TE Bvwg Beschluss 2020/11/25 I419 2237016-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2020
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Entscheidungsdatum

25.11.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
AVG §68 Abs1
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 2237016-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. MAROKKO, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 18.11.2020, Zl XXXX :

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 rechtmäßig.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte nach illegaler Einreise am 25.08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, den das BFA betreffend beide Status verbunden mit einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und einem Einreiseverbot abwies, wobei der Bescheid dem Beschwerdeführer im Anschluss an seine Einvernahme am 28.08.2020 überreicht und mangels Beschwerde rechtskräftig wurde.

2. Anfang September reiste der Beschwerdeführer illegal nach Deutschland, wurde im Zug aufgegriffen und am 19.10.2020 nach Österreich überstellt, wo er in Schubhaft genommen am 23.10.2020 einen Folgeantrag stellte.

3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid hob das BFA gegenüber dem Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz auf und begründete das sinngemäß damit, dass der Beschwerdeführer keinen neuen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, der eine Asylrelevanz mit sich bringe. Die Rückkehrentscheidung sei aufrecht und würde keinen Eingriff in die durch Art. 2, 3 und 8 EMRK geschützten Rechte bedeuten.

Da sich auch die Lage im Herkunftsstaat nicht wesentlich geändert habe, sei der Folgeantrag voraussichtlich zurückzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der volljährige Beschwerdeführer ist Anfang 30, ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Marokko, Sunnit und Berber. Er spricht neben seiner Muttersprache Berberisch auch Arabisch, etwas Englisch und Französisch, stammt aus Kassita in der Provinz Driouch, Region Oriental, besuchte dort 12 Jahre die Schule sowie anschließend zwei Jahre die Universität Mohammed I. in Nador (Université Mohammed Ier / Muhamad al’awal) in der gleichnamigen Nachbarprovinz in derselben Region, wo er Rechtswissenschaften studierte und daneben als Friseurgehilfe tätig war. Die Stadt Nador hat laut Wikipedia eine Bevölkerung von über 160.000.

Im Herkunftsstaat wohnen seine Eltern, Mitte 40 und Anfang 60, sein Bruder im Pflichtschulalter sowie seine beiden Schwestern, Anfang und Mitte 20. Zu diesen Familienangehörigen hat er Kontakt, es geht ihnen gut. Der Vater war Bauarbeiter, und der Beschwerdeführer konnte sein Studium aus finanziellen Gründen nicht fortsetzen.

In Österreich hat er keine Verwandten und keine maßgeblichen privaten und familiären Beziehungen, in der EU Onkel und Tanten, zu denen er keinen Kontakt unterhält. Er ist hier kein Mitglied bei einem Verein oder einer anderen Organisation, war nicht erwerbstätig und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er spricht kaum Deutsch.

Nach eigenen Angaben hat er Freunde in Europa, die ihn finanziell unterstützen, und auch einen Freund in Österreich. Abhängigkeiten zwischen diesen und ihm sind in keiner Richtung vorhanden. Strafrechtlich ist er unbescholten. Seine Identität steht nicht fest.

Er gibt an, seit er in Schubhaft sei habe er Schlafprobleme, viel Stress und dauernd Kopfschmerzen. An Medikamenten nimmt er dagegen „Atarax“ (Wirkstoff: Hydroxyzindihydrochlorid), „Citalopram“ (Wirkstoff: Citalopram) und „Quetiapin“ (Wirkstoff: Quetiapin). Ferner klagt er über „Schwierigkeiten beim Hören“, leidet aber – auch nach eigener Angabe – an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist haftfähig und arbeitsfähig.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Wirkstoffe der vom Beschwerdeführer verwendeten Medikamente Citalopram und Quetiapin sind im Herkunftsstaat verfügbar. Statt Hydroxyzindihydrochlorid kann Diazepam verwendet werden, das dort ebenfalls in Medikamentenform verfügbar ist.

Im angefochtenen Bescheid wurden die aktuellen Länderinformationen zu Marokko mit Stand 09.07.2020 zitiert.

Betreffend die aktuelle Lage sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten.

Aus Berichten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) ergibt sich betreffend die Pandemie in Marokko:

Seit dem 01.10.20 ist für die Einreise nach Marokko ein negativer PCR-Test (PCR: Polymerase-Ketten-Reaktion) ausreichend, der nicht älter als 72 Stunden ist. Der vorher geforderte, aufwändigere Antikörpertest ist nicht mehr notwendig. Die anderen Einreiseregelungen zur Eindämmung der Pandemie bleiben aufrechterhalten. (05.10.2020, www.ecoi.net/en/file/local/2039325/briefingnotes-kw41-2020.pdf)

In Marokko ist die Zahl der Neuinfektionen und die Zahl der an COVID-19-Erkrankten auf höchstem Niveau seit Anfang der Pandemie. Der Verkehr in und aus den großen Städten ist untersagt und wird von Sicherheitskräften kontrolliert. 2.265 Schulen sind drei Wochen nach Schulbeginn geschlossen worden, nachdem über 800 Lehrkräfte mit SARS-COV-2 infiziert wurden. (28.09.2020, www.ecoi.net/en/file/local/2038554/briefingnotes-kw40-2020.pdf)

Andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 49.168 per 23.11.2020 (Johns-Hopkins-Universität, coronavirus.jhu.edu/map.html), zur Bevölkerungszahl (ca. 36 Mio.), einen Anteil von ca. 1.370 pro Million, was verglichen mit Österreich und dem Anteil hier von ca. 8.130 pro Million (72.347 von ca. 8,9 Mio.) lediglich ein Sechstel der hier festgestellten Quote ist.

Selbst bei einer Berücksichtigung der geringeren Testquote von rund 100 aus 1.000 Einwohnern gegenüber Österreich mit etwas über 300 (de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie/Statistik) ergibt eine „Aufwertung“ des Anteils der Infizierten im Herkunftsstaat als Ergebnis nur ca. 53 % des Anteiles, der in Österreich vorhanden ist (was auch dem Verhältnis der Todesopfer pro Million Einwohner entspricht, 148 zu 276).

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete.

Im gegebenen Zusammenhang sind mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Ethnische Minderheiten

Marokko erkennt ausdrücklich in seiner Verfassung die Diversität der Nation an. Staatliche Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten ist nicht vorhanden (AA 14.2.2018).

Etwa die Hälfte der Bevölkerung macht eine berberische Abstammung geltend und spricht eine der drei in Marokko vertretenen Berbersprachen. Dies ist wichtiger Teil ihrer Identität. Die meisten Berber in Marokko sehen sich jedoch nicht als ethnische Minderheit. Marokko fördert Sprache und Kultur der Berber inzwischen aktiv (AA 14.2.2018). Wer sich den Berbern, die eine recht heterogene, auf drei Hauptstämme aufgegliederte Bevölkerungsgruppe darstellen, zugehörig fühlt, hängt vom familiären, geographischen und soziokulturellen Hintergrund ab. Im Allgemeinen verweisen Berberstämmige mit Stolz auf ihre Abkunft, insbesondere, wenn sie zu den alteingesessenen Familien oder Clans der historischen Städte im Berbergebiet (Fes, Marrakesch, Ouarzazate usw.) gehören.

Der „Minderheitencharakter“ der Berber ist bei ca. 40% der Bevölkerung mit berberischen Wurzeln relativ zu sehen. Aussagen über den Anteil von Berbern in bestimmten Bereichen (öffentlicher Dienst, Militär, freie Berufe, Wirtschaftstreibende) sind nicht greifbar. Nach Einschätzung der Botschaft mag eine Diskriminierung auf Grund der berberischen Herkunft im Einzelfall vorkommen, ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster ist nicht erkennbar (ÖB 5.2019).

1.2.2 Medizinische Versorgung

Politisch verantwortlich für die medizinische Versorgung ist das Gesundheitsministerium. Die meisten Marokkaner müssen für ihre Gesundheit allein vorsorgen. Wer einen formellen Arbeitsvertrag hat, ist zwar offiziell krankenversichert, aber viele Leistungen müssen trotzdem aus eigener Tasche bezahlt werden. Patienten mit geringem Einkommen haben seit 2002 die Möglichkeit, sich im Rahmen der öffentlichen Assurance Maladies Obligatoire (AMO) oder des Gesundheitssystems Régime d'Assistance Médicale (RAMED) behandeln zu lassen (GIZ 5.2020b).

Die medizinische Versorgung im Lande ist mit Europa nicht ganz zu vergleichen. In Rabat und Casablanca finden sich allerdings ausgezeichnete Privatkliniken von hohem Standard. Auf dem Lande hingegen kann die medizinische Versorgung bezüglich der apparativen Ausstattung bzw. Hygiene problematisch sein (AA 6.7.2020).

Die medizinische Grundversorgung ist vor allem im städtischen Raum weitgehend gesichert. Medizinische Dienste sind kostenpflichtig und werden bei bestehender gesetzlicher Krankenversicherung von dieser erstattet. Es gibt einen großen qualitativen Unterschied zwischen öffentlicher und (teurer) privater Krankenversorgung. Selbst modern gut ausgestattete medizinische Einrichtungen garantieren keine europäischen Standards. Insbesondere das Hilfspersonal ist oft unzureichend ausgebildet, Krankenwagen sind in der Regel ungenügend ausgestattet. Die Notfallversorgung ist wegen Überlastung der Notaufnahmen in den Städten nicht immer gewährleistet, auf dem Land ist sie insbesondere in den abgelegenen Bergregionen unzureichend (AA 14.2.2018).

Rund 30.000 Menschen in Marokko sollen mit HIV infiziert sein. Knapp 50% der Infizierten sind weiblich. Schätzungsweise 2% der Prostituierten sind HIV-positiv. Damit hat Marokko in der MENA-Region eine Spitzenposition inne (GIZ 10.2019b). Chronische und psychiatrische Krankheiten oder auch AIDS-Dauerbehandlungen lassen sich in Marokko vorzugsweise in privaten Krankenhäusern behandeln. Bei teuren Spezialmedikamenten soll es in der öffentlichen Gesundheitsversorgung bisweilen zu Engpässen kommen. Bei entsprechender Finanzkraft ist allerdings fast jedes lokal produzierte oder importierte Medikament erhältlich (AA 14.2.2018).

Im Bereich der Basis-Gesundheitsversorgung wurde 2012 das Programm RAMED eingeführt und erstreckt sich auf 8,5 Mio. Einwohner der untersten Einkommensschichten bzw. vulnerable Personen, die bisher keinen Krankenversicherungsschutz genossen. Im Oktober 2012 waren bereits 1,2 Mio. Personen im RAMED erfasst (knapp 3% der Haushalte). RAMED wird vom Sozialversicherungsträger ANAM administriert, der auch die Pflichtkrankenversicherung AMO der unselbständig Beschäftigten verwaltet. Zugang haben Haushaltsvorstände und deren Haushaltsangehörige, die keiner anderen Pflicht-Krankenversicherung unterliegen.

Die Teilnahme an RAMED ist gratis („Carte RAMED“), lediglich vulnerable Personen zahlen einen geringen Beitrag (11 € pro Jahr pro Person). Ansprechbar sind die Leistungen im staatlichen Gesundheitssystem (Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung und Vorsorge sowie Krankenhäuser) im Bereich der Allgemein- und Fachmedizin, stationärer Behandlung, Röntgendiagnostik etc. Die Dichte und Bestückung der medizinischen Versorgung ist auf einer Website des Gesundheitsministeriums einsehbar (ÖB 5.2019). Mittellose Personen können auf Antrag bei der Präfektur eine „Carte RAMED“ erhalten. Bei Vorlage dieser Karte sind Behandlungen kostenfrei (AA 14.2.2018).

Auf 1.775 Einwohner entfällt ein Arzt. 141 öffentliche Krankenhäuser führen etwas mehr als 27.000 Betten (ein Spitalsbett auf ca. 1.200 Einwohner); daneben bestehen 2.689 Einrichtungen der medizinischen Grundversorgung. Inhaber der Carte RAMED können bei diesen Einrichtungen medizinische Leistungen kostenfrei ansprechen. Freilich ist anzumerken, dass dieser öffentliche Gesundheitssektor in seiner Ausstattung und Qualität und Hygiene überwiegend nicht mit europäischen Standards zu vergleichen ist. Lange Wartezeiten und Mangel an medizinischen Versorgungsgütern und Arzneien sind zu beobachten. Wer weder unter das RAMED-System fällt, noch aus einem Anstellungsverhältnis pflichtversichert ist, muss für medizinische Leistungen aus eigenem aufkommen (ÖB 5.2019).

1.2.3 Rückkehr

Das Stellen eines Asylantrags im Ausland ist nicht strafbar und wird nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts von den Behörden nicht als Ausdruck oppositioneller Gesinnung gewertet. Aus den letzten Jahren sind keine Fälle bekannt, in denen es zu einem Gerichtsurteil wegen der Stellung eines Asylantrags oder wegen des in einem Asylantrag enthaltenen Vorbringens gekommen wäre (AA 14.2.2018).

Auf institutioneller Basis wird Rückkehrhilfe von IOM organisiert, sofern der abschiebende Staat mit IOM eine diesbezügliche Vereinbarung (mit Kostenkomponente) eingeht; Österreich hat keine solche Abmachung getroffen. Rückkehrer ohne eigene finanzielle Mittel dürften primär den Beistand ihrer Familie ansprechen; gelegentlich bieten auch NGOs Unterstützung. Der Verband der Familie und Großfamilie ist primärer sozialer Ankerpunkt der Marokkaner. Dies gilt mehr noch für den ländlichen Raum, in welchem über 40% der Bevölkerung angesiedelt und beschäftigt sind. Rückkehrer würden in aller Regel im eigenen Familienverband Zuflucht suchen. Der Wohnungsmarkt ist über lokale Printmedien und das Internet in mit Europa vergleichbarer Weise zugänglich, jedenfalls für den städtischen Bereich (ÖB 5.2019).

1.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Beschwerdeführer hat im abgeschlossen ersten Asylverfahren vorgebracht, im Herkunftsstaat habe er das Studium sein lassen, weil er keine Rechte habe. Als Berber werde er überall schlecht behandelt, bekomme keine medizinische Versorgung und keine Arbeit. Aus Mangel an Arbeitsplätzen und wegen des Rassismus habe er den Herkunftsstaat verlassen. Die Berber seien eine Minderheit und würden deshalb diskriminiert. Persönlich betroffen sei er nicht gewesen. Probleme mit den Behörden habe er nie gehabt, und sei auch nie im Gefängnis oder in Polizeihaft gewesen.

Nach Rechtsberatung ergänzte er, an der Universität habe es zwei Gruppen gegeben, eine der Regierung und die andere der Minderheit. Sie hätten Aktivitäten und Demonstrationen durchgeführt und Vorträge gehalten, was ihnen Schwierigkeiten mit der Regierung gebracht habe. Seine Kollegen und Freunde säßen alle im Gefängnis, manche zu 20 Jahren verurteilt. Die Bewegung habe auch Aktivitäten außerhalb der Universität gesetzt. Da mehrere Freunde und Kollegen des Beschwerdeführers verhaftet worden seien, sei dessen Name bei der Regierung bekannt. Wenn er zurückkehre, lande er im Gefängnis. Es könne auch sein, dass er umgebracht werde. Er habe Angst, an die Universität zurückzukehren, weil die andere Gruppe ihn vernichten werde.

Nunmehr gab er erstbefragt an, er verstehe nicht, warum sein Asylantrag abgewiesen worden sei. Er habe damals alle seine Asylgründe genannt und zu Fuß zehn Länder durchquert, um nach Österreich zu gelangen.

Rund vier Wochen später brachte er vor, seine Fluchtgründe bestünden weiter. Ferner könne er nicht zurückkehren, weil er am 13.01.2019 auf einer Demonstration vor der Universität zum Neujahrsfest der Berber eine Rede gehalten habe, worauf er von Moslembrüdern bedroht worden sei. Es sei eine Veranstaltung der Berber gewesen, wo er über Kultur, Zugehörigkeit, Religion und Geschichte geredet habe. Die Moslembrüder hätten ihn mit einem Auto verfolgt und verletzt, seien dann ausgestiegen und hätten ihn geschlagen, Berber dann gerettet.

Zu den Länderfeststellungen befragt, fügte er noch an, er sei auch für vier Tage verhaftet, aber dann entlassen worden, weil er minderjährig gewesen sei.

Es ist nicht ersichtlich, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Marokko eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, zumal Marokko nach § 1 Z. 9 HStV ein sicherer Herkunftsstaat ist.

Der Beschwerdeführer hat keinen Fluchtgrund behauptet, der seit der Entscheidung seines vorigen Asylverfahrens entstanden oder bekannt geworden wäre.

Es existieren keine Umstände, die einer Abschiebung entgegenstünden. Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstige Aufenthaltsberechtigung.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation in Marokko ist seit der Entscheidung über den vorigen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz nicht eingetreten, insbesondere nicht auf sein Vorbringen bezogen.

Der Folgeantrag wird voraussichtlich vom BFA zurückzuweisen sein.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und der festgestellte Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes und aus dem genannten vorherigen Bescheid.

2.1 Zur Person des Fremden

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels diesbezüglicher Dokumente nicht fest. Die Feststellung der Unbescholtenheit ergab sich aus dem Strafregister. Seine Lebensumstände samt Ausbildung, Arbeitsmarkterfahrung sowie Privat- und Familienleben ergaben sich aus den bisherigen Feststellungen, seinen Angaben, speziell zuletzt vor dem BFA, und den Abfragen des Registers der Grundversorgung und des ZMR.

Seine Arbeitsfähigkeit folgt aus seinem Alter, den Angaben bei der Vernehmung („Ja, es geht mir gut.“, AS 91) und den dort vorgebrachten Beschwerden, die nach der Lebenserfahrung die Arbeitsfähigkeit nicht ausschließen. Befunde legte er nicht vor und verneinte die Frage, ob ihm eine Diagnose mitgeteilt wurde. Demnach ist sein – erst in der Haft aufgetretenes – gesundheitliches Befinden nicht derart gravierend, wenn es nicht überhaupt mit der Haft auch wieder endet, dass es eine Arbeitstätigkeit verunmöglichen würde.

Im zweiten Verfahren hat er zwar angegeben, er habe seit zwei Jahren keinen Kontakt mit seiner Familie mehr, allerdings hat er, wie das BFA richtig vorhielt, Ende August 2020 noch ausgesagt, er habe ein sehr gutes Verhältnis zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat und telefoniere regelmäßig mit diesen. (AS 73) Da er im Erstverfahren ferner angab, im Dezember 2019 vom Wohnort aus in die Türkei gereist zu sein (AS 31), geht das Gericht davon aus, dass er nicht seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr hat, sondern die der Lebenserfahrung besser entsprechende frühere Angabe die richtige ist.

2.2 Zur Lage im Herkunftsland

Dem Arzneispezialitätenregister des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen waren die Wirkstoffe der Medikamente zu entnehmen (aspregister.basg.gv.at). Aus Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation ergaben sich die weiteren Feststellungen zur deren Verfügbarkeit im Herkunftsstaat („Marokko: Drogenersatztherapie“, 11.03.2020; „Marokko: Behandelbarkeit von Psychischen Erkrankungen“, 28.05.2018; „Marokko: Depression, PTBS“, 14.04.2016) und die Tauglichkeit von Diazepam als Alternative zu Hydroxyzindihydrochlorid („Nigeria: Schizoaffektive Psychose, kombinierte Persönlichkeitsstörung mit dissozialen Anteilen“, 19.02.2016).

Die unter 1.2 zitierten Länderfeststellungen finden sich wörtlich auch in dem vom BFA im Bescheid zitierten Länderinformationsblatt. Zu den übermittelten Länderfeststellungen hat der Beschwerdeführer im ersten Verfahren angegeben, er brauche diese nicht, habe Jus studiert und kenne die Situation in seiner Heimat sehr gut. (AS 77)

Im Folgeverfahren har er beim BFA zu den Länderfeststellungen dahingehend Stellung genommen, dass diese nicht der Wahrheit entsprächen.

In seiner Region gebe es „genügend Konflikte und Probleme mit den marokkanischen Behörden“. Diese marokkanischen Behörden erzielten ausreichend Einnahmen aus dem Außenhandel. Es würden viele Fische und Ernten verkauft und exportiert. Die Menschen in der Region erhielten davon nichts, in der Region befänden sich keine Krankenhäuser, Krebs sei beispielsweise schwer zu bekämpfen. Sie hätten nichts von Marokko bekommen, seien vom Militär ständig unterdrückt worden.

Damit ist er den Feststellungen inhaltlich nicht substantiiert entgegengetreten, die speziell für Städte von einer entsprechenden medizinischen Versorgung ausgehen und ein generelles diskriminierendes Verhaltensmuster gegenüber Berbern als nicht erkennbar bezeichnen.

Für die Behauptung, es gäbe dort keine Krankenhäuser, lässt sich nicht nur kein Beleg finden, sie widerspricht auch einem Bericht der Vereinten Nationen („Morocco Oriental Region An Investment Guide to the Oriental Region of Morocco“ [2012] 23), wonach bereits 2011 die Krankenhausversorgung der Region unter anderem aus neun öffentlichen Gesundheitseinrichtungen sowie 18 privaten Institutionen mit über 2.000 Betten bestand, wobei das erweiterte Al Farabi Krankenhaus in Oujda, der Hauptstadt der Region, das Universitätsklinikum der Fakultät für Medizin und Pharmazie der Universität Mohammed I. aufnehmen sollte, die Standorte in Nadar und in Oujda betreibt. (unctad.org/system/files/official-document/diaepcb2010d10_en.pdf und www.ump.ma/fr/luniversite/etablissements-de-lump-16)

Die weiteren Feststellungen entstammen den auch vom BFA verwendeten Angaben des CoV-Dashboards der Johns Hopkins Universität (coronavirus.jhu.edu/map.html), die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (www.derstandard.at/story/2000120049733/aktuelle-zahlen-coronavirus-oesterreich-corona-ampel-in-ihrem-bezirk).

Nicht zuletzt sind seit der Entscheidung im vorigen Verfahren erst rund drei Monate vergangen, in denen nicht einmal behauptetermaßen Änderungen vorgefallen sind, die Einfluss auf das Ergebnis der Beurteilung hätten. Es ist daher und auch betreffend die Pandemie keine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation eingetreten.

2.3 Zu den Fluchtmotiven des Fremden

Der Beschwerdeführer behauptet im vorliegenden Folgeverfahren weiterhin, im Rückkehrfall wirtschaftliche Probleme zu erwarten. Zudem fürchte er sich, weil Muslimbrüder ihn vor der Ausreise bedroht und verletzt hätten. Warum er Letzteres nicht bereits im Erstverfahren vorbrachte (trotz ausdrücklicher Frage: „Nein. Ich habe alles gesagt.“, AS 84, „Nein.“ AS 85), erklärte er nicht („Nachgefragt, bei den damaligen Einvernahmen war ich noch unkonzentriert.“ AS 103).

Das Vorbringen bezieht sich darüber hinaus auf einen angeblichen Sachverhalt, der viele Monate vor der Einreise und damit dem vorigen Asylverfahren des Beschwerdeführers vorgelegen hätte. Es ist damit von der Rechtskraft der vorigen Entscheidung umfasst und darum nicht geeignet, eine neue meritorische Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers herbeizuführen.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Abschiebung des Beschwerdeführers eine reale Gefahr einer Verletzung der genannten Artikel der EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 dazu bedeuten oder eine ernsthafte Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, weil dies bereits im ersten Verfahren geprüft wurde und seither eine diesbezügliche Lageänderung weder behauptet noch in den Länderfeststellungen berichtet wurde.

Somit konnte die Feststellung getroffen werden, dass der Folgeantrag voraussichtlich zurückgewiesen werden wird.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes

Nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA unter anderem dann den faktischen Abschiebeschutz eines Fremden aufheben, der einen Folgeantrag gestellt hat, wenn dieser voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z. 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z. 3).

Weiter ist vorausgesetzt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht (Z. 1).

Die angeführte Rückkehrentscheidung ist seit September 2020 rechtskräftig. Wie auch bereits dargetan, ist kein neues Vorbringen erstattet worden, von dem anzunehmen wäre, dass es beachtlich im Sinne einer materiellen Erledigung anstelle einer Zurückweisung wegen entschiedener Sache wäre. Der Sachverhalt hat sich seither nicht maßgeblich geändert, und der Beschwerdeführer hätte sein Vorbringen bereits im früheren Verfahren erstatten können, was gemäß § 20 Abs. 1 BFA-VG zu beachten ist, da dieser laut § 22 Abs. 1 BFA-VG bei der Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes sinngemäß gilt.

Nach § 68 AVG hat die Behörde Anbringen von Beteiligten, die eine Abänderung eines der formell rechtskräftigen Bescheides begehren, grundsätzlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Ausnahmen dazu bilden die Fälle der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 69 und 71 AVG sowie die in § 68 Abs. 2 bis 4 AVG vorgesehenen Arten von Abänderungen und Behebungen, auf die kein Rechtsanspruch besteht.

Die vorgesehenen Ausnahmen kommen nach dem Inhalt der Akten im vorliegenden Fall nicht zum Tragen, insbesondere handelt es sich bei den vorgebrachten Tatsachenbehauptungen weder um glaubhafte nachträglich eingetretene Änderungen noch um nachträglich hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel, die geeignet wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Daher ist davon auszugehen, dass die in § 68 AVG grundsätzlich vorgesehene Zurückweisung als Erledigung des BFA zu erwarten ist.

Daraus ergibt sich, dass der Beschwerdeführer einen Folgeantrag im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 23 AsylG 2005 gestellt hat, und die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 vorliegen, weil dem Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat droht. Nach all dem wird der Folgeantrag des Beschwerdeführers voraussichtlich zurückzuweisen sein, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten ist.

Es gibt nämlich auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Marokko die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, keine Anhaltspunkte, zumal der Beschwerdeführer für Arbeitstätigkeiten ausreichend gesund und daher erwerbsfähig ist.

Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt nach seiner Rückkehr nicht bestreiten können sollte, selbst wenn ihn Angehörige nicht unterstützen, sei es mit der bereits ausgeübten oder einer anderen Tätigkeit. Zudem besteht ganz allgemein in Marokko keine solch extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK ausgesetzt wäre.

Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden, die nahelegen würden, dass für den Beschwerdeführer ein „reales Risiko“ einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenen Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben und hat kaum über die kurze Aufenthaltszeit selbst hinausgehende - z. B. sprachlichen, kulturellen, beruflichen oder sozialen - privaten Integrationsmerkmale.

Somit sind die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 gegeben, sodass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtswidrig ist. Damit hatte das Gericht wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung war mit Beschluss zu treffen, da § 22 Abs. 10 AsylG 2005 dies so vorsieht. Nach § 22 Abs. 1 BFA-VG hatte auch keine Verhandlung stattzufinden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zum faktischen Abschiebeschutz und den Voraussetzungen seiner Aufhebung in Folgeverfahren oder zur Zurückweisung wegen entschiedener Sache.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag Identität der Sache Privat- und Familienleben real risk reale Gefahr

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2237016.1.00

Im RIS seit

12.02.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.02.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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