TE Bvwg Erkenntnis 2020/10/2 W165 2235386-1

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Veröffentlicht am 02.10.2020
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Entscheidungsdatum

02.10.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W165 2235384-1/3E
W165 2235389-1/3E
W165 2235388-1/3E
W165 2235386-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ilse LESNIAK als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 2) XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX und 4) XXXX , geb. XXXX , gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX alias XXXX , alle StA. Afghanistan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2020, Zlen. 1) 1266624601-200643176, 2) 1266624710-200643206, 3) 1266624100-200643214 und 4) 1266624100-20643214, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 4a, § 10 Abs 1 Z 1, § 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), sind ein Ehepaar. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF3 und BF4), sind deren minderjährige Kinder. Die Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), sind Staatsangehörige Afghanistans und stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 24.07.2020 Anträge auf internationalen Schutz.

Laut EURODAC-Abfrage hatten die BF bereits am 20.06.2019 in Ungarn Asylanträge gestellt (EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie „1“ zu Ungarn).

Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung am 25.07.2020 gab der BF1 an, dass er keine ihn an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Er habe seinen Herkunftsstaat Afghanistan vor 32 Jahren in Richtung Iran verlassen und sei aus dem Iran vor ca. fünf Jahren in die Türkei ausgereist. Anschließend sei er über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn (ein Jahr Aufenthalt) am 24.07.2020 nach Österreich gelangt. Von Ungarn sei er mit seiner Familie selbständig ohne Schleppung nach Österreich eingereist. In Griechenland sei er mit seiner Familie auf der Straße gewesen, sie seien weitergereist. In Ungarn sei er in einem geschlossenen Lager gewesen. Es sei sehr stressig für ihn und seine Familie gewesen, in so einem Lager zu leben. In Ungarn habe er einen Asylantrag stellen müssen. In welchem Stadium sich das Asylverfahren befunden habe und wo sich die im Laufe des Asylverfahren erhaltenen Unterlagen befinden würden, wisse er nicht. Die Frage, was er noch über den Aufenthalt im Land, wo ein Asylantrag gestellt worden sei, angeben könne, beantwortete der BF1 mit „nichts“. Auf Frage, ob etwas gegen eine Rückkehr in das Land des Asylantrages sprechen würde, gab der BF1 zu Protokoll: „Ich möchte nicht zurück“. Er habe in keinem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten. Nunmehr habe er kein bestimmtes Reiseziel. In Österreich habe er - von seiner mitgereisten Ehefrau und den zwei Töchtern abgesehen - keine Familienangehörigen.

Die ebenfalls am 25.07.2020 einer polizeilichen Erstbefragung unterzogene BF2 erstattete mit den Angaben des BF1 übereinstimmende Angaben. Sie habe keine die Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten. Sie könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Sie habe Afghanistan im Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie in den Iran verlassen. Vor rund fünf Jahren hätten sie sich entschlossen, den Iran zu verlassen und seien in die Türkei ausgereist. In Ungarn seien sie in einem geschlossenen Lager gewesen und habe sie mit ihrer Familie Depressionen bekommen. Die Frage, was sie noch über den Aufenthalt im Land, wo ein Asylantrag gestellt worden sei, angeben könne, beantwortete die BF2 mit „nichts“. Nach Gründen befragt, die gegen eine Rückkehr in das Land der Asylantragstellung sprechenden würden, gab die BF2 an, dass sie hierbleiben wolle.

Mit Schreiben vom 30.07.2020 richtete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Wiederaufnahmegesuche gemäß Art. 18 Abs 1 lit. b Dublin III-VO an Ungarn.

Mit Schreiben an das BFA vom 03.08.2020 lehnte die ungarische Dublin-Behörde die Wiederaufnahme der BF ab und teilte mit, dass den BF nach Asylantragstellung vom 20.06.2019 am 11.05.2020 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sodass die Regelungen der Dublin III-VO nicht anwendbar seien. Unter einem teilte die ungarische Dublin-Behörde mit, dass der BF1 und die BF2 in Ungarn unter Alias-Namen und Alias-Geburtsdaten aufgetreten seien.

Am 02.09.2020 erfolgte eine Einvernahme des BF1 vor dem BFA. Befragt, ob er an schwerwiegenden Krankheiten leide oder Medikamente benötigte, gab der BF1 an, dass er nicht in Behandlung stehe, aber psychische Probleme und Knieschmerzen habe. Er sei nicht zum Arzt gegangen. Irgendwann müsse er aber gehen. Befragt, weshalb er nicht zum Arzt gegangen sei, antwortete der BF1, dass er in Ungarn ein Jahr in einem geschlossenen Camp gewesen sei. Die meisten psychischen Probleme habe er deswegen. Er habe dort Tabletten erhalten, die aber keine große Hilfe gewesen seien. In Österreich sei sein Knie von einem Arzt untersucht worden und solle in ein paar Tagen ein Röntgen gemacht werden. Die Knieschmerzen begründete der BF1 damit, dass er seit seiner Jugend hart gearbeitet und vor etwa 20 Jahren einen Motorradunfall im Iran gehabt habe. Im Iran sei er aus Geldmangel nicht zum Arzt gegangen. Wegen der psychischen Probleme sei er in Ungarn nur beim Arzt im Flüchtlingscamp gewesen. Hier in Österreich werde in den nächsten Tagen zum Arzt gebracht werden. Er verfüge über keine seine Angaben bestätigenden medizinischen Unterlagen. Der BF1 wurde aufgefordert, medizinische Unterlagen selbständig und ohne weitere Aufforderung in Vorlage zu bringen. In Österreich habe er keine Verwandten oder sonstige Personen, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Verbindung bestünde. Es seien einige Cousins und Cousinen seiner Frau in Österreich, sie hätten aber keinen Kontakt. Mit der beabsichtigten Zurückweisung des Asylantrages und der Außerlandesbringung nach Ungarn infolge des dort erhaltenen Status des subsidiär Schutzberechtigten konfrontiert, gab der BF1 an dem entgegenstehenden konkreten Gründen an, dass sie nur über Ungarn nach Westeuropa weiterreisen hätten wollen. Sie seien aber gezwungen worden, Fingerabdrücke abzugeben und einen Antrag zu stellen. Nach der Antragstellung seien sie in einem geschlossenen Camp gewesen. Dies sei wie ein Gefängnis gewesen und seien sie wie Häftlinge behandelt worden. Dort habe er seine psychische Gesundheit verloren. Seine Töchter und seine Frau hätten auch psychische Probleme bekommen. Nach einem Jahr hätten sie das Camp verlassen dürfen und ein Zimmer, das sehr schlecht gewesen sei, als Unterkunft erhalten. Sie hätten keinen Sprachkurs und keinerlei Hilfe erhalten. Nach ihn konkret betreffenden Vorfällen während seines Ungarnaufenthaltes befragt, erklärte der BF, dass die Situation dort für alle Flüchtlinge unerträglich gewesen sei. Wenn er zum Arzt gegangen sei, sei er von zehn Polizisten begleitet worden. Seine Kinder hätten sich dort nicht wohlgefühlt. Die allgemeine Lage sei einfach schlecht gewesen. Befragt, ob er nach Schutzgewährung versucht hätte, zB bei der Kirche oder bei NGOs um Unterstützung zu bitten, gab der BF1 an, dass eine Organisation zuständig gewesen sei, nachdem sie das Camp verlassen hätten. Diese sei jedoch nur hin und wieder gekommen und habe Essen mitgebracht. Nach der Entlassung aus dem geschlossenen Camp seien sie in einem normalen Camp gewesen. Dort hätten sie den Ausweis erhalten, dann hätten sie die Wohnung erhalten. Nach etwa ein bis eineinhalb Monaten hätten sie das Land verlassen. Auf Hinweis, dass er keiner Risikogruppe im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung angehöre, erklärte der BF1, dass außer den psychischen Problemen bei ihm nichts gefunden worden sei. Sein psychischer Zustand sei wirklich nicht gut. Er könne weder nach Afghanistan noch nach Ungarn zurück. Zum ausgefolgten Länderinformationsblatt, insbesondere zur Lage von anerkannten Flüchtlingen bzw. subsidiär Schutzberechtigten, räumte der BF1 ein, dass er dies nicht gelesen und dazu auch nichts zu sagen habe. Er habe sich in Ungarn nicht wohlgefühlt. Das sei alles. In Ungarn hätten sie auch alles selbst bezahlen müssen. Die Rechtsberaterin merkte an, dass es dem LIB zu Ungarn zufolge leicht wäre, eine Arbeit zu finden. Infolge der Corona-Pandemie entspreche dies nicht mehr der Wahrheit, da die Arbeitslosigkeit auch in Ungarn gestiegen sei.

Die ebenfalls am 02.09.2020 vor dem BFA einvernommene BF2 gab an, dass sie sich psychisch und physisch in der Lage fühle, die Einvernahme durchzuführen. Ihre Angaben würden auch für ihre Kinder gelten. Die Frage, ob sie an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten leiden oder Medikamente benötigen würde, wurde vereint. Sie seien alle gesund. Sie seien seit fünf Jahren auf der Flucht und „habe dies Spuren hinterlassen“. Nachgefragt, würde sie damit „psychische Müdigkeit“ meinen. Die Frage, ob die BF3 an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten leide oder Medikamente benötige, wurde verneint. Die BF3 sei erst elf Jahre alt, jedoch von der Familie am meisten betroffen. Sie sei psychisch sehr belastet. Sie habe fünf Jahre in Ungewissheit gelebt. Nachgefragt, sei ihr Kind in Österreich weder bei einem Arzt noch bei einem Psychologen oder sonst wo gewesen. Die BF4 leide an keinen schwerwiegenden Krankheiten und benötige keine Medikamente. In Österreich habe die BF2 keine engen Verwandten. Sie habe eine Cousine, glaublich in Wien, aktuell bestehe kein Kontakt. Vor etwa fünf Jahren, in Serbien, habe sie zuletzt mit ihr telefoniert und auch nicht versucht, hier mit ihr Kontakt aufzunehmen. Die Lage in Ungarn sei sehr schlecht gewesen und seien sie dort etwa ein Jahr in einem geschlossenen Camp gewesen. Sie hätten sich nicht frei bewegen dürfen. Sogar beim Arztbesuch seien sie von fünf Polizisten begleitet worden. Nach Schutzgewährung habe man ihnen gesagt, dass sie dort legal leben dürften. Sie hätten keine Unterkunft und keinen Sprachkurs bekommen. Niemand habe ihnen irgendwie geholfen. Sie seien eine afghanische Familie, die vom Iran nach Europa gekommen sei. Ihr Ziel sei nicht Ungarn, sondern ein westeuropäisches Land gewesen, wie Österreich zum Beispiel. Ihr Verbleib in Ungarn sei ein Grund gewesen, warum ihre Tochter depressiv geworden sei. Sie hätte eine Schule besuchen und sich weiterbilden wollen. Auf eingehende Nachfrage bejahte die BF2, dass sie den in Ungarn für Schutzberechtigte vorgesehenen Aufenthaltstitel in Form eines Ausweises erhalten hätten. Konkret sie betreffende Vorfälle während ihres Ungarnaufenthaltes wurden verneint. Sie seien nicht geschlagen oder beschimpft, jedoch ständig erniedrigt worden. Alle hätten zu ihnen gesagt, dass man keine Flüchtlinge wolle. Auf Frage, ob sie versucht hätten, zB bei der Kirche oder bei NGOs um Unterstützung zu bitten, nachdem sie schutzberechtigt gewesen seien, erklärte die BF2, dass sie automatisch einer Organisation zugewiesen und die Unterkunft von dieser organisiert worden sei. Damit konfrontiert, dass sie nicht zur in Bezug auf Covid-19 einschlägigen Risikogruppe der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen gehöre, gab die BF2 an, dass ihr Mann etwas psychische Probleme habe, da er im Iran einen Motorradunfall gehabt habe. Wenn er nervös werde, dann erhöhe sich sein Blutdruck. Ihre beiden Töchter seien in Ungarn sehr unglücklich und traurig gewesen.

Die BF3 und die BF4 wurden aufgrund ihres Alters keiner Einvernahme vor dem BFA unterzogen.

Mit E-Mail an die Betreuungsstelle vom 02.09.2020 ersuchte das BFA um Auskunft, ob hinsichtlich des BF1 Krankheiten bzw. Arztbesuche bekannt, medizinische Unterlagen vorhanden und allenfalls weitere Termine vereinbart worden seien.

Mit E-Mail an das BFA vom 07.09.2020 übermittelte die Betreuungsstelle einen den BF1 betreffenden Befund einer Röntgenordination, Kniegelenksröntgen beidseits, mit dem Ergebnis „Keine Gonarthrosezeichen rechts, incipiente medial betonte Gonarthrose links, geringgradige Femoropatellargelenksarthrose links“. Weiters wurde mitgeteilt, dass bezüglich des psychischen Problems des BF1 nichts bekannt sei.

Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass sich diese nach Ungarn zurückzubegeben hätten (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt II.) sowie gemäß § 61 Abs 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge deren Abschiebung nach Ungarn gemäß § 61 Abs 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Ungarn wurden in den angefochtenen Bescheiden wie folgt zusammengefasst (unkorrigiert durch das Bundesverwaltungsgericht):

Gesamtaktualisierung am 26.02.2020; letzte Kurzinformation eingefügt am 09.03.2020

Allgemeines zum Asylverfahren, Letzte Änderung: 09.03.2020

Die ungarische erstinstanzliche Asylbehörde wurde mit 1. Juli 2019 von Büro für Immigration und Asyl (Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal, BMH; englisch: Immigration and Asylum Office, IAO) in eine fremdenpolizeiliche Behörde umgewandelt und heißt nun Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (Országos Idegenrendészeti F?igazgatóság, OIF; englisch: National Directorate-General for Aliens Policing). Diese Behörde hat dieselben Aufgabenbereiche wie ihre zivile Vorgängerorganisation und arbeitet auf den Gebieten legale/illegale Migration und Asyl und führt auch die Transitzonen und die Asyl-Unterbringungszentren. Die Kontrolle der grünen Grenze und des Grenzverkehrs, sowie Schubhaft und Abschiebungen oder der Betrieb der Schubhaftzentren, obliegt jedoch der regulären ungarischen Polizei (OIF 1.7.2019).

In Ungarn gibt es ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit Beschwerdemöglichkeiten (AIDA 3.2019; für weitere Informationen siehe dieselbe Quelle).

Im Juli 2016 traten Gesetzesänderungen in Kraft, denen zufolge illegal eingereiste Migranten, die in einer 8 km von der Staatsgrenze zu Serbien ins Landesinnere reichenden Kontrollzone betreten werden, keine Asylanträge im Landesinneren mehr stellen können, sondern ohne Erfassung ihrer Daten durch das nächstgelegene Tor des Grenzzauns zurückgeführt und aufgefordert werden, offiziell durch die nächstgelegene Transitzone einzureisen und dort ihren Antrag zu stellen (AIDA 3.2019).

Am 28. März 2017 trat ein Gesetzespaket in Kraft, das während einer „Krisensituation wegen Massenmigration“ die 8-km-Zone auf das gesamte ungarische Territorium ausweitet. Diese „Krisensituation wegen Massenmigration“ kann immer für ein halbes Jahr ausgerufen werden und sieht vor, alle in Ungarn betretenen illegal aufhältigen Personen ohne Möglichkeit zur Asylantragstellung auf die andere Seite des Grenzzauns zu verbringen, selbst wenn sie nicht über Serbien eingereist sind. Asylantragstellung ist faktisch nur in den Transitzonen möglich, es sei denn man darf sich legal in Ungarn aufhalten, das gilt auch für Minderjährige ab 14 Jahren. Auch ist das gesamte Asylverfahren in der Transitzone abzuwarten (AIDA 3.2019; vgl. CoE 21.5.2019). Zuletzt wurde die „Krisensituation“ im März 2020 bis 6. September 2020 verlängert (VB 6.3.2020).

Seit 23. Jänner 2018 wird in jeder der beiden Transitzonen nur mehr eine Person pro Tag zugelassen. Seit Herbst 2016 sieht die Praxis so aus, dass die Migranten nicht mehr vor der Transitzone auf Einlass warten, sondern ihren Wunsch nach Ungarn zu gehen, bereits in temporären Unterbringungszentren in Serbien deponieren und dann, wenn sie an der Reihe sind, üblicherweise einen Tag im Voraus zur Grenze gebracht werden. Auswahlkriterien sind Datum der Ankunft und Grad der Vulnerabilität. Der Rest des Auswahlprozesses ist intransparent. Für Röszke führen die Serben drei verschiedene Wartelisten – eine für Familien, eine für unbegleitete Minderjährige und eine für alleinstehende Männer. Für Tompa gibt es nur eine Warteliste für alle diese Gruppen. Die ungarischen und serbischen Behörden kommunizieren nicht direkt miteinander, sondern die Kommunikation läuft über einen sogenannten „community leader“, das ist ein Insasse eines serbischen Unterbringungszentrums (seit April 2018 nimmt diese Aufgabe abwechselnd immer ein Vater einer Familie im Unterbringungszentrum Subotica für jeweils vier Tage wahr), der von der serbischen Behörde eingesetzt wird um in der sogenannten „pre-transit zone“ (dem abgegrenzten Bereich vor der eigentlichen Transitzone; de facto zum Teil auf ungarischem Boden, nach ungarischer Lesart jedoch Niemandsland) die serbische Liste mit den ungarischen Behörden abzugleichen und an die serbische Behörde rückzumelden, wer in die Transitzone gelassen wird. Es kann demnach Monate dauern, bis ein Migrant in die Transitzone gelassen wird, was Gegenstand der Kritik ist. In den Transitzonen läuft ein beschleunigtes Verfahren mit verkürzten Beschwerdefristen ab (AIDA 3.2019).

Die Europäische Kommission hat in den letzten Jahren mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen dessen Asylgesetzgebung eröffnet. So wurde Ungarn etwa in einem im Dezember 2015 begonnenen Vertragsverletzungsverfahren im Juli 2018 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Bezug auf seine Transitzonen wegen Unvereinbarkeit seiner Asyl- und Rückführungsvorschriften mit EU-Recht verklagt und erhielt ein Aufforderungsschreiben in Bezug auf die Einführung neuer Gründe für die Unzulässigkeit von Asylanträgen, die das Recht auf Asyl ausschließlich auf Personen beschränken, die direkt von einem Ort, an dem ihr Leben oder ihre Freiheit gefährdet ist, nach Ungarn kommen (EK 19.7.2018). Im Juli 2019 folgte dem genannten Aufforderungsschreiben eine Klage wegen Einschränkung des Rechtes auf Asyl (Unzulässigkeit der Antragstellung bei Personen, die aus einem Land nach Ungarn eingereist sind, in dem sie nicht verfolgt wurden, das jedoch die Kriterien eines sicheren Drittstaats nicht erfüllt) und es erging ein weiteres Aufforderungsschreiben, weil Ungarn für Personen im Rückführungsverfahren, die in den ungarischen Transitzonen an der Grenze zu Serbien festgehalten werden, keine Nahrungsmittel bereitstellt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits mehrfach einstweilige Anordnungen erlassen, mit denen Ungarn verpflichtet wird, Lebensmittel für Personen bereitzustellen, die in den Transitzonen festgehalten werden (EK 25.7.2019). Im Oktober 2019 wurde das Verfahren wegen der unterlassenen Nahrungsmittelbereitstellung in den Transitzonen mittels einer mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission auf die nächste Stufe gehoben (EK 10.10.2019).

Am 21. November 2019 hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall „Ilias und Ahmed gegen Ungarn“ entschieden, dass im Falle der Kläger die Bedingungen in der Transitzone Röszke keine unmenschliche Behandlung darstellten und der Aufenthalt nicht als Freiheitsentziehung zu werten war, da sie diese jederzeit Richtung Serbien hätten verlassen können. Jedoch urteilte die Große Kammer auch, dass Ungarn durch eine unzureichende Prüfung der Drittstaatssicherheit Serbiens (Risiko mangelnden Zugangs zum Verfahren und der Kettenabschiebung) Artikel 3 der EMRK verletzt hat (CoE 21.11.2019; ECRE 22.11.2019).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 23.1.2020

?        CoE – Council of Europe (21.11.2019): CASE OF ILIAS AND AHMED v. HUNGARY (Application no. 47287/15) (Grand Chamber), https://www.refworld.org/cases,ECHR,5dd6b4774.html, Zugriff 20.1.2020

?        CoE – Council of Europe (21.5.2019): Commission for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovi?; Report following her visit to Hungary from 4 to 8 February 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009128/CommDH%282019%2913+-+Report+on+Hungary_EN.docx.pdf, Zugriff 19.2.2020

?        ECRE - European Council on Refugees and Exiles (22.11.2019): ECtHR: Failure to Assess Risk of Return Violated Article 3 ECHR, https://www.ecre.org/ilias-and-ahmed-v-hungary-failure-to-assess-risk-of-return-violated-article-3-echr/, Zugriff 20.1.2020

?        EK – Europäische Kommission (19.7.2018): Kommission ergreift weitere Schritte in Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4522_de.htm, Zugriff 16.1.2020

?        EK – Europäische Kommission (25.7.2019): Kommission verklagt Ungarn wegen Strafbarstellung von Hilfeleistungen an Asylbewerber und leitet neues Vertragsverletzungsverfahren wegen unterlassener Nahrungsmittelbereitstellung in Transitzonen ein, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_4260, Zugriff 16.1.2020

?        EK – Europäische Kommission (10.10.2019): Ungarn: Die Kommission leitet nächsten Schritt im Vertragsverletzungsverfahren wegen unterlassener Nahrungsmittelbereitstellung in Transitzonen ein, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_5994, Zugriff 16.1.2020

?        OIF - Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (1.7.2019): Präsentation des OIF, per E-Mail

?        VB des BM.I in Ungarn (6.3.2020): Bericht des VB, per E-Mail

Unbegleitete minderjährige Asylwerber / Vulnerable, Letzte Änderung: 26.02.2020

Personen mit besonderen Bedürfnissen sind laut ungarischem Asylgesetz unbegleitete Minderjährige oder Vulnerable (Minderjährige, Alte, Behinderte, Schwangere, alleinerziehende Elternteile mit minderjährigen Kindern, Opfer von Folter oder Vergewaltigung oder einer anderen schweren Form von psychischer, physischer oder sexueller Gewalt). Nicht ausdrücklich als vulnerabel definiert sind Opfer von Menschenhandel, ernsthaft Kranke und psychisch Kranke. Es gibt in Ungarn kein automatisches Screening zur Identifizierung Vulnerabler. Antragsteller müssen von sich aus sagen, dass sie spezielle Betreuung brauchen – dies wird aber auch in allen Asylinterviews abgefragt. Bei Zweifeln kann von der Behörde ein Mediziner oder Psychologe beigezogen werden. Verweigert der Antragsteller die Untersuchung, wird er auch nicht als vulnerabel behandelt (AIDA 3.2019).

Vulnerable haben das Recht auf kostenlose medizinische Betreuung, Rehabilitation, psychologische, klinisch-psychologische oder psychotherapeutische Behandlung, sofern nötig. In der Praxis mangelt es aber an spezialisierten medizinischen Diensten für Vulnerable, insbesondere solchen mit den nötigen Fremdsprachenkenntnissen oder Erfahrung mit Folteropfern bzw. Traumatisierten. Die NGO Cordelia bietet solche Betreuung in einigen Unterbringungszentren und für privat untergebrachte Asylwerber in Budapest an, hat aber nur begrenzte Kapazitäten. Zu den Transitzonen hat Cordelia keinen Zutritt (AIDA 3.2019).

Es gibt in Ungarn keinen festgelegten Identifikationsmechanismus für unbegleitete Minderjährige. Eine medizinische Altersfeststellung kann angeordnet werden, wenn es Zweifel am Alter des Antragstellers gibt. Der Antragsteller bzw. dessen Vormund muss der Altersfeststellung zustimmen. Eine Verweigerung der Zustimmung darf nicht alleiniger Grund für eine negative Entscheidung sein, aber der Antragsteller wird dann nicht als Minderjähriger behandelt. Die Altersfeststellung wird seit März 2017 in der Transitzone von einem Militärarzt anhand einer oberflächlichen physischen Untersuchung vorgenommen. Gegen das Ergebnis einer Altersfeststellung ist kein Rechtsmittel möglich. Es gibt starke Kritik an diesem System der Altersfeststellung, da seit März 2017 nur noch unbegleitete Minderjährige (UM) unter 14 Jahren die Transitzone verlassen und ihr Verfahren in Ungarn abwarten dürfen, währen UM ab 14 Jahren in den Transitzonen bleiben müssen. Kritiker bezweifeln, dass Transitzonen überhaupt geeignet ausgestattet sind, um Altersfeststellungen vorzunehmen. Betroffenen zufolge dauert die Altersfeststellung nur einige Minuten. Im Zweifel wird üblicherweise die Minderjährigkeit angenommen. 2017 wurden 30 Altersfeststellungen unbekannten Ergebnisses in den Transitzonen vorgenommen, 2018 hingegen keine einzige (AIDA 3.2019). Auch Familien mit Kindern und Vulnerable werden in Transitzonen untergebracht, obwohl Kritiker die Zonen für Vulnerable als ungeeignet erachten. Es gibt in den Transitzonen auch Schulunterricht, dessen Besuch für Kinder unter 16 Jahren verpflichtend ist (AIDA 3.2019). Minderjährige in der Transitzone (also begleitete Minderjährige jeden Alters und unbegleitete Minderjährige ab 14 Jahren) werden seit September 2017 in den Transitzonen verpflichtend unterrichtet (Gov 21.5.2019).

Einem unbegleiteten Minderjährigen (UM) ist in Ungarn binnen acht Tagen von der Vormundschaftsbehörde ein Vormund zu bestellen, der für dessen allgemeines Wohlergehen und für dessen Vertretung im Asylverfahren verantwortlich ist. Während der „Krisensituation wegen Massenmigration“ sind UM über 14 Jahren, die ihr Verfahren jedenfalls in der Transitzone abwarten müssen, von dieser Regelung ausgenommen. Sie erhalten keinen permanenten, sondern einen temporären „ad-hoc Vormund“ (auch als „Einzelvormund“ bezeichnet), welche weniger Anforderungen erfüllen müssen als herkömmliche Vormunde und ihre Schützlinge üblicherweise nur während des Interviews und während der Verkündigung des Bescheids sehen (AIDA 3.2019).

Unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern (UMA) über 14 Jahren in den Transitzonen stehen fünf Mahlzeiten am Tag und bei Bedarf Bekleidung, medizinische Versorgung, Schulbildung, usw. zur Verfügung. Sie werden von Sozialarbeitern beaufsichtigt, die rund um die Uhr anwesend sind. Im Zuge der Aufnahme wird jeder Asylwerber medizinisch untersucht, wobei der Gesundheitszustand eingeschätzt und eventuell erforderliche Behandlungen durchgeführt werden. In den Transitzonen wurden vier verschiedene, voneinander getrennte Unterkunftstypen errichtet: für Familien, für alleinstehende Männer, für alleinstehende Frauen und für unbegleitete Minderjährige im Alter von 14-18 Jahren. Die verschiedenen Unterkünfte beinhalten eigene Container für Speisesäle, Gesellschaftsräume, Abstellräume und soziale Versorgungsräume. In den Bereichen, die zur Unterbringung von Familien und unbegleiteten Minderjährigen dienen, gibt es Außenspielbereiche mit Außenspielplatzgeräten und Lernräume. Die medizinische Versorgung erfolgt in der Transitzone. UMA werden getrennt von Erwachsenen untergebracht. Auch Sachmittel für den Zugang zu Bildung werden in der Transitzone zur Verfügung gestellt (VB 31.8.2018).

Die im Kinderheim Fót untergebrachten unbegleiteten Minderjährigen erhalten die gleiche Versorgung wie ungarische Minderjährige. Vormunde werden für sie als gesetzliche Vertreter bestellt (VB 31.8.2018). Unbegleitete Minderjährige unter 14 Jahren, sowie UM über 14 Jahren, die Asyl erhalten haben und aus der Transitzone entlassen wurden, erhalten einen herkömmlichen Vormund und werden im Károlyi István Kinderheim in Fót untergebracht. Dort sind soziale und psychologische Dienste verfügbar. Darüber hinaus gibt es kein eigenes Unterbringungszentrum für Vulnerable. Verständigungsschwierigkeiten zwischen Vormund und Mündel, sowie eine hohe Zahl von zu betreuenden UM pro Vormund sind ein Problem. Es gibt Schulungen für Vormunde durch NGOs (AIDA 3.2019). Fót verfügt über 34 Plätze (130 Plätze im Notfall) (CoE 21.5.2019). Andere Angaben sprechen von einer Kapazität von 50 Plätzen. Schulbildung ist bis zum Alter von 16 Jahren in Ungarn verpflichtend. Ältere Minderjährige erhalten Zugang zu Schulbildung eventuell erst, nachdem sie einen Schutztitel erhalten haben. In der Praxis richtet sich das nach verfügbaren Schulplätzen und dem Engagement von Vormund und Personal des Kinderheims. Flüchtlingskinder kommen oft in Vorbereitungsklassen mit Fokus auf den Spracherwerb und können in normale Klassen wechseln, wenn dieser ausreicht. Viele lokale Schulen zögern ausländische Schüler zuzulassen. Die in Fót untergebrachten Minderjährigen besuchen eine Volks- und eine Mittelschule in Budapest (die Mittelschule nur für zwei Tage in der Woche). Die NGO Menedék bietet UM, die noch nicht die Schule besuchen, alternative Bildungsmöglichkeiten an (AIDA 3.2019).

Während aufrechter „Krisensituation wegen Massenmigration“ werden grundsätzlich alle Antragsteller in Ungarn in Transitzonen untergebracht, auch Vulnerable und Familien mit Kindern. Nur Minderjährige unter 14 Jahren und Antragsteller mit legalem Aufenthalt in Ungarn sind Ausnahmen. Es gibt wenige Ausnahmen, in denen aus medizinischen Gründen Antragsteller auch im Land offen untergebracht wurden (AIDA 3.2019).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 23.1.2020

?        CoE – Council of Europe (21.5.2019): Commission for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovi?; Report following her visit to Hungary from 4 to 8 February 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009128/CommDH%282019%2913+-+Report+on+Hungary_EN.docx.pdf, Zugriff 19.2.2020

?        Gov - Government of Hungary (veröffentlicht von CoE - Council of Europe - Commissioner for Human Rights) (21.5.2019): Comments of the authorities of Hungary on the report of the Commissioner, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009129/CommDHGovRep%282019%296+-+Comments+of+the+Hungarian+authorities.pdf.pdf, Zugriff 20.2.2020

?        VB des BM.I für Ungarn (31.8.2018): Auskunft ungarisches Ministerium für Humanressourcen, per E-Mail

Versorgung

Gemäß Asylgesetz haben Erstantragsteller während ihres Asylverfahrens Zugang zu Unterbringung und medizinischer Versorgung. Während der „Krisensituation wegen Massenmigration“ werden jedoch Erstantragsteller ohne Aufenthaltserlaubnis oder Visum für Ungarn, nur mehr in den Transitzonen untergebracht, die sie in der Regel nicht verlassen dürfen. Sie können auch keine private Unterbringung im Land mehr beantragen. Asylwerber, die bei Antragstellung über eine Aufenthaltserlaubnis oder ein Visum für Ungarn verfügen und die keine staatliche Unterbringung wünschen, können weiterhin private Unterbringung beantragen. Sie erhalten dann keinerlei Unterstützung, da davon ausgegangen wird, dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist. Laut ungarischem Asylgesetz können legal in Ungarn aufhältige Personen, welche staatliche Unterbringung in Anspruch nehmen wollen, ihren Asylantrag nur in einer Transitzone stellen können. Es sind aber keine solchen Fälle bekannt (AIDA 3.2019).

Erwachsene, die sich in einem fremdenpolizeilichen Verfahren befinden und sich in einer Transitzone aufhalten müssen, haben generell nur noch Anspruch auf medizinische Versorgung (HHC 23.4.2019). Folgeantragsteller ohne Recht auf Aufenthalt erhalten folglich nur noch den Unterbringungsplatz, während ihre Verpflegung (außer bei Minderjährigen und stillenden Müttern) von NGOs übernommen werden muss (AIDA 3.2019; vgl. CoE 21.5.2019; USDOS 13.3.2019). Es gab diesbezüglich in den letzten Jahren in mehreren Fällen interim measures des EGMR, welche die Einstellung dieser Praxis verlangten (CoE 21.5.2019; Gov 21.5.2019). Ungarn bestreitet jedoch die Unrechtmäßigkeit dieses Vorgehens, da die Möglichkeit zur Selbstversorgung durch Verlassen der Zone in Richtung Serbien gegeben sei (Gov 21.5.2019).

Während aufrechter „Krisensituation wegen Massenmigration“ haben Asylwerber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt (AIDA 3.2019).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 5.2.2020

?        CoE – Council of Europe (21.5.2019): Commission for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovi?; Report following her visit to Hungary from 4 to 8 February 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009128/CommDH%282019%2913+-+Report+on+Hungary_EN.docx.pdf, Zugriff 19.2.2020

?        Gov - Government of Hungary (veröffentlicht von CoE - Council of Europe - Commissioner for Human Rights) (21.5.2019): Comments of the authorities of Hungary on the report of the Commissioner, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009129/CommDHGovRep%282019%296+-+Comments+of+the+Hungarian+authorities.pdf.pdf, Zugriff 20.2.2020

?        HHC – Hungarian Helsinki Committee (23.4.2019): Hungary Continues to Starve Detainees in the

?        Transit Zones, https://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/Starvation-2019.pdf, Zugriff 21.2.2020

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Hungary, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004301.html, Zugriff 20.2.2020

Unterbringung, Letzte Änderung: 26.02.2020

Es gibt in Ungarn derzeit zwei operative offene Unterbringungszentren für Asylwerber und Inhaber eines Schutztitels. Es sind dies die Gemeinschaftsunterkunft Balassagyarmat (Kapazität: 140 Plätze) und das Unterbringungszentrum Vámosszabadi (Kapazität: 210 Plätze). Sie unterstehen der Fremdenpolizeilichen Landesdirektion (OIF) und dürfen ohne Erlaubnis für weniger als 24 Stunden verlassen werden. Eine längere Abwesenheit erfordert eine Erlaubnis. Balassagyarmat wird genutzt für Asylwerber, Tolerierte, Personen in einem Immigrationsverfahren und Fremde, welche die maximale Dauer der Immigrationshaft (12 Monate, bzw. 30 Tage bei Familien mit Kindern (USDOS 13.3.2019)) überschritten haben, sowie Schutzberechtigte. Vámosszabadi beherbergt aus den Transitzonen entlassene Schutzberechtigte (OIF 30.7.2019a; vgl. OIF 1.7.2019; AIDA 3.2019). Es werden während der „Krisensituation wegen Massenmigration“ nur in wenigen Ausnahmefällen (z.B. medizinische Gründe) Asylwerber offen untergebracht (AIDA 3.2019).

Außerdem betreibt OIF noch ein Asylhaftzentrum in Nyírbátor (Kapazität: 105 Plätze) für die geschlossene Unterbringung von Asylwerbern (OIF 30.7.2019b; vgl. OIF 1.7.2019).

Die beiden Transitzonen in Röszke und Tompa (Kapazität zusammen: 720 Plätze), an der Grenze zu Serbien, bestehen im Wesentlichen aus einer umzäunten Ansammlung von Containern. Sie dienen der Abwicklung von Asylanträgen während einer aufrechten sogenannten „Krisensituation wegen Massenmigration“. Sie können jederzeit, allerdings nur in Richtung Serbien, verlassen werden. An Versorgungsleistungen bieten die Transitzonen drei Mahlzeiten pro Tag (für Minderjährige unter 14 Jahren fünf Mahlzeiten pro Tag; für Schwangere und für Mütter mit Kleinkindern sowie für Kinder unter 14 Jahren: Milchprodukte und Obst); Medizinische und soziale Versorgung (unter besonderer Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse); Unterbringung; Zugang zu Medien und Telekommunikationsgeräten; ein Gemeinschaftsraum für die Freizeitgestaltung; Kinderbetreuung; Spielplatz; Sport- und Erholungsmöglichkeiten (OIF 30.7.2019c; vgl. OIF 1.7.2019). In den Transitzonen wurden vier verschiedene, voneinander getrennte Bereiche eingerichtet: für Familien, für alleinstehende Männer, für alleinstehende Frauen und für unbegleitete Minderjährige im Alter von 14-18 Jahren. In den Bereichen, die zur Unterbringung von Familien und unbegleiteten Minderjährigen dienen, gibt es Außenspielbereiche mit Außenspielplatzgeräten und Lernräume. Die medizinische Versorgung erfolgt in gemeinsamen Containern in der Transitzone (VB 31.8.2018). Das ungarische Rote Kreuz, der Hungarian Reformed Charity Service, UNHCR und IOM haben Zugang zu den Transitzonen und bieten dort zusätzliche Unterstützung. Die Familieneinheit wird respektiert. Sozialarbeiter betreuen Personen mit besonderen Bedürfnissen und melden Verdachtsfälle bezüglich Menschenhandel oder sexuellen Missbrauch an Psychologen oder Psychiater in der Transitzone (Gov 21.5.2019).

Während aufrechter „Krisensituation wegen Massenmigration“ werden grundsätzlich alle Antragsteller in Ungarn in Transitzonen untergebracht, auch Vulnerable und Familien mit Kindern. Nur Minderjährige unter 14 Jahren und Antragsteller mit legalem Aufenthalt in Ungarn sind Ausnahmen. Es gibt wenige Ausnahmen, in denen aus medizinischen Gründen Antragsteller auch im Land offen untergebracht wurden (AIDA 3.2019).

Die Transitzonen werden von Kritikern als Hafteinrichtungen gewertet, doch die ungarischen Behörden betrachten den Aufenthalt dort nicht als Haft (AIDA 3.2019; vgl. CoE 21.5.2019). Am 21. November 2019 hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall „Ilias und Ahmed gegen Ungarn“ entschieden, dass im Falle der Kläger die Bedingungen in der Transitzone Röszke keine unmenschliche Behandlung darstellten und der Aufenthalt nicht als Freiheitsentziehung zu werten war, da sie diese jederzeit Richtung Serbien hätten verlassen können (CoE 21.11.2019; ECRE 22.11.2019).

Weiters gibt es noch Schubhaftzentren in Nyírbátor, am Flughafen Budapest und in Gy?r. Sie werden von der regulären ungarischen Polizei betrieben (OIF 1.7.2019; vgl. AIDA 3.2019).

In der 6. Kalenderwoche 2020 befanden sich in Ungarn 19 Personen in offener Unterbringung und 14 in Asylhaft. Weitere 327 waren in den Transitzonen aufhältig. Insgesamt gab es in Ungarn im Jahr 2020 bis zur 6. Kalenderwoche 43 Asylanträge (VB 10.2.2020).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 5.2.2020

?        CoE – Council of Europe (21.5.2019): Commission for Human Rights of the Council of Europe Dunja Mijatovi?; Report following her visit to Hungary from 4 to 8 February 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009128/CommDH%282019%2913+-+Report+on+Hungary_EN.docx.pdf, Zugriff 19.2.2020

?        CoE – Council of Europe (21.11.2019): CASE OF ILIAS AND AHMED v. HUNGARY (Application no. 47287/15) (Grand Chamber), https://www.refworld.org/cases,ECHR,5dd6b4774.html, Zugriff 20.1.2020

?        ECRE - European Council on Refugees and Exiles (22.11.2019): ECtHR: Failure to Assess Risk of Return Violated Article 3 ECHR, https://www.ecre.org/ilias-and-ahmed-v-hungary-failure-to-assess-risk-of-return-violated-article-3-echr/, Zugriff 20.1.2020

?        Gov - Government of Hungary (veröffentlicht von CoE - Council of Europe - Commissioner for Human Rights) (21.5.2019): Comments of the authorities of Hungary on the report of the Commissioner, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009129/CommDHGovRep%282019%296+-+Comments+of+the+Hungarian+authorities.pdf.pdf, Zugriff 20.2.2020

?        OIF - Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (1.7.2019): Präsentation des OIF, per E-Mail

?        OIF - Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (30.7.2019a): Reception Centre and Community Accommodation, http://www.bmbah.hu/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=539&Itemid=1287&lang=en#, Zugriff 4.2.2020

?        OIF - Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (30.7.2019b): Guarded Asylum Reception Centre, http://www.bmbah.hu/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=537&Itemid=1285&lang=en#, Zugriff 4.2.2020

?        OIF - Fremdenpolizeiliche Landesgeneraldirektion (30.7.2019c): Transit Zone, http://www.bmbah.hu/index.php?option=com_k2&view=item&layout=item&id=1220&Itemid=1791&lang=en#, Zugriff 4.2.2020

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Hungary, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004301.html, Zugriff 20.2.2020

?        VB des BM.I für Ungarn (31.8.2018): Auskunft ungarisches Ministerium für Humanressourcen, per E-Mail

?        VB des BM.I in Ungarn (10.2.2020): Bericht des VB, per E-Mail

Medizinische Versorgung, Letzte Änderung: 26.02.2020

Essenzielle kostenlose medizinische Versorgung ist Teil der materiellen Versorgung von Asylwerbern. Diese haben Anspruch auf Untersuchung und Behandlung durch Allgemeinmediziner. Spezialisierte Behandlungen in Polikliniken und Krankenhäusern sind nur dann kostenlos, wenn es sich um einen Notfall handelt oder eine Überweisung durch einen Allgemeinmediziner vorliegt. AW haben mehrmals die Woche Zugang zu Allgemeinmedizinern und täglichen Zugang zum Krankenpflegepersonal in den Unterbringungszentren. Der Zugang wird allerdings durch die Sprachbarriere geschmälert. Übersetzer sind nicht immer verfügbar. Medizinische Spezialbehandlung wird in den umliegenden Spitälern gewährleistet. Aber auch dort gibt es Verständigungsprobleme. Auch privat untergebrachte Asylwerber haben Probleme beim Zugang zu medizinischer Versorgung, weil beim medizinischen Personal eine gewisse Unwissenheit die Rechte von Asylwerbern betreffend herrscht. Oft werden etwa Krankenversicherungskarten verlangt, obwohl ihre Aufenthaltskarte ausreichend wäre. Wenn, aus welchen Gründen auch immer, Leistungen reduziert oder gestrichen werden, bleibt das Recht auf medizinische Notversorgung bestehen (AIDA 3.2019).

Neuankömmlinge in den Transitzonen werden üblicherweise am Tag ihrer Ankunft einem medizinischen Screening unterzogen (VB 31.8.2018). In jeder Transitzone gibt es ein Krankenrevier, das in der Lage ist zehn Patienten gleichzeitig stationär zu versorgen. An Werktagen ist ein Allgemeinmediziner für je vier Stunden verfügbar, ein Kinderarzt ordiniert zweimal pro Woche. Wenn nötig können Spitäler außerhalb (Unikliniken Szeged, Spital und Poliklinik Kiskunhalas) für medizinische Spezialbehandlung aufgesucht werden. Schwangere werden von Polizisten zu ärztlichen Untersuchungen in nahegelegene Spitäler gebracht. Es gibt Beschwerden wegen fehlender Übersetzer. Seit Mitte November 2017 besucht ein klinischer Psychologe beide Transitzonen einmal wöchentlich. Dieser spricht Englisch und kann einen Übersetzer anfordern, wenn seine Patienten dies nicht sprechen. Spezielle psychologische Versorgung für Kinder gibt es nicht (AIDA 3.2019).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 6.2.2020

?        MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

?        VB des BM.I für Ungarn (31.8.2018): Auskunft ungarisches Ministerium für Humanressourcen, per E-Mail

Schutzberechtigte, Letzte Änderung: 26.02.2020

Schutzberechtigte erhalten in Ungarn eine Aufenthaltsberechtigung (in Form eines ungarischen Ausweises) für drei Jahre (internationaler wie auch subsidiärer Schutz). Alle drei Jahre wird der Schutzstatus überprüft. Bis der Ausweis ausgestellt ist, dauert es etwa einen Monat. Schutzberechtigte dürfen nach der Asylentscheidung noch für 30 Tage in der Unterbringung bleiben. Es kann also passieren, dass sie die Unterkunft verlassen müssen, aber noch keinen Ausweis haben. Das wiederum kann zu Problemen bei der Suche nach Arbeit und Unterkunft führen. In der Praxis verlassen jedoch die meisten Schutzberechtigten ein paar Tage nach Erhalt des Schutztitels das Land. Die Ausstellung des Ausweises dauert vor allem in jenen Fällen länger, die Ungarn verlassen haben, ohne auf ihre persönlichen Dokumente zu warten und dann rücküberstellt werden. NGOs und Sozialarbeiter berichten von extremen praktischen Schwierigkeiten für Schutzberechtigte, die aus den Unterbringungszentren ausziehen, sich in die lokalen Gemeinden zu integrieren (AIDA 3.2019).

Im Jahr 2016 hat das ungarische Parlament die Unterstützung für Personen mit einem Schutztitel reduziert, unter der Prämisse, dass diese nicht mehr Vorteile haben sollten, als ungarische Bürger. Eingeführt wurde u.a. eine Verkürzung des Förderzeitraums für Basisgesundheitsleistungen nach Anerkennung von einem Jahr auf sechs Monate und die Abschaffung von Wohnzulagen, Erziehungszulagen und monatlichen Handgeldern (USDOS 13.3.2019). Das setzt Schutzberechtigte Kritikern zufolge der Gefahr der Armut und Obdachlosigkeit aus. Nur noch Kirchen und NGOs bieten seither Unterstützung bei der Integration, wie kostenlose Unterkunft, Hilfe bei Arbeitssuche, Spracherwerb usw. Die Regierung hat 2018 die Finanzierung von Integrationsprojekten durch AMIF eingestellt, wodurch ab Mitte 2018 alle auf diese Mittel angewiesenen Projekte beendet wurden. Ohne staatliche Unterbringungsleistungen bleiben nur noch Notunterkünfte für Obdachlose, etwa das Baptistische Integrationszentrum, und einige Programme von NGOs und kirchlichen Organisationen für Schutzberechtigte verfügbar. In Budapest gibt es das Budapest Methodological Centre of Social Policy (BMSZKI), das temporäre Unterkünfte und Notschlafstellen für Obdachlose bereitstellt, die auch Schutzberechtigten offenstehen. Doch es gibt begrenzte Kapazitäten und lange Wartelisten. Aufgrund des Mangels an Wohnungen auf dem freien Markt sind die Mieten zu hoch für Schutzberechtigte, die gerade einen Status erhalten haben. Außerdem vermieten viele Vermieter nicht gerne an Ausländer. Schutzberechtigte dürfen sich innerhalb Ungarns frei bewegen (AIDA 3.2019).

In Ungarn ist der Wohnungsmarkt privatisiert. Es gibt kaum kommunalen Wohnraum und das soziale Wohnungsangebot für Flüchtlinge ist sehr gering. Mindestmeldeerfordernisse erschweren den Zugang zusätzlich. Die Schutzberechtigten müssen während der 30 Tage, die sie nach Anerkennung noch im Unterbringungszentrum zubringen dürfen, Identitäts-, Krankenversicherungs- und Steuerdokumente besorgen und zusätzlich noch Wohnraum suchen. So bleibt oft nur der Zugang zu Obdachlosenunterkünften. Beim Zugang zum Arbeitsmarkt herrscht ebenfalls rechtliche Gleichheit mit Staatsbürgern (außer gewisse Bereiche des öffentlichen Dienstes), ohne Erfordernis einer weiteren Arbeitserlaubnis. Aufgrund des Arbeitskräftemangels in Ungarn ist es relativ leicht Arbeit zu finden. Erschwerende Umstände sind mangelnde Sprachkenntnisse und mangelndes Wissen bezüglich rechtlicher Möglichkeiten der Beschäftigung von Flüchtlingen. Es gibt Schulungsprogramme von NGOs in diesen Bereichen, etwa das MentoHRing-Projekt der NGO Menedék (PiN 6.2019).

Anerkannte Flüchtlinge genießen drei Monate ab Anerkennung günstigere Bedingungen für Familienzusammenführung. Sie müssen in dieser Zeit die üblichen Parameter für eine Familienzusammenführung nicht erfüllen (Selbsterhaltungsfähigkeit, Wohnung, Krankenversicherung usw.). Nach Ablauf der drei Monate gelten dieselben Regeln wie für subsidiär Schutzberechtigte, welche keine der genannten Vergünstigungen genießen, was diese fast immer von der Familienzusammenführung ausschließt (AIDA 3.2019).

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben in Ungarn Zugang zum Arbeitsmarkt im selben Ausmaß wie ungarische Staatsbürger. Zur Beschäftigung dieser Gruppen gibt es aber keine Statistiken. Auch hier ist die Sprachbarriere das größte Zugangshindernis (AIDA 3.2019).

Die NGO Kalunba bietet kostenlose Sprachkurse für Personen, die gerade einen Schutzstatus erhalten haben, sowie eine Nachmittagsschule für Kinder und Erwachsene (AIDA 3.2019).

Das Gesetz sieht für Schutzberechtigte Zugang zu Sozialhilfe im selben Ausmaß wie für ungarische Bürger vor und unterscheidet dabei nicht zwischen Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten. Die Sozialhilfe wird entweder von den zuständigen Bezirksregierungen oder von den lokalen Regierungen bereitgestellt. Einige Sozialhilfen (z.B. Zugang zu Sozialwohnungen), die von der lokalen Gemeinde angeboten werden, setzen jedoch voraus, dass man schon einige Jahre in der Gemeinde gemeldet sein muss. Darüber hinaus werden Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erst ausgezahlt, wenn man zumindest ein Beitragsjahr in den letzten drei Jahren nachweisen kann, was für Schutzberechtigte, die gerade ihren Status erhalten haben, nicht möglich ist. Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Sozialhilfe entstehen meist durch die allgemeine Langsamkeit und Schwerfälligkeit des Verwaltungssystems oder durch die Sprachbarriere (AIDA 3.2019).

Asyl- und Schutzberechtigte haben für 6 Monate ab Statuszuerkennung Anspruch auf medizinische Versorgung zu denselben Bedingungen wie Asylwerber. Das bedeutet, die Asylbehörde deckt die Kosten ihrer medizinischen Versorgung für weitere 6 Monate, wenn die Schutzberechtigten keine andere Form der Krankenversicherung erwerben können. In der Praxis beantragt aber die Behörde noch während sich die Betreffenden im Zentrum befinden, eine Krankenversicherungskarte für Bedürftige, deren Ausstellung lange Zeit in Anspruch nimmt. Nach den 6 Monaten haben gemäß ungarischem Health Care Act Schutzberechtigte dieselben Rechte auf medizinische Versorgung wie ungarische Bürger. Ähnlich wie Asylwerber sehen sich Schutzberechtigte in der Praxis erheblichen Hindernissen beim Zugang zu Gesundheitsversorgung gegenüber. Hauptsächlich geht es um Verständigungsprobleme, administrative Schwierigkeiten und mangelnde Rechtskenntnis. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2017 fühlen sich Flüchtlinge im ungarischen Gesundheitssystem marginalisiert. Diese Probleme betreffen auch unbegleitete Minderjährige (AIDA 3.2019).

Quellen:

?        AIDA – Asylum Information Database (3.2019): Hungarian Helsinki Committee / European Council on Refugees and Exiles: National Country Report Hungary, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_hu_2018update.pdf, Zugriff 7.2.2020

?        PiN - People in Need (6.2019): Asylum Seekers and Beneficiaries of International Protection in V4 Countries. Updated Report, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/cr-v4niem-2019.pdf, Zugriff 18.2.2020

?        USDOS – US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Hungary, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004301.html, Zugriff 20.2.2020

Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Identität der BF mangels entsprechender glaubwürdiger Personaldokumente nicht festgestellt habe werden können. Sowohl der BF1 als auch die BF2 hätten in Ungarn eine Alias-Identität und ein Alias-Geburtsdatum angegeben, was ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit abträglich sei. Dass die BF an lebensbedrohenden Krankheiten leiden würden, sei weder behauptet worden noch aus der Aktenlage ersichtlich. Der BF1 habe angegeben, an psychischen Problemen zu leiden, die während des Aufenthalts in einem geschlossenen Lager in Ungarn entstanden wären. Weiters habe der BF1 auf einen Motorradunfall und auf harte Arbeit zurückzuführende Knieschmerzen angeführt. Eine Anfrage bei der Betreuungsstelle zu medizinischen Unterlagen des BF1 habe eine Gonarthrose (Gelenksverschleiß) im linken Knie ergeben und weiters, dass keine psychischen Probleme bekannt seien. Die BFwürden nicht zur SARS-COV-2 Risikogruppe gehören. Hinsichtlich der BF3 habe die BF2 angegeben, dass diese aufgrund der jahrelangen Ungewissheit bezüglich ihres Aufenthaltsrechts psychisch angespannt wäre, dies jedoch mit keinerlei medizinischen Unterlagen belegt. Von den mitreisenden Familienangehörigen abgesehen, bestünden keine weiteren familiären oder privaten Bindungen in Österreich. Auch das Kindeswohl stehe einer Überstellung der minderjährigen BF3 und BF4 nicht entgegen. Die Überstellung erfolge gemeinsam mit den Eltern, sodass die Wahrung der Familieneinheit aufrecht bleibe. Weiters sei anzuführen, dass Ungarn ausreichend Schutz und medizinische Versorgung für subsidiär Schutzberechtigte gewähre und weiters den Kindern eine Schulbildung ermögliche, sodass auch unter diesem Aspekt keine Gefährdung des Kindeswohls ersichtlich sei. Es stehe fest, dass den BF in Ungarn Schutzstatus zuerkannt worden sei, sodass in Ungarn Verfolgungssicherheit sowie Drittstaatssicherheit gegeben seien.

Gegen die Bescheide wurden am 22.09.2020 fristgerecht gleichlautende Beschwerden eingebracht. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass die BF in Ungarn bereits den Status der subsidiär Schutzberechtigten erhalten und sich in einer Unterkunft befunden hätten, die sie nicht verlassen hätten dürfen. Sie seien wie Verbrecher behandelt worden, was auch daran zu erkennen sei, dass sie von einigen Polizisten begleitet worden seien, wenn sie den Arzt aufsuchen hätten müssen. Sie hätten aber keine Medikamente erhalten, wenn sie krank gewesen seien. Die Situation in Ungarn sei für die BF somit unerträglich und unzumutbar gewesen. Die Länderfeststellungen seien veraltet, sodass aufgrund der unzureichenden Information über die allgemeine Situation in Ungarn sowohl die Beweiswürdigung als auch die daraus folgende rechtliche Beurteilung unrichtig seien. Inhaber eines Schutzstatus in Ungarn hätten kein Recht auf Barzuschüsse. Schutzberechtigte würden keine Zuschüsse zu Wohnkosten oder Ausbildungen erhalten. Es existiere zudem kein Rechtsanspruch auf Sprachkurse und es sei nicht klar, wie die medizinische Versorgung genau geregelt sei. Wäre die Behörde ihrer Ermittlungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen, hätte sie feststellen müssen, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Ungarn trotz ihres subsidiären Schutzes aufgrund der dortigen Lage und ihrer Vulnerabilität ohne jegliche Anknüpfungspunkte in eine ausweglose Lage geraten würden und unmenschlichen Bedingungen ausgesetzt wären. Die Behörde hätte das Asylverfahren der BF in Österreich zulassen müssen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass ihnen in Ungarn eine Verletzung ihrer in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die BF, Staatsangehörige Afghanistans, stellten erstmals am 20.06.2019 in Ungarn Anträge auf internationalen Schutz und wurde diesen am 11.05.2020 in Ungarn der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Die BF reisten in der Folge illegal nach Österreich ein, wo diese am 24.07.2020 abermals Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Die ungarische Dublin-Behörde teilte dem BFA zu dessen Wiederaufnahmegesuch vom 30.07.2020 mit Schreiben vom 03.08.2020 mit, dass die BF nach Asylantragstellung am 20.06.2019 am 11.05.2020 den Status subsidiär Schutzberechtigter erhalten hätten.

Zur Lage im Mitgliedstaat Ungarn schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den Feststellungen der angefochtenen Bescheide an. Die BF haben in Ungarn den Länderfeststellungen zufolge Anspruch auf sozialstaatliche Leistungen wie ungarische Staatsangehörige.

Konkrete, in der Person der BF gelegene Gründe, die für das Fehlen des Schutzes vor Verfolgung im Zielstaat sprechen würden, liegen nicht vor.

Die BF leiden an keinen akut lebensbedrohlichen Erkrankungen, die einer Überstellung nach Ungarn entgegenstehen könnten. Der BF1 gab an, aufgrund seines Aufenthalts im geschlossenen Lager in Ungarn an psychischen Problemen zu leiden. Befunde hierzu wurden nicht vorgelegt und ist laut Auskunft der Betreuungsstelle weder ein psychisches Problem des BF1 bekannt noch sind medizinische Unterlagen verfügbar. Weiters führt der BF1 durch einen Röntgenbefund belegte Knieprobleme (Abnützungs- bzw. Verschleißerscheinungen des linken Kniegelenks) an. Die BF2 gibt an, dass alle BF gesund seien, jedoch aufgrund der fünfjährigen Flucht psychische Müdigkeit verspüren würden. Hinsichtlich der BF3 gibt die BF2 an, dass diese am meisten betroffen und psychisch sehr belastet sei. Befunde bezüglich allfälliger psychischer Probleme der BF wurden nicht in Vorlage gebracht und bislang auch bezüglich der BF3 kein Arzt oder Psychologe konsultiert. Bezüglich der BF4 wurden keine gesundheitlichen Probleme erwähnt.

Die BF gehören keiner Risikogruppe in Bezug auf eine Covid-19-Erkrankung an.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr der BF nach Ungarn.

Bei Covid-19 handelt es sich um eine durch das Corona-Virus SARS-COV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung so schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 02.10.2020 hat es in Ungarn insgesamt 28631 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 21484 aktive Fälle, 6349 genesene Fälle und 798 Todesfälle gegeben.

In Österreich leben keine Familienangehörigen der BF, zu denen eine enge Beziehung bzw. ein Abhängigkeitsverhältnis bestünde. Die BF2 hat eine in Österreich aufhältige Cousine erwähnt, deren Aufenthaltsort ihr unbekannt ist, zu der aktuell kein Kontakt besteht und mit der sie zuletzt vor etwa fünf Jahren telefoniert hat.

Sonstige private, familiäre oder berufliche Bindungen im Bundesgebiet sind nicht vorhanden.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sind nicht hervorgekommen.

2. Beweiswürdigung:

Die Asylantragstellungen der BF in Ungarn ergeben sich aus den diesbezüglichen EURODAC-Treffermeldungen im Zusammenhang mit dem Vorbringen der BF und dem Antwortschreiben Ungarns vom 03.08.2020 an das BFA, wonach die BF am 20.06.2019 in Ungarn Asyl beantragt hätten.

Die Feststellung der Einräumung von subsidiärem Schutz an die BF in Ungarn stützt sich auf das diesbezügliche Schreiben der ungarischen Dublin-Behörde an das BFA vom 03.08.2020.

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedsstaat ergibt sich aus den umfangreichen und durch ausreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen der angefochtenen Bescheide, welche auf alle entscheidungswesentlichen Fragen eingehen. Die herangezogenen Länderfeststellungen wurden am 26.02.2020 gesamtaktualisiert und die letzte Kurzinformation am 09.03.2020 eingefügt, sodass dies Länderberichte als hinreichend aktuell zu bezeichnen sind.

Aus den Länderinformationen ergeben sich keine ausreichend begründeten Hinweise darauf, dass die BF bei einer Überstellung nach Ungarn als dort Schutzberechtigte, in eine existentielle Notlage geraten könnten und ihnen der Zugang zur Versorgung (einschließlich medizinischer Versorgung) und Unterbringung, verwehrt würde. Der BF1 und die BF

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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