TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/6 W279 2232952-1

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Veröffentlicht am 06.10.2020
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Entscheidungsdatum

06.10.2020

Norm

BFA-VG §39
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §22 Abs1

Spruch

W279 2232952-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Georgien, vertreten durch RA Dr. Gustav ECKHARTER, gegen die Handlung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2020 (Sicherstellung des Reisepasses von XXXX ),

A)

1. den Beschluss gefasst:

Der Antrag auf Gewährung von aufschiebender Wirkung zu der vorliegenden Maßnahmenbeschwerde wird gem. § 22 Abs. 1 VwGVG abgewiesen.

sowie

2. zu Recht erkannt:

I. Die Maßnahmenbeschwerde wird gem. § 39 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

1. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF), eine Staatsangehörige Georgiens, stellte am 19.01.2011 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Sonderfälle unselbstständiger Erwerbstätigkeit“, der nicht erteilt wurde, da sie am 22.08.2011 beim Amt der XXXX Landesregierung einen Aufenthaltstitel zum Zweck „Schüler“ beantragt hatte, der am 11.10.2011 abgelehnt wurde.

2. Am 20.01.2015 stellte die BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Student“, der positiv erledigt wurde. Sie besaß daher von 29.09.2015 bis 29.09.2016 sowie nach Verlängerung von 30.09.2016 bis 30.09.2017 einen Aufenthaltstitel „Student“.

3. Ein neuerlicher Antrag zum gleichen Zweck wurde am 29.11.2017 abgewiesen. Das verwaltungsgerichtliche Verfahren wurde infolge der Zurückziehung der Beschwerde vom 05.09.2019 eingestellt. Die Abweisung des Antrages wurde daher am 12.09.2019 rechtskräftig.

4. Von 29.01.2018 bis 29.04.2018 erhielt sie eine Bestätigung gem. § 24 NAG.

5. Am 26.09.2019 stellte die BF einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gem. § 55 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) aus Gründen des Art. 8 EMRK. Mit Verbesserungsauftrag vom selben Tag wurde die BF aufgefordert, weitere Dokumente vorzulegen (insbesondere Reisepass bzw. Verlustanzeige und Geburtsurkunde). Die BF brachte daraufhin eine Verlustanzeige ihres Reisepasses, ausgestellt am 26.09.2019, ein.

6. Am 09.07.2020 wurde die BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) niederschriftlich in der Sprache Georgisch einvernommen.

Dabei gab sie an, dass sie am 20.06.2020 eine A2 Prüfung abgelegt habe, jedoch noch auf das Ergebnis warte. Österreich sei ihre zweite Heimat. Sie kämpfe weiter für ihre Rechte und Pflichten. Sie wohne in einer Mietwohnung in Wien und erhalte Unterstützung von ihren Eltern, mit denen sie regelmäßig Kontakt pflege. Sie habe auch viele Freunde in Österreich, die sie unterstützen würden. Außerdem habe sie im Sommer 2019 die Ausbildung zur Bürokauffrau gemacht und einen Freund im Bundesgebiet. Anfang Oktober habe sie bei XXXX als Business Assistentin gearbeitet.

In Georgien habe sie Germanistik studiert und im Jahr 2008 abgeschlossen. Sie sei zuletzt im Jahr 2018 bei der Hochzeit ihres Bruders dort gewesen.

Der BF wurde im Rahmen der Einvernahme vom 09.07.2020 ihr Reisepass abgenommen und gem. § 39 Abs. 3 BFA-VG für die weitere Verfahrensführung sichergestellt sowie eine Bestätigung darüber ausgehändigt. Der Vertreter der BF widersprach der Vorgehensweise und erklärte, Beschwerde erheben zu wollen.

7. Mit Schriftsatz vom 13.07.2020 erhob die BF fristgerecht das Rechtsmittel der Maßnahmenbeschwerde gem. Art. 130 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 Z 1 B-VG sowie Art. 132 Abs. 2 B-VG und stellte einen Antrag gem. § 22 Abs. 1 VwGVG.

Vorgebracht wurde, dass die belangte Behörde gesetzwidrig vorgegangen sei. Der BF sei vorgehalten worden, dass ihr Antrag gem. § 55 AsylG unzulässig sei, da sie sich für einen solchen rechtmäßig im Bundesgebiet hätte aufhalten müssen, obwohl gem. § 58 Abs. 9 AsylG jedwede Rechtsmäßigkeit (wohl gemeint: Rechtswidrigkeit) des Aufenthaltes zu einer Zurückweisung des Antrags wegen Unzulässigkeit und nicht zu einer Abweisung führen müsse.

Im Zuge der Einvernahme sei die BF zudem fortwährend damit konfrontiert worden, dass sie ihren Antrag zurückziehen müsse, andernfalls sie ein EU-weites Einreiseverbot erhalten würde. Darüber hinaus sei ihr dargetan worden, dass bereits feststehe, dass ihr Antrag abgewiesen werde und gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, womit die Behörde einen gravierenden Verstoß gegen das Antizipationsverbot offengelegt habe. Darüber hinaus habe es für eine Sicherstellung des Reisepasses gem. § 39 BFA-VG keine Grundlage gegeben, nachdem weder eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung, oder ein Aufenthaltsverbot zu vollziehen gewesen seien. Eine Sicherstellung für eine, allenfalls erst in Zukunft mögliche, Entscheidung der Behörde sei von Gesetzes wegen jedenfalls nicht vorgesehen, weshalb es sich um eine unzulässige Befehls- und Zwangsgewalt handle. Außerdem benötige sie ihren Reisepass, um sich im Bundesgebiet ausweisen zu können.

Zusätzlich müsse darauf hingewiesen werden, dass der Reisepass nicht zu den erkennungsdienstlichen Daten im Sinne des § 2 Abs. 5 Z 4 FPG, § 2 Abs. 2 AsylG bzw. § 58 Abs. 22 AsylG zähle, sodass auch aus diesem Grund die Sicherstellung absolut unzulässig gewesen sei. Letztlich dürfe eine Sicherstellung lediglich durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vorgenommen werden, wozu Mitarbeiter des BFA nicht zählen würden.

8. Mit Aktenvermerk vom 14.07.2020 wurde von Seiten des BFA zur Einvernahme am 09.07.2020 festgehalten, dass der Rechtsvertreter der BF die Einvernahme mehrfach gestört und diverse Unterlagen „auf Raten“ während der Einvernahme und bei Verkündung der beabsichtigten Entscheidung eingereicht habe, obwohl er zur Vorlage der gesamten Unterlagen bei Beginn der Einvernahme aufgefordert worden sei. Des Weiteres habe die BF in der niederschriftlichen Einvernahme zugegeben, dass sie schwarzarbeite, diese Aussage nach Übersetzung jedoch zu widerrufen versucht.

Außerdem sei anzumerken, dass die BF den Reisepass freiwillig und ohne Aufforderung zu Beginn der Einvernahme herausgegeben habe. Die BF sei absolut nicht ausreisewillig und unglaubwürdig, weshalb der Reisepass sicherzustellen gewesen sei.

9. Mit Schreiben vom 17.07.2020 legte das BFA eine Stellungnahme bezüglich der eingebrachten Maßnahmenbeschwerde vor und erklärte, dass ausdrücklich darauf hingewiesen werde, dass eine Antragstellung gem. § 55 AsylG gem. § 58 Abs. 13 AsylG nicht zum Aufenthalt berechtige und die BF im Verfahren deutlich zu verstehen gegeben habe, dass sie nicht bereit sei, ihren unrechtmäßigen Aufenthalt zu beenden oder im Falle einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme aus dem Bundesgebiet auszureisen. Aus diesem Grund sei eine Sicherstellung des Reisepasses vorgesehen und gerechtfertigt gewesen. Gem. § 39 Abs. 1 BFA-VG seien die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, die Beweismittel vorläufig sicherzustellen. Diese Ermächtigung erstrecke sich jedoch gem. § 2 Abs. 5 BFA-G unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Bedienstete des BFA. Bei der verfahrensführenden Referentin handle es sich um eine ermächtigte Mitarbeiterin des BFA.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der Beurteilung wird der oben unter Punkt 1. wiedergegebene Verfahrensgang als Sachverhalt zugrunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt sowie aus der verfahrensgegenständlichen Maßnahmenbeschwerde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3.wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß Art. 132 Abs. 2 B-VG kann gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt Beschwerde erheben, wer durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Im vorliegenden Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt somit in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung gem. § 6 BVwGG dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

3.1. Zu der Maßnahmenbeschwerde:

§ 39 BFA-VG lautet auszugsweise:

"Sicherstellen von Beweismitteln

§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Gegenstände und Dokumente, die für ein Verfahren vor dem Bundesamt oder für eine Abschiebung gemäß § 46 FPG als Beweismittel benötigt werden, vorläufig sicherzustellen. […]

(2) Als Beweismittel gelten auch Gegenstände oder Dokumente, die im Zuge der Vollziehung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes, insbesondere zur Erlangung eines Ersatzreisedokuments für die Abschiebung, benötigt werden.

(3) Über die Sicherstellung gemäß Abs. 1 und 1a ist dem Betroffenen eine schriftliche Bestätigung auszufolgen […]. Die Beweismittel sind dem Bundesamt zu übergeben und von diesem, sobald sie nicht mehr für das Verfahren oder für eine Abschiebung benötigt werden, dem Betroffenen zurückzustellen, es sei denn, sie wären nach einem anderen Bundesgesetz sicherzustellen […].“

§ 39 BFA-VG entspricht dem geltenden § 38 FPG sowie den §§ 21 und 44 Abs. 4 AsylG und zielt darauf ab, Beweismittel für Verfahren vor dem Bundesamt oder eine Abschiebung zu sichern (vgl. RV 1803 XXIV. GP).

Hinsichtlich der vergleichbaren Regelung des § 38 FPG ("Sicherstellung von Beweismitteln") hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen:

"Benötigt die Fremdenpolizeibehörde Beweismittel iSd § 38 Abs. 3 FrPolG 2005, worunter insbesondere Dokumente zu verstehen sind, nicht mehr, so hat sie diese dem Betroffenen zurückzustellen. Mit dieser behördlichen Verpflichtung korrespondiert eine entsprechende Berechtigung des Betroffenen, was aus seinem konkreten Interesse am Erhalt bzw. Besitz seiner Dokumente resultiert. Ist für die Festlegung behördlicher Pflichten das Interesse individualisierbarer Personen ausschlaggebend, so ist nämlich davon auszugehen, dass diesen Personen eine Berechtigung eingeräumt wird (vgl. VwSlg 9151 A/1976). Das zieht die Parteistellung bzw. die Befugnis zur Rechtsverfolgung nach sich. Konsequenz ist, dass einem Fremden, der die Ausfolgung seiner Dokumente begehrt, nicht entgegengehalten werden kann, ihm komme keine Antragslegitimation zu. Das hat der VwGH schon im Ablehnungsbeschluss vom 29. September 2011, 2010/21/0111, zum Ausdruck gebracht, in dem er auf die Pflicht der Fremdenpolizeibehörde, über einen Ausfolgeantrag (so sie ihm nicht stattgibt) mit Bescheid abzusprechen sowie auf den Grundsatz der Subsidiarität der Beschwerdemöglichkeiten nach § 88 SPG 1991 hingewiesen hat. Eine bloße Antragszurückweisung mangels Antragslegitimation war damit nicht gemeint; andernfalls hätte auch der diesem Hinweis vorangestellte Grundsatz der Subsidiarität der Beschwerdemöglichkeiten nach § 88 SPG 1991 keinen Sinn gemacht."

Diese Judikatur ist ob der Wesensgleichheit der Regelungen des § 38 FPG und des § 39 BFA-VG auf den gegenständlich zu beurteilenden Fall übertragbar.

Nach § 39 Abs. 2 BFA-VG gelten als Beweismittel u.a. auch Dokumente, die im Zuge der Vollziehung einer Rückkehrentscheidung benötigt werden, was für den sichergestellten Reisepass jedenfalls gilt.

Hinsichtlich des Argumentes des BFA, die BF habe ihren Reisepass freiwillig herausgegeben, sei anzumerken, dass sich im Laufe der Einvernahme zweifelsfrei ergeben hat, dass die BF den Reisepass im Zuge der Einvernahme zurückerhalten wollte, zumal der Rechtsvertreter der BF ankündigte, Beschwerde zu erheben.

Der VwGH sprach in seiner Entscheidung vom 24.01.2019, Ra 2018/21/0239, aus, dass für den Fall, dass ein Reisepass von einem Fremden (zunächst) freiwillig herausgegeben wurde, das Vorliegen einer mit Beschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG bekämpfbaren Maßnahme nicht ausschließt. Vielmehr kommt es ergänzend darauf an, in welchem Rahmen die freiwillige Vorlage des Reisepasses erfolgte. Wäre das in der Erwartung alsbaldiger Rückstellung, zB nach Einsichtnahme und Anfertigung einer Kopie, geschehen und wäre eine solche Rückstellung dann trotz darauf erkennbar gerichteten Willens des Fremden unterblieben, so hätte die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht verneint werden dürfen (vgl. VfSlg. 8.131/1977 und VfSlg. 8.879/1980; VwGH 17.6.1992, 91/02/0052).

Aus dem Akteninhalt und der niederschriftlichen Einvernahme ergibt sich, dass beim BFA nach wie vor das amtswegig eingeleitete Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die BF anhängig ist. Im Hinblick darauf ist die Sicherstellung des Reisepasses nicht zu beanstanden (vgl. VwGH 05.07.2012, 2011/21/0158).

Unzulässig wäre die Sicherstellung nur dann, wenn sie sich im Einzelfall als unverhältnismäßig erwiese. Das war in der vorliegenden Konstellation schon vor dem Hintergrund des anhängigen Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen die BF nicht der Fall. Umstände, insbesondere konkret drohende Nachteile, die eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses begründen könnten, hat die BF darüber hinaus auch nicht dargelegt (vgl. dazu VwGH 29.02.2012, Zl. 2010/21/0195).

Im gegenständlichen Fall ist ersichtlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet worden ist, wobei das diesbezügliche Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurde. Zu der wesensgleichen Regelung des § 38 FPG („Sicherstellung von Beweismitteln“) hat der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, dass die mangelnde Durchsetzbarkeit einer Ausweisung noch nicht die Sicherstellung eines für die Vollziehung der Ausweisung benötigten Dokuments gemäß § 38 FPG hindert. Es ist den Behörden nämlich nicht generell verwehrt, Schritte zur Vorbereitung einer Abschiebung zu setzen, auch wenn im Hinblick auf ein anhängiges Verfahren noch nicht feststehe, ob diese tatsächlich zulässig sein werde. Unzulässig wäre die Sicherstellung nur dann, wenn sie sich im Einzelfall als unverhältnismäßig erweise (VwGH 29.02.2012, 2010/21/0195 und 25.04.2014, 2013/21/0255).

Im Hinblick darauf, dass die BF aktuell über keinen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet verfügt, durfte die Behörde – trotz ihres Antrags vom 26.09.2019 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005- davon ausgehen, dass der Reisepass als Beweismittel für eine (allfällige) Abschiebung benötigt wird (vgl. VwGH 30.08.2011, 2010/21/0188). Dies insbesondere deshalb, da die BF zum einen im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme deutlich zu verstehen gab, dass sie nicht bereit ist, das Bundesgebiet zu verlassen, in dem sie angab: „Ich habe alles hier, Ausbildungen, ich kämpfe weiter für meine Rechte und Pflichten.“ Zum anderen ist die BF als Person nicht vertrauenswürdig, da sie bei Stellung des Antrages, nach Erteilung des Verbesserungsauftrages, am 26.09.2019 angab, ihren Reisepass verloren zu haben. Sie legte eine Verlustmeldung ebenfalls vom 26.09.2019 vor, in der angegeben wurde, dass sie ihren Reisepass ein Monat zuvor – am 26.08.2019 – verloren habe. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme legte die BF ihren – verloren geglaubten – Reisepass plötzlich doch vor. Die BF verweigerte bis dato die Ausreise und verharrte illegal im Bundesgebiet, weshalb die belangte Behörde davon ausgehen konnte, dass der Reisepass als Beweismittel für eine Abschiebung nötig sein wird.

Umstände, insbesondere konkret drohende Nachteile, die eine Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung des Reisepasses begründen könnten, hat die BF mit dem Vorbringen, sie könne sich gegenüber Behörden und der Post nicht ausreichend ausweisen, nicht dargelegt (vgl. dazu VwGH 29.2.2012, Zl. 2010/21/0195). Dies auch insbesondere deshalb, da die BF über einen alten Reisepass verfügt, mit welchem sie sich in Verbindung mit einer Kopie des neuen Reispasses und der Bestätigung des BFA ausweisen kann.

Hinsichtlich der Sicherstellung des Reisepasses durch Mitarbeiter des BFA ist festzuhalten, dass gem. § 2 Abs. 5 BFA-G der Direktor des BFA Bedienstete zur Ausübung von gemäß §§ 38 Abs. 1 Z 3 und 4 und Abs. 2, 39 Abs. 1 und 42 Abs. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 vorgesehener Befehls- und Zwangsgewalt ermächtigen kann, sofern diese dafür geeignet und besonders geschult sind. Für diese Organe gilt die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden – RLV, BGBl. Nr. 266/1993.

Der Stellungnahme des BFA vom 17.07.2020 ist zu entnehmen, dass es sich bei der verfahrensführenden Referentin um eine ermächtigte Mitarbeiterin des BFA handelt, weshalb sie gem. § 39 Abs. 1 BFA-VG die Sicherstellung des Reisepasses vornehmen konnte.

Das Ende der Einbehaltungsfrist der sichergestellten Dokumente wird in § 39 BFA-VG grundsätzlich - abgesehen von behördeninternen Weiterleitungen - dadurch definiert, ob sie noch für das Verfahren oder die Abschiebung benötigt werden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 39 BFA-VG K8).

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG).

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt war und Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die für die gegenständliche Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht vorlagen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen wird auf die unter Pkt. 3 näher angeführte Begründung verwiesen.

Schlagworte

Abschiebung aufschiebende Wirkung aufschiebende Wirkung - Entfall Befehls- und Zwangsgewalt Beweismittel illegaler Aufenthalt Maßnahmenbeschwerde Reisedokument Sicherstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W279.2232952.1.00

Im RIS seit

14.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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