TE Vwgh Erkenntnis 2020/12/4 Ra 2020/01/0365

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Veröffentlicht am 04.12.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
25/01 Strafprozess
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §45 Abs2
StPO 1975 §259
StPO 1975 §260
StPO 1975 §336
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Terlitza, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. September 2020, Zl. I406 2162620-1/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M O in S, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte stellte am 2. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung gab er an, zwar eritreischer Staatsangehöriger, aber im Sudan geboren zu sein.

2        Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 6. Juni 2017 wurde dieser Antrag vollinhaltlich abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten in den Sudan zulässig sei (Spruchpunkt III.), sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).

3        Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) behob den angefochtenen Bescheid ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit (verfehlt als Erkenntnis ausgefertigtem) Beschluss vom 2. September 2020 und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück (Spruchpunkt A). Eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das BVwG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).

4        Begründend führte das BVwG aus, das BFA habe konkret geeignete Ermittlungsschritte zur Feststellung der Staatsangehörigkeit des Mitbeteiligten und damit verbunden die sich auf den Herkunftsstaat beziehenden Feststellungen unterlassen bzw. lediglich ansatzweise ermittelt. Der Beweiswürdigung des BFA könne nicht entnommen werden, aus welchen konkreten und logisch nachvollziehbaren Gründen es davon ausgehe, dass der Mitbeteiligte sudanesischer Staatsangehöriger sei. Dieser habe im Administrativverfahren durchgehend angegeben, zwar im Sudan geboren und aufgewachsen zu sein, jedoch die eritreische Staatsangehörigkeit von seinen Eltern abgeleitet zu haben. Weiters führte das BVwG aus, eine urkundentechnische Untersuchung des vom Mitbeteiligten vorgelegten eritreischen Personalausweises seiner Mutter habe ergeben, dass es sich dabei um eine Totalfälschung handle. Aus diesem Grund sei gegen ihn ein strafgerichtliches Verfahren wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden anhängig. Aus dem Akteninhalt gehe allerdings hervor, dass der Mitbeteiligte mit Urteil des zuständigen Bezirksgerichtes vom 19. Mai 2017 vom Vorwurf, er habe eine falsche Urkunde im Rechtsverkehr zum Nachweis seiner Staatsangehörigkeit gebraucht, rechtskräftig freigesprochen worden sei.

5        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das angefochtene Erkenntnis widerspreche der - näher genannten - ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit von Zurückverweisungsbeschlüssen nach § 28 Abs. 3 VwGVG. Die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfülle der angefochtene Beschluss nicht, sodass er von der dieser Rechtsprechung abweiche.

6        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision.

7        Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8        Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.

9        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist (vgl. grundlegend VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

10       Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, mwN).

11       Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. abermals VwGH 4.3.2020, Ra 2020/01/0010, mwN).

12       Das BFA hat seine beweiswürdigenden Erwägungen offengelegt und ist darauf basierend zu dem Schluss gekommen, der Mitbeteiligte sei sudanesischer Staatsangehöriger.

13       Fallbezogen können daher weder krasse bzw. gravierende Ermittlungslücken im Zusammenhang mit dem behördlichen Verfahren erkannt noch kann konstatiert werden, dass eine Ergänzung des bereits festgestellten Sachverhalts durch das BFA anstelle des BVwG im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Damit rechtfertigt die vom BVwG herangezogene Begründung keine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG.

14       Allein die Begründung des BVwG, die Beweiswürdigung könne nicht überzeugen, führt nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung zu vervollständigen sind. Auch wenn das Verwaltungsgericht die beweiswürdigenden Erwägungen einer Verwaltungsbehörde nicht teilt, führt dies allein noch nicht dazu, dass von einem Unterlassen gebotener Ermittlungsschritte im Sinne des § 28 Abs. 3 VwGVG gesprochen werden könnte (vgl. VwGH 30.3.2020, Ra 2019/14/0580, mwN).

15       Im Revisionsfall fehlt es an einer nachvollziehbaren Begründung, weshalb das BVwG dennoch vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ausgehen konnte.

16       Der angefochtene Beschluss war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17       Der Mitbeteiligte hat bei diesem Ergebnis gemäß § 47 Abs. 3 VwGG keinen Anspruch auf Aufwandersatz (vgl. etwa VwGH 28.1.2020, Ra 2018/01/0428).

18       Für das fortgesetzte Verfahren sei darauf hingewiesen, dass im Fall einer freisprechenden Entscheidung die Bindungswirkung strafgerichtlicher Entscheidungen nicht zum Tragen kommt. Diesfalls hat die zuständige Behörde bzw. das Verwaltungsgericht eine eigenständige Beurteilung vorzunehmen, was ein mängelfreies Ermittlungsverfahren und eine vollständige Beweiserhebung voraussetzt (vgl. VwGH 13.2.2020, Fe 2019/01/0001, mwN).

Wien, am 4. Dezember 2020

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung Verhältnis Gericht - Verwaltungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020010365.L00

Im RIS seit

18.01.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.01.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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