TE Vwgh Erkenntnis 1997/6/27 96/05/0295

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Veröffentlicht am 27.06.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §63 Abs3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl und Dr. Pallitsch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Mag. I, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. November 1996, Zl. UVS-06/07/00591/96, betreffend Übertretung des Wiener Feuerpolizei- und Luftreinhaltegesetzes in Verbindung mit der Wiener Kehrverordnung (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 13. November 1995 teilte die Magistratsabteilung 68 - Feuerwehr und Katastrophenschutz Referat D2 - Inspektionsrauchfangkehrer, dem Magistratischen Bezirksamt für den 19. Bezirk, MBA 19) mit, daß der Mieter der Wohnung Keller/1 im Haus Wien 19., X 24, obzwar ein Benützungsverbot für den Rauchfang lfd. Nr. 4 seit dem Einsatz vom 13. November 1994 bestehe (undichtes Wangenmauerwerk in den Wohnungen 1, 3, 6 und 9), den Rauchfang benützt und dadurch die Benützer dieser Wohnungen gefährdet habe. Mit Eingabe vom 15. Februar 1996 äußerte sich der Beschwerdeführer als Mieter dieser Wohnung über Aufforderung zur Rechtfertigung des MBA 19 wie folgt:

"Betrifft: Einspruch, Berufung, Nichtigkeitsgründe.

Am mir schon nicht mehr bekannten Tag mir wurde zugestellt schreiben von dem, wie oben, und wie im Beilage retournierte schreiben, gegen dem gesamtem Inhalt ich lege Einspruch, Berufung und Nichtigkeitsgründe.

Da ich bin Krank, Bettlegrig und Verhandlungsunfähig, mache achtmonatige vertagung geltend, sowie habe Vorbehaltet der Einspruch, Berufung, Nichtigkeitsgründe, gegen dem Inhalt, zu ergenzen."

Mit Schreiben vom 23. Februar 1996 trug das MBA 19 dem Beschwerdeführer auf, binnen zwei Wochen ein ärztliches Attest zum Nachweis vorzulegen, "daß Sie verhandlungsunfähig sind, widrigenfalls das Strafverfahren ohne Ihre Einvernahme zum Abschluß gebracht werden kann".

In seiner Stellungnahme hiezu vom 20. März 1996 verweist der Beschwerdeführer auf seine "psychische Krankheit".

Die vom MBA 19 zur Frage, ob der Beschwerdeführer im Sinne des § 3 Abs. 1 VStG zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen sei, beauftragte sozialpsychische Sachverständige teilte der Behörde mit Schreiben vom 12. Februar 1996 mit, kein Gutachten abgeben zu können, weil der Beschwerdeführer nicht habe kontaktiert werden können; schriftliche Einladungen seien ungeöffnet zurückgekommen, zwei Hausbesuche seien deshalb ergebnislos geblieben, weil der Beschwerdeführer nicht anwesend gewesen sei oder die Tür nicht geöffnet habe. Auch dem zur Gutachtenserstellung beauftragten Physikatsarzt war es nicht möglich, den von der Behörde verlangten psychopathologischen Status zu erstellen, weil er - aus dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht näher ersichtlichen Gründen - den Beschwerdeführer nicht untersucht hat bzw. untersuchen konnte.

Mit Straferkenntnis des MBA 19 vom 18. September 1996 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 3 des Wiener Feuerpolizei- und Luftreinhaltegesetzes mit einer Geldstrafe von S 2.500,-- bestraft, weil er als Mieter der oben näher umschriebenen Wohnung einen näher bezeichneten Rauchfang in der Zeit vom 13. November 1994 bis 13. November 1995 benützt hat, obwohl ein Benützungsverbot (Heizverbot) gemäß § 15 der Wiener Kehrverordnung besteht. In der Begründung führte die Behörde - soweit für das Beschwerdeverfahren maßgeblich - aus, für das Vorliegen des Schuldausschließungsgrundes der mangelnden Zurechnungsfähigkeit wäre der Beschwerdeführer beweispflichtig gewesen. Da der Beschwerdeführer trotz Aufforderung einen Nachweis (z.B. ärztliches Attest) nicht erbracht habe, aus dem das Vorliegen zumindest der Verhandlungsunfähigkeit nachgewiesen würde, sei sein Verschulden grundsätzlich zu bejahen.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer das nachstehende Rechtsmittel:

"Gegen dem am 25.9.96 mir wiederum und wiederum zugestellte schreiben ausspreche ich zum genze

b e r u f u n g

B E R U F U N G

Da ich im Behandlung und Heilungsverlauf bin, Krank, Bettlegrig und verhandlungsunfähig, und das mindestens bis 15 FÄBER 1997, habe alles weiteres Vorbehaltet."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. November 1996 wurde die Berufung des Beschwerdeführers "gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unzulässig zurückgewiesen". In der Begründung wird hiezu ausgeführt, aus der Berufung müsse zumindest erkennbar sei, was die Partei anstrebe und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaube sowie aus welchen - wenn auch nicht stichhältigen - Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft werde. Die Berufungsbehörde müsse der Eingabe, mit der ein Rechtsmittel erhoben werde, entnehmen können, was mit dem Verfahrensschritt nach Ansicht der Partei bezweckt werde. Um eine Eingabe als Berufung im Sinne des § 63 AVG ansehen zu können, müsse der angefochtene Bescheid bezeichnet werden, d. h., daß die Partei mit der Erledigung nicht einverstanden sei. Des weiteren müsse aber auch ersichtlich sein, aus welchen Erwägungen die Partei die in Berufung gezogene Entscheidung bekämpfe. Das Gesetz verlange nämlich nicht nur einen Berufungsantrag schlechthin, sondern überdies eine Begründung; dies bedeute eine Darlegung, aus welchen Gründen der angefochtene Bescheid bekämpft werde. Die vorliegende Berufung enthalte keinerlei Ausführungen, die als sinngemäßes oder gar ausdrückliches Bestreiten der im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses näher umschriebenen Übertretung angesehen werden könnte. Sie lasse daher nicht erkennen, worauf der Berufungswerber seine Berufung stütze. Es handle sich lediglich um eine über die nähere Bezeichnung des angefochtenen Abspruches im Straferkenntnis nicht hinausgehende Anfechtungserklärung, die nicht nur keine förmliche, sondern keinerlei Bezugnahme darauf enthalte, womit der Beschwerdeführer seinen Standpunkt vertreten zu können glaube. Es bleibe völlig offen, ob und inwiefern das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale, die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung oder die rechtliche Beurteilung bekämpft werde oder welche Verfahrensmängel vorliegen sollten. Der bloße Hinweis auf eine ihrer Art nach nicht näher bezeichnete Krankheit bzw. damit verbundene Bettlägrigkeit vermöge das ohnehin nicht formalistisch auszulegende Erfordernis, zumindest in kurzer Form darzulegen, inwiefern der Tatvorwurf laut dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses unzutreffend sei, nicht zu ersetzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid seinem gesamten Vorbringen zufolge offenkundig in dem Recht auf meritorische Behandlung seiner Berufung verletzt. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und trägt in seiner Beschwerde

- entscheidungserheblich - vor, er sei offenbar eine psychisch kranke Person; dies habe er in seinem Schreiben vom 19. März 1996 auch ausdrücklich ("Aufgrund meine psychische Krankheit") hervorgehoben. Auch aus der Berufung selbst ergäben sich ausreichend Hinweise auf diese Tatsache ("krank, bettlägrig und verhandlungsunfähig"). Der belangten Behörde sei daher erkennbar gewesen, daß zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, daß der Beschwerdeführer die Rechtsmittelbelehrung im Straferkenntnis vom 18. September 1996 gar nicht verstanden habe. Jedenfalls hätte die belangte Behörde die Pflicht gehabt, den Beschwerdeführer über den für die Berufung erforderlichen begründeten Berufungsantrag aufzuklären und darüber zu belehren, daß die Unterlassung desselben zur Zurückweisung der Berufung führen würde. Eine leichtfertige Zurückweisung von offenbar nicht rechtmäßig ausgeführten Berufungen dürfe nicht dazu führen, daß Personen mit Sprachschwierigkeiten oder Verständnisschwierigkeiten (psychische Krankheit) ein Rechtsschutz gegen Straferkenntnisse de facto verwehrt werde. Die belangte Behörde hätte gemäß § 13 Abs. 3 AVG die Berufung des Beschwerdeführers zurückstellen und die Verbesserung derselben auftragen müssen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Nur eine fehlende oder eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung gelte als Formgebrechen. Diese Voraussetzungen lägen im gegenständlichen Fall nicht vor. Eine über das Erfordernis einer dem Gesetz entsprechenden Rechtsmittelbelehrung hinausgehende Manuduktionspflicht der Behörde sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Das Berufungsvorbringen sei im Sinne des eingangs Erwähnten auch nicht so unklar, daß eine Erforschung des Parteiwillens geeignet gewesen wäre, hier Klarheit zu schaffen. Aus dem Umstand, daß eine Verfahrenspartei, die sich in der deutschen Sprache ersichtlich nur schlecht ausdrücken könne, mehrfach in ihren an die Behörde gerichteten Schreiben in gebrochendem Deutsch zum Ausdruck bringe, sie wolle von der Behörde in Ruhe gelassen werden, gleich auf mangelnde Eigenberechtigung dieser Person oder gar deren Unzurechnungsfähigkeit zu schließen, erscheine jedenfalls überzogen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zur Beurteilung der Partei- und Prozeßfähigkeit von Beteiligten (§ 8 AVG) sind - wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Bestimmungen des bürgerlichen Rechts über die Rechts- und Handlungsfähigkeit anzuwenden (§ 9 AVG). Gleiches gilt im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (§ 62 Abs. 1 VwGG). Personen, die an einem dauernden Geistesgebrechen oder einer vorübergehenden Sinnesverwirrung leiden, aufgrund welcher sie handlungsunfähig sind, sind prozeßunfähig; wurde für eine solche Person noch kein Sachwalter gemäß § 273 ABGB bestellt, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob sie die Tragweite des konkreten Verwaltungsverfahrens oder der von ihr gesetzten Verfahrenshandlungen, im konkreten Fall die Erhebung der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, zu erkennen vermag.

Aufgrund der im vorgelegten Verwaltungsakt dokumentierten prozessualen Vorgänge, insbesondere der vom Beschwerdeführer abgegebenen Parteierklärungen und der vom Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorgenommenen Verfahrenshandlungen bestehen bezüglich seiner Prozeßfähigkeit im gegenständlichen Beschwerdeverfahren keine Bedenken und bedarf es keines Vorgehens im Sinne des § 11 AVG in Verbindung mit § 62 Abs. 1 VwGG (vgl. hiezu Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Seite 83).

Auch in der - schlüssig erkennbaren - Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei im Verwaltungsstrafverfahren prozeßfähig gewesen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 29. März 1989, Zl. 89/02/0014, wonach es erforderlich ist, daß der Beschuldigte mangels Anwendbarkeit des § 9 AVG im Hinblick auf die Bestimmung des § 24 VStG im Verwaltungsstrafverfahren im Zeitpunkt der Verkündung des Straferkenntnisses in der Lage sein muß, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge, insbesondere der Verkündung samt Rechtsmittelbelehrung, zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten), bestehen seitens des Verwaltungsgerichtshofes keine Bedenken.

Die belangte Behörde stützt die Zurückweisung der Berufung des Beschwerdeführers auf den gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anwendbaren § 63 Abs. 3 AVG und ist der Meinung, die Berufung enthalte keinen begründeten Berufungsantrag.

Mit dieser Rechtsansicht befindet sich die belangte Behörde im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Gemäß § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.

An das Tatbestandsmerkmal "begründeter Berufungsantrag" ist zwar kein strenger Maßstab anzulegen, weil dem Geist des AVG ein übertriebener Formalismus fremd ist. Mindestvoraussetzung einer Berufung ist aber, daß die Auffassung des Berufungswerbers wenigstens erkennbar ist. Fehlt selbst eine erkennbare Begründung, stellt dies einen inhaltlichen, nicht behebbaren Mangel der Berufung dar, sofern dem angefochtenen Bescheid eine gemäß § 61 Abs. 5 AVG entsprechende Rechtsmittelbelehrung zu entnehmen war. Eine solche Berufung ist von der Berufungsbehörde als unzulässig zurückzuweisen (vgl. hiezu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, S. 509 ff, referierte hg. Judikatur). Die Berufung muß wenigstens erkennen lassen, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1995, Zlen. 95/05/0010, 0011).

Der Berufung des Beschwerdeführers fehlt es an diesem unabdingbaren Erfordernis eines begründeten Berufungsantrages im Sinne der dargestellten Rechtslage. In der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Bescheides wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß eine Berufung einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten hat. Es handelt sich daher um einen inhaltlichen und nicht der Verbesserung zugänglichen Mangel (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/02/0099). Da der gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwendende § 61 Abs. 1 AVG klar umschreibt, welchen Inhalt eine Rechtsmittelbelehrung zu enthalten hat, geht der Hinweis in der Beschwerde auf § 13a AVG ins Leere (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 11. Jänner 1984, Slg. Nr. 11.279/A). Daß die Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Bescheides den Voraussetzungen des § 61 Abs. 1 AVG genügt, wird auch vom Beschwerdeführer nicht angezweifelt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 25. März 1997, Zl. 96/05/0300).

Da die Berufung des Beschwerdeführers entgegen dem Beschwerdevorbringen keine Begründung enthält, erweist sich der angefochtene Bescheid frei von Rechtsirrtum.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996050295.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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