TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/11 95/21/0134

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.06.1997
beobachten
merken

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Robl, Dr. Rosenmayr und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Hanel, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 13. Mai 1994, Zl. Fr-6269/93, betreffend Feststellung gemäß § 54 FrG, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird,

soweit sich die ausgesprochene Feststellung gemäß § 54 FrG auf "Serbien (die "Jugoslawische Föderation")" bezieht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde;

soweit sich die ausgesprochene Feststellung gemäß § 54 FrG auf Slowenien bezieht, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften;

aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte mit Schriftsatz vom 14. Februar 1994 an die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung den Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach "Serbien und Kroatien", weil stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei dort im Sinne des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 leg. cit. bedroht.

Am 4. März 1994 stellte der Beschwerdeführer an dieselbe Behörde einen gleichlautenden Antrag auf Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG betreffend Slowenien und Ungarn, weil er dort Gefahr liefe, sofort (unter Verletzung des Refoulement-Verbotes) in die "Republik Jugoslawien" (weiter-)abgeschoben zu werden, wo er im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Mit Bescheid vom 22. April 1994 sprach die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung über den Antrag vom 4. März 1994 betreffend Slowenien ab und stellte gemäß § 54 FrG insoweit fest, daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei im Falle einer Abschiebung nach Slowenien gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid ab und sprach aus, daß "der bekämpfte Bescheid mit der Abänderung bestätigt (wird), daß keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, daß Sie (der Beschwerdeführer) im Falle einer Abschiebung nach Serbien (die "Jugoslawische Föderation") oder Slowenien gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sind".

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung geltend gemacht, daß er im Falle einer Abschiebung nach Slowenien keine Möglichkeit habe, eine Aufenthaltsbewilligung zu erlangen bzw. als Asylwerber anerkannt zu werden. Er würde dort vielmehr Gefahr laufen, unter Verletzung des im Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Refoulement-Verbotes nach Serbien (weiter-)abgeschoben zu werden. In Serbien drohe dem Beschwerdeführer wegen seiner Wehrdienstverweigerung sowie infolge seiner "albanischen Volkszugehörigkeit" die sofortige Inhaftierung, eine unmenschliche Behandlung und Bestrafung (Mißhandlung und Folter), möglicherweise der Tod. In der Berufung werde daher beantragt, festzustellen, daß der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach Slowenien Gefahr laufe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, sowie, daß er aufgrund seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe im Kosovo im Hinblick auf eine Inhaftierung gefährdet sei.

Da die Behörde erster Instanz in der Begründung auch darauf eingegangen sei, daß der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung nach "Jugoslawien" keiner Bedrohung im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt sei, der Beschwerdeführer in seiner Berufung ebenfalls auf eine Bedrohungssituation für den Fall seiner Abschiebung nach Serbien eingegangen sei und ein diesbezüglicher Antrag vorliege, sei die belange Behörde "im Hinblick auf § 66 Abs. 4 AVG zur Abänderung des Spruches berechtigt".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Aus dem Bescheid der Behörde erster Instanz ergibt sich, daß damit lediglich über den Antrag des Beschwerdeführers betreffend Slowenien abgesprochen worden war, nicht jedoch eine Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG hinsichtlich des Vorliegens von stichhaltigen Gründen für die Annahme im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG betreffend "Serbien (die "Jugoslawische Föderation")" erfolgte. Die Ausführungen in der Bescheidbegründung, daß stichhaltige Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer sei in Slowenien im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 leg. cit. bedroht, nicht vorlägen, weil er im Falle einer (Weiter-)Abschiebung in die "Jugoslawische Föderation" dort im Sinne der vorerwähnten Bestimmungen nicht bedroht wäre, stellen keinen normativen Abspruch über den Feststellungsantrag betreffend den zuletzt erwähnten Staat dar. Auch die Berufungsausführungen, die sich mit dieser Bescheidbegründung auseinandersetzen, ändern nichts daran, daß die Behörde erster Instanz lediglich über den Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs. 1 leg. cit. betreffend Slowenien entschieden hatte. Die Befugnis der Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden, erstreckt sich nur auf die "Sache" des Berufungsverfahrens, also auf den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde. Gegenstand des Berufungsbescheides kann daher im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nur sein, was auch Gegenstand (des Spruches) der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen war. § 66 Abs. 4 AVG bietet keine Grundlage dafür, unter Übergehung der ersten Instanz aus Anlaß einer Berufung in der Berufungsentscheidung über Anträge abzusprechen, die in erster Instanz unerledigt geblieben waren (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. November 1995, Zl. 95/21/0030, mwN). Dadurch, daß die belangte Behörde in Verkennung dieses Umstandes auch über die Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach "Serbien (die "Jugoslawische Föderation")" abgesprochen hat, hat sie ihre Zuständigkeit überschritten, weshalb in diesem Umfang der angefochtene Bescheid (von Amts wegen) infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.

Im übrigen hat die belangte Behörde - hinsichtlich der Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG betreffend Slowenien - ihren Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Soweit die belangte Behörde ihren Bescheid insoweit darauf stützt, daß der Beschwerdeführer gemäß den sehr ausführlich im Bescheid getroffenen Feststellungen aufgrund von "Informationen zum Zeitraum Juni bzw. September 1991" in "Serbien (Jugoslawische Föderation)" nicht im Sinne des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei, somit selbst im Falle seiner (ungeprüften Weiter-)Abschiebung von Slowenien dort im vorerwähnten Sinn nicht bedroht sein könne, verweist der Beschwerdeführer zutreffend darauf, daß er in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Die belangte Behörde kann zwar sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch rechtlicher Hinsicht ihre Beurteilung an die Stelle jener der Unterbehörde setzen; wenn sie aber neue Sachverhaltselemente einbezieht und darauf aufbauend ergänzende Feststellungen trifft, hat sie das Parteiengehör zu gewähren. Wegen der Verletzung des Parteiengehörs steht dem diese ergänzenden Sachverhaltsfeststellungen bestreitenden Vorbringen in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde das Neuerungsverbot nicht entgegen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Gewährung des Parteiengehörs zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Ungeachtet dieses Verfahrensfehlers hält eine Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 FrG im Jahr 1994, deren Sachverhaltsannahmen auf "Informationen zum Zeitraum Juni bis September 1991" beruhen, der gerichtlichen Kontrolle nicht stand. Die belangte Behörde hätte vielmehr andere geeignete aktuelle Erkenntnisquellen ihrer Entscheidung zugrundelegen müssen, um beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer bei einer hinsichtlich seiner Fluchtgründe ungeprüften (Weiter-)Abschiebung nach "Serbien (die Jugoslawische Föderation)" konkret Gefahr liefe, dort durch vom Staat zu verantwortendes Verhalten zu Tode zu kommen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 95/21/0151, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Auch soweit sich der angefochtene Bescheid darauf stützt, daß der Beschwerdeführer deshalb in Slowenien nicht im Sinne des § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei, weil dieser Staat der Genfer Flüchtlingskonvention beigetreten und deshalb verpflichtet sei, das dort normierte Refoulement-Verbot zu beachten, ist auf das vorerwähnte hg. Erkenntnis zu verweisen, wonach dieses Argument nicht tragfähig ist. Warum sich aus dem Umstand, daß sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in das Bundesgebiet "ein Jahr lang vor allem in Kroatien" aufgehalten habe, ergeben soll, daß er deshalb weder in Slowenien noch in seinem Heimatstaat im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 leg. cit. bedroht sei, ist nicht nachvollziehbar. Selbst wenn der Beschwerdeführer dort "Sicherheit vor Verfolgung" gefunden haben sollte, läßt dies keine Rückschlüsse auf einen vom Antrag gemäß § 54 Abs. 1 FrG erfaßten anderen Staat zu. Der angefochtene Bescheid war daher hinsichtlich seines Feststellungsausspruches betreffend Slowenien infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995210134.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten