TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/21 W176 2183153-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2020
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Entscheidungsdatum

21.09.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §6
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W176 2183153-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX 1986, iranischer Staatsangehöriger, vertreten durch ZEIGE Zentrum für Europäische Integration u. Globalen Erfahrungsaustausch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.12.2017, Zl. 1111865201-160553760/BMI-BFA_NOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930, nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer brachte am XXXX .04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er an, zum Christentum konvertieren zu wollen; dies sei im Iran nicht möglich.

2. Am XXXX .04.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: belangte Behörde) einvernommen, legte der Beschwerdeführer eingangs seine iranische Geburtsurkunde vor und gab zusammengefasst Folgendes an: Er sei gesund, habe aber eine XXXX krankheit. Er habe fünf Jahre die Grund- und vier Jahre die Hauptschule in Teheran besucht. Zuletzt habe er in Teheran als Friseur gearbeitet und gut davon leben können. Seinen Militärdienst habe er abgeleistet; nach fünf Monaten sei er befreit worden. Er sei Perser und als schiitischer Moslem geboren und erzogen worden. Bereits im Iran sei er zum Christentum konvertiert, aber nicht getauft worden. Er wolle Christ, Protestant, werden. Er werde in fünf Tagen von der XXXX gemeinde in XXXX getauft. Er habe seit zehn Wochen wöchentlich freitags einen Kurs besucht, sei 40 Mal dort gewesen und besuche auch am Sonntag die Kirche. Seine ganze Verwandtschaft lebe noch im Iran, es gehe ihnen gut. Zum Fluchtgrund führte er aus, Beamten seien zu ihm nach Hause gekommen, hätten nach ihm gesucht und seine Mutter und Schwester unter Druck gesetzt. Von seiner Mutter wisse er, dass die Beamten eine Bibel in seinem Zimmer gefunden hätten. Er sei im Alter von 13 oder 14 Jahren in Räumlichkeiten einer unfertigen Moschee von einem Mann vergewaltigt worden, weshalb er eine tiefe Abneigung gegen den Islam hege. Als er älter gewesen sei, habe er einem Freund namens Ali davon berichtet, der ihn zwecks Erlangung seines Seelenfriedens in eine Hauskirche mitgenommen habe. Dort habe er eine Bibel geschenkt bekommen. Er sei ein halbes Jahr lang einmal im Monat dort gewesen. Ein Teilnehmer dieser Hauskirche namens Ehsan sei verhaftet worden, dies habe Ali dem Beschwerdeführer telefonisch mitgeteilt. Danach sei Ali nicht mehr erreichbar gewesen. Der Beschwerdeführer habe das Geschäft zugemacht, seine Mutter habe ihm von der Hausdurchsuchung der Beamten berichtet und habe er den Iran verlassen.

3. Am 19.09.2017 wurde XXXX , Gemeindeältester der XXXX in XXXX , von der Behörde als Zeuge befragt, wobei er im Wesentlichen Folgendes angab: Er betreue gemeinsam mit einem Pastor die Farsi-sprachigen Mitglieder der Gemeinde und kenne den Beschwerdeführer persönlich; er sehe ihn zweimal wöchentlich. Der Beschwerdeführer sei am XXXX .04.2017 getauft und bereits als Gemeindemitglied aufgenommen worden und besuche regelmäßig am Freitag und am Sonntag den Glaubenskurs und die Gottesdienste. Er kenne sich bereits gut mit dem christlichen Glauben aus, müsse aber sicherlich noch weiterlernen. Der Zeuge habe den Eindruck, dass der Beschwerdeführer aus ganzem Herzen Christ geworden sei. Normalerweise warte die XXXX gemeinde sechs Monate ab, in dieser Zeit müsse der Taufwerber einen Vorbereitungskurs besuchen, bei dem ein gegenseitiges Kennenlernen stattfinde. Sei man von einem Taufwerber nicht hinreichend überzeugt, könne es auch länger dauern. Nach dem Tauf-Kurs folge eine Abschlussbesprechung, wo jeder einzelne ein Zeugnis über seinen Glaubensweg und seine Motivation ablegen müsse. Soweit alles in Ordnung sei, werde der Taufwerber zur Taufe zugelassen. Aus Sicht des Zeugen sei es wichtig, dass der Beschwerdeführer den Glaubenskurs weiter besuche. Derzeit besuche er einen Aufbaukurs nach der Taufe.

4. Am 21.11.2017 vor der belangten Behörde ergänzend einvernommen, gab der Beschwerdeführer eingangs an, er leide an XXXX , weshalb er auch Medikamente nehme. Dazu legte er einen Ambulanzbefund vom 04.10.2017 vor. Er sei in Teheran selbständiger Friseur gewesen. Er habe ein Geschäft gemietet gehabt, in dem nun seine Mutter arbeite. Seine Mutter und Schwester lebten in der elterlichen Wohnung in Teheran. Seinen Angehörigen im Iran gehe es allen gut, er telefoniere etwa einmal in er Woche mit seiner Mutter. Befragt, weshalb der Beschwerdeführer einen zwischenzeitig stattgefundenen Vorfall mit strafrechtlicher Relevanz verschwiegen habe, legte er ein Konvolut an Unterlagen vor und gab an, eine Jacke nur aus dem Grund gestohlen zu haben, weil ihm kalt gewesen sei. Zum Fluchtgrund gab er an, dass bei der durchgeführten Hausdurchsuchung eine Bibel gefunden worden sei und Ali festgenommen worden sei, der dann verraten habe, dass auch der Beschwerdeführer Christ geworden sei. Es sei ein Buch beschlagnahmt worden. Die Beamten seien von der iranischen Polizei bzw. vom Geheimdienst gewesen bzw. habe er nicht nachgefragt und wolle seine Erinnerung auch nicht auffrischen. Jetzt sei er Christ, Protestant. Er sei vor acht oder neun oder zehn Monaten getauft worden. Er sei der XXXX gemeinde beigetreten, besuche diese aber seit drei Wochen nicht mehr; er telefoniere nur noch mit XXXX . Seit er in ein Quartier in einer anderen Region verlegt worden sei, besuche er eine Kirche in G., wo er auch Geschirr wasche, sowie eine Kirche in S. Bevor sein Interesse zum Christentum geweckt worden sei er nicht religiös gewesen. Er könne sich nicht mehr erinnern, wann er seine Abneigung gegen den Islam entwickelt habe, er sei aber noch ein Kind gewesen. Im Verlauf der weiteren Vernehmung wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seines christlichen Wissens bzw. dazu gestellt, wie er das Christentum praktiziere. Abschließend gab er an, seine Familie und all seine Verwandten wüssten über seine christliche Einstellung Bescheid.

5. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 24.10.2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführerwegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB (rechtkräftig) zu einer Freiheitsstrafe vier Wochen, bedingt nachgesehen unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 200/2005 (AsylG), (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) ab, erteilte gemäß § 57 AsylG keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) gegen den Beschwerdeführer (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde versagte dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit und erkannte im Falle seiner Rückkehr in den Iran auch keine wie immer geartete Gefahr für ihn.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in der auf die traumatisierende Erfahrung einer Vergewaltigung im Alter von 13 oder 14 Alter hinwies, worauf seine Abneigung Moscheen gegenüber beruhe. Dass er die XXXX gemeinde, in der er auch getauft worden sei und die er seit Mitte des Jahres 2016 regelmäßig besucht habe, nun nicht mehr besuche, sei auf seinen Umzug in ein anderes Flüchtlingsquartier und die damit zusammenhängende Entfernung zurückzuführen. Mit seinem Wohnortwechsel habe sich der Beschwerdeführer jedoch sogleich zwei Kirchen angeschlossen und besuche daher sonntags eine Kirche in G. und freitags in S. Gerügt wird weiters, dass die Behörde den psychischen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nicht hinreichend ermittelt habe. Die Beweiswürdigung sei unschlüssig und sei sein psychischer Zustand bei der ergänzenden Einvernahme nicht ausreichend berücksichtigt worden.

8. Mit Schriftsatz vom 03.02.2020 beantragte der Beschwerdeführer die – neuerliche – Einvernahme von XXXX als Zeugen und brachte überdies im Wesentlichen vor, dass er unter keinen Umständen dazu bereit sei, seinen christlichen Glauben aufzugeben und zum Islam zurückzukehren.

9. Am 14.02.2020 fand am Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeverhandlung statt, in der der Beschwerdeführer abermals einvernommen und XXXX neuerlich zeugenschaftlich befragt wurde. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und wurde als schiitischer Moslem geboren.

Der Beschwerdeführer wurde am XXXX .04.2017 – nach Besuch von Taufvorbereitungskursen – in der XXXX in XXXX getauft. Er ist Mitglied dieser Gemeinde und besucht regelmäßig deren Gottesdienste.

Er hat sich ernsthaft dem Christentum zugewandt und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben.

1.2. Zur hier maßgeblichen Situation im Iran:

Zur Religionsfreiheit:

In Iran leben ca. 82 Millionen Menschen, von denen ungefähr 99% dem Islam angehören. Etwa 90% der Bevölkerung sind Schiiten, ca. 9% sind Sunniten und der Rest verteilt sich auf Christen, Juden, Zoroastrier, Baha‘i, Sufis, Ahl-e Haqq und nicht weiter spezifizierte religiöse Gruppierungen (BFA Analyse 23.5.2018). Der Islam schiitischer Prägung ist in Iran Staatsreligion. Gleichwohl dürfen die in Art. 13 der iranischen Verfassung anerkannten „Buchreligionen“ (Christen, Juden, Zoroastrier) ihren Glauben im Land relativ frei ausüben. In Fragen des Ehe- und Familienrechts genießen sie verfassungsrechtlich Autonomie. Jegliche Missionstätigkeit kann jedoch als „mohareb“ (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit dem Tod bestraft werden. Auch unterliegen Vertreter religiöser Minderheiten Beschränkungen beim Zugang zu höheren Staatsämtern. Nichtmuslime sehen sich darüber hinaus im Familien- und Erbrecht nachteiliger Behandlung ausgesetzt, sobald ein Muslim Teil der relevanten Personengruppe ist (AA 12.1.2019, vgl. ÖB Teheran 12.2018).

Anerkannte religiöse Minderheiten – Zoroastrier, Juden, (v.a. armenische und assyrische) Christen – werden diskriminiert. Nicht anerkannte religiöse Gruppen – Bahá‘í, konvertierte evangelikale Christen, Sufi (Derwisch-Orden), Atheisten – werden in unterschiedlichem Ausmaß verfolgt. Sunniten werden v.a. beim beruflichen Aufstieg im öffentlichen Dienst diskriminiert. Vertreter von anerkannten religiösen Minderheiten betonen immer wieder, wenig oder kaum Repressalien ausgesetzt zu sein. Sie sind in ihrer Religionsausübung – im Vergleich mit anderen Ländern der Region – nur relativ geringen Einschränkungen unterworfen (religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste in Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten). Darüber hinaus haben sie gewisse anerkannte Minderheitenrechte, etwa – unabhängig von ihrer zahlenmäßigen Stärke – eigene Vertreter im Parlament sowie das Recht auf Alkoholkonsum bei religiösen Riten und im Privatbereich, wenn keine Muslime anwesend sind (ÖB Teheran 12.2018). Fünf von 290 Plätzen im iranischen Parlament sind Vertretern von religiösen Minderheiten vorbehalten (BFA Analyse 23.5.2018, vgl. FH 4.2.2019). Zwei dieser fünf Sitze sind für armenische Christen reserviert, einer für chaldäische und assyrische Christen und jeweils ein Sitz für Juden und Zoroastrier. Nichtmuslimische Abgeordnete dürfen jedoch nicht in Vertretungsorgane, oder in leitende Positionen in der Regierung, beim Geheimdienst oder beim Militär gewählt werden (BFA Analyse 23.5.2018).

Auch in einzelnen Aspekten im Straf-, Familien- und Erbrecht kommen Minderheiten nicht dieselben Rechte zu wie Muslimen. Es gibt Berichte von Diskriminierung von Nichtschiiten aufgrund ihrer Religion, welche von der Gesellschaft/Familien ausgeht und eine bedrohliche Atmosphäre kreiert. Diskriminierung geht jedoch hauptsächlich auf staatliche Akteure zurück (ÖB Teheran 12.2018).

Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit wird sowohl durch Gesetze als auch im täglichen Leben systematisch verletzt. Die Behörden zwingen weiterhin Personen aller Glaubensrichtungen einen Kodex für Verhalten in der Öffentlichkeit auf, der auf einer strikten Auslegung des schiitischen Islams gründet. Muslime, die keine Schiiten sind, dürfen weder für das Amt des Präsidenten kandidieren noch andere hochrangige politische Ämter bekleiden. Das Recht, eine Religion zu wechseln oder aufzugeben, wird weiterhin verletzt. Personen, die zum Christentum übertreten, können hohe Gefängnisstrafen erhalten, die in einigen Fällen von zehn bis 15 Jahren reichen. Es gibt weiterhin Razzien in Hauskirchen (AI 22.2.2018).

Anerkannten ethnisch christlichen Gemeinden ist es untersagt, konvertierte Christen zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache sind in Iran verboten, ebenso die Verbreitung christlicher Schriften. Teilweise werden einzelne Gemeindemitglieder vorgeladen und befragt. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden (AA 12.1.2019).

Schiitische Religionsführer, die die Politik der Regierung oder des Obersten Führers Khamenei nicht unterstützen, können sich auch Einschüchterungen und Repressionen bis hin zu Haftstrafen gegenübersehen (US DOS 29.5.2018).

Laut der in den USA ansässigen NGO „United for Iran“ waren 2017 mindestens 102 Mitglieder von religiösen Minderheiten aufgrund ihrer religiösen Aktivitäten inhaftiert, 174 Gefangene wegen „Feindschaft gegen Gott“, 23 wegen „Beleidigung des Islam“ und 21 wegen „Korruption auf Erden“ (US DOS 15.8.2017).

Personen, die sich zum Atheismus bekennen, können willkürlich festgenommen, inhaftiert, gefoltert und anderweitig misshandelt werden. Sie laufen Gefahr, wegen "Apostasie" (Abfall vom Glauben) zum Tode verurteilt zu werden (AI 22.2.2018).

Zur Lage der Christen:

Glaubwürdige Schätzungen sprechen von 100.000 bis 300.000 Christen in Iran, von denen der Großteil den armenischen Christen angehört. Diese leben hauptsächlich in Teheran und Isfahan. Die armenischen Christen gehören zu den anerkannten religiösen Minderheiten, die in der Verfassung genannt werden. Ihnen stehen zwei der 290 Sitze im iranischen Parlament zu. Laut den konsultierten Quellen können armenische Christen – solange sie sich an die Gesetze der Islamischen Republik Iran halten – ihren Glauben relativ frei ausüben. Es gibt Kirchen, die auch von außen als solche erkennbar sind. Sie haben das Recht, religiöse Riten und Zeremonien abzuhalten, Ehen nach den eigenen religiösen Gesetzen zu schließen und auch Privatschulen zu betreiben. Persönliche Angelegenheiten und religiöse Erziehung können dem eigenen religiösen Kanon nach geregelt werden. Es gibt aber auch Einschränkungen, mit denen auch anerkannte religiöse Minderheiten zu leben haben, beispielsweise Nachteile bei der Arbeitssuche, islamische Bekleidungsvorschriften und Benachteiligungen insbesondere im Familien- und Erbrecht. Eine wichtige Einschränkung ist das Proselytismusverbot, das für alle religiösen Minderheiten gilt. Missionierung kann im Extremfall mit dem Tod bestraft werden (BFA Analyse 23.5.2018). Nicht einmal Zeugen Jehovas missionieren in Iran (DIS/DRC 23.2.2018).

Das Christentum ist in der iranischen Verfassung als Religion anerkannt. Den historisch ansässigen Kirchen, die vorwiegend ethnische Gruppierungen abbilden (die armenische, assyrische und chaldäische Kirche) wird eine besondere Stellung anerkannt. Religiöse Aktivitäten sind nur in den jeweiligen Gotteshäusern und Gemeindezentren erlaubt; christliche Gottesdienste auf Farsi sowie missionarische Tätigkeiten sind generell verboten (ÖB Teheran 2018), ebenso die Verbreitung christlicher Schriften (AA 12.1.2019). Sonstige zahlenmäßig bedeutende Gruppen stellen Katholiken und Protestanten, die ihren Ursprung in der Zeit des Schah-Regimes haben. Die Mitglieder sind meist Konvertiten aus dem Islam. Grundrechtlich besteht „Kultusfreiheit“ innerhalb der Mauern der Gemeindezentren und der Kirchen. Jedoch haben Nichtmuslime keine Religionsfreiheit in der Öffentlichkeit, weder Freiheit der Meinungsäußerung noch Versammlungsfreiheit (Proselytismusverbot). Jegliche missionarische Tätigkeit inklusive des öffentlichen Verkaufs von werbenden Publikationen und der Anwerbung Andersgläubiger ist verboten und wird streng bestraft. Das Strafgesetz sieht für Proselytismus die Todesstrafe vor. Infolge des Proselytismusverbots wird gegen evangelikale Gruppen („Hauskirchen“) oft hart vorgegangen (Verhaftungen, Beschlagnahmungen, vor ein paar Jahren auch angeblich vollstreckte Todesurteile). Autochthone Kirchen halten sich meist penibel an das Verbot (ÖB Teheran 12.2018).

Da Konversion vom Islam zu einer anderen Religion verboten ist, erkennt die Regierung nur armenische oder assyrische Christen an [abgesehen von Juden und Zoroastriern], da diese Gruppen schon vor dem Islam im Land waren, bzw. es sich um Staatsbürger handelt, die beweisen können, dass ihre Familien schon vor 1979 [Islamische Revolution] Christen waren. Sabäer-Mandäer werden auch als Christen geführt, obwohl sie sich selbst nicht als Christen bezeichnen. Staatsbürger, die nicht den anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, oder die nicht beweisen können, dass ihre Familien schon vor der Islamischen Revolution Christen waren, werden als Muslime angesehen. Mitglieder der anerkannten Minderheiten müssen sich registrieren lassen (US DOS 29.5.2018).

Im Weltverfolgungsindex 2019 von Christen von Open Doors befindet sich Iran auf dem neunten Platz. Im Beobachtungszeitraum wurden 67 Christen verhaftet (Open Doors 2019).

Apostasie, Konversion zum Christentum, Proselytismus, Hauskirchen

Apostasie (d.h. Religionswechsel weg vom Islam) ist im Iran zwar nicht im Strafgesetzbuch aber aufgrund der verfassungsrechtlich verankerten islamischen Jurisprudenz verboten und mit langen Haftstrafen (bis hin zur Todesstrafe) bedroht (ÖB Teheran 12.2018). Konvertierte werden jedoch zumeist nicht wegen Apostasie bestraft, sondern aufgrund anderer Delikte, wie zum Beispiel „mohareb“ („Waffenaufnahme gegen Gott“), „mofsid-fil-arz/fisad-al-arz“ („Verdorbenheit auf Erden“), oder „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Apostasie selten, bei keiner der Hinrichtungen in den letzten zehn Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Apostasie ein bzw. der eigentliche Verurteilungsgrund war. Hingegen gab es mehrere Exekutionen wegen „mohareb“ (ÖB Teheran 12.2018, vgl. DIS/DRC 23.2.2018). Die Todesstrafe ist bei Fällen, die mit Konversion zusammenhängen keine geläufige Bestrafung. Allein wegen Konversion werden keine Gerichtsverfahren geführt (DIS/DRC 23.2.2018). Schon seit vielen Jahren wurde kein Christ mehr vom Regime getötet, wahrscheinlich aus Angst vor den daraus resultierenden internationalen Folgen (Open Doors 2019). Anklagen lauten meist auf „Organisation von Hauskirchen“ und „Beleidigung des Heiligen“, wohl um die Anwendung des Scharia-Rechts und damit die Todesstrafe wegen Apostasie zu vermeiden (AA 12.1.2019). Konversion wird als politische Aktivität angesehen. Fälle von Konversion gelten daher als Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und werden vor den Revolutionsgerichten verhandelt. Nach anderen Quellen wurden im Jahr 2017 gegen mehrere christliche Konvertiten hohe Haftstrafen (10 und mehr Jahre) verhängt [Anmerkung der Staatendokumentation: Verurteilungsgrund unklar] (AA 12.1.2019, vgl. AI 22.2.2018). Laut Weltverfolgungsindex 2019 wurden im Berichtszeitraum viele Christen, besonders solche mit muslimischem Hintergrund, vor Gericht gestellt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt bzw. warten noch auf ihren Prozess. Ihre Familien sind während dieser Zeit öffentlichen Demütigungen ausgesetzt (Open Doors 2019).

Missionstätigkeit unter Muslimen kann eine Anklage wegen Apostasie und Sanktionen bis zur Todesstrafe nach sich ziehen. Muslime dürfen daher nicht an Gottesdiensten anderer Religionen teilnehmen. Trotz des Verbots nimmt die Konversion weiter zu. Unter den Christen in Iran stellen Konvertiten aus dem Islam mit schätzungsweise mehreren Hunderttausend inzwischen die größte Gruppe dar, noch vor den Angehörigen traditioneller Kirchen (AA 12.1.2019). Laut der iranischen NGO Article 18 wurden von Jänner bis September 2018 37 Konvertiten zu Haftstrafen wegen „Missionsarbeit“ verurteilt (HRW 17.1.2019). Im Iran Konvertierte nehmen von öffentlichen Bezeugungen ihrer Konversion naturgemäß Abstand, behalten ihren muslimischen Namen und treten in Schulen, Universitäten und am Arbeitsplatz als Muslime auf. Wer zum Islam zurückkehrt, tut dies ohne besondere religiöse Zeremonie, um Aufsehen zu vermeiden. Es genügt, wenn die betreffende Person glaubhaft versichert, weiterhin oder wieder dem islamischen Glauben zu folgen. Es gibt hier für den Rückkehrer bestimmte religiöse Formeln, die dem Beitritt zum Islam ähneln bzw. nahezu identisch sind (ÖB Teheran 12.2018).

Einige Geistliche, die in der Vergangenheit im Iran verfolgt oder ermordet wurden, waren im Ausland zum Christentum konvertiert. Die Tragweite der Konsequenzen für jene Christen, die im Ausland konvertiert sind und nach Iran zurückkehren, hängt von der religiösen und konservativen Einstellung ihres Umfeldes ab. Jedoch wird von familiärer Ausgrenzung berichtet, sowie von Problemen, sich in der islamischen Struktur des Staates zurechtzufinden (z.B. Eheschließung, soziales Leben) (ÖB Teheran 12.2018).

Es liegen keine Daten bzw. Details zu Rechtsprechung und Behördenpraxis im Zusammenhang mit „Konversion“ vom Schiitentum zum Sunnitentum vor. Diese „Konversion“ ist auch nicht als Apostasie zu werten; bislang wurde noch kein solcher Fall als Apostasie angesehen. Aufgrund von Diskriminierung von Sunniten im Iran könnten öffentlich „konvertierte“ Sunniten jedoch Nachteile in Beruf und Privatleben erfahren. Außerdem werden Personen, die vom schiitischen zum sunnitischen Glauben übertreten und dies öffentlich kundtun, zunehmend verfolgt. Im derzeitigen Parlament sind Sunniten (vorwiegend aus Sistan-Belutschistan) vertreten. Gewisse hohe politische Ämter sind jedoch de facto Schiiten vorbehalten. Keine besonderen Bestimmungen gibt es zur Konversion von einer nicht-islamischen zu einer anderen nicht-islamischen Religion, da diese nicht als Apostasie gilt (ÖB Teheran 12.2018).

Die Schließungen der „Assembly of God“-Kirchen im Jahr 2013 führten zu einer Ausbreitung der Hauskirchen. Dieser Anstieg bei den Hauskirchen zeigt, dass sie – obwohl sie verboten sind – trotzdem die Möglichkeit haben, zu agieren. Obwohl die Behörden die Ausbreitung der Hauskirchen fürchten, ist es schwierig, diese zu kontrollieren, da sie verstreut, unstrukturiert und ihre Örtlichkeiten meist nicht bekannt sind. Nichtsdestotrotz werden sie teils überwacht. Die Behörden nutzen Informanten, die die Hauskirchen infiltrieren, deshalb organisieren sich die Hauskirchen in kleinen und mobilen Gruppen. Wenn Behörden Informationen bezüglich einer Hauskirche bekommen, wird ein Überwachungsprozess in Gang gesetzt. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Behörden sofort reagieren, da man zuerst Informationen über die Mitglieder sammeln und wissen will, wer in der Gemeinschaft welche Aufgaben hat. Ob die Behörden eingreifen, hängt von den Aktivitäten und der Größe der Hauskirche ab. Die Überwachung von Telekommunikation, Social Media und Online-Aktivitäten ist weit verbreitet. Es kann jedoch nicht klargestellt werden, wie hoch die Kapazitäten zur Überwachung sind. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

In den letzten Jahren gab es mehrere Razzien in Hauskirchen und Anführer und Mitglieder wurden verhaftet (FH 4.2.2019). Eine Hauskirche kann beispielsweise durch Nachbarn aufgedeckt werden, die abnormale Aktivitäten um ein Haus bemerken und dies den Behörden melden. Ansonsten haben die Behörden eigentlich keine Möglichkeit eine Hauskirche zu entdecken, da die Mitglieder in der Regel sehr diskret sind (DIS/DRC 23.2.2018).

Organisatoren von Hauskirchen können sich dem Risiko ausgesetzt sehen, wegen „Verbrechen gegen Gott“ angeklagt zu werden, worauf die Todesstrafe steht. Es ist aber kein Fall bekannt, bei dem diese Beschuldigung auch tatsächlich zu einer Exekution geführt hätte. In Bezug auf die Strafverfolgung von Mitgliedern von Hauskirchen besagt eine Quelle, dass eher nur die Anführer von Hauskirchen gerichtlich verfolgt würden, während eine andere Quelle meint, dass auch „low-profile“ Mitglieder davon betroffen sein können. Manchmal werden inhaftierte Anführer von Hauskirchen oder Mitglieder auf Kaution entlassen, und wenn es ein prominenter Fall ist, werden diese Personen von den Behörden gedrängt, das Land zu verlassen. Ein Hauskirchenmitglied, das zum ersten Mal festgenommen wird, wird normalerweise nach 24 Stunden wieder freigelassen, mit der Bedingung, dass sie sich vom Missionieren fernhalten. Eine Vorgehensweise gegen Hauskirchen wäre, dass die Anführer verhaftet und dann wieder freigelassen werden, um die Gemeinschaft anzugreifen und zu schwächen. Wenn sie das Missionieren stoppen, werden die Behörden i.d.R. aufhören, Informationen über sie zu sammeln. Es soll auch die Möglichkeit geben, sich den Weg aus der Haft zu erkaufen (DIS/DRC 23.2.2018).

Bei Razzien in Hauskirchen werden meist die religiösen Führer zur Verantwortung gezogen, vor allem aus politischen Gründen. Aufgrund der häufigen Unterstützung ausländischer Kirchen für Kirchen in Iran und der Rückkehr von Christen aus dem Ausland lautet das Urteil oft Verdacht auf Spionage und Verbindung zu ausländischen Staaten und Feinden des Islam (z.B. Zionisten), oder Bedrohung für die nationale Sicherheit. Diese Urteile sind absichtlich vage formuliert, um ein größtmögliches Tätigkeitsspektrum abdecken zu können. Darüber hinaus beinhalten die Urteile auch den Konsum von Alkohol während der Messe (obwohl der Alkoholkonsum im Rahmen der religiösen Riten einer registrierten Gemeinschaft erlaubt ist), illegale Versammlung, Respektlosigkeit vor dem Regime und Beleidigung des islamischen Glaubens. Den verhafteten Christen werden teilweise nicht die vollen Prozessrechte gewährt – oft werden sie ohne Anwaltsberatung oder ohne formelle Verurteilung festgehalten bzw. ihre Haft über das Strafmaß hinaus verlängert. Berichten zufolge sollen auch Kautionszahlungen absichtlich sehr hoch angesetzt werden, um den Familien von Konvertiten wirtschaftlich zu schaden. Im Anschluss an die Freilassung wird Konvertiten das Leben erschwert, indem sie oft ihren Job verlieren bzw. es ihnen verwehrt wird, ein Bankkonto zu eröffnen oder ein Haus zu kaufen (ÖB Teheran 12.2018). Die Regierung nutzt Kautionszahlungen, um verurteilte Christen vorsätzlich verarmen zu lassen, und drängt sie dazu, das Land zu verlassen (Open doors 2019).

Ob ein Mitglied einer Hauskirche im Visier der Behörden ist, hängt auch von seinen durchgeführten Aktivitäten, und ob er/sie auch im Ausland bekannt ist, ab. Normale Mitglieder von Hauskirchen riskieren, zu regelmäßigen Befragungen vorgeladen zu werden, da die Behörden diese Personen schikanieren und einschüchtern wollen. Eine Konversion und ein anonymes Leben als konvertierter Christ allein führen nicht zu einer Verhaftung. Wenn der Konversion aber andere Aktivitäten nachfolgen, wie zum Beispiel Missionierung oder andere Personen im Glauben zu unterrichten, dann kann dies zu einem Problem werden. Wenn ein Konvertit nicht missioniert oder eine Hauskirche bewirbt, werden die Behörden i.d.R. nicht über ihn Bescheid wissen (DIS/DRC 23.2.2018).

Konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzen, werden für die Behörden nicht von Interesse sein. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt war, könnte dies anders sein. Wenn er den Behörden nicht bekannt war, dann wäre eine Rückkehr nach Iran kein Problem. Konvertiten, die ihre Konversion aber öffentlich machen, können sich Problemen gegenübersehen. Wenn ein zurückgekehrter Konvertit sehr freimütig über seine Konversion in den Social Media-Kanälen, einschließlich Facebook berichtet, können die Behörden auf ihn aufmerksam werden und ihn bei der Rückkehr verhaften und befragen. Der weitere Vorgang würde davon abhängen, was der Konvertit den Behörden erzählt. Wenn der Konvertit kein „high-profile“-Fall ist und nicht missionarisch tätig ist bzw. keine anderen Aktivitäten setzt, die als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen werden, wird der Konvertit wohl keine harsche Strafe bekommen. Eine Bekanntgabe der Konversion auf Facebook allein, würde nicht zu einer Verfolgung führen, aber es kann durchaus dazu führen, dass man beobachtet wird. Ein gepostetes Foto im Internet kann von den Behörden ausgewertet werden, gemeinsam mit einem Profil und den Aktivitäten der konvertierten Person. Wenn die Person vor dem Verlassen des Landes keine Verbindung mit dem Christentum hatte, würde er/sie nicht verfolgt werden. Wenn eine konvertierte Person die Religion in politischer Weise heranzieht, um zum Beispiel Nachteile des Islam mit Vorteilen des Christentums auf sozialen Netzwerken zu vergleichen, kann das zu einem Problem werden (DIS/DRC 23.2.2018).

Ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung hat, kann nicht zweifelsfrei gesagt werden. Während Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort aussagen, dass eine Taufe keine Bedeutung habe, ist sich ein Ausländer mit Kontakt zu Christen in Iran darüber unsicher; Middle East Concern, eine Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmert, ist der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könnte (DIS/DRC 23.2.2018).

Die Regierung schränkt die Veröffentlichung von religiösem Material ein, und christliche Bibeln werden häufig konfisziert. Auch Publikationen, die sich mit dem Christentum beschäftigen und schon auf dem Markt waren, wurden konfisziert, obwohl es von der Regierung genehmigte Übersetzungen der Bibel gibt. Verlage werden unter Druck gesetzt, Bibeln oder nicht genehmigtes nicht-muslimisches Material nicht zu drucken (US DOS 29.5.2018).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers basieren auf seinen diesbezüglichen Angaben, die als glaubwürdig zugrunde zu legen waren, zumal sie während des gesamten Verfahrens gleichgeblieben sind.

2.1.2. Die Feststellungen zu Taufe und Mitgliedschaft in der XXXX gemeinde basieren auf den diesbezüglichen aktenkundigen Bestätigungen der genannten Gemeinde in Zusammenhang mit den – auch aufgrund der gleichlautenden Aussagen des Zeugen glaubwürdigen – Angaben des Beschwerdeführers. Gleiches gilt für die Feststellung zum Besuch der Gemeindegottesdienste; der Beschwerdeführer und der Zeuge gaben dazu übereinstimmend an, dass jener alle zwei Wochen sonntags in die Kirche kommt.

2.1.3. Die Feststellung zur inneren Konversion des Beschwerdeführers basiert auf folgenden Erwägungen:

Wie eingangs zu erwähnen ist, sind die Aussagen des Beschwerdeführers zu den Gründen seines Glaubenswechsels durchaus glaubwürdig. Denn er konnte sowohl vor der Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung durch seine freie Erzählweise den Eindruck vermittelt, dass seine diesbezüglichen Angaben im Wesentlichen den Tatsachen entsprechen. Bestätigt wird dieser Eindruck nach Ansicht des hier entscheidenden Richters durch die lebensnahen Aussagen des Zeugen in der Beschwerdeverhandlung zur Sorge des Beschwerdeführers, er müsse vor der Taufe eine Art Zwangsbeichte ablegen und dabei den ihm in seiner Jugend widerfahrenen Vorfall schildern.

Somit liegt das in Literatur und Rechtsprechung geforderte Kriterium der Existenz eines Schlüsselerlebnisses, das die Abwendung des Asylsuchenden von seiner früheren Religion und Hinwendung zu einer anderen Religion nachvollziehbar erscheinen lässt, im Fall des Beschwerdeführers vor, zumal dieser den Islam mit seinem Leidensweg verknüpft.

Hinzu kommt, dass der Zeuge in glaubwürdiger Weise angab, er habe den Eindruck, dass der Beschwerdeführer aus ganzem Herzen Christ geworden sei und – durchaus konkret zur Situation des Beschwerdeführers – dass sein Glaube an Gott ihn durch seine ganzen Probleme durchgetragen habe und auch weiter durchtrage und er in seinem Glauben konsequent weitergegangen sei.

Auch nimmt der Beschwerdeführer regelmäßig an den Sonntagsgottesdiensten der XXXX gemeinde teil, zu denen er – wie seine lebensnahen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung (vgl. Verhandlungsschrift S 14 Mitte) zeigen – auch andere Asylwerber einlädt bzw. versucht, deren Anreise zu organisieren.

Darüber hinaus kann in Hinblick auf die Antworten, die der Beschwerdeführer auf die ihm in der Beschwerdeverhandlung bezüglich seines religiösen Wissensstandes gestellten Fragen gegeben hat, nicht gesagt werden, dass seine Zuwendung zum Christentum in dieser Hinsicht als nicht ernsthaft erscheinen würde. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass er nach den plausiblen Angaben des Zeugen eine Person ist, die nicht gut lernt (aber von der Herzenseite her verstanden hat, worum es geht).

Vor diesem Hintergrund fällt der Umstand, dass im Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Vorkommnissen im Iran Ungereimtheiten aufgetreten sind, nicht derart in Gewicht, dass abgeklärt werden müsste, ob diese auf die psychische Situation des Beschwerdeführers zurückzuführen sind.

2.2. Die Feststellungen zur Lage im Iran gründen sich auf das Länderinformationsblatt (LIB) der Staatendokumentation zum Iran vom 14.06.2019, welches im Rahmen der Ladungen zur Beschwerdeverhandlung in das Verfahren eingeführt wurde. Da das LIB auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruht und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bietet, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung die Richtigkeit des LIB nicht in Frage stellte. Das inzwischen veröffentliche aktualisierte LIB mit Stand 19.06.2020 enthält in den hier relevanten Teilen keine Aussagen, die ein maßgeblich anderes Bild zeichnen würde.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt war; das Vorbringen des Beschwerdeführers war jedoch rechtlich als asylrelevant zu qualifizieren.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß Abs. 3 leg. cit. ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder ein Asylauschlussgrund gesetzt wurde.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 leg. cit. ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art. 9 Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd GFK aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.

Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:

Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden, unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 Statusrichtlinie fallen und Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Der Begriff der Religion umfasst nach Art. 10 Statusrichtlinie insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der sich mehrfach mit drohender Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Iran befasst hat (vgl. E 19.12.2001, 2000/20/0369; Ra 2014/01/0117; 24.10.2001, 99/20/0550; 17.09.2008, 2008/23/0675, je mwN) kommt es darauf an, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Feststellungen zu behaupteten aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von – allfälligen – Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

Wie festgestellt, ist davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer ernsthaft dem christlichen Glauben zugewandt hat und somit (auch) innerlich konvertiert ist. Es muss daher angenommen werden, dass er den Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben.

Vor dem Hintergrund der zuvor getroffenen Feststellungen zu den Konsequenzen einer Konversion im Iran muss der Beschwerdeführer bei weiterer Ausführung dieses inneren Entschlusses auch nach einer Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass er aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt würde. Denn bei Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, wie etwa der Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten oder Gebeten in Gemeinschaft mit anderen oder letztlich im Falle des Versuches, andere vom Christentum zu überzeugen, den der Beschwerdeführer auch explizit geäußert hat, würde sich der Beschwerdeführer als nicht geborener Christ einer beachtlichen Gefahr staatlicher Repressionsmaßnahmen aussetzen. Der Beschwerdeführer würde daher bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Gefahr laufen, auf Grund seines religiösen Bekenntnisses in asylrelevanter Weise verfolgt zu werden.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt aufgrund des Umstands, dass die Verfolgungssituation von nicht geborenen Christen im gesamten Staatsgebiet des Irans besteht, nicht in Betracht.

Der Beschwerdeführer erfüllt daher daher den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK erfüllt.

Sofern der Beschwerdeführer im Oktober 2017 wegen versuchten Diebstahls zu einer (bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafe von vier Wochen verurteilt wurde (abgesehen davon haben sich keine Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Beschwerdeführers ergeben), stellt dies keinen Ausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 dar.

Da sich auch sonst kein Asylausschluss- oder -endigungsgrund ergeben hat, war der Beschwerde Folge zu geben, dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 festzustellen, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.4. Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Eine Revision gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch mangelt es an einer derartigen Rechtsprechung (vgl. die oben unter Punkt 3.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes); schließlich ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage liegen nicht vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylausschlussgrund asylrechtlich relevante Verfolgung befristete Aufenthaltsberechtigung Diebstahl gesamtes Staatsgebiet Konversion Religion staatliche Verfolgung strafrechtliche Verurteilung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W176.2183153.1.00

Im RIS seit

27.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

27.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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