TE Bvwg Beschluss 2020/10/2 W232 2234542-2

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Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AVG §32 Abs2
AVG §33 Abs2
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §7 Abs4 Z1

Spruch

W232 2234541-1/3E

W232 2234541-2/2E

W232 2234542-1/3E

W232 2234542-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX und 2) XXXX , geb. XXXX , beide StA Ukraine, beide vertreten durch die RAe LANSKY - GANZGER & Partner, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020, Zlen. 1) 1253936106-191224391 und 2) 1219074200-191224472 und die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020:

A)

I. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand werden als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerden werden als verspätet zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin. Die ukrainischen Staatsangehörigen reisten legal am 10.11.2019 mit einem Flugzeug von der Ukraine in das Bundesgebiet ein und stellten am 29.11.2019 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020 wurden die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz vom 29.11.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm
§ 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III), gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I
Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführerinnen eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise
14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

3. Diese Bescheide wurden den Beschwerdeführerinnen am 26.06.2020 zugestellt.

4. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen, vertreten durch LANSKY, GANZGER & Partner Rechtsanwälte GmbH, mit Schreiben vom 06.08.2020 Beschwerde. Ausgeführt wurde eingangs, dass die Beschwerdeführerinnen gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen für Asyl vom 23.06.2020, zugestellt am 10.07.2020, binnen offener Frist gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG iVm Art. 132 Abs. 1 Z 1 B-VG (nachstehende) Beschwerde erheben würden.

5. Mit Verspätungsvorhalt vom 10.09.2020 wurde den Beschwerdeführerinnen zu Handen ihres bevollmächtigten Vertreters mitgeteilt, dass sich die gegenständlichen Beschwerden nach der Aktenlage als verspätet darstellen würden. Gleichzeitig wurde ihnen die Möglichkeit eingeräumt, zum Ergebnis der Beweisaufnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

6. Mit Schriftsatz vom 16.09.2020 wurde eine Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt sowie in eventu Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. Ausgeführt wurde zunächst, dass den Beschwerdeführerinnen am 26.06.2020 die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020 zugestellt worden seien. Zu diesem Zeitpunkt seien die Beschwerdeführerinnen noch nicht von der Rechtsanwaltskanzlei Lansky, Ganzger + Partner Rechtsanwälte GmbH rechtsfreundlich vertreten gewesen. In weiterer Folge sei die Kanzlei erst am 10.07.2020 von den Beschwerdeführerinnen mit ihrer rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt und bevollmächtigt worden. Die für das Fremdenrechtsteam der Rechtsanwaltskanzlei zuständige Sekretärin, welche über 19 Jahre Berufserfahrung verfüge, obliege es, eingehende und übermittelte Schriftstücke des Fremdenrechtsteams zu erfassen sowie im Fristenkalender die Fristen einzutragen. Da zu dieser Zeit die Tochter der Sekretärin einen Unfall gehabt habe, weshalb sie Sorgen hinsichtlich ihrer Tochter geplagt hätten, sei ihr bei der Berechnung und Eintragung der Frist zur Einbringung der Beschwerden ein einmaliges Versehen unterlaufen und sei sie versehentlich und irrtümlich vom 10.07.2020 ausgegangen, weshalb der 07.08.2020 als letzter Tag der Einbringung der Beschwerden im Kalender eingetragen worden sei. Grundsätzlich sei die Rechtsanwaltskanzlei sehr gut organisiert, sämtliche Fristen würden sowohl im Outlook, im Advokat, als auch in einem physischen Fristenkalender eingetragen werden. Diese Fristenerfassung erfolge letztlich durch mehrere Mitarbeiter, wodurch auch mittels einer Gegenkontrolle in der Fristenverwaltung die konkrete Kalendierung von Rechtsmittelfristen sichergestellt werde. Unter Vorlage einer eidesstättigen Erklärung der Sekretärin wurde darauf verwiesen, dass es sich um eine sehr gut eingeschulte und verlässliche Kanzleikraft handeln würde, der im Laufe der 19-iährigen Praxis als Anwaltssekretärin niemals ein derartiger Fehler unterlaufen sei. Bei der Eintragung der unrichtigen Frist würde es sich um einen einmaligen Fehler einer seit langen Jahren überdurchschnittlich sorgfältigen Kanzleikraft handeln. Der Umstand, dass die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenrecht und Asyl vom 23.06.2020 nicht binnen offener Frist eingelangt seien, beruhe allein darauf, dass der Sekretärin ein minderer Grad des Versehens unterlaufen sei. Für den Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht weiterhin davon ausgehe, dass sich die gegenständlichen Beschwerden als verspätet darstellen, werde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen darauf verwiesen, dass die ausgewiesene Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen/Antragstellerinnen durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis i.S.d. § 33 VwGVG an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Handlung, nämlich der rechtzeitigen Einbringung der Beschwerden, gehindert worden sei. Die Fristenerfassung erfolge letztlich durch mehrere Mitarbeiter, wodurch auch mittels einer Gegenkontrolle in der Fristenverwaltung die konkrete Kalendierung von Rechtsmittelfristen sichergestellt werde. Demnach könne der Rechtsvertreterin keine mangelnde Organisation bezüglich der Fristenverwaltung sowie Überwachung der Kanzleibediensteten zum Vorwurf gemacht werden. Da es sich bei der Sekretärin um eine gut eingeschulte und verlässliche Kanzleikraft handeln würde, würden bei ihr auch stichprobenartige Kontrollen reichen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Bescheide der belangten Behörde vom 23.06.2020 zur Zl. 1253936106-191224391 und Zl. 1219074200-191224472 wurden den Beschwerdeführerinnen am 26.06.2020 zugestellt.

Die vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerinnen verfasste Beschwerde langte am 07.08.2020 bei der belangten Behörde ein.

Mit Schriftsatz vom 16.09.2020 beantragten die Beschwerdeführerinnen vertreten durch ihren bevollmächtigten Vertreter ua die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.
2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes, und des Dienstrechtsverfahrens-gesetzes 1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen des Bundesverwaltungsgerichtes, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, durch Beschluss.

Zu A)

3.1. Abweisung der Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Bei Versäumen der Beschwerdefrist für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist allein § 33 VwGVG die maßgebliche Bestimmung und nicht die §§ 71, 72 AVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handelt (VwGH 28.09.2016, Ra 2016/16/0013). Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass grundsätzlich die in der Rechtsprechung zu § 71 AVG entwickelten Grundsätze auf § 33 VwGVG übertragbar sind (siehe etwa VwGH 13.09.2017, Ra 2017/12/0086).

Gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zu Last liegt, hindert die Bewilligung zur Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist im Fall des § 33 Abs. 1 VwGVG bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 33 Abs. 3 VwGVG). Nach § 33 Abs. 4 VwGVG hat bis zur Vorlage die Behörde über den Antrag mit Bescheid, ab Vorlage der Beschwerde das Verwaltungsgericht mit Beschluss zu entscheiden.

Da die Beschwerdeführerinnen die Rechtsanwaltskanzlei LANSKY, GANZGER & Partner Rechtsanwälte GmbH mit ihrer Vertretung im Beschwerdeverfahren bevollmächtigt haben, ist ihnen deren Verschulden zuzurechnen (vgl. VwGH 09.02.2018, Ra 2018/20/0008; VwGH 30.05.2017, Ra 2017/19/0113).

Voraussetzung für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes. Ein solcher ist gegeben, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie daran kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Ereignis unabwendbar ist, kommt es nach der Rechtsprechung (VwGH 24.01.1996, 94/12/0179) auf objektive Umstände an; nämlich darauf, ob das Ereignis auch von einem Durchschnittsmenschen objektiv nicht verhindert werden kann. Ob ein Ereignis unvorhergesehen ist, hängt demgegenüber nach der Rechtsprechung nicht von einer objektiven Durchschnittsbetrachtung, sondern vom konkreten Ablauf der Geschehnisse ab. Unvorhergesehen ist ein Ereignis dann, wenn es von der Partei tatsächlich nicht einberechnet wurde und mit zumutbarer Vorsicht auch nicht vorhergesehen werden konnte (VwGH 03.04.2001, 2000/08/0214).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0583). An berufliche und rechtskundige Parteienvertreter ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen (VwGH 31.05.2017, Ra 2017/22/0064).

Die Einhaltung von Rechtsmittelfristen erfordert größtmögliche Sorgfalt von der Partei und ihrem Vertreter. Wie vom bevollmächtigten Vertreter im Antrag auf Wiedereinsetzung und auch in der vorgelegten eidesstattlichen Erklärung der Sekretärin, die mit der Fristenberechnung in den gegenständlichen Fällen vertraut gewesen sei, angegeben, wurde die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020 irrtümlich falsch berechnet bzw. falsch in den Kalender eingetragen.

Macht ein Wiedereinsetzungswerber als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen einer Kanzleiangestellten seines bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, dass es zur Fehlleistung des Kanzleibediensteten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt obliegenden Aufsichtspflichten und Kontrollpflichten eingehalten wurden. Gerade an beruflich rechtskundige Parteienvertreter, die im alltäglichen Leben mit Anträgen und damit mit dem Fristenlauf und den daran geknüpften Bedingungen vertraut sind, ist ein strenger Maßstab anzulegen, um eine fristgerechte Setzung von Verfahrenshandlungen sicherzustellen. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen ua dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. hiezu die Erkenntnisse vom 23. Februar 1993, Zl. 91/08/0170, und die Beschlüsse vom 20. Jänner 1993, Zl. 92/01/1062, 22. März 1991, Zl. 91/10/0018, 90/08/0149, 25. September 1990). Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl VwGH 18.4.2002, 2001/01/0559). Ein Anwalt verstößt gegen seine Überwachungs- und Sorgfaltspflichten, wenn er im Vertrauen auf die Verlässlichkeit seiner Büroangestellten weder im Allgemeinen noch im Besonderen wirksame Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle des Versagens einer Kanzleiangestellten Fristversäumnisse auszuschließen geeignet sind (VwGH 21.05.1996, 96/05/0047).

In einer Rechtsanwaltskanzlei ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist in einem bestimmten Fall stets vor allem der Anwalt und nicht etwa jene Kanzleiangestellte allein verantwortlich, die den Termin weisungsgemäß in den Kalender einträgt. Der Anwalt selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen, sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der gebotenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm dabei ein Versehen, ohne dass er dartun kann, dass die Fristversäumnis auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten der Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden, welches sich gegen die von ihm vertretene Partei auswirkt (Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, S 677, Rz 43 zu § 71 AVG).

Im Lichte der zitierten Judikatur des VwGH war daher in den gegenständlichen Fällen ein besonderes Augenmerk auf eine nachhaltige und fristgerechte Kontrolle des Fristenlaufes bzw. der richtigen Eintragung desselben im Kalender zu legen:

Der bevollmächtige Vertreter der Beschwerdeführerinnen hat im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und in seiner Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichtes dargelegt, dass die Rechtsanwaltskanzlei sehr gut organisiert sei, so dass sämtliche Fristen sowohl im Outlook, im Advokat, als auch in einem physischen Fristenkalender eingetragen seien. Diese Fristenerfassung erfolge letztlich durch mehrere Mitarbeiter, wodurch auch mittels einer Gegenkontrolle in der Fristenverwaltung die konkrete Kalendierung von Rechtsmittelfristen sichergestellt werde. Demnach könne der Rechtsvertreterin keine mangelnde Organisation bezüglich der Fristenverwaltung sowie Überwachung der Kanzleibediensteten zum Vorwurf gemacht werden. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass der bevollmächtigte Vertreter selbst vorbringt, dass die Frist zur Einbringung einer Beschwerde falsch berechnet und falsch eingetragen worden sei. Die falsche Fristenberechnung und -eintragung ist durch das vom bevollmächtigten Vertreter vorgebrachte Kontrollsystem (Fristenerfassung durch mehrere Mitarbeiter, wodurch auch mittels einer Gegenkontrolle in der Fristenverwaltung die konkrete Kalendierung von Rechtsmittelfristen sichergestellt werde) nicht aufgefallen, geschweige denn verhindert worden - somit konnte der bevollmächtigte Vertreter damit kein wirksames Kontrollsystem dartun. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass selbst beim Abfassen der Beschwerde die falsch berechnete Frist offenbar nicht aufgefallen, zumal sich der Beschwerdeschriftsatz auf eine Zustellung am 10.07.2020 bezieht.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich somit, dass nicht von einem minderen Grad des Versehens auf Seiten des bevollmächtigten Vertreters auszugehen ist, zumal einerseits der Fehler der Angestellten bei der Fristberechnung und -eintragung dem bevollmächtigten Vertreter zuzurechnen war und andererseits der zuständige Rechtsanwalt selbst bei Abfassung der Beschwerde den Fehler nicht erkannte. Dies ist in Ansehung der strengen Sorgfaltspflicht für berufsmäßige Parteienvertreter nicht mehr als minderer Grad des Versehens zu werten.

Es kann daher nicht erkannt werden, dass der Fehler des bevollmächtigten Vertreters als unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis nur auf einem minderen Grad des Versehens beruhte. Nachdem den Beschwerdeführerinnen das nicht bloß geringfügige Versehen ihres Vertreters zuzurechnen ist, waren die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzuweisen.

3.2. Zurückweisung der Beschwerde

Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG beginnt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG vier Wochen. Sie beginnt gemäß Z 4 leg.cit., wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung.

Gemäß § 32 Abs. 2 AVG enden nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. Gemäß § 33 Abs. 2 AVG ist, wenn das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Karfreitag fällt, der nächste Werktag der letzte Tag der Frist. Eine nach Wochen bestimmte Frist endet demnach um Mitternacht (24.00 Uhr) des gleich bezeichneten Tages der letzten Woche der Frist (VwGH 18.10.1996, 96/09/0153 mwN im Erkenntnis).

In den vorliegenden Fällen wurden die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020 den Beschwerdeführerinnen am 26.06.2020 zugestellt. Dies stellt auch der Beschwerdeführerinnenvertreter in seiner Stellungnahme zum Verspätungsvorhalt des Bundesverwaltungsgerichtes außer Streit. Die vierwöchige Beschwerdefrist endete demnach, unter Berücksichtigung der §§ 32, 33 AVG mit Ablauf des 24.07.2020. Die mit Schreiben vom 06.08.2020 datierten Beschwerden, eingelangt beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 07.08.2020, wurden somit verspätet eingebracht.

Die Beschwerden gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.06.2020 waren daher gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurückzuweisen.

Die gestellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefristen wurde mit vorliegender Entscheidung als unbegründet abgewiesen.

Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Da der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint und eine weitere Klärung weder notwendig noch zu erwarten ist, konnte eine mündliche Verhandlung trotz des diesbezüglichen Antrags unterbleiben. Dass die Beschwerde verspätet eingebracht wurde, wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten, sondern vielmehr in der Stellungnahme sowie im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand festgestellt. Der Beschwerdeführer sowie die ausgewiesene Vertretung hat somit Kenntnis erlangt von der verspäteten Beschwerdeerhebung im gegenständlichen Fall und hatte hinreichend Gelegenheit sämtliche Gründe für den behaupteten "minderen Grad des Verstehens" an der Fristversäumnis im gegenständlichen Fall darzulegen. Es konnte daher von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Asylverfahren Beschwerdefrist Fristablauf Fristüberschreitung Fristversäumung Rechtsmittelfrist verspätete Beschwerde Verspätung Verspätungsvorhalt Zurückweisung Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W232.2234542.2.00

Im RIS seit

19.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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