TE Bvwg Beschluss 2020/8/19 W209 2232926-1

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Veröffentlicht am 19.08.2020
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Entscheidungsdatum

19.08.2020

Norm

AuslBG §12b
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W209 2232926-1/3E

W209 2232957-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard Seitz als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes PFLUG und Philipp KUHLMANN als Beisitzer in Erledigung der Beschwerde der XXXX GmbH, XXXX , XXXX , und der XXXX , geb. XXXX , beide vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 30.03.2020, GZ: ABB-Nr: 4044928, betreffend Nichtzulassung der Zweitbeschwerdeführerin zu einer Beschäftigung als (sonstige) Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zu Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführerin), eine 1979 geborene iranische Staatsangehörige, stellte am 16.01.2020 beim Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35, einen Antrag auf Rot-Weiß-Rot-Karte als sonstige Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG. Laut der dem Antrag angeschlossenen Arbeitgebererklärung soll sie bei der XXXX GmbH (im Folgenden: Erstbeschwerdeführerin) als Marketing Managerin mit einer Entlohnung von € 3.300 brutto/Monat bei einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden beschäftigt werden.

Als genaue Beschreibung der Tätigkeit wurde angeführt:

?        Planung und Umsetzung der Marketing- und Kommunikationsstrategie in Print und Online

?        Auf- und Ausbau von Social-Media und PR-Aktivitäten

?        Erstellung, Optimierung und Betreuung von Kampagnen

?        Marktbeobachtung von Trends im digitalen Marketing und Analysen des Onlineverhaltens

?        Koordination der externen Dienstleister (Grafiker, Druckereien, Verlage und Agenturen)

?        Produzieren von wertvollem und einbindenden Inhalt für jeweilige Kanäle, um die anvisierten Zielgruppen strategisch zu konvertieren und von Interessenten zu Kunden zu machen

?        Erstellung von Websites

?        Analyse des Marktes und die Berichterstattung

?        Koordination und Durchführung der Qualitätssicherung

?        Positionierung des gesamten Produkt- und Lösungsportfolios

?        Entwicklung verschiedener Veranstaltungskonzepte

?        Betreuung von relevanten Social Media Kanälen

?        Entwicklung von Kommunikationskonzepten für Social Media

?        Mind. 10 Jahre Berufserfahrung im Bereich Marketing davon 5 Jahre im Bereich von Telekom-Produkten

?        Kenntnisse von folgenden Sprachen: Deutsch, Englisch, Persisch bzw. Dari, Türkisch

Dem Antrag waren folgende Unterlagen beigelegt:

?        Reisepasskopie

?        Lebenslauf

?        Notenzeugnisse und Abschlusszeugnis des Bachelorstudiums, Fachrichtung Computer Ingenieurwesen-Software, vom 09.06.2004

?        Zertifikat über Absolvierung „Harvard Project Management vom 03.06.2013 bei Organisational Developement & Learning MTN Group Human Resources

?        Zertifikat über Absolvierung des Kurses: HTML, undatiert

?        Zertifikat über Absolvierung eines Kurses im Ausmaß von 100 Stunden im Bereich Photoshop & Corel vom 22.01.2006

?        Liste für Zahlung von Versicherungsbeiträgen nach 2007

?        Arbeitsbescheinigung der Firma XXXX vom 22.04.2006 bis 16.09.2014 als Grafik-Expertin

?        ÖSD Zertifikat B2 vom 06.05.2019

2. Mit Schreiben vom 16.01.2020 übermittelte die Magistratsabteilung 35 den Antrag der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien mit dem Ersuchen um schriftliche Mitteilung, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte als Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG vorliegen.

3. Am 27.01.2020 informierte die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) die Erstbeschwerdeführerin darüber, dass die Zeitbeschwerdeführerin die erforderliche Punkteanzahl gemäß Anlage C zu § 12b Z 1 AuslBG nicht erreiche, weil ihr nur 20 Punkte für die allgemeine Universitätsreife und 15 Punkte für Sprachkenntnisse, sohin insgesamt 40 (sic!) Punkte nach den Kriterien der Anlage C angerechnet werden könnten. Das von der Zweitbeschwerdeführerin abgeschlossene Bachelorstudium in Computer Ingenieurwesen stehe in keinem Zusammenhang mit der beantragten Tätigkeit als Marketing Managerin und könne daher nicht berücksichtigt werden. Es könnten daher nur Punkte für die allgemeine Universitätsreife vergeben werden. Die vorhandene Berufserfahrung als Grafik Expertin hätten nicht berücksichtigt werden können, da diese ebenfalls in keinem Zusammenhang mit der beantragten Tätigkeit stehe. Das dem Antrag beigelegte Zertifikat der MTN Academy mit der Bezeichnung "Havard Projekt Managment" habe ebenfalls nicht berücksichtigt werden können, weil Punkte nur für tatsächlich abgeschlossene Ausbildungen oder Studien vergeben werden könnten.

4. Am 07.02.2020 gab die rechtsfreundliche Vertretung der Beschwerdeführerinnen eine schriftliche Stellungnahme ab, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass der Zweitbeschwerdeführerin 30 Punkte für die Absolvierung eines mindestens dreijährigen Studiums anzurechnen wären. Die Berufserfahrung ergebe sich aus den Angaben im Lebenslauf der Zweitbeschwerdeführerin und es werde dazu eine Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin angeboten. Die ausbildungsadäquate Berufserfahrung der Zweitbeschwerdeführerin umfasse jedenfalls 10 Jahre und seien dafür 20 Punkte zu vergeben. Die Zweitbeschwerdeführerin sei im Rahmen der Sekundarstufe 6 Jahre lang im Unterrichtsfach Englisch unterrichtet worden, hätte auf der Universität das Studienfach „Fremdsprache Englisch“ erfolgreich absolviert und berufliche Zusatzausbildungen in englischer Sprache in Südafrika genossen. In der Zusammenschau verfüge sie daher über ausgezeichnete Kenntnisse der englischen Sprache, mindestens im Ausmaß der selbständigen Sprachverwendung (B1). Die Zweitbeschwerdeführerin erreiche somit 75 Punkte der Anlage C.

Zum Tätigkeitsbereich wurde ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin Sim-Karten, allen voran von der Firma Hutchison 3 Austria GmbH, an bestimmte Zielgruppen vermarkte. Diese bestünden vor allem aus Personen mit Migrationshintergrund, wobei ein spezielles Augenmerk auf Personen gelegt werde, die aus den Ländern Türkei, Iran und Afghanistan stammen. Aus diesem Grund seien für die Tätigkeit sowohl Sprachkenntnisse als auch das kulturelle Verständnis dieser Bevölkerungsgruppen sowie Marketingerfahrung in zumindest einem dieser Länder im Bereich Telekommunikation unerlässlich. Da die Marketingkampagnen der Erstbeschwerdeführerin mit der Hauptauftraggeberin sowie deren Mutterunternehmen Hutchinson International abgesprochen werden müssten, sei auch die Kenntnis der englischen Sprache notwendig.

5. Am 19.02.2020 erstattete die Erstbeschwerdeführerin über Aufforderung des AMS einen Vermittlungsauftrag für eine Stelle als Marketing Managerin, für welche folgende Kenntnisse erforderlich seien:

?        Abgeschlossene Hochschulausbildung (Bachelor oder gleichwertig)

?        Mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Marketing

?        10-jährige Berufserfahrung im Geschäftsfeld der Telekommunikation

?        Berufserfahrung im Iran und/oder in der Türkei im Bereich Marketing und/oder Telekomprodukte

?        EDV-Kenntnisse (idealerweise Grafikprogramme und Analytics)

?        Fundierte Kenntnisse von Photoshop, Corel

?        Kenntnisse der Web-Entwicklung (HTML)

?        Kenntnisse der nachstehenden Sprachen: Deutsch (mindestens B1 Niveau), Englisch, Persisch und/oder Dari, Türkisch

?        Reisebereitschaft (österreichweit) 15%

?        Interkulturelle Kompetenz v.a. in Bezug auf Iran, Türkei und Afghanistan

Die Entlohnung betrage laut dem anzuwendende Kollektivvertrag für den Handel in der Stufe 4 der Beschäftigungsgruppe G € 3.700 in Vollzeit.

6. Am 20.02.2020 teilte das AMS der Erstbeschwerdeführerin mit, dass das Anforderungsprofil offensichtlich auf die Zweitbeschwerdeführerin zugeschnitten sei und unter diesen Umständen von der Prüfung der Arbeitsmarktlage abgesehen werde.

7. Mit Schreiben vom 28.02.2020 nahm die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen dazu Stellung und führte aus, dass der Gesellschafter der Erstbeschwerdeführerin seit 2011 mit seiner Firma XXXX KG Produkte sämtlicher Telekomanbieter aus Österreich und Deutschland vertreibe, seit 2017 über Zwischenhändler (Handyshops). Zielgruppe seien in Österreich lebende Personen mit Migrationshintergrund aus dem Kulturkreis Türkei, Iran und Afghanistan. Der Verkauf der Produkte solle über die neu errichtete Firma „ XXXX GmbH“, vermehrt online, ohne Einbeziehung der Handyshops, abgewickelt werden. Das neue Geschäftsmodell erfordere direkten Kontakt zu den Endkunden, woraus die Notwendigkeit, das Marketing selbst zu betreiben, entstanden sei. Die Erstbeschwerdeführerin sei im Bereich Ethno-Wirtschaft tätig. Aus diesem Grund benötige sie Strategien des Ethno-Marketings. Dabei würden ethnische Zielgruppen bewusst in den Mittelpunkt der unternehmerischen Aktivitäten gestellt. Es gehe darum, kulturelle Besonderheiten und Bedürfnisse ethnischer Communities zu (er)kennen und diese in der Kommunikation gezielt einzusetzen. Es seien daher Berufserfahrung im Iran und/oder in der Türkei im Bereich Marketing und/oder Telekomprodukte, interkulturelle Kompetenz v.a. in Bezug auf Iran, Türkei und Afghanistan sowie Sprachkenntnisse in Deutsch (mindestens B1), Englisch, Persisch und/oder Dari sowie Türkisch unbedingt erforderlich. Die geforderten Qualifikationen seien adäquat und branchenüblich. Bezüglich der Berufserfahrung in der Telekommunikationsbranche würden nunmehr nicht mehr 10 Jahre gefordert, sondern finde die Erstbeschwerdeführerin auch mit einer mehrjährigen Berufserfahrung in diesem Bereich das Auslangen. Abschließend wurde die Durchführung eines Ersatzkraftverfahrens mit den oben angeführten Kriterien ersucht.

8. Mit in Beschwerde gezogenem Bescheid vom 30.03.2020 wies das AMS die Zulassung der Zweitbeschwerdeführerin mit der Begründung ab, dass das Anforderungsprofil auf die Zweitbeschwerdeführerin zugeschnitten sei.

9. In der dagegen binnen offener Rechtsmittelfrist erhobenen Beschwerde führte die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen im Wesentlichen aus, dass die Begründung des angefochtenen Bescheides in keiner Weise die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen erfülle. Das AMS hätte nicht ansatzweise erläutert, welche Anforderungen als „keine üblichen Anforderungen“ angesehen würden. Es wurde noch einmal das Geschäftskonzept der Erstbeschwerdeführerin erläutert und ausgeführt, dass die geforderten Qualifikationen nachvollziehbar und keinesfalls als unüblich zu bewerten seien.

10. Im Zuge des Beschwerdevorprüfungsverfahrens wurde die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen vom AMS darüber informiert, dass aufgrund der aktuellen Kurzarbeit für die Mitarbeiter der Erstbeschwerdeführerin öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen die Beschäftigung der Zweitbeschwerdeführerin nicht zuließen.

11. Mit Schriftsatz vom 02.06.2020 teilte die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerinnen mit, dass die Erstbeschwerdeführerin mit heutigem Tag die Kurzarbeit beende und keine Verlängerung beantragen werde. Das Begehren gemäß § 37b AMSG und die Sozialpartnervereinbarung wurden beigelegt.

12. Mit Schriftsatz vom 22.06.2020 wurde eine Beschwerdeergänzung nachgereicht, in der zusammengefasst ausgeführt wurde, dass die Erstbeschwerdeführerin zukünftig beabsichtigte, ihre Produkte, SIM-Karten von verschiedenen Netzanbietern, anstatt wie bisher über Zwischenhändler zu verkaufen, den Kunden direkt anzubieten. Zielgruppe seien nahezu ausschließlich Personen mit Migrationshintergrund. Damit sei für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens entscheidend, Vermarktungsstrategien zu entwickeln und umzusetzen, die auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind. Aus diesem Grund sei man gezwungen, neue Wege im Marketingbereich zu beschreiten. Auch andere Unternehmen würden für das jeweilige Ethno-Marketing speziell Mitarbeiter beschäftigen, die derselben ethnischen Minderheit angehören. So werde sichergestellt, dass der sprachliche, ethnische und kulturelle Hintergrund beachtet wird. Genau diese Überlegung habe die Erstbeschwerdeführerin veranlasst, eine/n Marketingmanager/in anzustellen, welche/r über die entsprechenden Sprachkenntnisse und vor allem interkulturelle Kompetenz verfügt und bereits Erfahrung im Bereich von Telekommunikationsprodukten gesammelt hat.

13. Am 10.07.2020 einlangend legte das AMS die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor. Dabei räumte das AMS ein, dass das Bachelorstudium, eine zehnjährige einschlägige Berufserfahrung und die Deutschkenntnisse (auf dem Niveau B1) der Zweitbeschwerdeführerin anerkannt werden könnten. Im Hinblick darauf, dass der Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderlichen Ausbildung oder sonstigen besonderen Qualifikationen nicht erbracht worden sei, habe aber eine weitere Überprüfung betreffend das Erfordernis der Prüfung der Arbeitsmarktlage gemäß § 12b Z 1 in Verbindung mit den §§ 4 Abs. 1 und 4b AuslBG für die Zulassung als sonstige Schlüsselkraft entfallen können.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Zweitbeschwerdeführerin, eine 1979 geborene iranische Staatsangehörige, hat ein Bachelorstudium in der Fachrichtung Computer Ingenieurwesen-Software an einer anerkannten tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer abgeschlossen. Sie verfügt über eine mehr als zehnjährige einschlägige Berufserfahrung und über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1.

Die Zweitbeschwerdeführerin soll für die Erstbeschwerdeführerin im Ausmaß von 40 Wochenstunden als Marketing Managerin im Bereich des Ethno-Marketings tätig werden und hierfür eine Entlohnung von € 3.700 brutto monatlich erhalten.

Zielgruppe sollen Personen mit Migrationshintergrund sein, wobei ein spezielles Augenmerk auf Personen gelegt werden soll, die aus den Ländern Türkei, Iran und Afghanistan stammen.

Für die Tätigkeit sind laut Erstbeschwerdeführerin folgende Kenntnisse/Qualifikationen erforderlich:

?        abgeschlossene Hochschulausbildung (Bachelor oder gleichwertig)

?        mehrjährige Berufserfahrung im Bereich Marketing

?        mehrjährige Berufserfahrung im Geschäftsfeld der Telekommunikation

?        Berufserfahrung im Iran und/oder in der Türkei im Bereich Marketing und/oder Telekomprodukte

?        EDV-Kenntnisse (idealerweise Grafikprogramme und Analytics)

?        Fundierte Kenntnisse von Photoshop, Corel

?        Kenntnisse der Web-Entwicklung (HTML)

?        Kenntnisse der nachstehenden Sprachen: Deutsch (mindestens B1 Niveau), Englisch, Persisch und/oder Dari, Türkisch

?        Reisebereitschaft (österreichweit) 15%

?        Interkulturelle Kompetenz v.a. in Bezug auf Iran, Türkei und Afghanistan

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

So räumte das AMS anlässlich der Beschwerdevorlage ausdrücklich ein, dass das Bachelorstudium, die Berufserfahrung und die Deutschkenntnisse der Erstbeschwerdeführerin anerkannt werden könnten.

Zudem wird die Anrechenbarkeit des Studiums durch eine von Amts wegen eingeholte Bestätigung der ANABIN Datenbank der (deutschen) Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen bestätigt, der zufolge die Mindestdauer des von der Zweitbeschwerdeführerin an der Islamischen Azad Universität absolvierten Studiums vier Jahre beträgt und die Islamische Azad Universität eine (international) anerkannte Hochschuleinrichtung ist.

Die für den zu besetzenden Arbeitsplatz geforderten Kenntnisse/Qualifikationen ergeben sich aus dem von der Erstbeschwerdeführerin vorgelegten Vermittlungsauftrag, der mit Stellungnahme vom 28.02.2020 dahingehend ergänzt wurde, dass nunmehr mit einer mehrjährigen Berufserfahrung im Bereich Telekommunikation (anstatt einer 10-jährigen Berufserfahrung in diesem Bereich) das Auslangen gefunden werde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 20g Abs. 1 AuslBG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice, die in Angelegenheiten des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ergangen sind, das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer, angehören.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Die im vorliegenden Fall anzuwendenden maßgebenden Bestimmungen des AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, lauten:

§ 12b idF BGBl. I Nr. 94/2018:

„Sonstige Schlüsselkräfte und Studienabsolventen

§ 12b. Ausländer werden zu einer Beschäftigung als Schlüsselkraft zugelassen, wenn sie

1. die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage C angeführten Kriterien erreichen und für die beabsichtigte Beschäftigung ein monatliches Bruttoentgelt erhalten, das mindestens 50 vH oder, sofern sie das 30. Lebensjahr überschritten haben, mindestens 60 vH der monatlichen Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 108 Abs. 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, zuzüglich Sonderzahlungen beträgt, oder

2. …

und sinngemäß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 mit Ausnahme der Z 1 erfüllt sind. Bei Studienabsolventen gemäß Z 2 entfällt die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall.“

Anlage C idF BGBl. I Nr. 94/2018:

Zulassungskriterien für sonstige Schlüsselkräfte gemäß § 12b Z 1

Kriterien

Punkte

Qualifikation

maximal anrechenbare Punkte: 30

abgeschlossene Berufsausbildung oder spezielle Kenntnisse oder Fertigkeiten in beabsichtigter Beschäftigung

20

allgemeine Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120

25

Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer

30

 

 

ausbildungsadäquate Berufserfahrung

maximal anrechenbare Punkte: 20

Berufserfahrung (pro Jahr)

Berufserfahrung in Österreich (pro Jahr)

2

4

 

 

Sprachkenntnisse Deutsch

maximal anrechenbare Punkte: 15

Deutschkenntnisse zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau (A1)

Deutschkenntnisse zur vertieften

elementaren Sprachverwendung (A2)

Deutschkenntnisse zur selbständigen

Sprachverwendung (B1)

5

10

15

 

 

Sprachkenntnisse Englisch

maximal anrechenbare Punkte: 10

Englischkenntnisse zur vertieften

elementaren Sprachverwendung (A2)

Englischkenntnisse zur selbständigen Sprachverwend (B1)

5

10

 

 

Alter

maximal anrechenbare Punkte: 15

bis 30 Jahre

bis 40 Jahre

15

10

 

 

Summe der maximal anrechenbaren Punkte

Zusatzpunkte für Profisportler/innen und Profisporttrainer/innen

90

20

erforderliche Mindestpunkteanzahl

55

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn diese notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Im gegenständlichen Fall erweist sich der bekämpfte Bescheid in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Den Feststellungen folgend verfügt die 1979 geborene Zweitbeschwerdeführerin über ein abgeschlossenes Bachelorstudium in der Fachrichtung Computer Ingenieurwesen-Software an einer anerkannten tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer, über eine mehr als zehnjährige einschlägige Berufserfahrung sowie über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1.

Für das Bachelorstudium sind gemäß der Anlage C zum AuslBG 30 Punkte, für die Berufserfahrung 10 Punkte und für die Deutschkenntnisse 15 Punkte zu vergeben. Damit verfügt die Zweitbeschwerdeführerin – wie auch das AMS anlässlich der Beschwerdevorlage einräumte – über 55 von 55 erforderlichen Punkten gemäß Anlage C, wodurch die allgemeinen Voraussetzungen für eine Zulassung als (sonstige) Schlüsselkraft gemäß § 12b Z 1 AuslBG erfüllt sind.

Auch die Bereitschaft der Erstbeschwerdeführerin, ein § 12b Z 1 AuslBG entsprechendes Mindestentgelt zu leisten, steht unstrittig fest.

Ausschlussgründe iSd § 4 Abs. 1 Z 2 bis 11 AuslBG sind nach der Aktenlage nicht evident.

Auch wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen, die der Beschäftigung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Soweit das AMS eine derartige Beeinträchtigung des öffentlichen und gesamtwirtschaftlichen Interesses darin erblickte, dass die Erstbeschwerdeführerin von der Möglichkeit der Corona-Kurzarbeit Gebrauch machte, ist darauf hinzuweisen, dass diese bereits beendet wurde.

Gemäß § 12b AuslBG ist vor der Zulassung zu einer Beschäftigung als sonstige Schlüsselkraft eine Arbeitsmarktprüfung gemäß § 4 Abs. 1 iVm § 4b leg.cit. (Ersatzkraftstellungsverfahren) durchzuführen.

Das AMS sah von der Durchführung eines Ersatzkraftverfahrens mit der Begründung ab, dass das von der Erstbeschwerdeführerin abgegebene Anforderungsprofil auf die Zweitbeschwerdeführerin zugeschnitten sei. Inwiefern das Anforderungsprofil nach Ansicht des AMS unzulässig eingeengt war, wurde aber nicht dargelegt.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH bezweckt die Bestimmung des § 4b Abs. 1 AuslBG einen Vorrang von Inländern und ihnen gleichgestellten ausländischen Arbeitnehmern bei der Arbeitsvermittlung. Diesem Zweck würde es widersprechen, wenn entgegen der allgemeinen Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes eine Rot-Weiß-Rot-Karte zu erteilen wäre, weil z.B. der einzelne (ausländische) Arbeitnehmer einen – aus welchen Gründen auch immer – zu seiner Einstellung bereiten Arbeitgeber gefunden hat. Mit Hilfe dieser Bestimmung soll in rechtsstaatlichen Grenzen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Möglichkeit für einen lenkenden Einfluss auf die Beschäftigung von Ausländern im Bundesgebiet gewährleistet sein (vgl. VwGH 15.05.2008, 2005/09/0106, 22.04.1993, 93/09/0118, 19.05.1993, 93/09/0130).

Nach der o.a. Rechtsprechung ist es grundsätzlich Sache des Beschäftigers, das Anforderungsprofil hinsichtlich des zu besetzenden Arbeitsplatzes und der konkreten von der Arbeitskraft zu leistenden Tätigkeiten auf abstrakte Weise festzulegen. Der Beschäftiger hat zwar nach § 4b Abs. 1 letzter Satz AuslBG den Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderliche Ausbildung oder sonstige besondere Qualifikationen der gewünschten Arbeitskraft zu erbringen. Die belangte Behörde ist in diesem Rahmen aber grundsätzlich an das von der antragstellenden Partei formulierte Anforderungsprofil gebunden. Die – durchaus vom Beschäftiger festzulegenden – Besonderheiten des Arbeitsplatzes und damit auch der an eine Ersatzkraft gestellten besonderen Anforderungen entbindet den Arbeitgeber aber nicht von seiner Obliegenheit, an einem Ersatzkraftstellungsverfahren im Sinne des § 4b Abs. 1 AuslBG teilzunehmen. Hat der Arbeitgeber offensichtlich nur an der Einstellung eines(r) bestimmten Ausländers(in) Interesse und lehnt er deshalb die Stellung von Ersatzkräften ab, so hindert dies die Behörde, konkrete Feststellungen über das Vorhandensein entsprechender Ersatzkräfte zu treffen, und ist die Zulassung zu versagen.

Vorliegend hat die Erstbeschwerdeführerin ihre Bereitschaft bekundet, an einem Ersatzkraftverfahren mitzuwirken und dem AMS ausdrücklich einen Vermittlungsauftrag für einen/e Marketing Manager/in erteilt.

Auch der erforderliche Nachweis über die zur Ausübung der Beschäftigung erforderliche Ausbildung oder sonstige besondere Qualifikationen der gewünschten Arbeitskraft wurde erbracht.

Das AMS führte anlässlich der Beschwerdevorlage zwar aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin keine einschlägige Berufserfahrung im Marketingbereich nachgewiesen habe. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass die in ihrem Lebenslauf dokumentierten Tätigkeiten ausdrücklich auch Tätigkeiten im Marketingbereich umfassen. Soweit das AMS in Zweifel stellte, dass die Zweitbeschwerdeführerin die dort angeführten Beschäftigungen überhaupt ausgeübt hat, ist auf den von ihr vorgelegten Auszug der iranischen Pensionsversicherung zu verweisen, in dem die Ausübung der Beschäftigungen bestätigt wird.

Soweit das AMS bezweifelte, dass die Zweitbeschwerdeführerin über keine einschlägige Berufsausbildung im Bereich Marketing verfügt, ist darauf zu verweisen, dass eine solche gar nicht gefordert wird.

Was die geforderten Englischkenntnisse betrifft, so wurden diese durch das vorgelegte Diplom der Islamischen Azad Universität nachgewiesen, wo die Zweitbeschwerdeführerin während ihres vierjährigen Bachelorstudiums das Fach „Fremdsprache Englisch“ erfolgreich absolviert hat. Bei den übrigen geforderten Sprachen handelt es sich den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin zufolge um ihre Muttersprache, was hinsichtlich der geforderten Farsi- bzw. Dari-Kenntnisse angesichts der iranischen Staatsangehörigkeit der Zweitbeschwerdeführerin nicht in Zweifel steht. Dass dies – wie von der Zweitbeschwerdeführerin behauptet – auch für die geforderten Türkischkenntnisse zutrifft, wurde seitens des AMS nicht überprüft, obwohl dies erforderlich gewesen wäre, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein entsprechend substantiiertes Vorbringen erstattet wurde.

Bei dieser Sachlage durfte das AMS nicht über seine Verpflichtung hinwegsehen, ein Ersatzkraftverfahren durchzuführen. Das AMS wird daher im fortgesetzten Verfahren ein Ersatzkraftverfahren durchzuführen haben. Dabei ist der Prüfung der Arbeitsmarktlage das angegebene Anforderungsprofil nur insoweit zu Grunde zu legen, als es in den betrieblichen Notwendigkeiten eine Deckung findet.

Sofern das AMS daher das Anforderungsprofil als unsachlich erachtet, hat es dem Arbeitgeber die seiner Meinung nach als bevorzugt zu behandelnden Arbeitssuchenden, die fähig und bereit sind, den vom Arbeitgeber zu besetzenden Arbeitsplatz zu den angebotenen Bedingungen auszufüllen, namhaft zu machen. Erst dann kann rechtlich einwandfrei beurteilt werden, ob der Arbeitgeber des Ausländers tatsächlich kein Interesse an einer solchen Vermittlung hat (vgl. VwGH 24.01.2014, 2013/09/0070, mwN).

Durch die Unterlassung eines Ersatzkraftverfahrens hat das AMS den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nur sehr unzureichend festgestellt und damit keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden "brauchbaren Ermittlungsergebnisse" geliefert. Dies berechtigt das Bundesverwaltungsgericht, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/09/0103).

Bei diesem Ergebnis konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Ersatzkraft Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2232926.1.00

Im RIS seit

21.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

21.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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