TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/25 95/01/0160

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Veröffentlicht am 25.06.1997
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2 idF 1994/610;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §45 Abs2;
B-VG Art18;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des A in G, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. April 1995, Zl. 4.323.654/8-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Guinea, der am 19. Juni 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. Juni 1991 den Asylantrag gestellt hat, hat bei seiner Vernehmung vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 26. September 1991 zu seinen Fluchtgründen angegeben, seit 1990 sei es in seiner Heimatstadt C zu drei Studentendemonstrationen gekommen, an denen er teilgenommen habe. Die letzte Demonstration habe am 12. Februar 1991 stattgefunden. Zwei Tage danach sei er verhaftet worden. Er gehöre dem Stamm der "Peul" an. Die Mitglieder dieses Stammes seien zwar "sehr zahlreich und reich", würden jedoch von der Regierungspartei unterdrückt. Aufgrund dieser Stammeszugehörigkeit habe er nach seiner Verhaftung damit rechnen müssen, ebenso wie einige seiner Verwandten, lange Zeit ohne Verurteilung im Gefängnis festgehalten zu werden. Nach sieben Tagen Haft sei es ihm durch die Bestechung von Beamten gelungen, zu fliehen.

In seiner Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 7. Oktober 1991, mit welchem auf Grundlage des Asylgesetzes (1968) festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, verwies der Beschwerdeführer auf seine niederschriftlichen Angaben im erstinstanzlichen Verfahren und führte dazu näher aus, daß in Guinea eine Einparteiendiktatur herrsche. Bei den erwähnten Demonstrationen sei ein Mehrparteiensystem gefordert worden. Dabei sei es zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften gekommen, wobei mehrere Demonstranten getötet worden seien. Aus politischen Gründen Inhaftierte würden regelmäßig ohne faires Verfahren angehalten und auch gefoltert. Der Name des Beschwerdeführers sei den Sicherheitskräften durch inhaftierte Demonstrationsteilnehmer bekanntgegeben worden. Er sei sieben Tage ohne Verhör festgehalten worden. Als Mitglied des Stammes der "Peul" habe er besondere Angst davor gehabt, ohne faires Verfahren jahrelang eingesperrt zu bleiben. Zur Bestechung der Beamten seien sowohl eigene Mittel des Beschwerdeführers als auch Geld seines "Onkels und Bruders", der als Arzt arbeite, verwendet worden.

Der Bescheid der belangten Behörde vom 2. Juni 1993, mit welchem dieser Berufung keine Folge gegeben worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 15. September 1994, Zl. 94/19/0133, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes infolge Aufhebung des Wortes "offenkundig" im § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, aufgehoben.

Mit Bescheid vom 28. April 1995 hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers - ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens - neuerlich abgewiesen.

Die belangte Behörde stellte fest, daß in der Heimat des Beschwerdeführers mehrmals Demonstrationen aufgelöst und Teilnehmer kurzzeitig inhaftiert worden seien. Diese Personen seien jeweils nach einigen Tagen wieder freigelassen worden, ohne daß gegen sie Anklage erhoben worden sei. Das bestehende Parteienverbot sei im April 1992 aufgehoben worden. Der Demokratisierungsprozeß schreite langsam aber doch voran. Vor diesem Hintergrund könne dem Beschwerdeführer zwar geglaubt werden, daß er an den von ihm geschilderten Demonstrationen teilgenommen habe und danach verhaftet worden sei, nicht festgestellt werden könne hingegen, daß er damit rechnen habe müssen, längere Zeit ohne Verurteilung im Gefängnis festgehalten zu werden. Ebensowenig könne dem Beschwerdeführer geglaubt werden, daß es ihm lediglich aufgrund einer Bestechung gelungen sei, aus der Haft zu entkommen. Die Angaben des Beschwerdeführers betreffend die von ihm befürchtete längere Anhaltung im Gefängnis seien derart "vage und unbestimmt", daß es ihm damit nicht gelänge, dieses Vorbringen glaubhaft zu machen. Es gebe keinen Hinweis darauf, daß Angehörige des Stammes der "Peul" allein aufgrund dieser Stammeszugehörigkeit verfolgt würden. Wäre es dem Beschwerdeführer tatsächlich möglich gewesen, einfach durch die Bestechung von Beamten zu flüchten, so bliebe unverständlich, warum nicht auch die Verwandten des Beschwerdeführers, welche angeblich längere Zeit festgehalten worden seien, von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätten. Weiters spreche gegen die ernsthafte Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung auch der Umstand, daß er sich nach seiner Ausreise in Mali, Algerien und der "ehemaligen SFRJ" aufgehalten habe, ohne dort einen Asylantrag zu stellen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre.

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auch darauf, daß beim Beschwerdeführer der Ausschließungsgrund der "Verfolgungssicherheit" gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei, weil es ihm möglich gewesen wäre, bei den Behörden der genannten Staaten, welche Mitgliedstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention seien, um Asyl anzusuchen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Zur Frage der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers wendet sich die Beschwerde vor allem gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und rügt in diesem Zusammenhang, daß die Feststellungen über die allgemeine politische Lage in Guinea unter Verletzung des Parteiengehörs zustande gekommen seien.

Diesen Ausführungen kommt aus folgenden Gründen Berechtigung zu:

Insoweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Rahmen der Beweiswürdigung vorwirft, seine Angaben seien "vage und unbestimmt", ist ihr zu entgegnen, daß der Beschwerdeführer nach dem Inhalt der Niederschrift über seine Vernehmung im erstinstanzlichen Verfahren nicht näher befragt oder aufgefordert wurde, Einzelheiten zu schildern. Aufgrund dieses Mangels des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens wäre die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 verpflichtet gewesen, eine Ergänzung oder Wiederholung des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens anzuordnen und dabei auch auf die Berufungsausführungen Bedacht zu nehmen. Es ist jedoch nicht schlüssig, dem Beschwerdeführer ohne ins Detail gehende Befragung deshalb die Glaubwürdigkeit abzusprechen, weil er keine Einzelheiten geschildert hat.

Da dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit geboten wurde, zu den von der belangten Behörde herangezogenen Beweismitteln zur allgemeinen politischen Lage in Guinea Stellung zu nehmen, gründen die diesbezüglichen, vom Beschwerdeführer bestrittenen Feststellungen auf einem mangelhaften Verfahren und können daher auch nicht im Rahmen der Beweiswürdigung zur Widerlegung der Angaben des Beschwerdeführers herangezogen werden.

Ebenso beruht die behördliche Feststellung, daß der Beschwerdeführer in Mali, Algerien und in der "ehemaligen SFRJ" Gelegenheit gehabt hätte, (mit Erfolgsaussicht) einen Asylantrag zu stellen - wie unten zur Frage der Erlangung von "Verfolgungssicherheit" ausgeführt wird - auf einem mangelhaften Verfahren. Die Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers kann daher auch nicht daraus geschlossen werden, daß er im Falle seiner begründeten Furcht vor Verfolgung bereits in den von ihm durchreisten Ländern einen Asylantrag gestellt hätte.

Die Argumentation der belangten Behörde, die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Befreiung aus der Haft seien deshalb nicht glaubwürdig, weil es nicht nachvollziehbar sei, warum nicht auch die ebenfalls inhaftierten Verwandten des Beschwerdeführers diese Möglichkeit genützt hätten, ist nicht schlüssig, weil ohne nähere Feststellungen über die genauen Umstände der Befreiungsaktion nicht gesagt werden kann, ob diese Möglichkeit auch anderen Inhaftierten offen stand.

Die damit aufgezeigten Verfahrensmängel würden aber dann nicht zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides führen, hätte die belangte Behörde zu Recht vom Ausschließungsgrund der "Verfolgungssicherheit" Gebrauch gemacht.

Zu diesem Ausschließungsgrund bringt die Beschwerde vor, daß die belangte Behörde dazu keine ausreichenden "Ermittlungen über das Drittland" durchgeführt habe. Damit macht der Beschwerdeführer zutreffend geltend, daß die belangte Behörde nicht ermittelt hat, ob Mali, Algerien und die "ehemalige SFRJ" von ihrer effektiv geltenden Rechtsordnung her einen dem Standart der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechenden Schutz geboten hätten. Der Beschwerdeführer hat auf diese Weise nach Maßgabe der ihn im Verwaltungsverfahren treffenden Mitwirkungspflicht, ohne daß es noch einer weiteren Konkretisierung seines Vorbringens bedurft hätte, auch die Wesentlichkeit dieses der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels aufgezeigt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0413, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Das diesbezügliche Beschwerdevorbringen verstößt schon deshalb nicht gegen das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot gemäß § 41 Abs. 1 VwGG, weil die belangte Behörde, anders als die Erstbehörde, aufgrund des von ihr gemäß dessen § 25 Abs. 2 anzuwendenden Asylgesetzes 1991 erstmals von diesem Ausschließungsgrund Gebrauch gemacht hat.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Es sei noch hinzugefügt, daß das vom Beschwerdeführer geäußerte Bedenken, § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 sei verfassungswidrig, weil der Begriff der "Mangelhaftigkeit" einen "nicht klärbaren Terminus" darstelle, vom Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht geteilt wird, weil zur Frage, wann ein Mangel des Ermittlungsverfahrens vorliegt, eine umfangreiche Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts existiert. Der Anregung, das Verfahren zu unterbrechen und einen Gesetzesprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof einzubringen, wird daher nicht gefolgt.

Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995010160.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

16.04.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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