TE Lvwg Erkenntnis 2020/5/12 VGW-151/068/27976/2014

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Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht
40/01 Verwaltungsverfahren
19/05 Menschenrechte

Norm

NAG 2005 §11 Abs3
NAG 2005 §20 Abs1
NAG 2005 §41a Abs9
AVG §13 Abs8
EMRK Art. 8

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch seinen Richter Mag. Hohenegger über die Beschwerde des Herrn A. B., geb. 1977, StAng. Nigeria, vertreten von RA, gegen den Bescheid des Landeshauptmanns von Wien, MA 35 - Einwanderung, Staatsbürgerschaft, Standesamt - Referat Studierende und Humanitäre, vom 2.6.2014, Zl. …, mit welchem der Antrag auf den Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung" gemäß § 43 Abs. 3 iVm § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF vor BGBl. I Nr. 87/2012 zurückgewiesen wurde, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.2.2016 und am 19.4.2016 und Modifizierung des verfahrensleitenden Antrags auf den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gemäß § 41a Abs. 9 NAG idF vor BGBl. I Nr. 87/2012

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 41a Abs. 9 NAG iVm § 20 Abs. 1 NAG, in der Fassung vor BGBl. I Nr. 87/2012, ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit 12-monatiger Gültigkeit erteilt.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

I. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1. Gang des Verfahrens:

1.1. Asylrechtliche Verfahren:

Herr A. B. (im Folgenden: der Beschwerdeführer) reiste am 12.10.2011 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme zu diesem Verfahren am 17.10.2011 gab der Beschwerdeführer an, dass er dem christlichen Glauben angehöre und seine Heimat bereits im Jahr 2009 verlassen habe. In Nigeria würden noch seine Eltern sowie drei Brüder und eine Schwester leben, er habe zu seiner Familie aber seit seiner Ausreise keinen Kontakt mehr (MA 35-AS 10v-11).

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2011, …, wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf sein Herkunftsland Nigeria abgewiesen und der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (…). Dies wurde wie folgt begründet:

„Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würde.

[…]

Der Asylwerber bringt vor, in Österreich keine Familienangehörigen bzw. keine Bindungen, die einer familiären Nahebeziehung iSd Art. 8 EMRK gleichkommen würden, zu haben, sodass im Falle seiner Ausweisung nicht von einem unzulässigen Eingriff in sein Familienleben auszugehen ist. Er befindet sich weiters erst seit etwa 10 Monaten im Bundesgebiet, war nur aufgrund der letztlich ungerechtfertigten Asylantragstellung zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt und kann ein schützenswertes Privatleben schon aufgrund der Kürze seines Aufenthalts in Österreich nicht erkannt werden.

Aspekte, die zu seinen Gunsten zu werten wären, sind nicht ersichtlich, sodass insgesamt betrachtet, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer rechtskräftigen teilbedingt ausgesprochenen Haftstrafe aufgrund der Begehung von Drogendelikten, das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens im Vergleich zum privaten Interesse am Verbleib des Asylwerbers im Bundesgebiet überwiegt und in casu kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Privatleben vorliegt.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.“

Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Beschwerde, welche mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 3.9.2012, Zl. … abgewiesen wurde (MA 35-AS 28-44). In der Begründung führte der Asylgerichtshof an, dass der Beschwerdeführer laut eigenem Vorbringen im österreichischen Bundesgebiet über keinerlei familiäre bzw. verwandtschaftliche Bindungen verfügen würde. Im Verfahren ist auch nicht festgestellt worden, dass der Antragsteller an akuten lebensbedrohlichen Krankheitsbildern oder Beeinträchtigungen leidet. Die für gegenständliches Verfahren relevante Passage der Begründung dieser Entscheidung lautet wie folgt:

„Der Asylwerber bringt vor, in Österreich keine Familienangehörigen bzw. keine Bindungen, die einer familiären Nahebeziehung iSd Art. 8 EMRK gleichkommen würden, zu haben, sodass im Falle seiner Ausweisung nicht von einem unzulässigen Eingriff in sein Familienleben auszugehen ist. Er befindet sich weiters erst seit etwa 10 Monaten im Bundesgebiet, war nur aufgrund der letztlich ungerechtfertigten Asylantragstellung zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt und kann ein schützenswertes Privatleben schon aufgrund der Kürze seines Aufenthaltes in Österreich nicht erkannt werden.

Aspekte, die zu seinen Gunsten zu werten wären, sind nicht ersichtlich, sodass insgesamt betrachtet, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer rechtskräftigen teilbedingt ausgesprochenen Haftstrafe aufgrund der Begehung von Drogendelikten, das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eine geordneten Fremdenwesens im Vergleich zum privaten Interesse am Verbleib des Asylwerbers im Bundesgebiet überwiegt und in casu kein im Sinne des Art. 8 EMRK schützenswertes Privatleben vorliegt.

Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.“

1.2. Verfahren vor der belangten Behörde:

Am 20.9.2012 stellte der Beschwerdeführer den gegenständlichen Erstantrag persönlich beim Landeshauptmann von Wien, Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35 (im Folgenden: die belangte Behörde), ohne einen Aufenthaltszweck angegeben zu haben. Aus dem Antrag und den vorgelegten Urkunden geht hervor, dass der Beschwerdeführer sich mit Frau C. D.-E. in einer Lebensgemeinschaft befinde, mit ihr verlobt sei und zu ihren Kindern eine vaterähnliche Beziehung habe.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 20.9.2012 wurde der Beschwerdeführer auf die Möglichkeit der Stellung eines Antrages gemäß § 19 Abs. 8 NAG hingewiesen und ihm aufgetragen folgende Unterlagen nachzureichen (MA 35-AS 8):

„- R Schriftliche Bekanntgabe des Aufenthaltszwecks

- EU Passfoto

- Reisepass

- Geburtsurkunde

- Schriftliche Antragsbegründung mit dementsprechenden Nachweisen

-Schriftliche Bekanntgabe des Familienbezugs (Verwandte) in Österreich und im Heimatland mit dementsprechenden Nachweisen

[…]

- Mietvertrag

- Integrationsnachweise zB Sprachzertifikat Deutsch des österreichischen Integrationsfonds; Vereinstätigkeiten: aktueller arbeitsrechtliche Vorvertrag bzw. qualifizierte Einstellungszusage: Nachweise über Ihre Freunde und Bekannten in Österreich; Kursbesuchsbestätigungen“

Daraufhin teilte die damalige Verlobte des Beschwerdeführers der belangten Behörde mit Schreiben vom 28.9.2012 mit, dass der Beschwerdeführer seit 23.3.2012 bei ihr wohne, an dieser Adresse gemeldet sei und sie mit ihren zwei minderjährigen Söhnen (zum damaligen Zeitpunkt 8 und 9 Jahre alt) und dem Beschwerdeführer eine familienähnliche Beziehung führe (MA 35-AS 55):

„Ich habe meinen Verlobten, Hr. B. A., geb.: 1977 in: Nigeria, …, am 20. November 2011 kennengelernt und ineinander verliebt. Seit dieser Zeit hat er immer öfter bei mir übernachtet. Nach langer Überlegung und vielen Gesprächen, haben wir uns entschlossen zusammenzuziehen. Mir ist das Thema „Familie“ sehr wichtig, weil ich 2 Kinder habe. Seit 23. März 2012 ist bei mir gemeldet. Seit 07.07.d.J. sind wir verlobt. Meine Kinder, F. (9 Jahre) und G. E. (8 Jahre) sind sehr an ihm gewöhnt. Er hat eine Väterliche Beziehung zu Ihnen aufgebaut.

Er hilft mir im Haushalt und bei der Erziehung der Kinder. Ab 08. Oktober d.J. werde ich Vollzeit arbeiten, dass ich nur mit seiner Hilfe schaffe. Mein Sohn G. hat 3x wöchentlich Fußballtraining. Aus diesem Grund und diversen anderen Freizeitbeschäftigungen unserer Kinder, war es mir bisher nicht möglich Vollzeit zu arbeiten.

Meinen Kindern war das fremd, sie wussten nicht was eine „richtige“ Familie ist. Jetzt wissen sie endlich was es bedeutet einen Vater zu haben, der sich um sie kümmert und erzieht. Wir alle genießen es, eine glückliche Familie zu sein.

Herr B. hat sich seit wir zusammen wohnen sehr verändert. Er lernt Deutsch und hat österreichische Freunde und Bekannte. Wir wollen zusammen eine Zukunft haben. Wir wollen heiraten und uns zusammen etwas aufbauen. Ich liebe ihn und er macht mich glücklich.

Um eine glückliche Zukunft zu haben bitte ich Sie inständig, meinem Mann, zur Aufrechterhaltung unseres Privat- und Familienlebens eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen.“

Mit Schriftsatz vom 4.10.2012 erstattete der nunmehrige rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers folgendes Vorbringen (MA 35-AS 45-46):

„In Entsprechung des Auftrages vom 20.09.2012 hinsichtlich nachzureichender Urkunden sowie schriftliche Antragsbegründung wird wie folgt vorgebracht:

Aufenthaltszweck ist, die Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 MRK.

Der Antragsteller hat seit November 2011 eine Liebesbeziehung zur österreichischen Staatsbürgerin C. D.-E. und besteht seit Frühjahr 2012 eine Lebensgemeinschaft, seit Juli 2012 ist der Antragsteller mit ihr verlobt. Auch zu den Kindern der C. D.-E., F. und G. E. hat er bereits eine väterliche Beziehung aufgebaut.

[…]

Weiters hat der Antragsteller eine freundschaftliche Beziehung zu Eltern, deren Kinder im selben Fußballclub wie F. E. spielen und private freundschaftliche Kontakte.

[…]

Weitere Unterlagen werden in weiterer Folge vorgelegt werden, insbesondere Geburtsurkunde, Integrationsnachweise sowie qualifizierte Einstellungszusage und Kursbesuchsbestätigungen.“

Die belangte Behörde wies den Antrag mit Bescheid vom 2.6.2014, Zl. …, mit folgender Begründung zurück:

„Ihr Antrag vom 20.9.2012 auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gem. § 43 Abs. 3 nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) wird zurückgewiesen.

Rechtsgrundlage: § 43 Abs. 3 iVm § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und

Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF vor BGBl. I Nr. 87/2012

Begründung

Am 20.9.2012 stellten Sie ha. persönlich einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zur Aufrechterhaltung des Privat und Familienlebens. Aufgrund der nichterfüllten Integrationsvereinbarung wird der Antrag auf § 43 Abs. 3 NAG gewertet.

§ 81 Abs. 23 NAG idgF bestimmt Folgendes:

Verfahren gemäß §§ 41a Abs. 9 und 10, 43 Abs. 3 und 4 sowie 69a Abs. 1 Z 1 bis 3 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012. welche vordem 1. Oktober 2013 bei der Behörde gemäß § 3 Abs. 1 anhängig wurden und am 31. Dezember 2013 noch anhängig sind, sind auch nach Ablauf des 31. Dezember 2013 von der Behörde gemäß § 3 Abs. 1 nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes in der Fassung vor dem BGBl. I Nr. 87/2012 zu Ende zu führen.

Gem. § 43 Abs. 3 NAG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

1.       kein Erteilungshindernis gemäß §11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und

2.       dies gemäß §11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a Abs. 1 vor, sind Anträge gemäß §§ 41a Abs. 9 oder 43 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1.       gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2.       rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG jeweils auf Grund des § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß §10 AsylG 2005 bloß vorübergehend unzulässig ist, oder

3.       die Landespolizeidirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in ihrer Beurteilung festgestellt hat, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG zulässig oder jeweils auf Grund des §61 FPG bloß vorübergehend unzulässig ist,

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß §11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

Wie das Ermittlungsverfahren ergab, reisten Sie am 12.10.2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellten beim Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, Zahl … einen Asylantrag, welcher mit Bescheid vom 18.10.2011 negativ beendet wurde. Sie wurden gleichzeitig aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 3.9.2012, Zahl … zu allen Spruchpunkten abgewiesen. Folglich wurde das Asylverfahren mit 13.9.2012 rechtskräftig negativ beendet und erwuchs die Ausweisungsentscheidung ebenfalls in Rechtskraft.

Somit besteht gegen Sie eine rechtskräftige Ausweisungsentscheidung, die rechtswirksam gültig ist. Dieser Ausweisungsentscheidung sind Sie bis dato nicht nachgekommen. Mit obzitierten Bescheid bzw. Erkenntnis wurde die gebotene Abwägung nach Art. 8 EMRK hinsichtlich der getroffenen Ausweisungsentscheidungen ausführlich dargelegt.

Es ist festzuhalten, dass sich der Aufenthalt im Bundesgebiet auf einen unberechtigten Asylantrag gegründet hat. Sie haben durch Ihren Verbleib in Österreich trotz Abweisung Ihres Asylbegehrens und trotz Erlassung einer Ausweisung den geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen zuwidergehandelt. Ihr Verhalten stellt somit eine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens dar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. April 2013, ZI. 2013/22/0033, mwN).

Ihr Antrag stützt sich auf die familienähnliche Beziehung zur Familie D.-E. und individueller Empfehlungsschreiben als Nachweis Ihrer sozialen Integration.

Aus nachstehenden Gründen konnte ein maßgeblich geänderter Sachverhalt im Sinne des § 11 Abs. 3 NAG nicht erkannt werden:

Aufgrund der Tatsache, dass Sie nicht dazu bereit sind Ihrer Ausreiseverpflichtung nachzukommen, ist als erwiesen zu erachten, dass Ihnen an der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung nicht gelegen ist oder Sie dazu bereit sind sich ihr unterzuordnen.

Eine familiäre Bindung im Bundesgebiet liegt nicht vor. Die familienähnliche Beziehung zu Familie D.-E. gingen Sie erst ein, als Ihnen Ihr unsicherer Status im Bundesgebiet bewusst war. Eine sprachliche, berufliche, Integration wurde nicht nachgewiesen.

Somit konnten Ihrem Vorbringen keine wesentlichen Bindungen oder gar eine Aufenthaltsverfestigung in den Aufenthaltsstaat entnommen werden. Weder liegt eine existenzielle Einbindung ins Bundesgebiet vor, noch ist ein deutliches Überwiegen privater oder gar familiärer Bindungen und Interessen als gegeben zu erachten.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 11 Abs. 4 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

?    sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder

?    der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.

         

Sie wurden vom Landesgericht für Strafsachen Wien Zahl … zu einer Haftstrafe von 10 Monaten, davon sieben Monate bedingt auf eine Probezeit Von drei Jahren rechtskräftig verurteilt. Sie wurden vom Landesgericht für Strafsachen Wien Zahl … zu einer Haftstrafe von 12 Monaten mit Rechtskraft 14.8.2013 verurteilt.

Gemäß Artikel 8 Abs. 2 der EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehres nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist.

Es ist Ihnen folglich nicht gelungen konkret darzutun, dass sich die, das Privatleben betreffenden Umstände derart geändert hätten, dass die Aufenthaltsbeendigung bzw. Versagung des Aufenthaltstitels nunmehr einen unverhältnismäßigen Eingriff darstellen würden.

Dem Akteninhalt nach ist vielmehr zu entnehmen, dass es als erwiesen zu erachten ist, dass Ihnen an der Einhaltung der österreichischen Rechtsordnung nicht gelegen ist oder Sie nicht dazu bereit sind sich der österreichischen Rechtsordnung zu unterwerfen.

Generell ist festzuhalten, dass Sie nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung Ihres Asylantrages, Ihren zukünftigen Aufenthalt als nicht gesichert betrachten konnten; ergo konnten Sie nicht darauf vertrauen, in Zukunft in Österreich verbleiben zu können (vgl. VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085).

Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des VwGH, dass das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist, wenn der Fremde keine genügende Veranlassung gehabt hatte, von einer Erlaubnis zu einem dauernden Aufenthalt auszugehen.

Somit ist nach Auffassung der entscheidenden Behörde im Zusammenhalt mit obigen Ausführungen seit Ihrer Ausweisung weder ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, noch sonstige gewichtige Kriterien hervorgekommen, die ein schutzwürdiges Interesse zur Aufrechterhaltung Ihres Privat- und Familienlebens im Bundesgebiet gemäß § 11 Abs. 3 NAG erscheinen lassen.

Nach Maßgabe des § 44b Abs. 1 NAG ist ein Antrag gem. § 41a Abs. 9 zurückzuweisen, wenn eine rechtskräftige Ausweisung erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3, seit der rechtskräftig erlassenen Ausweisung kein maßgeblich geänderter Sachverhalt hervorkommt.

Der Bescheid wird auf der Grundlage des Ergebnisses der Beweisaufnahme erlassen werden, soweit nicht Ihre Stellungnahme anderes erfordert.

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 22.4.2014 wurde Ihnen diese Stellungnahme zur Kenntnis gebracht und Ihnen mitgeteilt, dass aufgrund dieser beabsichtigt ist Ihren Antrag zurückzuweisen. Es wurde Ihnen die Gelegenheit geboten, innerhalb der gesetzten Frist eine Stellungnahme abzugeben. Dieses Schreiben wurde Ihrem rechtsfreundlichen Vertreter … am 24.4.2014 nachweislich zugestellt.

Der Stellungnahme vom 6.5.2014 Ihres rechtsfreundlichen Vertreters konnten keine Neuerungen entnommen werden.

Die Gründe für die Ausweisungsentscheidung wurde mit Bescheid des Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, ausführlich dargelegt und die Abwägung nach Art. 8 EMRK eingehend geprüft.

Sie brachten keine Umstände vor, welche eine Neubewertung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK bewirkt und eine entscheidungsrelevante Änderung des Sachverhaltes im Sinne des § 11 Abs. 3 NAG hervorgebracht werden kann.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.“

Mit Schriftsatz vom 24.6.2014 erhob der Antragsteller und nunmehrige Beschwerdeführer folgende Beschwerde:

„In umseits bezeichneter Rechtssache wird gegen den Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, Zahl: ... vom 02.06.2014, innerhalb offener Frist Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien erhoben.

Der angefochtene Bescheid wurde dem ausgewiesenen Vertreter des Beschwerdeführers am 04.06.2014 zugestellt, die Beschwerde ist sohin rechtzeitig eingebracht.

Als Beschwerdegründe werden geltend gemacht:

1.       Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung

2.       Rechtswidrigkeit infolge wesentlicher Verfahrensmängel

3.       Unrichtige Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung

Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.

Zu den Beschwerdegründen:

Zur Rechtswidrigkeit infolge des Vorliegens von Verfahrensmängeln und zum Beschwerdepunkt der unrichtigen Tatsachenfeststellung:

Wesentliche Tatsachenfeststellungen wurden entgegen den Ergebnissen des Beweisverfahrens getroffen.

Es wurde festgestellt, dass eine familiäre Bindung im Bundesgebiet nicht vorliege.

Weiters wurde ausgeführt, dass eine sprachliche und berufliche Integration nicht nachgewiesen wurde.

Dies ist aktenwidrig und wurde diese Feststellung unter Zugrundelegung einer falschen Beweiswürdigung getroffen.

Mit Urkundenvorlage vom 12.08.2013 wurde die Teilnahmebestätigung der Wifi vom 23.04.2013 vorgelegt.

Aus dieser Urkunde ergibt sich, dass der Berufungswerber folgende Veranstaltung regelmäßig besucht hat:

Spielerisch Deutsch lernen, ohne Vorkenntnisse (Al), in der Dauer vom 12.03.2013 bis 23.04.2013.

Die Feststellung, dass eine sprachliche Integration nicht nachgewiesen wurde ist sohin aktenwidrig und falsch.

Weiters wurde mit Vorbringen und Urkundenvorlage vom 04.10.2012 vorgebracht, dass der Antragsteller eine freundschaftliche Beziehung zu Eltern hat, deren Kindern im selben Fußballklub wie F. E. spielen und private freundschaftlichen Kontakte pflegt.

Die Behörde erster Instanz hat dazu keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen.

Es stellt darüber hinaus einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dass es die Behörde erster Instanz unterlassen hat, die zu diesem Beweisthema beantragten Zeugen zu vernehmen.

Mit Vorbringen und Urkundenvorlage vom 04.10.2012 wurden zum Beweis dafür, dass der Antragsteller freundschaftliche Beziehungen und private freundschaftliche Kontakte unterhält die Einvernahme der Zeugin J. H., K. L. und M. P. beantragt.

Die Behörde erster Instanz ist diesen Beweisanträgen nicht nachgekommen.

Dies macht einerseits die Feststellung, dass eine Integration nicht nachgewiesen wurde nicht nachvollziehbar, darüber hinaus liegen infolge der Unterlassung dieser relevanten Beweismittel bzw. Unterlassung der Durchführung der beantragten Beweise wesentliche Verfahrensmängel vor.

Zum Beschwerdegrund der wesentlichen Verfahrensmängel:

Die Feststellung, dass eine familiäre Bindung im Bundesgebiet nicht vorliegt ist aktenwidrig, darüber hinaus hat es die Behörde erster Instanz unterlassen, diesbezüglich ein konkretes Beweisverfahren durchzuführen.

Es ist unrichtig, dass eine familiäre Bindung im Bundesgebiet nicht vorliegt.

Es besteht nicht nur eine familienähnliche Beziehung zur Familie D.-E., sondern ist C. D.-E. die Verlobte und Lebensgefährtin des Antragstellers. Entsprechendes Vorbringen war erstinstanzlich ausdrücklich erstattet worden, insbesondere in der Stellungnahme vom 6.05.2014 und in der Urkunden Vorlage vom 04.10.2012 und im Beweisanbot vom 04.10.2012.

Es stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, dass dem Beweisanbot und Vorbringen in der Urkundenvorlage vom 04.10.2012 nicht entsprochen wurde, den dort gestellten Beweisanträgen nicht entsprochen wurde und die dort geführten Zeugen nicht vernommen wurden, welche zum Beweis der familiären Beziehungen des Antragstellers im Inland und seiner Integration im Inland geführt worden waren.

Eine Interessensabwägung gemäß Artikel 8 MRK im Hinblick auf den geplanten Eingriff der öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens ist nur möglich, wenn Intensität und Umfang des Privat- und Familienlebens des Antragstellers auch detailliert festgestellt werden.

Die Behörde erster Instanz hat es unterlassen, Intensität und Umfang des Privat- und Familienlebens des Antragstellers festzustellen.

Die lapidare Ausführung, dass eine familiäre Bindung im Bundesgebiet nicht vorliegt ist einerseits aktenwidrig und entspricht auch nicht der Begründungspflicht der Behörde.

Es wurde nicht einmal feststellt, wann der nunmehrige Beschwerdeführer die familienähnliche Beziehung zur Familie D.-E. eingegangen sei, sondern wiederum ohne dies in irgendeiner Form zu begründen ausgeführt, dass dies erst erfolgte, als ihm sein unsicherer Status im Bundesgebiet bewusst war.

Ausdrücklich vorgebracht worden war mit Vorbringen und Urkunden Vorlage vom 04.10.2112, dass der Antragsteller seit November 2011 eine Liebesbeziehung zur österreichischen Staatsbürgerin C. D.-E. hat, seit Frühjahr 2012 eine Lebensgemeinschaft besteht und seit Juli 2012 der Antragsteller mit ihr verlobt ist.

Auch zu den Kindern der C. D.-E., F. und G. E. habe er bereits eine väterliche Beziehung aufgebaut.

Das diesbezügliche beantragte Beweisverfahren durch Vernehmung der Zeugen C. D.-E., F. E. und G. E. hat die Behörde erster Instanz nicht durchgeführt und macht es den angefochtenen Bescheid mit Verfahrensmängeln behaftet.

Es sind sohin wesentliche Feststellungen aktenwidrig bzw. ohne Beweisverfahren getroffen worden, weiters wurde wesentlichen Beweisanträgen nicht entsprochen und ist der angefochtene Bescheid daher rechtswidrig.

Zum Beschwerdegrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung:

Auch die rechtliche Beurteilung im angefochtenen Bescheid ist in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig.

Es wurde zwar festgestellt, dass das Asylverfahren mit 13.09.2012 rechtskräftig negativ beendet wurde, die Behörde hat jedoch völlig außer Acht gelassen, dass der nunmehrige Beschwerdeführer sofort, nämlich bereits am 20.09.2012 versucht hat, wiederum seinen Aufenthalt in Österreich zu legalisieren und er einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung am 20.09.2012 bereits im hier gegenständlichen Verfahren gestellt hat und diesen auch begründet hat, nämlich mit der Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Artikel 8 EMRK.

Dies hat die Behörde erster Instanz völlig außer Acht gelassen.

Demgemäß hat die Behörde erster Instanz nicht beurteilt, dass das Verhalten des Antragstellers bzw. nunmehrigen Beschwerdeführers, nicht auszureisen im Hinblick auf den gestellten Antrag bei der Magistratsabteilung 35 keine relevante Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstellt.

Darüber hinaus ist es eine veraltete und unrichtige Rechtsansicht, wenn die Behörde erster Instanz ausführt, dass die familienähnliche Beziehung zur Familie D.-E. vom Antragsteller erst eingegangen worden sei, als ihm sein unsicherer Status im Bundesgebiet bewusst war.

Dem kommt nach der neuem Judikatur keine Bedeutung mehr zu.

Die Ausübung des Privat- und Familienlebens ist auch dann relevant und schützenswert, wenn dieses eingegangen wurde, obwohl ein unsicherer Status hinsichtlich des Aufenthaltes im Bundesgebiet bestand.

Ausschließlich diese Interpretation entspricht dem Wortlaut des Artikel 8 EMRK und auch der aktuellen Judikatur.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde erkannt, dass ein deutliches Überwiegen privater und familiärer Bindungen und Interessen im Sinne des Artikel 8 EMRK gegeben ist und dass eine Aufenthaltsverfestigung in Österreich vorliegt.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde erster Instanz erkannt, dass ein Aufenthaltstitel deswegen erteilt werden muss, da dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens im Sinne des Artikel 8 der EMRK hinsichtlich des Antragstellers geboten war.

Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde erster Instanz erkennen müssen, dass sie selbst eine Abwägung nach Artikel 8 EMRK vornehmen muss und hätte diese zu Gunsten des Antragstellers erkennen müssen.

Zu Unrecht hat die Behörde erster Instanz ausgeführt, dass diese Frage bereits mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 03.09.2012 geprüft worden sei.

Die Behörde erster Instanz hätte die relevante Frage im Sinne Artikel 8 EMRK selbst prüfen müssen, dies hat sie unterlassen und stellt dies sowohl eine unrichtige rechtliche Beurteilung dar, als auch einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel.

Insbesondere im Hinblick auf die wesentlichen Verfahrensmängel beantragt der Beschwerdeführer ausdrücklich eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen und den bereits erstinstanzlich gestellten Beweisanträgen vom 04.10.2012 Folge zu geben.

Der Beschwerdeführer beantragt sohin ausdrücklich die Einvernahme der Zeugen C. D.-E., F. E., G. E., J. H., K. L. und M. P., sämtliche Adressen im Vorbringen und Urkunden Vorlage vom 04.10.2012 und sämtliche Zeugen zum Beweis dafür, dass er mit C. D.-E. eine Lebensgemeinschaft führt, mit ihr verlobt ist, zu ihren Kindern eine väterliche Beziehung hat und freundschaftliche Kontakte zu den übrigen Zeugen pflegt.

Es wird daher beantragt, der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers vom 20.09.2012 auf Erteilung des Aufenthaltstitels Niederlassungsbewilligung Folge gegeben wird, in eventu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben.“

Die fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde von der belangten Behörde unter Anschluss des bezughabenden Aktes dem Verwaltungsgericht Wien mit Schreiben vom 27.6.2014, hg. einlangend am 8.7.2014, zur Entscheidung vorgelegt.

1.3. Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien:

Vor dem Verwaltungsgericht Wien fand diesbezüglich am 22.2.2016 eine öffentlich-mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Die wesentlichen Passagen aus dem Verhandlungsprotokoll lauten wie folgt:

Der Beschwerdeführer gab zu Protokoll:

„Ich wohne mit meiner Gattin und deren zwei Söhne gemeinsam in ihrer Wohnung in Wien, R.-straße.

Meine Gattin hatte früher Depressionen und jetzt arbeitet sie wieder seit circa 3 Monaten bei einem Steuerberater (was sie schon früher getan hat) und sie hilft auch der Kirche in Steuerangelegenheiten. Ich habe die Söhne von meiner Gattin nicht adoptiert und hatte auch nie eigene Kinder und war auch nie vor meiner Heirat mit Frau D. mit jemand anderem verheiratet.

Ich habe in dem mir angelasteten Zeitpunkt Mai bis Juli 2013 auch selbst Drogen konsumiert und Drogen verkauft, um meine eigene Sucht zu finanzieren. Ich bin damals zu 12 Monaten Haft verurteilt worden und habe diese auch vollständig in Haft verbüßt. Ich war 2012 für 3 Monate bereits in Strafhaft, ebenfalls wegen eines Drogendeliktes.

Ich werde ab Donnerstag dieser Woche eine Antidepressionstherapie beginnen, die mir hilft von den Drogen fern zu bleiben.

Ich bin getaufter Protestant. Ich besuchte jeden Sonntag bis vor 3 Monaten die Messe in der Kirche S. …. Der dortige Pfarrer kennt mich. Ich habe dort auch mitgeholfen und war Teil des Empfangskomitees, die den Kirchenbesuchern ihre Plätze zugewiesen haben. Über die Kirche kenne ich zum Beispiel T. U., der uns manchmal besucht und mit dem wir wöchentliche Bibellesungen machen. Ein guter Freund von mir ist V., den ich schon aus Nigeria kenne und seine Frau W., mit denen wir gemeinsam diverse Dinge unternehmen.

Auf Befragen des BfV:

Vor der Hochzeit (Februar 2015) war ich mit meiner jetzigen Frau bereits 3 Jahre in einer Partnerschaft und wir haben schon davor zusammen gewohnt.

Meine Familie hat mir den Reisepass der im erstinstanzlichen Verfahren gefehlt hatte nachgeschickt – allerdings ist er seit 21.10.2015 abgelaufen, weshalb ich ihn bei der Botschaft abgegeben habe, um einen neuen zu bestellen.

Ich lege hier eine Kopie des RP vor (Beilage ./M).

Der Zeuge M. P. (fremd) gab an:

„Ich habe den Bf nur ein bis zwei Mal gesehen, als ich noch mit Frau D. befreundet war, allerdings auch nur in der Form, dass ich gegangen bin und er gekommen ist. Wir haben uns nicht unterhalten. Es waren nur flüchtige Treffen. Zwischen Tür und Angel –wir waren sicher nicht mehr als 5 Minuten in einem Raum.“

Dem Zeugen wird sein Empfehlungsschreiben vom 4.3.2012 vorgehalten:

„Ich habe hundertprozentig diese Bestätigung nicht unterschrieben. Ich kann auch Unterschriftproben von mir vorlegen (diese werden als Beilagen original zum Akt genommen: ./I und ./II).

Mein „T“ schaut ganz anders geschwungen aus und ich streiche auch nicht meine Unterschrift am Schluss durch.

Ich kann mangels näheren Kennens des Bf auch inhaltlich keine Empfehlung für ihn abgeben.

Zu dem Zeitpunkt, als ich öfters bei Frau D.-E. war, war sie noch mit Herrn E. zwar verheiratet, aber ich hatte den Eindruck, dass er nur auf Kindesbesuch war und dementsprechend habe ich Frau D. bei den Kindern unterstützt und auch Einkäufe erledigt. Wir gerieten allerdings über das Verschwinden von Geld von mir in einen Streit und seit damals habe ich keinen Kontakt mehr mit Frau D..“

Auf Befragen des BfV:

„Wir hatten zwei Mal sexuellen Kontakt zueinander, ansonsten war das Verhältnis nur freundschaftlich. Wir kannten uns circa zwei Jahre und trafen uns in dieser Zeit circa einmal monatlich auf einen Kaffee. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich bei Treffen von Frau D. mit dem Großvater ihrer Kinder auch den Bf im Auto mitgenommen hatte. An die Ausflüge mit Frau D. und ihren Kindern und dem Großvater kann ich mich schon erinnern.“

Die Zeugin C. D. (Gattin) gab an:

„Ich habe den Bf im November 2011 kennen gelernt und im März 2012 ist er bei mir eingezogen und wir haben ihn auch gemeldet. Meine Söhne sind 12 und 13 und sie brauchen eine Vaterfigur und der Bf ist die einzige Vaterfigur, die sie haben. Der leibliche Vater der beiden Söhne ist auch Nigerianer und deswegen hilft es meinen Söhnen, dass der Bf ihnen auch etwas über seine Heimat erzählen kann.

Ich lege vor einen Brief meines jüngeren Sohns, G., wo er bestätigt, dass mein Gatte wie ein Vater für ihn ist (./L im Original).

Ich war früher Katholikin und habe mich kurz nach der Hochzeit von der X. (…) taufen lassen. Wir sind beide jetzt im S. Wien. Ich gehe fast jeden Sonntag in die Messe und jeden Freitag bin ich dort am Officeday (Freiwilligenarbeit) und mache die Buchhaltung. Mein Gatte hat dort auch freiwillig mitgearbeitet als Welcomer. Einmal die Woche kommt eine Bibellesungsgruppe zu uns in die Wohnung (drei Leute darunter T. U.).

Ich kenne den Zeugen P.. Wir haben damals gemeinsam dieses Schreiben aufgesetzt und ich gab es ihm dann zum Unterschreiben. Unser Verhältnis war in Ordnung bis mein nunmehriger Gatte im Gefängnis war und Herr P. sich an mich ran machte und mich regelrecht gestalked hatte (permanente Anrufe täglich).

Wir werden uns vom ehemaligen Pastor ein Bestätigungsschreiben besorgen, hinsichtlich des Engagements meines Gatten in der Kirche.

Ich arbeite jetzt wieder nachdem ich ein Burnout hatte 20 Stunden bei einer Steuerberaterkanzlei und erhalte netto circa 750 Euro monatlich. Weiters bekomme ich 177 Euro Wohnbeihilfe, 300 Euro Alimente pro Kind und 192 Euro Familienbeihilfe. An Miete zahle ich 565 Euro monatlich.

Mein Mann beginnt … eine Gesprächstherapie.“

Die Zeugin J. H. (fremd) gab an:

„Ich kenne den Bf, weil mein Sohn und der Sohn seiner Gattin beim selben Fußballverein - … - gespielt haben. Die von mir ausgestellte Bestätigung vom 01.10.2012 trägt meine Unterschrift. Wir sahen uns zwei Jahre regelmäßig 3 bis 4 Mal die Woche. Ich weiß, dass sich der Bf viel um die Kinder seiner Gattin kümmerte (damals waren sie noch nicht verheiratet) und ich hatte auch den Eindruck, dass der jüngere Sohn sicher sehr freute, wenn der Bf bei einem Match anwesend war. Ich denke, dass der Bf für den jüngeren Sohn seiner Gattin als Vaterfigur fungiert (hat).“

Die Verhandlung wurde am 19.04.2016 fortgesetzt und mündete in der verkündeten Beschwerdestattgebung und der Feststellung, dass dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ mit 12-monatiger Gültigkeit erteilt wird. Die wesentlichen Passagen des Protokolls lauten dabei wie folgt:

Der Zeuge G. E. (fremd) gab an:

„Ich bin 12 Jahre alt und mein leiblicher Vater heißt A. E.. Der Bf ist wie ein echter Vater für mich. Ich habe vor circa 4 oder 4 ½ Jahren ihn kennen gelernt. Wir haben uns von Anfang an oft gesehen. Eingezogen ist er erst nach circa einem halben Jahr bei uns. Wir haben seine Sachen zu uns übersiedelt. Er schneidet mir die Haare, wir spielen Fußball in einem nahen öffentlichen „Fußballkäfig“ und manchmal spielen wir auch auf der Konsole X-Box. Er hilft im Haushalt, kocht, wäscht Geschirr ab und räumt auch mein Zimmer zusammen. Es kommt auch öfters vor, dass er mich und meinen Bruder beaufsichtigt, wenn unsere Mutter nicht da ist. Er sagt auch manchmal „Geh in dein Zimmer und räum es auf und dann kannst du wieder rauskommen“. Er erzählt mir und meinem Bruder auch von seiner Heimat in Nigeria, wie sein Garten aussieht und was es für Tiere in Nigeria gibt.“

Die Zeugin Y. Z. (fremd) gab an:

„Ich bin Pastorin … und der Bf besuchte seit erster Jahreshälfte 2014 unsere Messen. Er bringt sich ein und legt auch – wie das bei uns üblich ist – am Beginn der Messe Zeugnis ab und steht zu den Fehlern, die er früher begangen hat. Er singt in unserem Chor und besucht auch regelmäßig unsere Bibelrunde, welche vor der Messe stattfindet. Seine Gattin hat sich auch bei uns taufen lassen und mir fällt auf, dass er sich sehr um seine Gattin und die beiden Söhne kümmert. Er ist auch immer eifrig bei unseren sonstigen Kirchengemeindeaktivitäten wie Konzerte oder Seminare und Picknicks aktiv dabei. Er ist zwar still und nicht streitlustig, aber er ist sehr aktiv innerhalb der Kirchengemeinschaft, wie ein großer Bruder, der uns sehr wichtig geworden ist. Die zwei Jungs brauchen eine Vaterfigur und daher hoffe ich, dass er die Chance bekommt für seine Familie da zu sein.“

Der Zeuge T. U. (fremd) gab an:

„Ich bin Mitglied der S. (…) Kirche, wo der Bf sich auch engagiert. Für uns ist es kein Widerspruch bei mehreren Kirchen tätig zu sein. Ich habe ihn kennen gelernt, als wir gemeinsam in unserer Funktion den Welcome-Service (Begrüßung der Messbesucher, Informationsanlaufstelle, etc.) ausübten und ich war so begeistert von ihm, dass ich ihn in meine Bibelrunde aufgenommen habe. Wir sehen uns mindestens einmal die Woche, nämlich in unserer Bibelrunde und hin und wieder auch privat und in der Messe. Ich kenne seine Familie und manchmal habe ich ihn auch auf der Straße gesehen mit mindestens drei unterschiedlichen Freunden von ihm. Wie groß sein Freundeskreis ist, kann ich allerdings nicht sagen.“

Über Befragung des BfV:

„Wir gehen hin und wieder auf einen Kaffee.“

In seinen Schlussausführungen gibt der BFV an:

„Aufgrund des nunmehrigen Vorliegens eines A2 beantrage ich die Modifikation auf § 41 a Abs. 9 NAG i.d.F. vor BGBl. I Nr. 87/2012.“

In seinen Schlussausführungen gibt der Vertreter der belangten Behörde an:

„Angesichts der hier dargelegten Dringlichkeit und hier dargelegten Familienverhältnisse regt die belangte Behörde an, in diesem Fall eine inhaltliche Entscheidung vorzunehmen und die Modifizierung aufgrund des nunmehrigen Vorliegens eines A2 auf § 41 a Abs. 9 zuzulassen. Die belangte Behörde geht ebenfalls davon aus, dass es in diesem Fall zulässig ist. Sollte das Gericht heute mündlich verkünden, so stellt die belangte Behörde in Aussicht innerhalb von 10 Tagen einen Aufenthaltstitel auszugeben.“

2. Festgestellter Sachverhalt:

Der Gang des Verfahrens wird hinsichtlich des Ablaufs der Geschehnisse als Teil des Sachverhaltes festgestellt.

Der Beschwerdeführer wurde 1977 in Nigeria geboren und ist nigerianischer Staatsbürger (Reisepass, VGW-AS 86, Beilage ./A). Er reiste am 12.10.2011 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.10.2011 abgewiesen und er aus dem Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen wurde (MA 35-AS 9-27). Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 3.9.2012 als unbegründet abgewiesen (MA 35-AS 28-44). Am 20.9.2021 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag persönlich bei der belangten Behörde (MA 35-AS 1-2).

Am 20.11.2011 lernte der Beschwerdeführer seine nunmehrige Frau C. D.-E. kennen (MA 35-AS 55). Vor ihrer Hochzeit befanden sich die beiden bereits drei Jahre in einer Partnerschaft und zog der Beschwerdeführer spätestens am 22.3.2012 bei seiner nunmehrigen Ehefrau in ihre Wohnung, wo er ab diesem Zeitpunkt gemeldet war (VGW-AS 15). Seit dem 6.2.2015 ist er mit C. D.-E. verheiratet (VGW-AS 51, Beilage ./F) und lebt zusammen mit ihr und ihren zwei Söhnen in der gemeinsamen Wohnung (VGW-AS 15-17). Der Beschwerdeführer unternimmt mit den Kindern seiner Ehefrau gemeinsam Dinge wie Fußballspielen, kocht für sie und beaufsichtigt sie, wenn seine Ehefrau außer Haus ist. Er nimmt insgesamt eine vaterähnliche Rolle in ihrem Haushalt ein und hat den Willen, die Kinder zu adoptieren.

Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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