TE OGH 2020/10/7 5Ob154/20p

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Veröffentlicht am 07.10.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. F*****, 2. A*****, beide vertreten durch Dr. Andreas Fritsch, Dr. Ralf Fetter, Rechtsanwälte in Lustenau, gegen die Antragsgegner 1. G*****, 2. A*****, beide *****, beide vertreten durch Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, 3. C*****, 4. M*****, beide *****, wegen § 52 Abs 1 Z 4 iVm § 24 Abs 6 WEG infolge des außerordentlichen Revisionsrekurses des Erstantragsgegners und der Zweitantragsgegnerin gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 19. Juni 2020, GZ 1 R 99/20x-76, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 26. Februar 2020, GZ 22 Msch 5/17h-62, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Rekursgericht übermittelt.

Text

Begründung:

Die Antragsteller und die Antragsgegner sind Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung zweier Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft vom 30. Juni 2017, die auch an diesem Tag im Haus angeschlagen wurden. Gegenstand eines Beschlusses war die Genehmigung der Balkonsanierung, Zaunerrichtung und Kostenentnahme vom Baukonto in Höhe von 14.232,93 EUR, der andere betraf die Abstimmung über die Sanierung/Instandsetzung des Vorplatzes des Hauses.

Das Erstgericht wies den Beschlussanfechtungsantrag ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsteller Folge und stellte die Rechtsunwirksamkeit beider Beschlüsse fest. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 10.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs streben die Erst- und Zweitantragsgegner eine Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Sachbeschlusses an, hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Der Oberste Gerichtshof, dem die Akten unmittelbar vorgelegt wurden, ist (derzeit) zur Entscheidung über den außerordentlichen Revisionsrekurs noch nicht berufen:

Rechtliche Beurteilung

1. Im allgemeinen Außerstreitverfahren ist der Revisionsrekurs – außer im Fall der Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs nach § 63 Abs 3 AußStrG – jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand an Geld oder Geldeswert insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und das Rekursgericht nach § 59 Abs 1 Z 2 AußStrG den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt hat (§ 62 Abs 3 AußStrG). Das gilt gemäß § 62 Abs 4 AußStrG nicht, soweit der Entscheidungsgegenstand nicht rein vermögensrechtlicher Natur ist.

2. In diesem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren gelten gemäß § 52 Abs 2 WEG die allgemeinen Bestimmungen über das Außerstreitverfahren mit den in § 37 Abs 3 Z 16 MRG genannten Besonderheiten. Danach sind die in Abs 1 genannten Entscheidungsgegenstände rein vermögensrechtlicher Natur und die maßgebliche Wertgrenze beträgt 10.000 EUR.

3.1. Bei der Bewertung hat das Rekursgericht gemäß § 59 Abs 3 AußStrG die gesetzlichen Bewertungsregeln der §§ 54 Abs 2, 55 Abs 1 bis 3, 56 Abs 3, 57, 58 und 60 JN sinngemäß anzuwenden (Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG² § 59 Rz 34). Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts, hat eine Zusammenrechnung nur zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RIS-Justiz RS0042741; RS0053096). Mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche sind zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbar wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RS0037648). Er ist aber dann nicht anzunehmen, wenn jeder der Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037648 [T18]; RS0037899). Bei Beurteilung dieser Frage ist vom Vorbringen des Klägers – hier Antragstellers – auszugehen (RS0042741; 5 Ob 13/17y).

3.2. Mehrere Ansprüche aus einer Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB, die sich auf verschiedene Eingriffshandlungen des Beklagten stützen, stehen nicht in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN (RS0110012). Ein Zusammenhang ist zu verneinen, wenn einzelne voneinander unabhängige Störungshandlungen verschiedene körperliche Teile der Liegenschaft betreffen, selbst wenn diese in physischer Nähe zueinander stehen (RS0037899 [T26]).

3.3. Für das wohnrechtliche Außerstreitverfahren sprach der Fachsenat bereits aus, dass die Begehren des Antragstellers, die Zustimmung der Antragsgegner zu drei unterschiedlichen, miteinander physisch in keinem Zusammenhang stehenden Änderungen an seinem Wohnungseigentumsobjekt zu ersetzen, nicht im tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN stehen, sodass die Zulässigkeit des Revisionsrekurses für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gemäß § 55 Abs 4 JN gesondert zu beurteilen ist (5 Ob 13/17y).

4. Der hier zu beurteilende Fall ist vergleichbar: Die Antragsteller fechten zwei Beschlüsse der Eigentümergemeinschaft an, die völlig unterschiedliche Maßnahmen betreffen. Während ein Beschluss die bereits durchgeführte Sanierung der Balkone sowie die ebenfalls bereits vorgenommene Errichtung eines Maschendrahtzauns zur Absturzsicherung genehmigen soll, betrifft der andere Beschluss die Abstimmung der Wohnungseigentümer über verschiedene Varianten einer geplanten Vorplatzsanierung. Dass die Beschlüsse vom gleichen Tag am gleichen Tag angeschlagen wurden und – naturgemäß – solche der Eigentümergemeinschaft sind, reicht noch nicht aus, um einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 JN zu begründen (vgl 5 Ob 13/17y). Auch aus den hier geltend gemachten Anfechtungsgründen ergibt sich kein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang, der eine einheitliche Entscheidung erforderte. Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses ist daher für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gemäß § 55 Abs 4 JN gesondert zu beurteilen.

5. Das Rekursgericht hat die gebotene Differenzierung bei seiner Gesamtbewertung des Entscheidungsgegenstands aber unterlassen, was – im Sinn einer getrennten Bewertung – zu berichtigen sein wird.

6. Sollte sich dabei ergeben, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands bei getrennter Betrachtung hinsichtlich eines oder beider Beschlüsse 10.000 EUR nicht übersteigt, käme eine Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs zur Entscheidung nur dann in Betracht, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 63 Abs 3 AußStrG iVm § 37 Abs 3 Z 16 MRG und § 52 Abs 2 WEG ausspricht, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei. Ob der Schriftsatz der Antragsteller diesfalls den Erfordernissen des § 63 Abs 1 AußStrG entspricht oder allenfalls einer Verbesserung bedarf, obliegt der Beurteilung der Vorinstanzen.

Textnummer

E129972

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00154.20P.1007.000

Im RIS seit

19.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.12.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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