TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/13 G314 2228873-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.10.2020
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Entscheidungsdatum

13.10.2020

Norm

AVG §7 Abs1 Z3
B-VG Art133 Abs4
GEG §6
GEG §6a
GEG §6a Abs1
GEG §9 Abs1
GEG §9 Abs2
GEG §9 Abs4
GGG Art1 §16 Abs1 Z1 litc
GGG Art1 §2 Z1 lita
GGG Art1 §31 Abs1
GGG Art1 §31 Abs2
GGG Art1 §32
GGG Art1 §4 Abs4
GGG Art1 §7 Abs1 Z1
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1
VwGVG §7 Abs4

Spruch

G314 2228873-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde 1. der XXXX und 2. des XXXX , gegen den Bescheid der Präsidentin des Landesgerichts XXXX vom XXXX 01.2020, XXXX , wegen Gerichtsgebühren A) beschlossen und B) zu Recht erkannt:

A)

1.       Der Ablehnungsantrag vom 23.03.2020 wird als unzulässig zurückgewiesen.  

2.       Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

3.       Die Beschwerde des XXXX wird als verspätet zurückgewiesen.

4.       Der Antrag auf Herabsetzung, in eventu Stundung, der Gebühren wird wegen Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zurückgewiesen.

B)       

Im Übrigen wird die Beschwerde der XXXX als unbegründet abgewiesen.

C)       

Die Revision ist jeweils gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang und Sachverhalt:

Der Zweitbeschwerdeführer (BF2), ein XXXX , brachte am 19.11.2019 als Vertreter der Erstbeschwerdeführerin (BF1) im Verfahren XXXX des Bezirksgerichts XXXX im elektronischen Rechtsverkehr eine Besitzstörungsklage gegen eine beklagte Partei ein.

Nach einem erfolglosen Versuch, die Pauschalgebühr einzuziehen, wurden der BF1 mit dem als Mandatsbescheid erlassenen Zahlungsauftrag vom XXXX 11.2019 die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG von EUR 107, die Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs 1 GEG von EUR 8 sowie der Mehrbetrag gemäß § 31 GGG von EUR 22 (insgesamt daher EUR 137) zur Zahlung vorgeschrieben. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass der BF2 hinsichtlich des Mehrbetrags und der Einhebungsgebühr als Bürge und Zahler zahlungspflichtig sei.

Aufgrund der dagegen von den BF erhobenen Vorstellung wurden der BF1 mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid folgende Gerichtsgebühren vorgeschrieben:

Pauschalgebühr TP 1 GGG (Bemessungsgrundlage: EUR 750) EUR       107
Einhebungsgebühr § 6a Abs 1 GEG         EUR      8
Mehrbetrag § 31 GGG         EUR      22
Summe          EUR      137

Gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass für den Mehrbetrag und die Einhebungsgebühr auch der BF2 als Bürge und Zahler zahlungspflichtig sei.

In der Begründung des Bescheids werden Grund und Höhe der zu entrichtenden Gebühren unter Angabe der gesetzlichen Grundlagen detailliert angeführt und dargelegt, dass gegen das System der Gerichtsgebühren keine (verfassungsrechtlichen) Bedenken bestünden.

Der Bescheid wurde der BF1 am 14.01.2020 und dem BF2 am 13.01.2020 zugestellt. Dagegen richtet sich die nur von der BF1 erhobene Beschwerde, die am 10.02.2020 bei der Präsidentin des Landesgerichts XXXX per Fax eingebracht wurde. Diese legte die Beschwerde und die Verfahrensakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Das BVwG trug der BF1 mit dem Mängelbehebungsauftrag vom 04.03.2020 auf, die Beschwerde innerhalb von zehn Tagen ab Zustellung des Auftrags von ihrer Geschäftsführerin unterschrieben vorzulegen; außerdem wurde aufgetragen, deren Identität und die Authentizität des Anbringens (etwa durch Vorlage einer Reisepasskopie) nachzuweisen. Der Mängelbehebungsauftrag wurde der BF1 durch Hinterlegung am 12.03.2020 (Beginn der Abholfrist) zugestellt.

Mit der Faxeingabe vom 17.03.2020 beantragten die BF die Erstreckung der Frist zur Mängelbehebung bis 01.07.2020, weil nach dem Ableben ihres früheren Rechtsvertreters XXXX zwar schon eine neue Rechtsvertretung gefunden worden, deren „Aktivierung“ jedoch aufgrund des Corona-Virus unmöglich sei. Die Leiterin der Gerichtsabteilung G314 lehnte als zuständige Richterin des BVwG in einem Telefonat mit der Geschäftsführerin der BF1 die Erstreckung der Frist ab.

Mit der Eingabe vom 23.03.2020 lehnte die BF1 die Leiterin der Gerichtsabteilung G314 des BVwG wegen Zweifeln an deren Unbefangenheit ab. Dies wurde damit begründet, dass die Geschäftsführerin der BF1 schwanger und die Befolgung des Mängelbehebungsauftrags, für die sie das Haus verlassen müsse, für sie angesichts der sich bereits abzeichnenden COVID-19-Krise besonders gefährlich sei. Die Richterin habe sie durch die Ablehnung der Fristerstreckung unnötig einer schweren Gefahr ausgesetzt und sie bei dem Telefonat nicht nach ihrer Schutzbedürftigkeit gefragt, obwohl ihr die damals bereits geplanten gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sicher bekannt gewesen seien.

Am 11.05.2020 wurde eine Ausfertigung der Beschwerde beim BVwG überreicht, in der erstmals auch der BF2 als Beschwerdeführer aufscheint und die sowohl von ihm als auch von der Geschäftsführerin der BF1 unterschrieben wurde. Darin beantragen die BF, den angefochtenen Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben und das Verfahren einzustellen, in eventu, die Gebühren herabzusetzen, in eventu, sie bis zum Abschluss des Grundverfahrens zu stunden, sowie gemäß Art 267 AEUV eine Vorabentscheidung einzuholen oder die Angelegenheit zur Durchführung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 140 B-VG dem Verfassungsgerichtshof vorzulegen. Außerdem wird beantragt, der Beschwerde „bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dieser Angelegenheit“ die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass die Gerichtsgebühren zu hoch seien. Das System der Gerichtsgebühren sei nicht verfassungskonform; es verletze Art 6 EMRK und Art 7 B-VG. Art 18 B-VG werde durch die überhöhten Gerichtsgebühren, für die es keine sachliche Rechtfertigung gebe, umgangen. Es würden nicht alle, die keine ausreichenden Mittel zur Finanzierung eines Rechtsstreits hätten, Verfahrenshilfe erhalten. Personen, denen die Verfahrenshilfe nicht bewilligt werde, könnten ihr Recht aus finanziellen Gründen weder aktiv noch passiv geltend machen. Gerechtigkeit könne nicht davon abhängig gemacht werden, ob sich eine Partei die Gerichtsgebühren leisten könne. Die Gebühren seien unabhängig vom Prozessaufwand und von der Verfahrensdauer bei der Einbringung zu entrichten; dies widerspräche dem Recht auf ein faires Verfahren. Es sei absurd, wenn jemand in einem Verfahren obsiege und trotzdem die Gerichtsgebühren tragen müsse, weil das Exekutionsverfahren gegen den Gegner erfolglos bleibe. Es sei unverständlich, dass die Gerichtsgebühren am Beginn eines Verfahrens zu zahlen seien, obwohl mitunter Monate bis zur ersten Tagsatzung vergingen. 110 % der Justizkosten in Österreich würden durch Gebühren finanziert, die daher eine unzulässige Steuer seien. Es sei unverständlich, dass die Gerichtsgebühren vom Streitwert abhängig seien, zumal der Aufwand für das Gericht nicht mit dem Streitwert ansteige. Richter würden die Nichtzahlung von Gerichtsgebühren (zu Unrecht) als Missachtung des Gerichts ansehen. Die Pauschalgebühr von EUR 107 sei zwar auf den ersten Blick gering; die BF1 sei aber auf einmal mit ungefähr 500 Besitzstörern konfrontiert gewesen und müsse gegen jeden von ihnen vorgehen. Ihr Zugang zum Recht werde faktisch vereitelt, weil es in Summe um Gerichtsgebühren von EUR 68.500 gehe. Für die Haftung des BF2 gebe es keine grundrechtskonforme Rechtfertigung. Der EGMR und der EuGH hätten bereits ausgesprochen, dass der Rechtsvertreter nicht zur Haftung für Gerichtsgebühren gezwungen werden dürfe. Der Antrag, die Gebühren herabzusetzen, wird damit begründet, dass es sich in der Gesamtheit um „Unsummen“ handle, die in keinem Verhältnis zum Arbeitsaufwand stünden. Die BF hätten das Recht auf Herabsetzung der Gebühren und Stundung bis zur rechtskräftigen Erledigung des Grundverfahrens. Dazu wurden mehrere Artikel vorgelegt, die u.a. die Höhe und das System der Gerichtsgebühren in Österreich kritisieren.

Mit Schreiben vom 22.09.2020 teilte das BVwG dem BF2 mit, dass seine Beschwerde nach der Aktenlage verspätet sei, weil er erst in der am 11.05.2020 beim BVwG eingebrachten Verbesserung der Beschwerde als Beschwerdeführer aufscheine. Gleichzeitig wurde er aufgefordert, sich dazu binnen einer Woche zu äußern. In seiner Stellungnahme vom 01.10.2020 bringt er vor, dass seine Beschwerde rechtzeitig sei, weil er aufgrund eines offenkundigen Fehlers nicht als Beschwerdeführer angeführt worden sei, was aus dem Beschwerdetext und dem Beschwerdeantrag klar ersichtlich sei. Da im angefochtenen Bescheid ohne sachlichen Grund seine Haftung für den Mehrbetrag und die Einhebungsgebühr festgelegt worden sei, sei er zur Beschwerde legitimiert.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich widerspruchsfrei aus den vorgelegten Akten.

In der Beschwerde der BF1, die den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen nicht konkret entgegentritt, wird im Wesentlichen nur die rechtliche Beurteilung der Vorschreibungsbehörde bekämpft.

In der bei der Präsidentin des Landesgerichts XXXX eingebrachten Beschwerde wird nur die BF1 als Beschwerdeführerin genannt. Der BF2 scheint in dieser Eingabe nicht als Beschwerdeführer auf. Erst in der am 11.05.2020 übermittelten Beschwerde wurde sein Name sowohl im Rubrum als auch am Schluss des Schriftsatzes handschriftlich ergänzt; diese Beschwerdeausfertigung trägt auch seine Unterschrift. Der BF2 trat somit erst im Mai 2020 als weiterer Beschwerdeführer in Erscheinung.

In Übrigen steht der relevante Sachverhalt anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens fest, sodass sich mangels widerstreitender Beweisergebnisse eine eingehendere Beweiswürdigung erübrigt.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A) 1.:

Gemäß § 6 VwGVG haben sich u.a. Mitglieder des Verwaltungsgerichts unter Anzeige an den Präsidenten der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit von Amts wegen zu enthalten, wenn ein Befangenheitsgrund nach § 7 Abs 1 AVG vorliegt. Diesbezüglich fehlt ein Ablehnungsrecht der Parteien (siehe etwa VwGH 28.03.2018, Ra 2017/07/0312). Der Ablehnungsantrag der BF1 ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die für dieses Verfahren zuständige Richterin des BVwG ist nicht befangen iSd § 7 Abs 1 AVG. Insbesondere liegen keine Gründe iSd § 7 Abs 1 Z 3 AVG vor, die geeignet wären, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Jeder Vorwurf einer Befangenheit hat konkrete Umstände aufzuzeigen, die die Objektivität des Entscheidungsträgers in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist. Nur eindeutige Hinweise, dass ein Entscheidungsträger seine vorgefasste Meinung nicht nach Maßgabe der Verfahrensergebnisse zu ändern bereit ist, können seine Unbefangenheit in Zweifel ziehen (siehe VwGH 21.06.2017, Ra 2017/03/0016).

Solche Hinweise liegen hier nicht vor. So hat die Richterin der BF1 Gelegenheit zur Verbesserung der Beschwerde gegeben und das Einlangen der verbesserten Beschwerde vor der Entscheidung abgewartet. Weder hat sie verlangt, dass die Geschäftsführerin der BF1 für die Mängelbehebung selbst das Haus verlässt, noch gehören Schwangere zu einer besonderen COVID-19-Risikogruppe (siehe https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen/FAQ--Risikogruppen.html; Zugriff am 08.10.2020). Die BF1 war in diesem Verfahren nie vertreten, zumal XXXX , der sie früher in ähnlichen Verfahren vertreten hatte, bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheids verstorben war. Bis zur Erteilung des Mängelbehebungsauftrags im März 2020 hatte die BF1 ausreichend Zeit, sich (so gewünscht) um eine Rechtsvertretung in diesem Verfahren zu kümmern, war dazu aber auch nicht verpflichtet, zumal im Verfahren vor dem BVwG kein Anwaltszwang besteht.

Letztlich würde sogar eine unrichtige Ablehnung der Fristerstreckung nicht zu einer Besorgnis der Befangenheit (also der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive) führen, zumal die Richtigkeit einer Entscheidung im Rechtsmittelverfahren zu überprüfen ist. Der Umstand, dass eine Partei eine Entscheidung für unzutreffend erachtet, ist keine hinreichende Grundlage für die Annahme einer Befangenheit (vgl. VwGH 16.12.2015, 2015/03/0005).

Zu Spruchteil A) 2.:

Gemäß § 13 Abs 1 VwGVG haben Bescheidbeschwerden grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Da diese hier nicht ausgeschlossen wurde, kann sie der Beschwerde auch nicht vom BVwG zuerkannt werden. Der darauf gerichtete Antrag in der Beschwerde ist daher ebenfalls als unzulässig zurückzuweisen.

Zu Spruchteil A) 3.:

Die Frist zur Erhebung einer Bescheidbeschwerde beträgt gemäß § 7 Abs 4 VwGVG vier Wochen ab Zustellung des Bescheids; sie ist bei der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, einzubringen. Innerhalb dieser Frist hat zwar die BF1, nicht aber der BF2 eine Beschwerde bei der Präsidentin des Landesgerichts XXXX als Vorschreibungsbehörde eingebracht. Die erst am 11.05.2020 beim BVwG eingebrachte Beschwerde des BF2 ist daher als verspätet zurückzuweisen. Der Umstand, dass er allenfalls versehentlich nicht als Beschwerdeführer in der ursprünglichen Fassung der Beschwerde genannt wurde, führt nicht dazu, dass seine Beschwerde nun als rechtzeitig anzusehen wäre. Die rechtzeitige und zulässige Beschwerde der BF1 ist dagegen meritorisch zu behandeln.

Zu Spruchteil A) 4.:

§ 9 Abs 1 GEG erlaubt eine Verlängerung der Zahlungsfrist oder eine Ratenzahlung, wenn die sofortige Einbringung der Gerichtsgebühren mit besondere Härte verbunden wäre. § 9 Abs 2 GEG ermöglicht einen rückwirkenden Gebührennachlass für den Fall, dass deren Zahlung für den Zahlungspflichtigen eine besondere Härte bedeutet. Voraussetzung ist in beiden Fällen ein konkret begründeter Antrag der betroffenen Partei, über den gemäß § 9 Abs 4 GEG der Präsident des Oberlandesgerichts Wien (der mit der Ausfertigung einen Bediensteten der Einbringungsstelle ermächtigen kann) im Justizverwaltungsverfahren durch Bescheid entscheidet.

Hier wurde erstmals in der Beschwerde ein Antrag auf Herabsetzung und auf Stundung der vorgeschriebenen Gerichtsgebühren gestellt, den nicht damit begründet wird, dass deren Zahlung oder Einbringung eine besondere Härte darstelle, sondern mit der unverhältnismäßigen Höhe der Gebühren. Für die Entscheidung über diesen Antrag ist nicht das BVwG, sondern gemäß § 9 Abs 4 GEG der Präsident des Oberlandesgerichts Wien zuständig. Dessen Zuständigkeit besteht erst nach der Entscheidung über den auf Behebung des angefochtenen Bescheids gerichteten primären Beschwerdeantrag, weil die BF1 (arg „in eventu“) in der Beschwerde eine Reihung ihrer Anträge vorgenommen und die Herabsetzung bzw. Stundung der Gebühren hilfsweise nur für den Fall beantragt hat, dass dem Primärantrag auf Behebung des angefochtenen Bescheids nicht Folge gegeben wird (siehe BVwG 01.03.2016, W208 2118846-1/5E). Der Nachlass- und Stundungsantrag ist daher zurückzuweisen.

Die in der Beschwerde zitierte Entscheidung des EGMR vom 09.12.2010, 35123/05 Urbanek gegen Österreich, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach dieser Entscheidung kann aus Art 6 Abs 1 EMRK kein Recht auf ein kostenloses Gerichtsverfahren in zivilrechtlichen Angelegenheiten abgeleitet werden. Die Notwendigkeit, Zivilgerichten Gerichtsgebühren zu erstatten, ist für sich genommen keine mit der EMRK unvereinbare Beschränkung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht, zumal das Tätigwerden der Gerichte nicht von der Zahlung der Gerichtsgebühren abhängt. Die Einrichtung eines Systems, das Gerichtsgebühren für geldwerte Klagen an den Streitwert knüpft, fällt nach der Ansicht des EGMR in den staatlichen Ermessensspielraum, zumal das Gerichtsgebührensystem in Österreich durch die Möglichkeiten der vollen oder teilweisen Befreiung von Gebühren oder deren Reduktion nach § 63 Abs 1 ZPO sowie § 9 Abs 1 und 2 GEG ausreichend flexibel ist. Aus dieser Entscheidung des EGMR ergibt sich gerade nicht, dass die BF ohne weiteres ein Recht auf eine Reduktion der Gerichtsgebühren oder deren Stundung bis zur Erledigung des Grundverfahrens haben.

Zu Spruchteil B):

Der Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG unterliegen nach Anmerkung 1 zu TP 1 GGG alle mittels Klage einzuleitenden gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, also auch die von der BF1 als klagender Partei erhobene Besitzstörungsklage, bei der die Bemessungsgrundlage gemäß § 16 Abs 1 Z 1 lit c GGG EUR 750 beträgt. Ausgehend davon ergibt sich aus TP 1 Z I GGG für das zivilgerichtliche Verfahren erster Instanz hier eine Pauschalgebühr von EUR 107.

Gemäß § 2 Z 1 lit a iVm TP 1 GGG entsteht der Anspruch des Bundes auf die Pauschalgebühren für das zivilgerichtliche Verfahren erster Instanz mit der Überreichung der Klage. Zahlungspflichtig ist dabei gemäß § 7 Abs 1 Z 1 GGG der Kläger. Gemäß § 4 Abs 4 GGG sind jene Gebühren, bei denen der Anspruch des Bundes mit der Überreichung der Eingabe begründet wird, durch Abbuchung und Einziehung zu entrichten, wenn die Eingabe im Weg des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht wird.

Gemäß § 31 Abs 1 GGG ist von den zur Zahlung verpflichteten Personen ein Mehrbetrag von EUR 22 zu erheben, wenn der Anspruch des Bundes auf eine Gebühr mit der Überreichung der Eingabe begründet und die Gebühr nicht (vollständig) beigebracht wurde oder die Einziehung von Gerichtsgebühren erfolglos blieb. Für diesen Mehrbetrag haften gemäß § 31 Abs 2 GGG die Bevollmächtigten und die gesetzlichen Vertreter, die den Schriftsatz, durch dessen Überreichung der Anspruch des Bundes auf die Gebühr begründet wird, verfasst oder überreicht haben, als Bürge und Zahler mit den zur Zahlung der Gebühr verpflichteten Personen.

Gemäß § 32 GGG gelten für die Einbringung der Gerichtsgebühren die Bestimmungen des GEG. Gemäß § 1 Z 1 GEG sind Gerichtsgebühren von Amts wegen einzubringen. Werden Gerichtsgebühren nicht sogleich entrichtet oder ist die Einziehung erfolglos geblieben, so sind sie gemäß § 6a Abs 1 GEG durch Bescheid zu bestimmen (Zahlungsauftrag). Der Zahlungsauftrag hat eine Aufstellung der geschuldeten Beträge und die Aufforderung, diese binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu zahlen, zu enthalten. Gleichzeitig ist dem Zahlungspflichtigen eine Einhebungsgebühr von EUR 8 vorzuschreiben.

Ausgehend von diesen gesetzlichen Grundlagen ist der angefochtene Bescheid nicht zu beanstanden. In diesem Zusammenhang kann auf die ausführliche und zutreffende Begründung der Präsidentin des Landesgerichts XXXX als Vorschreibungsbehörde verwiesen werden.

Das BVwG teilt die in der Beschwerde geäußerten grundsätzlichen verfassungs- und europarechtlichen Bedenken gegen das System der Gerichtsgebühren und gegen deren am Wert des Streitgegenstands orientierte Höhe – ausgehend von den bei Dokalik, Gerichtsgebühren13 bei § 1 GGG und bei TP 1 GGG E 1 ff angeführten höchstgerichtlichen Entscheidungen – nicht, sodass sowohl eine Antragstellung nach Art 140 B-VG als auch ein Vorabentscheidungsersuchen unterbleiben. Gerichtsgebühren sind nicht als Gegenleistungen für konkrete Leistungen konzipiert und unterliegen als solche keinem strengen (Kosten-) Äquivalenzprinzip, das die Erzielung fiskalischer Erträge für den Steuergläubiger ausschließt (siehe VfGH 18.06.2018, E 421/2018).

Vom EGMR wurde die Einrichtung eines Systems, das Gerichtsgebühren für geldwerte Klagen an den Streitwert knüpft, nicht beanstandet. Die Verpflichtung zur Zahlung von Gerichtsgebühren widerspricht dem Recht auf Zugang zu einem Gericht nicht (EGMR 19.06.2001, 28249/95 Kreuz gegen Polen), zumal das Tätigwerden der Gerichte nicht von der Zahlung der Gerichtsgebühren abhängt und Möglichkeiten der Gebührenbefreiung (z.B. Verfahrenshilfe, Stundungs- oder Nachlassantrag) bestehen (EGMR 09.12.2010, 35123/05 Urbanek gegen Österreich).

Eine exzessive Höhe der Gebühr liegt hier jedenfalls nicht vor, auch wenn berücksichtigt wird, dass die BF1 eine Vielzahl von Besitzstörungsklagen erhob, zumal gemäß § 63 Abs 2 ZPO auch einer juristischen Person die Verfahrenshilfe bewilligt werden kann, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Art 6 EMRK verwehrt den Vertragsstaaten nicht, Regelungen über den Zugang zu Gericht im Interesse des Funktionierens der Rechtspflege zu treffen. Durch das Institut der Verfahrenshilfe wird sichergestellt, dass auch wirtschaftlich schwächere Personen den gebührenden Rechtsschutz erfahren (RIS Justiz RS0109487). Wenn eine Vielzahl von Verfahren angestrengt wird und die finanziellen Mittel für einige, aber nicht für alle ausreichen, kann die Verfahrenshilfe für die Verfahren bewilligt werden, für die die erforderlichen Mittel nicht mehr (vollständig) aufgebracht werden können. Gemäß den §§ 63 Abs 1, 64 Abs 2 ZPO besteht auch die Möglichkeit einer Teilverfahrenshilfe in Form der Stundung der Pauschalgebühr auf bestimmte Dauer (etwa bis Verfahrenskosten - allenfalls teilweise - von unterliegenden Prozessgegnern einbringlich gemacht werden können). Außerdem besteht die Möglichkeit eines Stundungs- oder Nachlassantrags iSd § 9 GEG.

Die Beschwerde zeigt nicht konkret auf, inwieweit der angefochtene Bescheid in Anwendung von Unionsrecht erging und warum er europarechtswidrig sein soll. Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Sekundärrecht ergibt sich jedenfalls kein Anhaltspunkt dafür, dass Gerichtsgebühren den Handel oder den Kapital- und Zahlungsverkehr behindern könnten (VwGH 20.12.2007, 2004/16/0138).

Die Pauschalgebühr für die Besitzstörungsklage wurde nicht entrichtet; der Einziehungsversuch blieb erfolglos. Der BF2 hat die Klage, durch deren Überreichung der Anspruch des Bundes auf die Gebühr begründet wurde, als Bevollmächtigter der BF1 verfasst und überreicht. Damit trifft ihn nach § 31 Abs 2 GGG die Haftung für den Mehrbetrag als Bürge und Zahler neben der BF1. Für die Einhebungsgebühr gilt mangels einer entgegenstehenden Bestimmung dieselbe Form der Haftung wie für jene Beträge, zu deren Einbringung der Zahlungsauftrag erlassen wurde. Die Vorschreibung des Mehrbetrages samt Einhebungsgebühr an den BF2 als Bürgen und Zahler ist daher inhaltlich nicht zu beanstanden, zumal ihm als berufsmäßigem Parteienvertreter die Bestimmungen über die Gerichtsgebühren, insbesondere über das Entstehen des Gebührenanspruchs und der Haftungen, bekannt sind und ihm die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zu seinen Klienten obliegt. Ihm daraus erwachsene Nachteile hat er selbst zu verantworten und zu tragen (siehe VwGH 30.06.2005, 2005/16/0082).

Im Ergebnis ist die Beschwerde somit (soweit sie nicht zurückzuweisen ist) als unbegründet abzuweisen.

Eine mündliche Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 4 VwGVG, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden konnte und die mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache erwarten lässt.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zulässig, weil das BVwG bei der vorliegenden Einzelfallentscheidung keine grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne dieser Gesetzesstelle zu lösen hatte und sich an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte.

Schlagworte

Ablehnungsantrag aufschiebende Wirkung Besitzstörungsklage Einhebungsgebühr Eventualantrag Eventualbegehren Gerichtsgebühren Gerichtsgebührenpflicht Haftung Herabsetzung Mandatsbescheid Mehrbetrag Nachlass von Gerichtsgebühren Pauschalgebühren Pauschalgebührenauferlegung Primärantrag Rechtsmittelfrist Stundung Stundungsantrag Unionsrecht Unzuständigkeit BVwG verfassungsrechtliche Bedenken Verspätung Vorstellung Zahlungsauftrag Zurückweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2228873.1.00

Im RIS seit

12.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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