TE Lvwg Erkenntnis 2020/5/19 VGW-151/085/2750/2020

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Veröffentlicht am 19.05.2020
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Entscheidungsdatum

19.05.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

NAG 2005 §19 Abs2
NAG 2005 §21 Abs3
NAG 2005 §24 Abs4
NAG 2005 §26
VwGVG §20
AVG §6 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Richterin MMag. Dr. Salamun über die Beschwerde des Herrn A. B., geb. 1990, StA.: Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien, Magistratsabteilung 35, vom 2.1.2020, Zl. ..., betreffend das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG),

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG wird der angefochtene Bescheid behoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der „Eventualantrag“ des Beschwerdeführers vom 14.5.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Niederlassungsbewilligung-Künstler“ (nur selbständige Erwerbstätigkeit) gemäß § 43a Abs. 1 Z 2 NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Tätigkeit in der 3D Visualisierung von Bauprojekten und als 3D Designer nicht um eine künstlerische Tätigkeit handelt, sondern um eine Berufsausübung im Bereich der Architektur und Fotographie. Die ausgeübte Tätigkeit sei nicht überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt (unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 AuslBG) und komme die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung-Künstler“ nicht in Betracht.

II.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen ausführt, er sei als visual artist tätig und verkaufe die Nutzungsrechte seiner Werke, um sein Studium und seinen Lebensunterhalt zu sichern.

Auf Kundenwunsch erstelle er u.a. Bilder und Animationen oder biete graphische Leistungen (Graphikdesign) oder Webdesign Gestaltung an. Die Aufgabe des Beschwerdeführers sei es, die Ideen seiner Kunden zu visualisieren.

Er habe aufgrund seines künstlerischen Talents eigene Techniken und einen eigenen Style entwickelt sowie ausreichend Erfahrung und Talent, um zahlreiche Kunden zu überzeugen, für seine Werke auch mehr als das übliche zu zahlen.

III.

Da bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war, konnte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall VwGVG entfallen.

IV. Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

IV.1. Rechtsgrundlagen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, lauten:

„Schriftsätze

§ 12.

Bis zur Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht sind die Schriftsätze bei der belangten Behörde einzubringen. Dies gilt nicht in Rechtssachen gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG.

[…]

Schriftsätze

§ 20.

Die Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG und die sonstigen Schriftsätze im Verfahren über diese sind unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen. In allen sonstigen Verfahren sind die Schriftsätze ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht unmittelbar bei diesem einzubringen.

[…]

Prüfungsumfang

§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

[…]

Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.“

Die maßgeblichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2020, lauten:

„Gültigkeitsdauer von Aufenthaltstiteln

§ 20. (1) Befristete Aufenthaltstitel sind für die Dauer von zwölf Monaten oder für die in diesem Bundesgesetz bestimmte längere Dauer auszustellen, es sei denn, es wurde jeweils eine kürzere Dauer des Aufenthaltstitels beantragt oder das Reisedokument weist nicht die entsprechende Gültigkeitsdauer auf.

(1a) […]

(2) Die Gültigkeitsdauer eines Aufenthaltstitels beginnt mit dem Ausstellungsdatum, die Gültigkeitsdauer eines verlängerten Aufenthaltstitels mit dem auf den letzten Tag des letzten Aufenthaltstitels folgenden Tag, wenn seither nicht mehr als sechs Monate vergangen sind. Der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitraum zwischen Ablauf des letzten Aufenthaltstitels und Beginn der Gültigkeitsdauer des verlängerten Aufenthaltstitels ist gleichzeitig mit dessen Erteilung von Amts wegen gebührenfrei mit Bescheid festzustellen.

Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

2. Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;

3. Fremde bis längstens sechs Monate nach Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, oder der Staatsangehörigkeit der Schweiz oder eines EWR-Staates;

4. Kinder im Fall der Familienzusammenführung binnen sechs Monaten nach der Geburt, soweit der Zusammenführende, dem die Pflege und Erziehung zukommt, rechtmäßig aufhältig ist;

5. Fremde, die zur visumfreien Einreise berechtigt sind, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

6. Fremde, die eine Niederlassungsbewilligung – Forscher“ (§ 43c) beantragen, und deren Familienangehörige sowie Fremde, die eine Aufenthaltsbewilligung „Student“ oder eine Aufenthaltsbewilligung „Freiwilliger“ beantragen, jeweils nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

7. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einem Visum gemäß § 24a FPG;

8. Drittstaatsangehörige, die gemäß § 1 Abs. 2 lit. i oder j AuslBG oder § 1 Z 5, 7 oder 9 AuslBVO vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen sind oder die unter § 1 Z 4 Personengruppenverordnung 2014 – PersGV 2014, BGBl. II Nr. 340/2013, fallen und die eine „Niederlassungsbewilligung – Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ oder eine Aufenthaltsbewilligung „Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit“ beantragen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

9. Drittstaatsangehörige, die über ein österreichisches Reife-, Reifeprüfungs- oder Diplomprüfungszeugnis einer in- oder ausländischen Schule verfügen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts und

10. Drittstaatsangehörige, die über einen gültigen Aufenthaltstitel „ICT“ eines anderen Mitgliedstaates (§ 58a) oder einen gültigen Aufenthaltstitel „Forscher“ eines anderen Mitgliedstaates (§ 61) verfügen.

(3) Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§ 2 Abs. 1 Z 17) zur Wahrung des Kindeswohls oder

2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.

(4) – (5) […]

(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1, Z 4 bis 9, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.

[…]

Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) - (3) [...]

(4) Mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) kann bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen.

[…]

Zweckänderungsverfahren

§ 26. Wenn der Fremde den Aufenthaltszweck während seines Aufenthalts in Österreich ändern will, hat er dies der Behörde im Inland unverzüglich bekannt zu geben. Eine Zweckänderung ist nur zulässig, wenn der Fremde die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel erfüllt und ein gegebenenfalls erforderlicher Quotenplatz zur Verfügung steht. Sind alle Voraussetzungen gegeben, hat der Fremde einen Rechtsanspruch auf Erteilung dieses Aufenthaltstitels. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag abzuweisen; die Abweisung hat keine Auswirkung auf das bestehende Aufenthaltsrecht.“

IV.2. Sachverhalt:

Aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers, der Akten der behördlichen Verfahren und der Akten des Verwaltungsgerichts Wien (einschließlich der beigeschafften Akten zu den GZ: VGW-151/016/15917/2018 und VGW-151/023/3860/2018) wird folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Der Beschwerdeführer ist bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger und wurde am …1990 geboren. Er verfügt über einen bis 2.10.2025 gültigen Reisepass.

Der Beschwerdeführer verfügte seit 2012 bis 2018 über Aufenthaltsbewilligungen für Studierende. Der am 19.12.2017 eingebrachte Verlängerungsantrag wurde mit Bescheid vom 12.2.2018 mangels ausreichenden Studienerfolgs abgewiesen (zugestellt am 16.2.2018). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgericht Wien mit Erkenntnis vom 9.5.2018 zur GZ: VGW-151/023/3860/2018 abgewiesen.

Dieses Erkenntnis wurde am 14.5.2018 um 7:13:34 Uhr abgefertigt und dem Beschwerdeführer am 15.5.2018 zugestellt. Der belangten Behörde wurde das Erkenntnis ebenfalls am 15.5.2018 zugestellt, dem Bundesminister für Inneres am 16.5.2018.

Am selben Tag, am 14.5.2018, um 10:36 Uhr brachte der Beschwerdeführer mit per E-Mail übermitteltem Schriftsatz seiner rechtsfreundlichen Vertreterin bei der belangten Behörde „Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung-Künstler“ ein. Der Schriftsatz war mit 11.5.2018 datiert und lautete auszugsweise:

„[…] die Behörde wolle - für den Fall, dass die Verlängerung des derzeitigen Aufenthaltstitels „Student“ abgewiesen werden sollte – dem Antragsteller eine Niederlassungsbewilligung- Künstler zuerkennen.

Begründet wird dies wie folgt:

Da das Verfahren auf Verlängerung des derzeitigen Aufenthaltstitels „Student“ nicht rechtskräftig abgeschlossen ist, ist ein Zweckänderungsantrag zu stellen. Dieser gilt für den Fall, wie oben ausgeführt, dass der Verlängerung des derzeitigen Aufenthaltstitels „Student“ nicht stattgegeben werden sollte.

 

Dieser Antrag werde insofern schriftlich gestellt, als die belangte Behörde rechtswidrig den Zweckänderungsantrag „Niederlassungsbewilligung-Künstler“ verweigerte entgegenzunehmen, obwohl diesen der Antragsteller persönlich bei der Behörde einbringen wollte.

Um Missverständnissen vorzubeugen wird bereits jetzt darauf hingewiesen, dass es der Behörde bekannt ist, dass Anträge entgegen genommen werden müssen und allenfalls Verbesserungsanträge erteilt werden müssen.

Um Weiterungen hintanzuhalten wird ebenso ausgeführt, dass die Behörde selbst dann Anträge entgegen nehmen muss, wenn diese sodann an die offensichtlich zuständige Behörde weiter geleitet werden müssen. […]“

Im Anhang dieses Emails befand sich u.a. das entsprechende handschriftlich ausgefüllte Antragsformular, welches mit 8.5.2018 datiert war. Auf dem Formular war das Wort „Zweckänderungsantrag angekreuzt.

Die belangte Behörde leitete dieses E-Mail samt Anhängen mit E-Mail vom 16.5.2018 an das Verwaltungsgericht Wien weiter, wo es am selben Tage einlangte (im Akt zur GZ: VGW-151/023/3860/2018).

Mit E-Mail vom 27.7.2018 ersuchte die rechtsfreundliche Vertreterin um Mitteilung des Verfahrensstandes hinsichtlich der Antragstellung und der Information, welche Unterlagen oder Informationen noch benötigt werden. Im Anhang übermittelte sie das E-Mail vom 14.5.2018 samt Anhängen (also auch dem Schriftsatz vom 11.5.2018 und dem Antragsformular vom 8.5.2018).

Mit Schreiben vom 3.8.2018 wurde der Beschwerdeführer hinsichtlich des am 27.7.2018 eingelangten Antrages gemäß § 13 Abs. 3 AVG zur persönlichen Antragstellung gemäß § 19 Abs. 1 NAG sowie zur Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer am 13.8.2018 nach. Der „Antrag vom 27.7.2018“ wurde sodann mit Bescheid vom 18.10.2018 abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde stattgegeben und der angefochtene Bescheid mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 11.2.2019 zur GZ: VGW-151/016/15917/2018 aufgehoben sowie der Antrag vom 27.7.2017 (Datum des behördlichen Einlangens) gemäß § 19 Abs. 2 zweiter Satz NAG als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde u.a. ausgeführt, dass der Eventualantrag vom 11.5.2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Niederlassungsbewilligung - Künstler“ nach wie vor offen sei.

Sodann wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22.3.2019 hinsichtlich des Antrages vom 11.5.2018 (eingelangt am 14.5.2018) gemäß § 19 Abs. 2 NAG belehrt, dass das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nicht zulässig sei und der betreffende Antrag während eines anhängigen Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien eingebracht wurde, sodass es sich hierbei um das gleichzeitige Stellen weiterer Anträge handelt. Es handle sich auch nicht um einen Zweckänderungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG, da der erstinstanzliche Bescheid vom 12.2.2018 bereits erlassen war. Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer darüber belehrt, dass sein Antrag zurückgewiesen werde, wenn keine Zurückziehung des Antrages innerhalb von zwei Wochen bei der Behörde einlange.

Mit Schreiben vom 2.4.2019 (eingelangt am 5.4.2019) zog der Beschwerdeführer seinen am 27.7.2018 eingelangten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Niederlassungsbewilligung Künstler“ zurück. Der Beschwerdeführer führte aus, der mit 11.5.2018 datierte, bei der Behörde am 14.5.2018 eingelangte Antrag für den Zweck „Niederlassungsbewilligung Künstler“ sei als Zweckänderungsantrag anzusehen und sei für den Fall eingebracht worden, dass der Verlängerungsantrag vom 19.12.2017 für den Aufenthaltstitel „Student“ abgewiesen werde. Nachdem dieser nunmehr rechtskräftig abgewiesen worden sei, sei über den Antrag vom 11.5.2019 als Eventualantrag von der Behörde abzusprechen.

Mit Schreiben vom 29.7.2019 nahm der Beschwerdeführer inhaltlich zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung und führte zudem aus, er habe den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Niederlassungsbewilligung Künstler“ am 14.5.2018 mittels seines Rechtsanwaltes gestellt, da es ihm durch das mangelhafte Wissen über das Rechtsverfahren der Mitarbeiter der Magistratsabteilung 35 vor Ort nicht gestattet worden sei, diesen persönlich zu stellen.

In der Folge erging der angefochtene Bescheid.

Die Feststellungen gründen auf folgende Erwägungen:

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakte der belangten Behörde, an deren Echtheit, Richtigkeit und Vollständigkeit keine Zweifel bestehen, sowie den beigeschafften Akten des Verwaltungsgerichts Wien.

Aus der Sicht der erkennenden Richterin handelt es sich beim E-Mail vom 27.7.2018 nicht um einen neuen Antrag, sondern lediglich um eine Mitteilung über die bereits erfolgte Antragstellung zwecks Nachfrage zum Verfahrensstand, bei welcher lediglich die bereits eingereichten Unterlagen nochmals übermittelt wurden. Da es sich beim E-Mail vom 27.7.2018 um keinen neuen Antrag handelte, gingen aus der Sicht der erkennenden Richterin sämtliche Verfahrensschritte betreffend den „Antrag vom 27.7.2018“ oder „den am 27.7.2018 eingelangten Antrag“ ins Leere und ist der am 14.5.2018 eingelangte Antrag weiterhin aufrecht. Über diesen Antrag wurde im gegenständlich angefochtenen Bescheid entscheiden.

IV.3. Rechtliche Beurteilung:

IV.3.1.

Der Beschwerdeführer brachte am 14.5.2018 einen „Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung-Künstler“ bei der belangten Behörde ein. Er bezeichnete diesen sowohl im Schriftsatz vom 11.5.2018 als auch im Antragsformular vom 8.5.2018 als „Zweckänderungsantrag“. Im Schriftsatz vom 11.5.2018 wurde allerdings zusätzlich ausgeführt, dass der Zweckänderungsantrag der für den Fall gilt, „dass der Verlängerung des derzeitigen Aufenthaltstitels ‚Student‘ nicht stattgegeben werden sollte.“

Am selben Tag, am 14.5.2018, fertigte das Verwaltungsgericht Wien das Erkenntnis vom 9.5.2018 zur GZ: VGW-151/023/3860/2018 ab, mit welchem die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12.2.2018 betreffend die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Studierende" als unbegründet abgewiesen wurde. Am 15.5.2018 wurde dieses Erkenntnis dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde zugestellt. Am 16.5.2018 leitete die belangte Behörde den Antrag an das Verwaltungsgericht weiter.

IV.3.2.

Gemäß § 24 Abs. 4 NAG kann mit einem Verlängerungsantrag (Abs. 1) bis zur Erlassung des Bescheides ein Antrag auf Änderung des Aufenthaltszwecks des bisher innegehabten Aufenthaltstitels oder auf Änderung des Aufenthaltstitels verbunden werden. Gemäß § 26 NAG hat der Fremde, wenn er den Aufenthaltszweck während seines Aufenthalts in Österreich ändern will, dies der Behörde im Inland unverzüglich bekannt zu geben. § 24 Abs. 4 NAG und § 26 NAG setzten voraus, dass der Zweckänderungsantrag während der Gültigkeit des ursprünglichen Aufenthaltstitels iSd § 20 Abs. 2 NAG bzw. bis zu Erlassung des Bescheides über den Verlängerungsantrag eingebracht wird. Wird ein Zweckänderungsantrag eingebracht und sind die Voraussetzungen für den beantragten anderen Aufenthaltszweck oder Aufenthaltstitel nicht erfüllt, ist darüber gesondert mit Bescheid abzusprechen und der bisherige Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck zu verlängern, soweit die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen. Daraus folgt, dass die Behörde zuerst über den Zweckänderungsantrag abzusprechen hat.

Ein Eventualantrag ist ein Antrag, der unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass ein Primärantrag erfolglos bleibt (vgl. etwa VwGH 29.8.2000, 2000/05/0067). Eine Erledigung des Eventualantrags ist erst zulässig, wenn der Bescheid, mit welchem dem Primärantrag nicht stattgegeben wird, in Rechtskraft erwachsen ist (vgl. etwa VwGH 20.2.1990, 89/01/0114) oder der vorrangige Antrag zurückgezogen wird (vgl. VwGH 4.2.2009, 2008/12/0224).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht § 19 Abs. 2 NAG 2005 - wonach Anträge, aus denen sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nicht zulässig sind - dem Stellen eines Eventualantrages gleichzeitig mit einem Hauptantrag nicht entgegen (vgl. etwa VwGH 13.12.2011, 2010/22/0168). Diese Entscheidungen betrafen das Stellen von mehreren Erstanträgen und nicht - wie gegenständlich - das Stellen eines Eventualantrages im Verfahren über einen Verlängerungsantrag (vgl. auch VwGH 19.03.2013, 2013/21/0034, 13.12.2011, 2010/22/0168, 27.2.2007, Zl. 2005/21/0041).

Für die Rechtswirksamkeit einer Prozesshandlung ist allein der Inhalt der Erklärung (ihr objektiver Erklärungswert) und nicht ein konkludentes Verhalten oder ein allenfalls einer Erklärung zugrundeliegender Beweggrund maßgebend (vgl. dazu beispielsweise VwGH 27.10.1999, 98/09/0318).

Nach dem Inhalt der Erklärung der am 14.5.2018 eingelangten Eingabe lagen gegenständlich zwei widersprüchliche, nicht vereinbare Anbringen vor, da bei einem Eventualantrag zuerst über den Hauptantrag (Verlängerungsantrag „Student“) entschieden werden müsste, bei einem Zweckänderungsantrag hingegen zuerst der Zweckänderungsantrag („Künstler“) einer Entscheidung zugeführt werden müsste, bevor über den Verlängerungsantrag „Student“ abgesprochen werden dürfte.

Beim Vorliegen widersprüchlicher Angaben bedarf es grundsätzlich einer Aufklärung, ob der Beschwerdeführer einen Zweckänderungsantrag oder einen Eventualantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung-Künstler stellen wollte. Aufgrund des Verfahrensganges konnte eine Aufklärung im vorliegenden Fall jedoch unterbleiben.

IV.3.3.

Am Tag der Einbringung des gegenständlichen Antrages, am 14.5.2018, waren gemäß § 20 2. Satz VwGVG Schriftsätze unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen, da das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien anhängig und das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9.5.2018 zur GZ: VGW-151/023/3860/2018 noch nicht rechtlich in Existenz getreten war. Nach den Erläuterungen bezieht sich der Begriff „Schriftsatz“ auf Anträge, Gesuche, Beschwerden und sonstige Mitteilungen (zu § 12 VwGVG, RV 2009 BlgNR 24. GP) und sind Schriftsätze, die dennoch bei der belangten Behörde eingebracht werden, von dieser gemäß § 6 Abs. 1 AVG weiterzuleiten (zu § 20 VwGVG, RV 2009 BlgNR 24. GP).

Die Weiterleitungspflicht besteht damit auch im Hinblick auf Eventualanträge und Zweckänderungsanträge, insbesondere da bei der Stellung eines „Zweckänderungsantrages“ im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Änderung des Verfahrensgegenstandes in einem Ausmaß vorläge, welche über die „Sache“ des Beschwerdeverfahrens und somit über die Prüfungsbefugnis des Verwaltungsgerichts Wien gemäß § 27 VwGVG hinausginge, sodass dieses Gericht für die Erledigung des geänderten Antrages nicht mehr zuständig wäre und es den bekämpften Bescheid (ersatzlos) zu beheben hätte (vgl. VwGH 19.11.2014, Ra 2014/22/0016).

Am Tag des Einlangens des gegenständlichen Antrages bei der belangten Behörde (am 14.5.2020) war diese zu dessen Behandlung unzuständig und hatte den Antrag gemäß § 6 Abs. 1 AVG an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu verweisen (vgl. betreffend eine Beschwerde VwGH 17.2.2015, Ra 2015/01/0022).

Die Behörde leitete den Antrag am 16.5.2018 an das Verwaltungsgericht Wien weiter, nachdem das Erkenntnis vom 9.5.2018 zur GZ: VGW-151/023/3860/2018 am 15.5.2018 rechtlich existent und für den Beschwerdeführer und die belangte Behörde rechtskräftig geworden war. Das Verwaltungsgericht Wien war am 16.5.2018 nicht mehr für den gegenständlichen Antrag zuständig, sondern war stattdessen die belangte Behörde zuständig. Die Behörde hatte den Antrag daher in Behandlung zu nehmen.

IV.3.4.

Aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung über den Antrag vom 19.12.2017 auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für den Zweck „Student“ lag jedoch ab 15.5.2018 kein Hauptantrag mehr vor, zu welchem ein Eventualantrag hätte bestehen können. Es handelt sich daher aus Sicht der erkennenden Richterin beim gegenständlichen Antrag nicht um einen Eventualantrag.

Unabhängig davon wäre auch der Wortlaut der Bedingung des Antrages „dass der Verlängerung des derzeitigen Aufenthaltstitels „Student“ nicht stattgegeben werden sollte.“, nicht ganz eindeutig. Diese Bedingung war zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages nämlich nicht mehr aufschiebend, da der abweisende Bescheid vom 12.2.2018 mit der Zustellung an den Beschwerdeführer am 16.2.2018 erlassen worden war. Hätte der Beschwerdeführer einen Eventualantrag stellen wollen, hätte er diesen unter die Bedingung stellen müssen, dass das Verwaltungsgericht seiner Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid nicht stattgibt.

Der gegenständliche Antrag ist auch nicht als Zweckänderungsantrag zu qualifizieren, da ein Zweckänderungsantrag gemäß § 24 Abs. 4 NAG im Verlängerungsverfahren nur bis zur Erlassung des Bescheids eingebracht werden kann. Der Bescheid vom 12.2.2018 wurde aber bereits am 16.2.2018 mit der Zustellung an den Beschwerdeführer erlassen. Auch eine Deutung als wesentliche Änderung des verfahrensleitenden Antrages, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu einer ersatzlosen Behebung des Bescheides führen müsste, schied gegenständlich aus, da der Antrag erst zu einem Zeitpunkt (am 16.5.2018) beim Verwaltungsgericht einlangte, als dieses aufgrund der Rechtskraft des Erkenntnisses (am 15.5.2018) nicht mehr zuständig war.

Da im Zeitpunkt der Zuständigkeit der belangten Behörde ab 15.5.2018 aufgrund der rechtskräftigen Abweisung des Verlängerungsantrages „Student“ weder ein Eventualantrag noch ein Zweckänderungsantrag vorlag, konnte auch eine Aufforderung zur Aufklärung der Widersprüche in der am 14.5.2018 eingelangten Eingabe unterbleiben.

Da kein Zweckänderungsantrag und kein Eventualantrag vorlag, hätte die belangte Behörde hätte den gegenständlichen Antrag als Erstantrag zu prüfen gehabt (vgl. auch VwGH 9.9.2013, 2012/22/0147).

IV.3.5.

Da der Erstantrag im Inland gestellt wurde und der Aufenthalt des Beschwerdeführers nach der Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Wien vom 9.5.2018 zur GZ: VGW-151/023/3860/2018 am 15.5.2018 nach Ablauf dieses Tages unrechtmäßig wurde, hätte die Behörde den Beschwerdeführer über die Möglichkeit der Stellung eines Zusatzantrages nach § 21 Abs. 3 NAG belehren müssen.

Aufgrund der mangelnden Belehrung nach § 21 Abs. 3 NAG war der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet und vom Verwaltungsgericht Wien zu beheben. Die belangte Behörde hat das Verfahren nunmehr fortzusetzen und eine Belehrung gemäß § 21 Abs. 3 NAG vorzunehmen.

IV.4. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist zulässig, da es einerseits an Rechtsprechung zur gleichzeitigen Stellung eines Zweckänderungsantrages und eines Eventualantrages betreffend denselben Antrag im Verlängerungsverfahren fehlt sowie zur Frage, ob ein erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bei der Behörde eingebrachter Eventualantrag von dieser aufgrund des zu diesem Zeitpunkt noch aufrechten Hauptantrages nach der Rechtskraft der abweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts über den Hauptantrag als Verlängerungsantrag in Behandlung zu nehmen ist.

Schlagworte

Zweckänderungsantrag; Verlängerungsantrag; Erstantrag; Eventualantrag; widersprüchliche Angaben; Einbringung; Weiterleitung; Belehrung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.151.085.2750.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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