TE OGH 2020/11/24 10Ob41/20g

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Veröffentlicht am 24.11.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 2.) Dr. S*****, Niederlande, und 3.) Dr. C*****, Niederlande, beide vertreten durch Tramposch & Partner, Rechtsanwälte KG in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R*****, vertreten durch König Ermacora Klotz & Partner, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen je 15.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 1. Juli 2020, GZ 10 R 16/20h-49, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 6. Februar 2020, GZ 41 Cg 11/19i-42, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der zweitklagenden und der drittklagenden Partei binnen 14 Tagen je die Hälfte der mit 2.071,22 EUR (darin enthalten 345,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1]       Der 1983 geborene Bruder der Zweitklägerin und des Drittklägers kam am 16. 1. 2017 bei einem Lawinenunglück ums Leben. Das grob fahrlässige Verhalten des Beklagten ist nicht mehr strittig. Thema des Revisionsverfahrens ist nur mehr, ob die beiden erwachsenen Geschwister, die nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Verunglückten gelebt hatten, Anspruch auf Trauerschmerzengeld haben.

[2]       Die Vorinstanzen bejahten dies und sprachen ihnen einen Trauerschmerzengeldbetrag von je 15.000 EUR zu. Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Klärung dieser Frage zu.

[3]       Die – beantwortete – Revision des Beklagten ist entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[4]       1.1 Für die Zuerkennung von Trauerschmerzengeld ist nach der Rechtsprechung die intensive Gefühlsgemeinschaft maßgeblich, wie sie zwischen den nächsten Angehörigen innerhalb der Kernfamilie (Eltern/Kinder; Ehegatten oder Lebensgefährten) typischerweise besteht (2 Ob 90/05g, SZ 2005/59, RIS-Justiz RS0115189 [T2]; 10 Ob 81/08x; 6 Ob 103/19v, ZVR 2020/88, 181 [Steininger]; 4 Ob 176/19i).

[5]       1.2 Auch zwischen Geschwistern, die im gemeinsamen Haushalt leben, besteht typischerweise eine solche Gemeinschaft. Gegenteiliges hätte der Schädiger zu beweisen. Ohne Haushaltsgemeinschaft reicht das familiäre Naheverhältnis zwischen Geschwistern für sich alleine nicht aus, um einen Anspruch auf Trauerschmerzengeld zu begründen. Vielmehr hat dann der Geschädigte das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft, die jener innerhalb der Kernfamilie annähernd entspricht, zu beweisen (2 Ob 90/05g, RS0115189 [T4]; 2 Ob 99/05f; vgl RS0123938). Diesen Beweis sah der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 90/05g als erbracht an: Der erwachsene Kläger hatte sich intensiv um seinen 2 Jahre jüngeren behinderten Bruder gekümmert. Zwischen den Geschwistern hatte sich über die Jahre eine intensive fürsorgliche Beziehung entwickelt, die über ein durchschnittliches geschwisterliches Verhältnis hinausging. Zu 10 Ob 81/08x bejahte der Oberste Gerichtshof den Anspruch auf Trauerschmerzengeld für nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit dem Getöteten lebende erwachsene Geschwister: Diese hatten sowohl untereinander als auch zu den Eltern eine enge Familien-/Gefühlsbeziehung. Die Brüder unternahmen häufig Freizeitaktivitäten miteinander.

[6]       2.1 Ob der Nachweis einer intensiven Gefühlsgemeinschaft gelungen ist, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen waren die drei (nach der Aktenlage damals 9, 11 und 13-jährigen) Geschwister nach dem Tod der Mutter im Jahr 1995 ein „eingeschworenes Team“. Die Zweitklägerin war die ältere Schwester, der Drittkläger war der jüngere Bruder des Verunglückten. Innerhalb der Familie bestand auch nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft regelmäßiger Kontakt, man telefonierte oder chattete miteinander und verbrachte gemeinsame Urlaube. Die Zweitklägerin hatte ein inniges Verhältnis zu ihrem getöteten Bruder, sie benannte ihre Tochter nach ihm und wählte ihn als Trauzeugen für die einige Monate nach dem Unglück geplante Hochzeit. Eine sehr herzliche und innige Beziehung bestand auch zwischen den beiden Brüdern, die gemeinsam studiert hatten, Mitglied in der selben Studentenvereinigung gewesen waren und viele gemeinsame Freunde und Hobbys teilten. Der Verunglückte hätte auch Trauzeuge seines jüngeren Bruders sein sollen. Dieser wurde von der Todesnachricht tief getroffen.

[7]       2.2 Diese innige Bindung der Geschwister, die durch den frühen Tod der Mutter zusammengeschweißt wurden, geht in ihrer Intensität über eine durchschnittliche, auch gute Beziehung zwischen erwachsenen Geschwistern, die Jahre nach dem Auszug aus dem Elternhaus und nach Gründung eigener Familien keinen intensiven Kontakt mehr zueinander haben und sich überwiegend nur mehr zu wichtigen Anlässen wie Familienfeiern treffen, hinaus. Es begründet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn das Berufungsgericht nicht nur eine intakte Geschwisterbeziehung, sondern eine intensive Gefühlsgemeinschaft, die jener in einer Kernfamilie annähernd entspricht, angenommen hat.

[8]       3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Zweitklägerin und der Drittkläger haben in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen.

Textnummer

E130164

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0100OB00041.20G.1124.000

Im RIS seit

30.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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