berichtigung eines Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes dann „eine Absage erteilt werden“, wenn dadurch eine Sanierung eines Begründungsmangels „intendiert“ werde. Vorliegend habe das Verwaltungsgericht durch die Erlassung eines neuerlichen Erkenntnisses zum Zwecke der „erklärenden Auslegung“ der Begründung gegen die „einhellige höchstgerichtliche Judikatur“ verstoßen. Daran ändere auch das Begleitschreiben des Verwaltungsgerichtes nichts. Dass das erste Erkenntnis lediglich mit offenkundigen Unrichtigkeiten behaftet gewesen wäre, welche durch das später erlassene Erkenntnis berichtigt worden seien, entspreche nicht der „Faktizität“, da „nach eindringlichem Vergleich“ beider Erkenntnisse von einer wesentlichen und verpönten Ergänzung der Feststellungen, der Beweiswürdigung und der rechtlichen Erwägungen ausgegangen werden müsse. Indem das Verwaltungsgericht vermeine, „unter dem Motiv der Berichtigung eines Fehlers beim Digitalisieren“ wesentliche Passagen in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und den rechtlichen Erwägungen ergänzen bzw. Abänderung zu können, werde ein „eklatanter Widerspruch zur (näher bezeichneten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „induziert“.

11       Gemäß § 62 Abs. 4 AVG kann die Behörde Schreib- und Rechenfehler oder diesen gleichzuhaltende, offenbar auf einem Versehen oder offenbar ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten in Bescheiden jederzeit von Amts wegen berichtigen. Dies gilt auch für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten, weil gemäß § 17 VwGVG die Bestimmung des § 62 Abs. 4 AVG auch von diesen anzuwenden ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die Zulässigkeit der Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG auch für den Fall bejaht, dass die schriftliche Ausfertigung nicht mit der Urschrift übereinstimmt (vgl. zu allem VwGH 27.3.2020, Ra 2019/20/0435, mwN).

12       Liegt jedoch eine mit der (genehmigten) Urschrift inhaltlich nicht übereinstimmende Ausfertigung vor, die einer Berichtigung im Weg des § 62 Abs. 4 AVG nicht zugänglich ist, hat dies zur Folge, dass dieses Schriftstück nicht als gültige Ausfertigung anzusehen ist, die rechtliche Wirkungen hätte zeitigen können (vgl. insoweit zu einer Ausfertigung eines Bescheides bereits VwGH 12.12.2012, 2012/18/0157, mwN; vgl. insoweit zu einer fehlenden Übereinstimmung von Urschrift und Ausfertigung bei einer Erledigung des Verwaltungsgerichts VwGH 27.3.2020, Ra 2019/20/0435, mwN; vgl. idS auch VwGH 6.12.2019, Ra 2019/18/0373, mwN).

13       In der vorliegenden Rechtssache stellt die den Verfahrensparteien am 6. Oktober 2020 zugestellte Erledigung eine derartige - infolge umfänglicher Änderungen in der Begründung -, mit der (durch die zuständige Richterin des Verwaltungsgerichts genehmigten) Urschrift inhaltlich nicht übereinstimmende Ausfertigung dar, die einer Berichtigung im Weg des § 62 Abs. 4 AVG nicht zugänglich ist. Dies hat nach der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Folge, dass diese Erledigung keine rechtlichen Wirkungen ausgelöst hat.

14       Daran ändert auch nichts, dass es sich vorliegend um die schriftliche Ausfertigung eines (bereits) mündlich verkündeten Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG handelt.

15       Wie der Verwaltungsgerichtshof jüngst zum Verhältnis mündlicher Verkündung und schriftlicher Ausfertigung nach § 29 VwGVG klargestellt hat, wird in der Regel die Relevanz von Mängeln der Begründung der mündlich verkündeten Entscheidung wegfallen, wenn eine schriftliche Ausfertigung vorliegt, die diese Mängel behebt. In einer lediglich ausführlicheren (und nicht der mündlichen Verkündung widersprechenden) Begründung in der schriftlichen Ausfertigung liegt allein kein Begründungsmangel (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.9.2020, Ra 2019/14/0558-0560, mwN).

16       Ausgehend von diesen Leitlinien ist das Vorbringen der Amtsrevision unzutreffend, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Berichtigung nach § 62 Abs. 4 AVG abgewichen und habe mit der schriftlichen Ausfertigung vom 14. Oktober 2020 die Erledigung vom 6. Oktober 2020 unzulässiger Weise berichtigt. Vielmehr hat die Erledigung vom 6. Oktober 2020, weil sie inhaltlich mit der (durch die zuständige Richterin des Verwaltungsgerichts genehmigten) Urschrift nicht übereinstimmte und einer Berichtigung im Weg des § 62 Abs. 4 AVG nicht zugänglich war, keine rechtlichen Wirkungen ausgelöst (vgl. zur fehlenden rechtlichen Wirkung einer, den Parteien übermittelten, von der (genehmigten) Urschrift inhaltlich abweichenden Ausfertigung VwGH 4.6.2020, Ra 2020/20/0042, Rn. 10). Diese Erledigung stand somit der (rechtlich alleine maßgeblichen) schriftlichen Ausfertigung vom 14. Oktober 2020 nicht im Wege.

17       In der Revision werden aus diesen Gründen keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Wien, am 21. Dezember 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010435.L00

Im RIS seit

22.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

22.02.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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