TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/12 G308 2200289-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2020
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Entscheidungsdatum

12.08.2020

Norm

ASVG §67 Abs10
ASVG §83
B-VG Art133 Abs4

Spruch

G308 2200289-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Heimo JILEK und Dr. Martin SOMMER, gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Steiermark (vormals: Steiermärkische Gebietskrankenkasse) vom 26.04.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.07.2020, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse, Landesstelle Steiermark (vormals: Steiermärkischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: belangte Behörde) vom 26.04.2018 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) als faktischer Geschäftsführer der „ XXXX “ (im Folgenden: Primärschuldnerin) der belangten Behörde gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 58 Abs. 5 und § 83 ASVG für aushaftende Sozialversicherungsbeiträge auf dem Beitragskonto Nr. XXXX im Betrag von EUR 42.286,27 zuzüglich Verzugszinsen gemäß § 59 Abs. 1 ASVG vom derzeit gültigen Satz von 3,38 % p.a. aus dem Betrag von EUR 42.286,27 schulde und verpflichtet sei, diese Schuld binnen 15 Tagen nach Zustellung dieses Bescheides zu bezahlen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Primärschuldnerin in ihrer Eigenschaft als Dienstgeberin aufgrund der bei ihr angemeldeten Dienstnehmer der belangten Behörde die im beiliegenden Rückstandsausweis ersichtlichen Sozialversicherungsbeiträge und Nebengebühren für den Zeitraum Juni 2016 bis Dezember 2016 in der Höhe von insgesamt EUR 148.642,34 und weitere Verzugszinsen in gesetzlich vorgeschriebenen Ausmaß von 3,38 % p.a. (berechnet bis 25.04.2018) schulde. In diesem Betrag sei bereits die aus dem Sanierungsplan bisher geleistete Teilquote berücksichtigt. Die ausgewiesene Beitragsschuld habe durch gerichtliche Betreibung gegen die Primärschuldnerin nicht zur Gänze eingebracht werden können. Am 27.01.2017 sei über das Vermögen der Primärschuldnerin ein Sanierungsverfahren eröffnet worden. Dieses sei am 05.05.2017 gemäß § 152b IO mit einer Quote von 35 % aufgehoben worden. Von dieser seien bislang 22 % gezahlt worden. Die darüber hinausgehende Forderung der belangten Behörde sei somit als uneinbringlich anzusehen. Der Insolvenzverwalter der Primärschuldnerin habe die Forderung anerkannt. Der BF sei zu 50 % als Gesellschafter am Stammkapital der Primärschuldnerin beteiligt gewesen und habe neben dem angestellten handelsrechtlichen Geschäftsführer als faktischer Geschäftsführer des Unternehmens fungiert. Er habe als solcher den Geschäftsverlauf des Unternehmens so weit beeinflusst, als er auch entschieden habe, wie die zur Verfügung stehenden Mittel verwendet worden seien. Er habe als Geschäftsführer auch Außenwirkung erzielt. Die Tätigkeit des BF für die Primärschuldnerin sei daher gemäß § 539a ASVG einer Tätigkeit als Geschäftsführer gleichzuhalten. Er sei seinen Pflichten schuldhaft nicht nachgekommen, weshalb die Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG auszusprechen gewesen sei.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine bevollmächtigten Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 17.05.2018, bei der belangten Behörde am 22.05.2018 einlangend, das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Es wurde beantragt, das BVwG möge eine öffentliche mündliche Verhandlung durchführen, die beantragten Beweise aufnehmen sowie der Beschwerde stattgeben und den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit ersatzlos beheben.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass der BF lediglich unterstützende buchhalterische und beratende Tätigkeiten ausgeübt habe, der eigentliche Geschäftsführer jedoch selbstständig und weisungsfrei seine Geschäftsführertätigkeit ausgeübt habe. Die von der belangten Behörde herangezogenen höchstgerichtlichen Entscheidungen wären aus näher ausgeführten Gründen nicht einschlägig. Der tatsächliche Geschäftsführer sei auch nach außen hin als solcher aufgetreten und auch der offizielle Ansprechpartner der Steuerberatungskanzlei der Primärschuldnerin gewesen. Der BF sei zwar für das Firmenkonto der Primärschuldnerin zeichnungsberechtigt gewesen, dies sei jedoch üblich und habe den Zweck, erforderliche Überweisungen rasch durchführen zu können. Allein aus einer Zeichnungsberechtigung des BF für ein Firmenkonto könne eine faktische Geschäftsführertätigkeit nicht abgeleitet werden. Dem BF sei bekannt, dass der vormalige Geschäftsführer nun behaupte, nicht Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen zu sein. Diese Behauptung sei nachweislich unrichtig.

3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem BVwG von der belangten Behörde vorgelegt und langten am 06.07.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Im Vorlagebericht der belangten Behörde vom 02.07.2018 nahm diese zum Beschwerdevorbringen Stellung und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerde des BF abweisen.

4. Der Vorlagebericht der belangten Behörde vom 02.07.2018 wurde dem BF über seine bevollmächtigte Rechtsvertretung mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10.07.2018 zur Stellungnahme übermittelt.

Der BF nahm mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom 17.07.2018, am 18.07.2018 am Bundesverwaltungsgericht einlangend, zum Vorlagebericht Stellung und beantragte erneut die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Stattgabe der Beschwerde.

5. Am 29.11.2019 langte eine ergänzende Urkundenvorlage des BF mit Schreiben seiner Rechtsvertretung vom selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht ein.

6. Die Urkundenvorlage wurde der belangten Behörde mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 05.12.2019 zur allfälligen Stellungnahme binnen drei Wochen übermittelt.

Die belangte Behörde nahm daraufhin mit Schreiben vom 20.12.2019, am 02.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, zur Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung.

7. Die Stellungnahme der belangten Behörde vom 20.12.2019 wurde dem BF mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 03.01.2020 übermittelt.

Die mit 10.01.2020 datierte Stellungnahme des BF langte am 13.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

8. Infolge der COVID-19 Krise musste die bereits anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung mehrfach verschoben werden.

Das Bundesverwaltungsgericht führte schließlich am 21.07.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der BF und sein Rechtsvertreter, ein Vertreter der belangten Behörde teilnahmen und der ehemalige handelsrechtlicher Geschäftsführer sowie die ehemalige externe Lohnverrechnerin als Zeugen einvernommen wurden.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Primärschuldnerin ist eine zur Firmenbuchnummer FN XXXX eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Geschäftszweig Personalbereitstellung und Logistik (vgl etwa Firmenbuchauszug vom 03.08.2020).

Der BF ist seit der Gründung/Eintragung der Primärschulderin mit 14.12.2011 bis 22.05.2019 zu 50 % am Stammkapital beteiligter Gesellschafter der Primärschuldnerin gewesen. Seit 22.05.2019 bis zum Entscheidungszeitpunkt ist der BF nunmehr Alleingesellschafter der Primärschuldnerin. Seit 20.03.2017 vertritt der BF selbst die Primärschuldnerin als selbstständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer (vgl etwa Firmenbuchauszug vom 03.08.2020). Von 02.01.2012 bis 31.03.2017 war der BF zudem geringfügig beschäftigter Angestellter der Primärschuldnerin. Seit 01.12.2014 bis laufend bezieht er eine Alterspension (vgl Sozialversicherungsdatenauszug vom 03.08.2020).

1.2. Von 28.12.2011 bis 19.03.2017 vertrat der im Firmenbuch eingetragene XXXX (im Folgenden: Geschäftsführer) die Primärschuldnerin als selbstständig vertretungsbefugter handelsrechtlicher Geschäftsführer. Er war an der Primärschuldnerin nicht als Gesellschafter beteiligt, sondern von 02.01.2012 bis 31.03.2017 als deren Geschäftsführer nach dem ASVG angestellt. Er erhielt dafür ein durchschnittliches Brutto-Monatsgehalt von rund EUR 4.000,00 (vgl etwa Firmenbuchauszug vom 03.08.2020; Sozialversicherungsdatenauszug des handelsrechtlichen Geschäftsführers vom 03.08.2020; Verhandlungsprotokoll vom 21.07.2020, S 3 und 11; aktenkundige Lohn-/Gehaltsabrechnungen, Beilage ./6).

1.3. Im Zeitraum von Juni 2016 bis Dezember 2016 kam die Primärschuldnerin ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nicht mehr (vollständig) nach. Es bestand für diesen Zeitraum ein Beitragsrückstand in Höhe von EUR 140.237,42 (samt Verzugszinsen zum 23.11.2017 in Höhe von EUR 146.786,30) (vgl etwa Schreiben der belangten Behörde vom 24.11.2017 samt Rückstandsausweis vom selben Tag, Beilage 02).

1.4. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , wurde über die Primärschuldnerin das Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung eröffnet und mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom XXXX .2017 der Sanierungsplan als rechtskräftig bestätigt und das Sanierungsverfahren mit einer Quote von 35 % wieder aufgehoben (vgl etwa Firmenbuchauszug vom 03.08.2020; Schreiben der belangten Behörde vom 24.11.2017, Beilage 02; Auszug aus der Insolvenzdatei vom 29.05.2017, Beilage ./2).

1.5. Der BF war für die Buchhaltung und das Rechnungswesen der Primärschuldnerin zuständig. Er kam etwa gegen 08:00 Uhr ins Büro und blieb bis 11:00/12:00 Uhr. Er nahm die Nummerierung von Eingangsrechnungen vor, fasste diese monatlich zusammen und übermittelte diese der Steuerberatung. Er überwies die Löhne der Mitarbeiter der Primärschuldnerin nach der Übermittlung entsprechender Lohnabrechnungen durch die externe Lohnverrechnerin (Zeugin 2). Der BF war für die Bankkonten der Primärschulderin zeichnungsberechtigt, ebenso wie der Geschäftsführer, doch nur der Geschäftsführer verfügte über eine entsprechende Bankomatkarte. Der BF nahm die entsprechenden Auszahlungen auf Anordnung des Geschäftsführers vor und korrespondierte auf dessen Anordnung mit der belangten Behörde zwecks Stundung der Beitragsrückstände. Die entsprechenden Schreiben wurden aber vom Geschäftsführer und vom BF unterzeichnet und die vom BF an die belangte Behörde gerichteten E-Mails in Absprache mit dem Geschäftsführer verfasst. Der BF bekam vom Geschäftsführer eine Liste über neu eingestellte Mitarbeiter, deren Stundensätze und Deckungsbeiträge sowie welche Mitarbeiter ausgeschieden sind. Dementsprechend gab der BF Informationen an die Steuerberatung durch. Er selbst hatte keinerlei Einfluss auf die Personalauswahl oder die nähere Ausgestaltung von deren Vertragsverhältnissen. Im Zuge der finanziellen Krise der Primärschuldnerin hat der BF einen Zahlungsvorschlag erstellt. Wer tatsächlich bezahlt wurde, hat im Endeffekt der Geschäftsführer entschieden. Der BF hatte auch mit der externen Lohnverrechnerin nur insofern Kontakt, als ihm von dieser in Kopie (neben dem Geschäftsführer) die Lohnabrechnungen zur Überweisung übermittelt wurden. Nur wenn der Geschäftsführer verhindert war, hatte sie auch Kontakt mit dem BF (vgl Verhandlungsprotokoll vom 21.07.2020, S 3 ff; vorgelegtes Stundungsersuchen vom 16.01.2017; vorgelegtes E-Mail vom 03.11.2016 an die belangte Behörde samt Einzahlungsbelegen (Verfüger: BF) sowie Beschluss des Bezirksgerichts XXXX als Exekutionsgericht vom XXXX .2016, XXXX ).

Ein gegen den BF aufgrund der Aussagen des Geschäftsführers in dessen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren geführtes Strafverfahren zur Zahl XXXX wegen § 153c StGB (Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung) wurde eingestellt.

1.6. Die Tätigkeit des Geschäftsführers umfasste seinen eigenen Angaben nach das Recruiting, Mitarbeiteraufträge, Bewerberpoolmanagement und die Auftragsakquise, weiters die Erstellung von Dienstverträgen, die Überprüfung der Arbeitsstundennachweise sowie die Übermittlung derselben an die Lohnverrechnung und die Veranlassung sozialversicherungsrechtlicher An- und Abmeldungen von Mitarbeitern. Er war der Ansprechpartner für Mitarbeiter und Kunden. Die Preisverhandlungen mit den Kunden wurden vom Geschäftsführer geführt. Dazu wurde ihm vom BF ein grundlegendes Kalkulationsmodell erstellt, um sich leichter orientieren zu können, er war jedoch komplett frei und unabhängig in seinen Entscheidungen. Er war vollzeitbeschäftigt und sowohl für den Innen- als auch Außendienst zuständig. Er hatte ebenso eine Zeichnungsberechtigung für die Firmenkonten, auch wenn er tatsächlich keine Überweisungen getätigt hat. Er verfügte als einziger über eine zugehörige Bankomatkarte und hat diese auch benützt. Der Geschäftsführer war auch der überwiegende Ansprechpartner für die belangte Behörde. Er korrespondierte mit Herrn XXXX von der belangten Behörde per Telefon und E-Mail und übermittelte diesem den vom BF im Hintergrund ausgearbeiteten Zahlungsplan zur Verhandlung über eine Ratenzahlung. Die Post wurde vom Beschwerdeführer geöffnet. Etwaige zu bezahlende Rechnungen wurden dem BF in ein eigens dafür vorgesehenes Fach eingelegt. Auch war der Geschäftsführer der Ansprechpartner der Lohnverrechnerin (Zeugin 2). Er übermittelte ihr laufend alle Unterlagen zur monatlichen Lohnverrechnung per Post, sowie Anfragen per E-Mail oder Telefon. Nachdem dem Geschäftsführer seine persönliche Haftung für aushaftende Sozialversicherungsbeiträge der Primärschuldnerin als deren Geschäftsführer bewusst wurde, legte er die Geschäftsführertätigkeit mit Schreiben vom 22.02.2017 zurück. Daraufhin wurde er fristlos entlassen, in einem nachfolgenden arbeitsrechtlichen Verfahren jedoch eine Einigung erzielt und die Entlassung in eine einvernehmliche Kündigung umgewandelt (vgl Zeuge 1, Verhandlungsprotokoll vom 21.07.2020, S 6 ff; Geschäftsführer-Dienstvertrag vom 27.01.2012, Beilage ./1).

1.7. Es wurde seitens des Geschäftsführers dem BF weder eine Handlungsvollmacht bezogen auf einzelne Tätigkeitsbereiche des Geschäftsführers eingeräumt, noch wurde der Geschäftsführer durch den BF (der zum verfahrensgegenständlich Zeitraum auch 50%iger Gesellschafter der Primärschuldnerin) und den weiteren Gesellschafter intern auf seine unabdingbaren Mindestrechte beschränkt und seine Geschäftsführungsbefugnis in irgendeiner Weise de-facto eingeschränkt.

1.8. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.04.2018, Zahl: XXXX , wurde die Haftung des BF für die bei der Primärschuldnerin nicht einbringbaren Sozialversicherungsbeiträge samt Verzugszinsen bis zum 26.04.2018, unter Berücksichtigung der gesamten Quote gemäß § 152b IO sowie der rechnerischen Zahlung gemäß IESG in Höhe von EUR 42.717,36 gemäß § 67 Abs. 10 iVm § 58 Abs. 5 und § 83 ASVG festgestellt.

1.9. Die Höhe des Haftungsbetrages oder dessen konkrete Berechnung ist unstrittig. Strittig ist die Haftung des BF dem Grunde nach.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgerichtes vorliegenden Gerichtsakts.

Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.1. Die Feststellungen in Bezug auf die Primärschuldnerin und deren Insolvenzverfahren sowie die ausschließliche handelsrechtliche Geschäftsführungsbefugnis des Geschäftsführers ergeben sich aus dem im Akt einliegenden Firmenbuchauszug sowie dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes.

Der von der belangten Behörde mit Bescheid festgestellte Haftungsbetrag ergibt sich aus dem zugehörigen Rückstandsausweis vom 26.04.2018 und wurde zu keiner Zeit vom BF bestritten.

Die Feststellungen zu der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Tätigkeiten des BF bzw. des Geschäftsführers, der ihnen jeweils zukommenden Aufgaben und Befugnisse ergeben sich insbesondere aus den Angaben des BF, des Geschäftsführers (Zeuge 1) und der Zeugin 2 im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung und dem hierbei vom erkennenden Gericht jeweils persönlich gewonnenen Eindruck. Die Angaben decken sich ohne maßgebliche Widersprüche. Lediglich sieht sich der Geschäftsführer seiner persönlichen Ansicht nach rückwirkend nicht als Geschäftsführer der Primärschuldnerin „im klassischen Sinn“. Dies ist jedoch mit seinen Angaben zur Ausgestaltung seiner Tätigkeit und Befugnisse in Zusammenschau mit den Angaben des BF und insbesondere der, von der gegenständlichen Entscheidung gänzlich unbetroffenen, Zeugin 2 nicht vereinbar. Vielmehr hat der Geschäftsführer selbst eingeräumt, sich erst Anfang 2017 den haftungsrechtlichen Konsequenzen (neben persönlichen Belastungen aus der Tätigkeit) bewusst geworden zu sein und nicht einzusehen, dass er ob als Geschäftsführer oder nicht, dafür alleine einstehen müsse. Daraus ergibt sich für das erkennende Gericht ein starkes Motiv für die nachfolgenden Handlungen des Geschäftsführers, wonach er über seine Steuerberatung eine mit 03.10.2017 datierte Stellungnahme zum Vorhalt der Haftung für rückständige Sozialversicherungsbeiträge an die belangte Behörde richtete und dort sinngemäß angab, er sei zwar formal Geschäftsführer gewesen, jedoch habe ausschließlich der BF Zahlungen getätigt und sei er alleine für das Bankkonto nicht zeichnungsberechtigt gewesen. Die gesamte Finanzgebarung obliege dem BF, der auch der faktische Geschäftsführer der Primärschuldnerin sei. Seine Angaben hielt er auch in den Strafverfahren wegen dem Vorenthalten von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung sowie im gegenständlichen Verfahren aufrecht.

De-facto ist jedoch – den Feststellungen entsprechend – nicht ersichtlich, dass der Geschäftsführer ohne den BF auf einem Firmenkonto nicht zeichnungsberechtigt gewesen wäre. Auch finden sich – bis auf einige wenige Indizien, wie etwa vom BF an die belangte Behörde gerichtete E-Mails oder seine (zusätzlich zu jener der Geschäftsführers) auf einem Ansuchen auf Stundung zu findende Unterschrift – keine tragbaren Hinweise auf eine tatsächlich faktische Geschäftsführungstätigkeit des BF.

Schlussendlich ist auch zu bedenken, dass der Geschäftsführer als solcher mit entsprechenden Angaben im Dienstvertrag angestellt wurde, als solcher auch in der Lohnverrechnung geführt wurde und auch nach außen als alleiniger Verhandlungspartner für Kunden und Mitarbeiter auftrat.

Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. im Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln und insbesondere aus den von den Parteien im gesamten Verfahren gemachten Angaben, welche jeweils in Klammer zitiert und weder vom BF (substanziiert) noch der belangten Behörde bestritten wurden.

2.2. Strittig ist im gegenständlichen Fall überwiegend die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts, sodass im Übrigen darauf verwiesen wird.

Insgesamt ergeben die vorliegenden Tatsachen und Beweise sowie mangelnde gegenteilige Beweise ein Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse. Aus den angeführten Gründen konnte der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Akteninhalt dem gegenständlichen Erkenntnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Anzuwendendes Recht:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idgF. geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 27 VwGVG legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Demzufolge hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid aufgrund der Beschwerde zu überprüfen. Verwiesen wird dabei auf die Bestimmung des § 9 VwGVG, der den Inhalt der Beschwerde beschreibt und hier insbesondere auf Abs. 1 Z 3 und Z 4 leg. cit.. Dies betrifft die Angabe der Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie das Begehren.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

3.2. Zu Spruchteil A):

Zur Haftung des BF dem Grunde nach:

Gemäß § 58 Abs. 5 ASVG haben die Vertreter juristischer Personen, die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen und die Vermögensverwalter (§ 80 BAO) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Beiträge jeweils bei Fälligkeit aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personengesellschaften (offene Gesellschaft, Kommanditgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegen Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei den „zur Vertretung berufenen“ um die gesetzlichen Vertreter, also um jene, ohne die das vertretene Rechtssubjekt nicht handeln kann, wie sich aus der insoweit ausdrücklichen Beschränkung bei den natürlichen Personen ergibt (VwGH 89/08/0223, ZfVB 1992/1033). Diese Ableitung scheint auch aus Gleichheitsgründen überzeugend (vgl dazu VwGH 94/08/0105, ZfVB 2000/1561 = SVSlg 45.037). Daher haften grds nicht Prokuristen iSd § 53 UGB (VwGH 89/08/0223, ZfVB 1992/1033;94/08/0105, ZfVB 2000/1561 = ARD 5134/35/2000 = SVSlg 45.037) und auch nicht Handlungsbevollmächtigte iSd § 54 UGB (vgl Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG Rz 94 (Stand 01.07.2014, rdb.at)).

Ein Sonderfall in diesem Zusammenhang ist die ausnahmsweise Haftung des „faktischen Vertreters“. Wird der Geschäftsführer einer GmbH auf die gesetzlich unabdingbaren Mindestrechte beschränkt und gleichzeitig veranlasst, zB dem Gesellschafter einer GmbH in allen übrigen Angelegenheiten umfassende Handlungsvollmacht zu erteilen, wobei der solcherart Bevollmächtigte auch als alleiniger Vertreter der Gesellschaft wie ein Geschäftsführer nach außen auftritt, sodass er nach dem Gesamterscheinungsbild seines Auftretens die Geschicke der Gesellschaft durch eigenes Handeln im Außenverhältnis maßgeblich in die Hand genommen hat, dann kann er nach Abs. 10 in Haftung genommen werden (VwGH 2000/08/0097, RdW 2001/758, 743 = ZfVB 2002/931 = SVSlg 48.076 = SVSlg 49.370; dazu Resch, RdW 2001, 602; Derntl, RdW 2008, 379 [380] mwH; zum faktischen Geschäftsführer im Allgemeinen OGH 8 Ob 124/07 d, SZ 2007/200 = GesRZ 2008, 159 = EvBl 2008/77, 406 = ecolex 2008/159, 439 = JBl 2008, 455; ferner 2 Ob 238/09 b, ÖJZ 2011/28, 283 [Kraus] = ecolex 2010/435, 1165 = wbl 2011/39, 104 = GesRZ 2011, 43). Dabei kommt es aber nicht darauf an, ob diese Person als Gesellschafter oder sonst im Firmenbuch aufscheint (OGH 8 Ob 108/08 b, SZ 2009/20 = wbl 2009/156, 356 = RdW 2009/593, 590 = GeS 2009, 269; dazu Ruhm/Toms, ecolex 2009, 682) (vgl Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG Rz 97 (Stand 01.07.2014, rdb.at)).

Während die zitierte Rechtsprechung des OGH den faktischen Geschäftsführer für die nicht rechtzeitige Stellung eines Konkursantrags aufgrund seines mutmaßlichen Wissensstands um die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens in zivilrechtliche Haftung nimmt, und er auch zum verschärft haftenden „wissenden“ Personenkreis als Betriebsnachfolger gehört (wofür in beiden Fällen genügt, dass ein faktisches Gerieren als Geschäftsführer vorliegt), genügt dies für die Vertreterhaftung nach § 67 Abs. 10 nicht. Der Normzweck dieser Bestimmung erfordert nämlich nicht nur das Wissen um Beitragsschulden, sondern auch eine rechtliche Ingerenz, die sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtungen eines Dienstgebers zur Vermeidung von Beitragsschulden erfüllen zu können. Während dies beim unternehmensrechtlichen Geschäftsführer ohne weiteres der Fall ist, erfordert es beim faktischen Geschäftsführer entweder eine Betrauung mit der Geschäftsführungstätigkeit auch in rechtlicher Hinsicht, einschließlich der Wahrnehmung der finanziellen Gestion des Unternehmens, oder aber auch eine solche Stellung in der Gesellschaft, die es ermöglicht hat, eine vergleichbare rechtliche Ingerenz an sich zu ziehen, die den rechtlichen Geschäftsführer (ungeachtet der Fortdauer auch seiner, an der formalen Rechtsstellung anknüpfenden Haftung nach § 67 Abs. 10) zu einem „Strohmann“ degradiert (wie dies beim Alleingesellschafter, unter Umständen auch bei einem Mehrheitsgesellschafter einer GmbH der Fall sein kann vgl Jovic, GES 2013, 332). Unter diesen Voraussetzungen ermöglicht § 539 a Abs. 3 ASVG den faktischen Geschäftsführer dann als den wahren Vertreter der Gesellschaft auch nach § 67 Abs. 10 haften zu lassen (vgl § 539 a Rz 34). Die Haftung des faktischen Vertreters ändert jedoch nichts an der fortdauernden Haftung des im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers, dessen haftungsbegründendes Verschulden in einem solchen Fall darin liegt, dass er sich an der Wahrnehmung seiner Aufgaben hat hindern lassen, ohne daraus zumindest die Konsequenz des Rücktritts zu ziehen (vgl Rz 126) (vgl Müller in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 67 ASVG Rz 98 (Stand 01.07.2014, rdb.at)).

Fallbezogen ergibt sich daraus:

Aus den Feststellungen ergibt sich, dass die Rechte des Geschäftsführers an der Geschäftsführung der Primärschuldnerin zu keiner Zeit seitens der Gesellschafter (darunter auch dem BF) eingeschränkt wurden. Auch wenn dem BF eine Zeichnungsberechtigung für die Firmenkonten eingeräumt wurde, so bezahlte er nur Rechnungen oder Vorschreibungen auf Anweisung des Geschäftsführers, der die Post öffnete und zu erledigende Rechnungen oder Zahlungen in das entsprechende Fach des BF einlegte. Wie der Geschäftsführer ausführte, ist der BF offensichtlich erfahren im Umgang mit Rechnungswesen, Controlling und Zahlen. Dass er im Rahmen seines Aufgabenbereichs als geringfügig angestellter Buchhalter um die Erstellung von Zahlungsplänen oder im Auftrag bzw. gemeinsam in die Korrespondenz mit entsprechenden Gläubigern (wie gegenständlich der belangten Behörde) eingebunden gewesen sein mag, ergibt sich eher aus der Aufforderung des Geschäftsführers als einer selbstständigen, „faktischen Geschäftsführung“. Aus einigen E-Mails des BF oder einer zusätzlichen Unterschrift auf einem Ratenzahlungsersuchen ist für das erkennende Gericht allein nicht ersichtlich, dass der BF tatsächlich der faktische Geschäftsführer gewesen sein soll. Auch ist der Geschäftsführer bei Kunden und Mitarbeitern als einzige Ansprechperson aufgetreten. Er war in seinen Entscheidungen völlig frei. Das erstellte Kalkulationsmodell vom BF kann daher nur als Unterstützung bzw. der Vereinfachung verstanden, keinesfalls aber daraus ein Anwendungszwang ersehen werden.

Aus den Ausführungen des Geschäftsführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass dieser, als ihm die haftungsrechtlichen Konsequenzen bewusst geworden sind, die Verantwortung von sich schieben wollte.

Insgesamt kommt das erkennende Gericht zum Schluss, dass eine faktische Geschäftsführung des BF im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht vorlag und damit auch keine Haftung iSd § 67 Abs. 10 ASVG seinerseits begründet werden kann.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht uneinheitlich. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH vertritt eine eindeutige und einheitliche Rechtsprechung, weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

Beitragsrückstand faktische Leistung Geschäftsführer Geschäftsführung Haftung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G308.2200289.1.00

Im RIS seit

19.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.11.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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