TE Bvwg Beschluss 2020/7/14 W203 2224463-1

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Veröffentlicht am 14.07.2020
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Entscheidungsdatum

14.07.2020

Norm

AEUV Art45
B-VG Art133 Abs4
StudFG §2
StudFG §4 Abs1a
StudFG §6
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W203 2224463-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER über die Beschwerde von XXXX , XXXX , Studierender an der Wirtschaftsuniversität Wien, gegen den Bescheid des Senates der Studienbeihilfenbehörde an der Stipendienstelle Wien vom 14.08.2019, Dok.Nr.: 438663501, betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung von Studienbeihilfe:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 4 Abs. 1a Z 1 Studienförderungsgesetz 1992 (StudFG), BGBl. I Nr. 305/1992, idgF, aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Studienbeihilfenbehörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein am XXXX geborener deutscher Staatsbürger, absolvierte seine schulische Ausbildung zur Gänze in Deutschland.

2. Am 12.02.2019 legte der Beschwerdeführer die Studienberechtigungsprüfung an der Wirtschaftsuniversität Wien ab.

3. Seit dem Sommersemester 2019 betreibt der Beschwerdeführer an der Wirtschaftsuniversität Wien das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

4. Am 08.05.2019 beantragte der Beschwerdeführer erstmals die Gewährung von Studienbeihilfe für sein an der Wirtschaftsuniversität Wien betriebenes Bachelorstudium.

5. Mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien, vom 23.05.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen mit der Begründung, dass dieser nicht über die österreichische Staatsbürgerschaft verfüge und die Gleichstellungsvoraussetzungen gemäß § 4 StudFG nicht erfülle.

6. Am 05.06.2019 brachte der Beschwerdeführer eine als „Bescheidbeschwerde“ bezeichnete Vorstellung gegen den Bescheid der Studienbeihilfenbehörde vom 23.05.2019 ein und begründete diese auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt: Er sei aufgrund seiner im November 2018 in Österreich aufgenommenen Berufstätigkeit Wanderarbeitnehmer iSd Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) und erfülle somit die Gleichstellungsvoraussetzung gemäß § 4 Abs. 1a Z 1 StudFG. Außerdem sei er iSd § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG in das österreichische Gesellschaftssystem integriert, da er an einer österreichischen Universität studiere, sehr kontaktfreudig sei, die deutsche Sprache einwandfrei beherrsche, seit 2018 in Österreich wohne, seit dem Sommersemester 2019 als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Österreichischen HochschülerInnenschaft an der WU tätig sei und eine Österreicherin als Freundin habe. Darüber hinaus sei er durch die Aufnahme seines Studiums an der Wirtschaftsuniversität Wien auch in das österreichische Bildungssystem integriert.

7. Am 01.07.2019 legte der Beschwerdeführer der Stipendienstelle Wien einen „Dienstzettel“ über eine geringfügige Beschäftigung bei der in XXXX in Niederösterreich ansässigen „ XXXX “ vor. Daraus gehen ein Beginn des Arbeitsverhältnisses mit 05.11.2018, der Arbeitsort XXXX , eine Tätigkeit des Beschwerdeführers als „Unterstützung der Betreuung der Internetplattformen (Facebook, Instagram…), ein Entgelt in der Höhe von brutto 200 Euro/Monat und eine Arbeitszeit von vier Stunden/Woche mit frei wählbarem Arbeitstag hervor.

8. Mit Bescheid des an der Stipendienstelle Wien eingerichteten Senates der Studienbeihilfenbehörde (im Folgenden: belangte Behörde) vom 14.08.2019, Dok. Nr.: 438663501 (im Folgenden: angefochtener Bescheid), wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von Studienbeihilfe vom 08.05.2019 abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass EWR-Bürger die Gleichstellungsvoraussetzungen des § 4 Abs. 1a Z 1 StudFG dann erfüllen würden, wenn diese Wanderarbeitnehmer im Sinne des Art. 45 AEUV seien. Entscheidend sei dabei, dass eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ vorliege, also eine Tätigkeit, die nicht nur als „vollständig untergeordnet und unwesentlich“ zu qualifizieren sei, wobei als Anhaltspunkt das Beschäftigungsausmaß und die Art der Tätigkeit gelten. Da der monatliche Verdienst des Beschwerdeführers bei rund 200 Euro und somit deutlich unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von – damals – 438,05 Euro/Monat liege, handle es sich bei der vom Beschwerdeführer ausgeübten Beschäftigung nicht um eine tatsächliche und echte Berufstätigkeit, sondern um eine Tätigkeit, die einen so geringen Umfang habe, dass diese sich als vollständig untergeordnet und unwesentlich darstelle. Außerdem sei der Beschwerdeführer zum Antragszeitpunkt erst sechs Monate beschäftigt gewesen.

Es liege im Falle des Beschwerdeführers auch keine ausreichende Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem vor, da dafür die Zulassung zur Studienberechtigungsprüfung oder zu einem Studium an einer österreichischen Universität für sich genommen nicht ausreiche. Auch die mit der Aufnahme eines Studiums einhergehenden gewöhnlichen sozialen Kontakte seien kein Hinweis auf eine besondere Verbundenheit zum Aufnahmestaat. Diese stellten somit ebenso wenig einen entscheidenden Beitrag zur Integration in das österreichische Bildungs- und Gesellschaftssystem dar wie die ehrenamtliche Tätigkeit in der österreichischen HochschülerInnenschaft. Die gesellschaftliche Integration müsse verneint werden, da eine Aufenthaltsdauer von etwas mehr als sechs Monaten zu kurz sei und auch die Deutschkenntnisse im Falle eines deutschen Staatsbürgers keinen Anhaltspunkt für eine besondere Verbindung zu Österreich darstellten.

Der Bescheid wurde am 05.09.2019 durch Hinterlegung zugestellt.

9. Am 24.09.2019 brachte der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde ein und begründete diese zusammengefasst wie folgt: Entgegen den von der belengten Behörde getroffenen Feststellungen, wonach seine Tätigkeit nur in der „Unterstützung der Betreuung der Internetplattformen Facebook/Instagram“ bestehe, sei der Beschwerdeführer tatsächlich ein wichtiger Teil des öffentlichen Auftritts seines Arbeitgebers. Er sei in die Struktur des Unternehmens eingebunden und nehme regelmäßig an Meetings bzw. an der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens teil. Die Behörde habe fälschlicherweise auch das Gehalt des Beschwerdeführers – nicht zuletzt wegen Außerachtlassung der Sonderzahlungen – etwas zu niedrig angesetzt. Die Tätigkeit sei entgegen der Ansicht der belangten Behörde auch nicht als vollständig untergeordnet und unwichtig anzusehen, was sich daran zeige, dass der Beschwerdeführer eine Arbeitnehmer-Selbstversicherung abgeschlossen habe, dem Angestelltengesetz unterliege, Anspruch auf Sonderzahlungen und Erholungsurlaub habe und er sich somit insofern nicht von sonstigen Arbeitnehmern unterscheide.

Mit dem Argument, dass für die Wanderarbeitnehmereigenschaft das Erreichen eines Gehalts über der Geringfügigkeitsgrenze ausschlaggebend sei, widerspreche die belangte Behörde der Rechtsansicht sowohl des Bundesverwaltungsgerichtes als auch des Verwaltungsgerichtshofes. So habe der Verwaltungsgerichtshof in einem früheren Fall erkannt, dass auch eine zweimal pro Woche ausgeübte Beschäftigung mit einem Verdienst von etwa 100 Euro/Monat die Wanderarbeitnehmereigenschaft zu begründen vermöge.

Der Beschwerdeführer sei auch ausreichend in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert, unter anderem deswegen, weil er die Hochschulzugangsberechtigung in Form der Studienberechtigungsprüfung in Österreich erworben habe.

10. Mit Schreiben vom 14.10.2019, eingelangt am 17.10.2019, legte die belangte Behörde ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen die Beschwerde samt zugehörigem Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

11. Am 03.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer und die belangte Behörde als Parteien geladen waren.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass er seine schulische Ausbildung zur Gänze in Deutschland absolviert habe. Nach Berufstätigkeiten in Stuttgart und in Portugal sei er – nachdem er im Jänner 2018 seine aus Niederösterreich stammende Freundin kennengelernt habe – im Oktober 2018 nach Österreich gekommen. Es sei für ihn klar gewesen, dass er hier studieren habe wollen, er habe sich aber „nebenbei“ auch um einen Job umgeschaut und schließlich im November 2018 die Tätigkeit bei der in XXXX ansässigen Firma bekommen. Diese Tätigkeit übe er bis dato in einem unveränderten Beschäftigungsausmaß aus. Nachgefragt, warum der Beschwerdeführer seiner Ansicht nach Wanderarbeitnehmer sei, gab dieser an, dass er einen regelmäßigen Job in Österreich ausübe, ein 13. und 14. Gehalt beziehe, Urlaubsanspruch habe und unfallversichert und selbständig krankenversichert sei. Konkret sei er im Onlinemarketing tätig und schalte Werbungen für seine Firma auf Google. Er entscheide alleine über die Ausgaben eines ihm anvertrauten Firmengeldes in der Höhe von 300 bis 400 Euro pro Monat. Er sei nicht selbständig tätig, da er auf Anweisung seines Arbeitgebers arbeite. Generell arbeite er im Homeoffice, er sei aber auch öfters bei Meetings am Firmensitz vor Ort. Für seine Tätigkeit wende er durchschnittlich vier Stunden pro Woche, manchmal auch mehr Zeit auf. Er erhalte dafür ein Entgelt von 209 Euro pro Monat, inklusive Sonderzahlungen 418 Euro pro Monat. Er plane, diese Tätigkeit längerfristig neben seinem Studium auszuüben. Die Tätigkeit passe sehr gut mit seinem Studium zusammen, er glaube nicht, dass er ohne die Berufstätigkeit einen schnelleren Studienfortgang hätte.

Auf Nachfrage der Vertreterin der belangten Behörde, warum im Versicherungsdatenauszug eine Aufnahme der aktuellen Tätigkeit erst mit Jänner 2019 aufscheine, der Beschwerdeführer aber angebe, dass er bereits im November 2018 diese Tätigkeit begonnen habe, legte dieser zwei Lohnzettel für die Monate November und Dezember 2018 vor.

Die Vertreter der belangten Behörde (im Folgenden: BehV) gaben an, dass der Beschwerdeführer nach der Aktenlage zum Antragszeitpunkt weder Wanderarbeitnehmer noch ausreichend in das österreichische Bildungssystem integriert gewesen sei. Die Wanderarbeitnehmereigenschaft des Beschwerdeführers sei auszuschließen, weil die Tätigkeit zu kurz ausgeübt worden sei und es sich dabei auch nicht um eine „tatsächliche Berufstätigkeit“ handle. Das Erreichen der Geringfügigkeitsgrenze sei für die belangte Behörde ein Indiz dafür, ob Wanderarbeitnehmereigenschaft vorliege oder nicht, aber nicht das einzige Kriterium. Nachgefragt, ob sie sich an einen Fall erinnern könnten, indem die Wanderarbeitnehmereigenschaft auch in einem Fall anerkannt worden wäre, in dem diese Grenze nicht erreicht wurde, gaben die BehV an, dass das denkbar sei, wenn eine Tätigkeit bereits sehr lange ausgeübt worden und das dafür erzielte Entgelt knapp unter der Grenze gelegen sei, dass sie sich aber nicht an einen konkreten derartigen Fall erinnern könnten. Der Dienstzettel des Beschwerdeführers sei deswegen angefordert worden, um die Art der Tätigkeit genauer prüfen zu können. Bei der Einzelfallprüfung habe sich herausgestellt, dass es sich bei der Beschäftigung des Beschwerdeführers lediglich um eine unterstützende Tätigkeit handle.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsbürger. Er hat seine schulische Ausbildung zur Gänze in Deutschland absolviert.

Im Wintersemester 2018/19 legte der Beschwerdeführer an der Wirtschaftsuniversität Wien die Studienberechtigungsprüfung ab. Seit dem Sommersemester 2019 betreibt er das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Der Beschwerdeführer ist seit Oktober 2018 in Österreich aufhältig, seine Freundin ist Österreicherin.

Seit November 2018 ist der Beschwerdeführer bei der „ XXXX “ mit Sitz in XXXX , Niederösterreich geringfügig beschäftigt, wobei dessen Tätigkeit laut Dienstzettel die „Unterstützung der Betreuung der Internetplattformen (Facebook/Instagram…)“ im Ausmaß von vier Stunden pro Woche mit frei wählbarem Arbeitstag umfasst und er dafür ein Entgelt in der Höhe von brutto 200 Euro/Monat erhält.

Am 08.05.2019 beantragte der Beschwerdeführer erstmals die Gewährung von Studienbeihilfe.

Der Antrag wurde zunächst mit Bescheid der Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien, vom 23.05.2019 und in Folge einer dagegen eingebrachten Vorstellung mit Bescheid der belangten Behörde vom 14.08.2019 mangels Vorliegens der Gleichstellungsvoraussetzungen iSd § 4 StudFG abgewiesen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, aus dem Verfahren vor der belangten Behörde, aus der Beschwerde und aus den Ergebnissen der am 03.07.2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und deshalb erwiesen.

Die Feststellungen betreffend den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus einer Abfrage beim Zentralen Melderegister, die Feststellung zum privaten Umfeld des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen während des gesamten Verfahrens getätigten gleichlautenden und glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen über die vom Beschwerdeführer in Österreich ausgeübte Tätigkeit ergeben sich aus den im Akt aufliegenden Unterlagen, insbesondere einem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung, dem Dienstzettel und den Lohnzetteln.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 i.V.m. Art. 131 Abs. 2 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 idgF, erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bezirksschulrates wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels Anordnung einer Senatszuständigkeit liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt A

3.2.1. Zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides

3.2.1.1. Gemäß § 1 Abs. 4 StudFG ist zur Beurteilung von Ansprüchen der Zeitpunkt der Antragstellung maßgeblich, soweit im Folgenden nichts anderes festgelegt ist.

Gemäß § 2 StudFG können folgende Personen Förderungen erhalten:

1. österreichische Staatsbürger (§ 3) und

2. gleichgestellte Ausländer und Staatenlose (§ 4).

Gemäß § 4 Abs. 1 StudFG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens zur Schaffung des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und von Vertragsparteien des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie Drittstaatsangehörige österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt, soweit es sich aus diesen Übereinkommen ergibt.

Gemäß Abs. 1a leg. cit. erfüllen EWR-Bürger die Gleichstellungsvoraussetzungen, wenn sie

1. Wanderarbeitnehmer im Sinne des Artikel 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) oder Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern sind oder

2. das Recht auf Daueraufenthalt in Österreich im Sinne des Artikels 16 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, haben oder

3. in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert sind.

Gemäß § 6 StudFG ist Voraussetzung für die Gewährung einer Studienbeihilfe, daß der Studierende

1.       sozial bedürftig ist (§§ 7 bis 12),

2.       noch kein Studium (§ 13) oder keine andere gleichwertige Ausbildung absolviert hat,

3.       einen günstigen Studienerfolg nachweist (§§ 16 bis 25),

4.       das Studium, für das Studienbeihilfe beantragt wird, vor Vollendung des 30. Lebensjahres begonnen hat. Diese Altersgrenze erhöht sich

a)       für Selbsterhalter gemäß § 27 um ein weiteres Jahr für jedes volle Jahr, in dem sie sich länger als vier Jahre zur Gänze selbst erhalten haben, höchstens jedoch um insgesamt fünf Jahre,

b)       für Studierende gemäß § 28, die zur Pflege und Erziehung mindestens eines Kindes gesetzlich verpflichtet sind, um fünf Jahre,

c)       für behinderte Studierende gemäß § 29 um fünf Jahre,

d)       für Studierende, die ein Masterstudium aufnehmen, um fünf Jahre, sofern sie das Bachelorstudium vor Überschreitung der Altersgrenze unter Berücksichtigung der lit. a bis c begonnen haben.

Gemäß Artikel 45 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist innerhalb der Union die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. umfasst sie die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. gibt sie — vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen — den Arbeitnehmern das Recht,

a)       sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b)       sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

c)       sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

d)       nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt

Gemäß Abs. 4 leg. cit. findet dieser Artikel keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.

3.2.1.2. Verfahrensgegenständlich stützt die belangte Behörde ihren abweisenden Bescheid darauf, dass der Beschwerdeführer weder österreichsicher Staatsbürger sei noch die Gleichstellungsvoraussetzungen des § 4 StudFG erfülle.

Die belangte Behörde geht dabei zu Unrecht davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht als Wanderarbeitnehmer iSd Artikel 45 AEUV anzusehen wäre, und zwar aus folgenden Erwägungen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in mehreren Erkenntnissen in Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen, dass für die Qualifikation als Arbeitnehmer im Sinn des Art. 45 AEUV – abgesehen vom Erfordernis einer abhängigen Beschäftigung gegen Entgelt – ausschlaggebend ist, dass eine „tatsächliche und echte Tätigkeit“ vorliegt, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine „völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit“ handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Dienstverhältnisses (vgl. VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049; 14.11.2017, Ra 2017/21/0130; 29.09.2011, 2009/21/0386; 13.09.2001, 99/12/0212).

Unter dieser Prämisse hatte der Verwaltungsgerichtshof bereits im Jahr 2011 in einem Verfahren betreffend das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zu beurteilen, ob eine kontinuierlich nahezu über fünf Monate ausgeübte Beschäftigung im Ausmaß von zwei Mal jeweils zweieinhalb Stunden/Woche mit einem Entgelt von fünf Euro pro Stunde die Wanderarbeitnehmereigenschaft zu begründen vermag, und erkannte in diesem Zusammenhang, dass es „bei einer Gesamtschau keinem Zweifel unterliegen“ könne, dass bei dieser Ausgangslage die dafür erforderliche „Bagatellgrenze“ überschritten werde (VwGH 29.09.2011, 2009/21/0386). Durch die von der höchstgerichtlichen Judikatur verwendeten Begriffe „völlig untergeordnet“, „unwesentlich“ und „Bagatellgrenze“ lässt sich nach Ansicht des erkennenden Gerichts der Schluss ziehen, dass die Schwelle dafür, ab wann von einer tatsächlichen und echten und damit die Wanderarbeitnehmereigenschaft zu begründen vermögenden Tätigkeit ausgegangen werden kann, sehr niedrig anzusetzen ist.

Verfahrensgegenständlich übte der Beschwerdeführer zum Antragszeitpunkt – und dieser ist für die Beurteilung des Anspruches des Beschwerdeführers auf Gewährung von Studienbeihilfe gemäß § 1 Abs. 4 StudFG maßgeblich – eine kontinuierlich betriebene Beschäftigung über einen Zeitraum von sechs Monaten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich vier Stunden und einem Entgelt von etwas mehr als 200 Euro pro Monat aus und ist daher im Lichte der vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Kriterien als Wanderarbeitnehmer anzusehen.

Da der Beschwerdeführer somit jedenfalls einen der in § 4 Abs. 1a alternativ genannten Gleichstellungstatbestände erfüllt, erübrigt sich ein näheres Eingehen auf das sonstige Beschwerdevorbringen, insbesondere darauf, ob der Beschwerdeführer zum Antragszeitpunkt (auch) als ausreichend in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert anzusehen war.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass verfahrensgegenständlich der angefochtene Bescheid insofern mit Rechtswidrigkeit behaftet ist, als die belangte Behörde zu Unrecht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer schon deswegen keinen Anspruch auf Studienbeihilfe habe, weil er mangels Erfüllung der Gleichstellungsvoraussetzungen nicht zum begünstigten Personenkreis im Sinne des § 2 StudFG zu zählen sei.

3.2.1.3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts zu beheben.

3.2.2. Zur Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde

3.2.2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. hat - liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor - das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.2.2.2. In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73f).

3.2.2.3. Verfahrensgegenständlich hat die belangte Behörde – abgesehen von der Gleichstellungsproblematik – im Lichte des unter Pkt. 3.2.2.2. zitierten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich des Vorliegens der (sonstigen) Anspruchsvoraussetzungen auf Gewährung von Studienbeihilfe „jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen“. Da die belangte Behörde – wie bereits unter Pkt. 3.2.1. ausgeführt - zu Unrecht zum Ergebnis gelangte, dass der Beschwerdeführer schon mangels Erfüllung der Gleichstellungskriterien die Voraussetzungen für den Erhalt einer Studienbeihilfe nicht erfülle, erfolgte diese Unterlassung im Sinne einer möglichst ökonomischen und effizienten Verfahrensführung auch aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Dennoch erachtet das Bundesverwaltungsgericht eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde für geboten.

Der Verwaltungsgerichtshof leitet zwar aus § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG einen „prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte“ ab (VwGH 20.12.2017, Ra 2017/10/0116 mit Verweis auf VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063), bringt darin aber auch zum Ausdruck, dass eine Zurückverweisung dann – und nur dann - in Betracht kommt, wenn es sich um „Ermittlungslücken“ in einem größeren Ausmaß handelt. Verfahrensgegenständlich liegen derartige Ermittlungslücken vor, da hinsichtlich der für die Feststellung des Anspruchs auf Studienbeihilfe ganz zentralen Themenbereiche wie insbesondere der „sozialen Bedürftigkeit“ – wenn auch wie dargelegt aus nachvollziehbaren Erwägungen – keine Ermittlungen stattgefunden haben. Es kann – aufgrund der unmittelbaren „Sachnähe“ und Vertrautheit der belangten Behörde zur Materie der zu erledigenden Angelegenheit - auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. In einer Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung der Angelegenheit an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis daher der Vorzug zu geben. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

3.2.2.4. Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

3.2.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.

3.2.4. Durch die Entscheidung gemäß Spruchpunkt A) wurde der angefochtene Bescheid des Senates der Studienbeihilfenbehörde vom 14.08.2019 behoben. Die belangte Behörde hat daher im fortgesetzten Verfahren nach Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts über die Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den Ausgangsbescheid der Studienbeihilfenbehörde, Stipendienstelle Wien, vom 23.05.2019, zu entscheiden, wobei sie an die rechtliche Beurteilung, von welcher das Bundesverwaltungsgericht im verfahrensgegenständlichen Beschluss ausgegangen ist, gebunden ist.

3.3. Zu Spruchpunkt B - Unzulässigkeit der Revision:

3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.3.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.

Schlagworte

Anspruchsvoraussetzungen Arbeitsaufnahme ausländische Studierende begünstigter Personenkreis Geringfügigkeitsgrenze Gleichstellung Kassation Selbsterhalterstipendium Studienbeihilfe Wanderarbeitnehmer Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W203.2224463.1.00

Im RIS seit

03.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

03.12.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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