TE OGH 2020/9/28 8Ob48/20x

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Veröffentlicht am 28.09.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L***** H***** geboren am *****, in Pflege und Erziehung der Mutter N***** H*****, vertreten durch Giesinger, Ender, Eberle & Partner, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung einer Klagsführung, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 5. Mai 2020, GZ 3 R 90/20p-8, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bludenz vom 3. April 2020, GZ 28 Pg 7/20v-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der Minderjährige macht mit einer am 20. 1. 2020 beim Landesgericht Feldkirch eingebrachten Klage Schadenersatzansprüche gegen eine Bergbahnen-Gesellschaft aufgrund des tödlichen Rodelunfalls seines Vaters geltend. Der minderjährige Kläger ist nicht österreichischer Staatsbürger und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner obsorgeberechtigten Mutter in Deutschland.

Am 13. 1. 2020 beantragte der Minderjährige beim Erstgericht „aus prozessualer Vorsicht“ die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der beabsichtigten Klagsführung, in eventu eine Mitteilung, dass keine Genehmigung erforderlich sei.

Das Erstgericht wies den Antrag wegen internationaler Unzuständigkeit zurück.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig.

In seiner Begründung führte es aus, die beantragte Klagsgenehmigung unterliege Art 1 Abs 2 lit e der ab 1. 3. 2005 geltenden Brüssel IIa-VO oder EuEheKindVO. Es handle sich um eine Maßnahme zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber. Lediglich die Zuständigkeit für die Klage als solche falle unter die Bestimmungen der EuGVVO. Die Anwendung der Brüssel IIa-VO sei zwingend und gehe in den von ihr erfassten Fällen den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere auch § 110 JN, vor.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen, der im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG mangels gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Anwendung der Brüssel IIa-VO auf die Genehmigung der Klagsführung Minderjähriger zulässig, aber nicht berechtigt ist.

1. Der Oberste Gerichtshof hatte sich jüngst in der Entscheidung 6 Ob 125/20f erstmals mit der hier maßgeblichen Rechtsfrage zu befassen. Aus der Begründung dieses Beschlusses ist hervorzuheben:

„1.1. Die Brüssel IIa-VO regelt die internationale Zuständigkeit in Eheauflösungssachen und in Angelegenheiten der elterlichen Verantwortung sowie die Anerkennung und allenfalls Vollstreckung der darüber in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen (Fucik in Fasching/Konecny2 EuEheKindVO Vor Art 1 Rz 1). Als Unionsrecht genießt die Brüssel IIa-VO Anwendungsvorrang vor dem rein nationalen Recht (Fucik aaO Vor Art 1 Rz 4; Kodek in Fasching/Konecny2 Vor Art 1 EuGVVO Rz 16). Im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO wird entgegenstehendes nationales Recht verdrängt.

1.2. Nach Art 1 Abs 1 lit e leg cit fallen in den Anwendungsbereich der Verordnung 'Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber'. Aus dieser Bestimmung wird in der Literatur überwiegend abgeleitet, dass die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung des zugrundeliegenden Rechtsgeschäfts oder die Genehmigung einer Klagsführung von der Brüssel IIa-VO erfasst wird (Rauscher in Rauscher, EuZPR Art 1 Rz 33; Fucik aaO Rz 1, Rz 49). Die Klage selbst fällt demgegenüber unter die EuGVVO (Fucik aaO).

1.3. Nach Art 8 Abs 1 Brüssel IIa-VO sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Die internationale Unzuständigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen, weil es keine Heilung der internationalen Unzuständigkeit gibt (Art 17 Brüssel IIa-VO).

1.4. Die Regelung des § 110 JN ist im Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO demgegenüber lediglich subsidiär anzuwenden (Fuchs in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I2 § 110 JN Rz 5; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 110 JN Rz 6; Fucik in Fasching/Konecny3 § 110 JN Rz 13).

2. An der Anwendung der Brüssel IIa-VO ändert sich auch nichts, wenn man in Übereinstimmung mit dem LGZ Wien (EFSlg 124.680) davon ausginge, dass die Verfolgung schadenersatzrechtliche Ansprüche eines Minderjährigen sowohl dem Bereich des Obsorgerechts als auch jenem der Verwaltung des Kindesvermögens zuzurechnen sei. Vielmehr wären in beiden Fällen nicht österreichische, sondern deutsche Gerichte international zuständig.“

2. Der erkennende Senat erachtet diese Ausführungen für zutreffend.

Aus der im Revisionsrekurs ins Treffen geführten Instanzentscheidung des Landesgerichts Innsbruck (iFamZ 2009/136, krit [Fucik]), die sich mit der Anwendung der Brüssel IIa-VO überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, ist kein gegenteiliges Argument ableitbar.

3. Die Entscheidung des Rekursgerichts erweist sich damit als zutreffend. Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Textnummer

E129967

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00048.20X.0928.000

Im RIS seit

18.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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