TE Lvwg Erkenntnis 2020/11/4 LVwG-2020/20/1221-5

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.11.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG 1991 §49a
ZustG §7
ZustG §9

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Dr. Stöbich über die Beschwerde des Herrn AA, Z, vertreten durch BB, Rechtsanwalt in Y, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 26.05.2020, Zl ***, betreffend eine Übertretung des KFG nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht:

1.       Der Beschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit dem nunmehr angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 26.05.2020, Zl *** wurde dem Beschwerdeführer folgender Sachverhalt zur Last gelegt:

„Sie haben folgende Verwaltungsübertretung begangen:

Fahrzeug(e): PKW, XXX-XXXX

Sie haben es als Zulassungsbesitzer des angeführten Fahrzeuges unterlassen, der Bezirkshauptmannschaft X auf ihr schriftliches Verlangen vom 10.12.2019, binnen zwei Wochen ab Zustellung bekannt zu geben, wer das oben genannte Fahrzeug, am 03.10.2019, um 13:07 Uhr im Gemeindegebiet von W, auf der A 12 Inntalautobahn, bei Strkm 44,801 in Richtung V gelenkt hat. Sie haben diese Auskunft nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist erteilt. Sie haben auch keine andere Person benannt, die die Auskunft erteilen hätte können.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift verletzt:

§ 103 Absatz 2 KFG

Wegen dieser Verwaltungsübertretung wird über Sie folgende Strafe verhängt:

Geldstrafe (€):                             Gemäß:                    Ersatzfreiheitsstrafe:

100,00                                      § 134 Absatz 1 KFG          20 Stunden

Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe tritt an deren Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe.

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:

€ 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, wobei jedoch mindestens € 10,00 zu bemessen sind.

Bei Freiheitsstrafen ist zur Berechnung der Kosten ein Tag Freiheitsstrafe mit 100 Euro anzusetzen.

Der zu zahlende Gesamtbetrag beträgt daher: € 110,00

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei aufgrund einer Anzeige der Landesverkehrsabteilung Tirol vom 04.10.2019 als Zulassungsbesitzer des PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XXXX (X), mit Schreiben der BH X vom 10.12.2019 aufgefordert worden, den verantwortlichen Fahrzeuglenker bekannt zu geben. Dieser Aufforderung habe der Beschwerdeführer nicht entsprochen. Er habe der Behörde lediglich mitgeteilt, dass das Fahrzeug von mehreren Personen gelenkt werde und er selbst das Fahrzeug nicht gelenkt habe.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol und führte darin aus, er sei einem Verbotsirrtum unterlegen. Das Fahrzeug werde im Familienverband verwendet und es gebe in Deutschland schließlich gemäß dem ordre public in Strafsachen keine Auskunftspflicht zu Lasten von Verwandten.

Eine Gesetzesbestimmung wie jene des § 103 Abs 2 KFG widerspreche somit der deutschen Verfassung und sei daher dem deutschen Recht gänzlich fremd. Als normenkonformen Staatsbürger sei es dem Beschwerdeführer als unredlich und unrichtig erschienen, einen X-beliebigen Lenker namhaft zu machen, ohne tatsächlich sicher zu sein, dass derjenige der tatsächliche Fahrzeuglenker gewesen wäre.

In der Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe sei auch das Grunddelikt nicht konkretisiert und individualisiert bekannt gegeben worden. Mit einem allfälligen Lichtbild der Übertretung sei eine Identifizierung des Lenkers möglich. Eine derartige Vorgehensweise ohne konkrete Bekanntgabe des tatsächlich angelasteten Deliktes sei der deutschen Rechtsordnung gleichfalls fremd und nach dieser unzulässig.

Überdies sei für einen ausländischen Normadressaten nicht erkennbar, wann eine Auskunft iSd § 103 Abs 2 KFG als ungenau oder unvollständig zu qualifizieren sei bzw was unter einem „Verweigern der Auskunft“ zu verstehen sei.

Für den Beschwerdeführer als deutschen Staatsbürger sei daher in keiner Art und Weise erkennbar gewesen, dass er mit seinem Schreiben einen objektiven Straftatbestand iSd angelasteten gesetzlichen Bestimmungen erfüllt und sich somit strafbar gemacht habe.

Die Bestrafung des Beschwerdeführers stehe auch im Widerspruch zum Territorialitätsprinzip. Gemäß § 2 Abs 2 VStG sei eine Übertretung im Inland begangen, wenn der Täter im Inland gehandelt hat oder hätte handeln sollen oder wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg im Inland eingetreten sei. Dazu sei anzumerken, dass der Beschwerdeführer nicht im Inland handeln hätte sollen. Ihm sei die Lenkererhebung schließlich an seine deutsche Adresse in der Bundesrepublik Deutschland übermittelt worden. Auch der zum Tatbestand gehörige Erfolg sei nicht im Inland eingetreten.

Weiters werde darauf verwiesen, dass das Grunddelikt mit dem nunmehr in Verfolgung stehenden Delikt des § 103 Abs 2 KFG in Konnexität stehe. Sollte das Grunddelikt tatsächlich nicht gesetzt worden sein, so bestehe auch kein Rechtsschutzinteresse an der Verfolgung wegen einer Übertretung nach § 103 Abs 2 KFG. Dies lasse sich auch eindeutig aus dem Schutzzweck der Norm ableiten, welcher darin bestehe, der Behörde die Möglichkeit einzuräumen, einen tatsächlichen Täter eines Grunddeliktes ausforschen zu können. Sollte dies nicht möglich sein, erfolge eben eine Umwälzung des Unrechtsgehaltes aus dem Grunddelikt in das Delikt des § 103 Abs 2 KFG. Wenn nunmehr aber kein Grunddelikt gesetzt worden sei, so bestehe auch kein Strafanspruch für das Delikt nach § 103 Abs 2 KFG, falls für dieses die objektiven Tatbestandsmerkmale dennoch erfüllt worden seien.

Die gegen den Beschwerdeführer verhängte Strafe sei unter Berücksichtigung der vorliegenden Milderungsgründe auch als überhöht anzusehen.

Mit Schreiben vom 15.06.2020, einlangend am 22.06.2020, wurde der Akt der Bezirkshauptmannschaft X dem Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegt. Mit Ladungsbeschluss vom 11.08.2020 erfolgte die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol, welche am 17.09.2020 stattfand und an der der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers teilnahm.

In der Verhandlung brachte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers weiters – unter der Vorlage der entsprechenden Schriftstücke – vor, dass die erste Rechtshandlung der Bezirkshauptmannschaft X gegenüber dem Beschwerdeführer in der Ausstellung der Anonymverfügung vom 25.10.2019 gelegen sei. Daraufhin sei eine Vollmachtsbekanntgabe durch den Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 12.11.2019 erfolgt. Mit E-Mail vom 12.11.2019 sei dieses Vollmachtsverhältnis von der Bezirkshauptmannschaft X zur Kenntnis genommen worden.

Da die Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe vom 10.12.2019 direkt dem Beschwerdeführer zugestellt worden sei, obwohl die Vertretung des Rechtsfreunds des Beschwerdeführers der Bezirkshauptmannschaft X bereits am 12.11.2019 bekanntgegeben worden sei, liege keine rechtswirksame Zustellung dieser Aufforderung vor.

Am 12.12.2019 habe der Beschwerdeführer seinem Rechtsvertreter die Aufforderung via
E-Mail übermittelt und wissen wollen, was er nun machen solle.

II.      Sachverhalt:

Mit Anzeige der Landesverkehrsabteilung (VAT-Abstand) vom 04.10.2019 wurde der Bezirkshauptmannschaft X nachstehender Sachverhalt mitgeteilt:

Am 03.10.2019 um 13:07 Uhr sei auf der A 12 Inntalautobahn, Fahrtrichtung V im Gemeindegebiet von W bei Strkm 44,801, anlässlich einer Kontrolle festgestellt worden, dass der Lenker des PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XXXX (D) den zu einem vor ihm am gleichen Fahrstreifen fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand eingehalten habe, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst würde. Es sei mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von 0,66 Sekunden festgestellt worden.

Aufgrund oa Anzeige erließ die Bezirkshauptmannschaft X eine Anonymverfügung vom 25.10.2019, zu Zl ***, adressiert an den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Zulassungsbesitzer des verfahrensgegenständlichen Fahrzeuges, mit welcher ihm der oa Sachverhalt zur Last gelegt und eine Geldstrafe in Höhe von Euro 70,00 gegen ihn verhängt wurde.

Daraufhin erfolgte erstmals ein Einschreiten des rechtsfreundlichen Vertreters des Beschwerdeführers, RA BB, der mit Schriftsatz vom 12.11.2019 in der Angelegenheit zu Zl *** seine Vollmacht bekanntgab. Er erhob (offenbar vorsichtshalber) einen Einspruch gegen eine allfällige Strafverfügung und begehrte Aktenübersendung. Hinsichtlich des Vertretungsverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und Rechtsanwalt BB ist festzustellen, dass dieses auch eine Zustellvollmacht beinhaltete.

Mit E-Mail der Bezirkshauptmannschaft X vom 12.11.2019 wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers in Beantwortung seines Schriftsatzes mitgeteilt, dass gegen eine Anonymverfügung kein Rechtsmittel zulässig sei. Erst nach Einleitung des ordentlichen Verwaltungsstrafverfahrens könne Einsicht in die zugrundeliegenden Akten, in Radarfotos und dergleichen gewährt werden.

Der mit der Anonymverfügung über den Beschwerdeführer verhängte Strafbetrag von Euro 70,-- wurde binnen der dafür vorgesehenen 4-wöchigen Frist nicht bezahlt.

Am 10.12.2019 erging seitens der Bezirkshauptmannschaft X die Aufforderung an den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer des PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen
XXX-XXXX (X), der belangten Behörde binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Auskunft zu erteilen, wer das Fahrzeug am 03.10.2019 um 13:07 Uhr auf der A 12 Inntalautobahn, Fahrtrichtung V im Gemeindegebiet von W bei Strkm 44,801 gelenkt habe bzw der Behörde mitzuteilen, wer eine derartige Auskunft erteilen könne. Dieses Schreiben wurde dem Beschwerdeführer persönlich (nachweislich) zugestellt.

Nachdem der Beschwerdeführer seinem Rechtsvertreter RA BB die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft via E-Mail übermittelt hatte, teilte dieser der Bezirkshauptmannschaft X mit Schreiben vom 16.12.2019 mit, dass der Beschwerdeführer nicht Lenker des auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeuges am angelasteten/angefragten Tatzeitpunkt am angelasteten/angefragten Tatort gewesen sei. Wer das Fahrzeug gelenkt habe, könne nicht mehr mitgeteilt werden, da man im Familienverband unterwegs gewesen sei. Zudem bemängelte der Rechtsvertreter die Zustellung des Schreibens direkt an den Beschwerdeführer, obwohl die Vollmachtsbekanntgabe bereits erfolgt sei.

In der Folge erließ die Bezirkshauptmannschaft X die Strafverfügung vom 05.02.2020, Zl ***, zugestellt dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 10.02.2020, mit der dem Beschwerdeführer vorgeworfen wurde, der Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe nach § 103 Abs 2 KFG nicht nachgekommen zu sein und wurde deshalb eine Geldstrafe in Höhe von Euro 100,00 gegen ihn verhängt.

Aufgrund des dagegen fristgerecht erhobenen Einspruchs des Beschwerdeführers, vertreten durch RA BB, erging schließlich das nunmehr angefochtene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft X vom 26.05.2020, Zl ***.

III.     Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme sowohl in den verwaltungsbehördlichen Akt der Bezirkshauptmannschaft X als auch in den Akt des Landesverwaltungsgerichtes Tirol. Zudem fand am 17.09.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol statt, an der der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers teilnahm.

Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig und ergibt sich insbesondere aus den vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers anlässlich der Verhandlung vorgelegten Beilagen (Anonymverfügung – Beilage A, Vollmachtsbekanntgabe vom 12.11.2019 – Beilage B, Vollmachtsvertrag – Beilage C, E-Mail der Bezirkshauptmannschaft X vom 12.11.2019 – Beilage D).

IV.      Rechtslage:

Die relevante Bestimmung des Kraftfahrgesetzes 1967 – KFG 1967 (BGBl Nr 267/1967 idF BGBl I Nr 37/2020) lautet wie folgt:

„§ 103. Pflichten des Zulassungsbesitzers eines Kraftfahrzeuges oder Anhängers

[…]

(2) Die Behörde kann Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer – im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung – zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

[…]“

Die relevante Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) BGBl Nr 52/1991 (WV) idF BGBl I Nr 58/2018 lautet wie folgt:

„Anonymverfügung

§ 49a

(1) Das oberste Organ kann, soweit die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen, durch Verordnung zur Verfahrensbeschleunigung einzelne Tatbestände von Verwaltungsübertretungen bestimmen, für die die Behörde durch Anonymverfügung eine unter Bedachtnahme auf § 19 Abs. 1 im Vorhinein festgesetzte Geldstrafe bis zu 365 Euro vorschreiben darf.

(2) – (4) […]

(5) Die Anonymverfügung ist einer Person zuzustellen, von der die Behörde mit Grund annehmen kann, dass sie oder ein für sie gemäß § 9 verantwortliches Organ den Täter kennt oder leicht feststellen kann.

(6) Die Anonymverfügung ist keine Verfolgungshandlung. Gegen sie ist kein Rechtsmittel zulässig. Sie wird gegenstandslos, wenn nicht binnen vier Wochen nach Ausfertigung die Einzahlung des Strafbetrages mittels Beleges (Abs. 4) erfolgt. Ist die Anonymverfügung gegenstandslos geworden, so hat die Behörde den Sachverhalt möglichst zu klären und Nachforschungen nach dem unbekannten Täter einzuleiten. Als fristgerechte Einzahlung des Strafbetrages mittels Beleges (Abs. 4) gilt auch die Überweisung des vorgeschriebenen Strafbetrages oder eines höheren Betrages auf das im Beleg angegebene Konto, wenn der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer des Beleges enthält und der Strafbetrag dem Konto des Überweisungsempfängers fristgerecht gutgeschrieben wird.

(7) Wird der Strafbetrag mittels Beleges (Abs. 4) fristgerecht eingezahlt, so hat die Behörde von der Ausforschung des unbekannten Täters endgültig Abstand zu nehmen und jede Verfolgungshandlung zu unterlassen.

[…]“

Die relevanten Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz – ZustG) BGBl Nr 200/1982 idF BGBl II Nr 140/2019 lauten:

„Heilung von Zustellmängeln

§ 7

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

Zustellungsbevollmächtigter

§ 9

(1) Soweit in den Verfahrensvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können die Parteien und Beteiligten andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellungsvollmacht).

(2) Einer natürlichen Person, die keinen Hauptwohnsitz im Inland hat, kann eine Zustellungsvollmacht nicht wirksam erteilt werden. Gleiches gilt für eine juristische Person oder eingetragene Personengesellschaft, wenn diese keinen zur Empfangnahme von Dokumenten befugten Vertreter mit Hauptwohnsitz im Inland hat. Das Erfordernis des Hauptwohnsitzes im Inland gilt nicht für Staatsangehörige von EWR-Vertragsstaaten, falls Zustellungen durch Staatsverträge mit dem Vertragsstaat des Wohnsitzes des Zustellungsbevollmächtigten oder auf andere Weise sichergestellt sind.

(3) Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist.

[…]“

V.       Erwägungen:

Gemäß § 103 Abs 2 KFG 1967 idgF kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Fahrzeug gelenkt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer zu erteilen. Kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht.

Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen. Wenn eine solche Auskunft nicht gegeben werden kann, sind entsprechende Aufzeichnungen zu führen.

Die Verpflichtung zur Erteilung der Lenkerauskunft ist durch die Verfassungsbestimmung des letzten Satzes des § 103 Abs 2 KFG gedeckt. Demnach treten Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, zurück.

Neben Einwendungen, die die Frage der Verpflichtung zur Erteilung der Lenkerauskunft betreffen, brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Zustellung der Aufforderung zur Lenkererhebung nicht rechtswirksam erfolgt sei, da diese trotz ausgewiesener Vollmacht direkt an den Beschwerdeführer und nicht an dessen Rechtsvertreter zugestellt worden sei.

Gemäß § 9 Abs 1 Zustellgesetz (ZustG) können Parteien und Beteiligte andere natürliche oder juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften gegenüber der Behörde zur Empfangnahme von Dokumenten bevollmächtigen (Zustellvollmacht).

Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde (…) diesen als Empfänger zu bezeichnen (§ 9 Abs 3 ZustG).

Durch die Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes zur Vertretung im Verwaltungsverfahren wird dieser auch Zustellungsbevollmächtigter. (VwGH 3.7.2001, 2000/05/0115; 3.10.1997, 96/19/0920; 15.6.1987, 86/10/0073).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die Aufforderung nach § 103 Abs 2 KFG ausgesprochen hat, ist diese an den Bevollmächtigten zuzustellen, sobald ein ausgewiesenes Bevollmächtigungsverhältnis vorliegt, das auch die Zustellung von Schriftstücken umfasst. Eine Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe kann dann nicht auch an die Partei selbst rechtswirksam zugestellt werden (VwGH 18.05.2001, Zl 2001/02/0001).

Hinsichtlich des Wirksamkeitsbeginns der Zustellvollmacht ist festzuhalten, dass die Bestellung eines Vertreters zum Zustellungsbevollmächtigten erst mit der Vorlage der Vollmachtsurkunde oder mit der mündlichen Erteilung der Vollmacht der Behörde gegenüber oder mit der Berufung auf die Vollmacht gegenüber der Behörde wirksam wird. Die Bevollmächtigung muss im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden (VwGH 28.06.2012, 2010/16/0275).

Im gegenständlichen Fall wurde das Vertretungsverhältnis zwischen RA BB und dem Beschwerdeführer der Behörde am 12.11.2019 nach Zustellung der Anonymverfügung vom 25.10.2019, noch vor Einleitung eines Verwaltungsstrafverfahrens und vor Zustellung der Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft der Behörde gegenüber angezeigt. Von diesem ausgewiesenen Vertretungsverhältnis mitumfasst war auch eine Zustellvollmacht. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit diese Vollmachtsanzeige auch für die nachfolgende Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft wirksam war.

Für die Beurteilung der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entscheidend, ob ein so enger Verfahrenszusammenhang besteht, dass von derselben Angelegenheit oder Rechtssache gesprochen werden kann. Ein derartiger enger Verfahrenszusammenhang ist angesichts einer einheitlichen Zielrichtung der Verfahren und der dienenden Funktion eines der Verfahren anzunehmen. Als weiteres vereinheitlichendes Element ist es anzusehen, wenn das Verfahren über den ursprünglich gestellten Antrag im Beschwerdestadium noch anhängig ist (vgl VwGH 30.01.2001, Zl 99/05/0197).

Der Verwaltungsgerichtshof hat einen engen Verfahrenszusammenhang zwischen einem wegen eines Grunddeliktes geführten Verwaltungsstrafverfahrens und einer Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft gemäß § 103 Abs 2 KFG bejaht (vgl VwGH 18.05.2001,
Zl 2001/02/0001). Der Zweck der Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG 1967 liegt darin, langwierige und umfangreiche Erhebungen durch die Behörde hintanzuhalten, sowie den tatsächlichen Lenker umgehend festzustellen, um das Grunddelikt ahnden zu können (vgl VwGH 11.2.2019, Ra 2018/02/0115).

Die Anonymverfügung stellt eine vereinfachte Erledigung dar. Sie ist eine Art Strafverfügung gegen einen unbekannten Täter und ist auf bestimmte – durch Verordnung festzulegende – Delikte beschränkt. Weiters kommt die Verhängung einer Anonymverfügung nur in Betracht, wenn die Anzeige auf der dienstlichen Wahrnehmung eines Organes der öffentlichen Aufsicht oder auf automatischer Überwachung beruht. Wird der festgesetzte Strafbetrag nicht binnen vier Wochen nach Ausfertigung der Anonymverfügung eingezahlt, hat die Behörde gemäß
§ 49 a Abs 6 VStG „den Sachverhalt möglichst zu klären und Nachforschungen nach dem unbekannten Täter einzuleiten“.

Nachdem der Beschwerdeführer, an den die Anonymverfügung in seiner Eigenschaft als Zulassungsbesitzer des beanstandeten Pkws ergangen ist, den Strafbetrag nicht entrichtete, wurde er von der Bezirkshauptmannschaft X zur Lenkerbekanntgabe aufgefordert. Diese sollte dazu dienen, den tatsächlichen Lenker festzustellen, um ein ordentliches Verfahren gegen den tatsächlichen Täter einzuleiten und die Übertretung ahnden zu können.

Die Anonymverfügung und die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft verfolgen eine einheitliche Zielrichtung – nämlich die Ahndung des Grunddeliktes (hier: einer Übertretung nach § 18 Abs 1 StVO). Die Nichtbezahlung der mittels Anonymverfügung festgesetzten Strafe zog die der Ausforschung des Täters dienende Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft als logische Folge nach sich. Es liegt somit ein enger Verfahrenszusammenhang zwischen der Erlassung der Anonymverfügung und der administrativrechtlichen Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft vor.

Die Vollmachtsbekanntgabe vom 12.11.2019, die von der Bezirkshauptmannschaft X zur Kenntnis genommen und auf welche mit einem Antwortschreiben reagiert wurde, bezog sich daher auch auf das gegenständliche Verfahren. Dementsprechend wäre die Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe auch dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zuzustellen gewesen.

Dem Rechtsvertreter ist die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft zwar durch Übermittlung eines Emails des Beschwerdeführers zur Kenntnis gelangt. Eine Sanierung eines Zustellmangels kann gemäß § 7 ZustellG allerdings nur dann erfolgen, wenn das Schriftstück dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zukommt, wobei es sich dabei um die Urschrift, eine Ausfertigung oder eine amtlich hergestellte Photokopie der behördlichen Erledigung handeln muss. Weder die bloße Kenntnisnahme eines Schriftstückes noch eine privat erfolgte Herstellung oder Ablichtung desselben können bewirken, dass das Schriftstück als dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen gilt (VwGH 3.10.2002, 2002/08/0031).

Zum „tatsächlichen Zukommen“ führt der Verwaltungsgerichtshof weiter aus, dass „…die Kenntnis des Vertreters vom Bescheidinhalt durch Übermittlung einer Telekopie oder einer Fotokopie kein „tatsächliches Zukommen“ des Bescheides gegenüber dem Vertreter darstellt. Maßgeblich ist für den Tatbestand des „tatsächlichen Zukommens“, dass der Bescheid im Original vom Vertreter tatsächlich (körperlich) in Empfang genommen wird“ (VwGH 16.7.2014, 2013/01/0173; 11.11.2013, 2012/22/0120).

Wie aus den Sachverhaltsdarstellungen hervorgeht, hat der Beschwerdeführer seinem Rechtsvertreter das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft X bzgl der Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe per E-Mail weitergeleitet. Diese Form der Kenntnisnahme durch den Rechtsvertreter stellt kein „tatsächliches Zukommen“ im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 7 ZustellG dar.

Aufgrund des Umstandes, dass die Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft dem (zustell-)bevollmächtigten Rechtsvertreter des Beschwerdeführers nie rechtswirksam zugegangen ist, kann dem Beschwerdeführer eine nicht ordnungsgemäße Beantwortung dieser Aufforderung und damit ein Verstoß gegen § 103 Abs 2 KFG nicht zur Last gelegt werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Mit der Frage, ob eine Vollmacht auch für andere Verfahren über bereits schwebende oder erst später anhängig werdende Rechtsangelegenheiten als erteilt anzusehen ist, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 22.08.2019, Ra 2018/21/0188, auseinandergesetzt und dabei auf einen engen Verfahrenszusammenhang abgestellt.

Das Vorliegen eines engen Verfahrenszusammenhangs zwischen einem wegen der Ahndung des Grunddeliktes geführten Verwaltungsstrafverfahrens und einer Aufforderung zur Erteilung der Lenkerauskunft gemäß § 103 Abs 2 KFG hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.05.2001, 2001/02/0001 bereits bejaht.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr. Stöbich

(Richter)

Schlagworte

Lenkerauskunft;
Zustellung der Aufforderung zur Lenkerbekanntgabe direkt an den Beschwerdeführer;
Vollmachtsbekanntgabe des Rechtsvertreters im Stadium der Anonymverfügung;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.20.1221.5

Zuletzt aktualisiert am

25.11.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten