TE Vwgh Erkenntnis 1997/9/30 96/01/0119

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Veröffentlicht am 30.09.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AsylG 1991 §19 Abs3;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
ZustG §8;
ZustG §9 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Bachler, Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Mag. Unterer, über die Beschwerde des Andrew Ndionuka in Wien, geboren am 1. Oktober 1967, vertreten durch Dr. Peter Zawodsky, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorfer Straße 71/10, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. August 1994, Zl. 4.341.886/1-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, der am 27. September 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat am 30. September 1992, beim Bundesasylamt eingelangt am 5. Oktober 1992, einen Asylantrag gestellt. Gleichzeitig hat er seine Zustelladresse wie folgt bekanntgegeben:

"Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche A.B.i.Ö., Dr. Gertrude Hennefeld, Otto Glöckel-Straße 16,

A-2514 Traiskirchen, Tel. 02252/54726". Bei der niederschriftlichen Vernehmung durch das Bundesasylamt am 30. Oktober 1992 hat der Beschwerdeführer seine "eigene Adresse" mit "Lager Traiskirchen" bekanntgegeben. In seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. November 1992, mit welchem der Asylantrag abgewiesen worden war, gab der Beschwerdeführer seine Adresse mit

"Otto Glöckel-Straße 16, 2514 Traiskirchen" bekannt. Aus einem Aktenvermerk ist ersichtlich, daß die belangte Behörde am 23. August 1994 über telefonische Anfrage von der "Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche" die Auskunft erhielt, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht bekannt sei und über ihn kein Aktenvorgang vorliege. Aus weiteren Aktenvermerken ergibt sich, daß die belangte Behörde am 24. August 1994 telefonische Meldeanfragen an das Gemeindeamt Traiskirchen und das Zentralmeldeamt in Wien richtete, welche jeweils zum Ergebnis hatten, daß der Beschwerdeführer im dortigen Bereich nicht gemeldet sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. August 1994 hat die belangte Behörde den Asylantrag gemäß § 19 Abs. 1 Asylgesetz 1991 "abgewiesen".

In der Begründung führte sie aus, daß der Beschwerdeführer seine Abgabestelle geändert und die Änderung der belangten Behörde bis dato nicht mitgeteilt habe. Da trotz Erhebungen keine neue Abgabestelle habe ausfindig gemacht werden können, sei der Asylantrag "abzuweisen" gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde:

Die belangte Behörde hat ihren Bescheid aufgrund der oben erwähnten telefonischen Erhebungen vom 23. und 24. August 1994 gemäß § 19 Abs. 3 Asylgesetz 1991 iVm § 8 Zustellgesetz ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der belangten Behörde am 22. September 1994 hinterlegt, weil der Beschwerdeführer die Änderung seiner Abgabenstelle nicht mitgeteilt habe. Die belangte Behörde hat somit die "Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche" bzw. Frau Dr. Hennefeld nicht als Zustellbevollmächtigte angesehen und dem Beschwerdeführer selbst zugestellt. Dies zu Recht, kann doch die Bekanntgabe einer "Zustelladresse" ohne jeden Hinweis auf das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses nicht ohne weiteres als Anzeige der Erteilung einer Zustellvollmacht angesehen werden. Es handelt sich vielmehr nach dem äußeren Erscheinungsbild dieser Erklärung um eine Mitteilung darüber, daß ein an den Beschwerdeführer gerichtetes Schreiben mit einer bestimmten Adresse zu versehen ist, weil dort eine Abgabestelle besteht. Anders als im Fall, der dem hg. Beschluß vom 10. Oktober 1995, Zlen. 94/20/0532, 95/20/0546, zugrunde lag, hat der Beschwerdeführer nicht etwa bekanntgegeben, daß er unter einer bestimmten "Korrespondenzadresse" zu Handen einer - damit als Zustellbevollmächtigter bezeichneten - dritten Person postalisch erreichbar sei.

Überdies hätte die belangte Behörde auch aufgrund der telephonischen Auskunft der "Flüchtlingsberatung" vom 23. August 1994 davon ausgehen können, daß eine allenfalls früher erteilte Zustellvollmacht jedenfalls nicht mehr besteht.

Nach dem Inhalt der Niederschrift vom 17. Oktober 1994 wurde dem Beschwerdeführer der angefochtene Bescheid an diesem Tage eigenhändig ausgefolgt. Am 4. November 1994 (Datum des Poststempels) beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung der Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwaltes zur Einbringung einer Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof. Dem zum Vertreter bestellten Rechtsanwalt wurde der Bestellungsbeschluß samt einer Ausfertigung des anzufechtenden Bescheides am 28. Dezember 1995 zugestellt. Die vorliegende Beschwerde wurde am 8. Februar 1996 zur Post gegeben. Geht man - wie im folgenden darzulegen sein wird - davon aus, daß die Zustellung gemäß § 19 Abs. 3 Asylgsetz 1991 beim Bundesminister für Inneres nicht rechtswirksam erfolgt ist und erst am 17. Oktober 1994 gemäß § 7 Zustellgesetz dadurch geheilt wurde, daß der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer tatsächlich zugekommen ist, dann wurden sämtliche Fristen gewahrt. Die Beschwerde erweist sich daher als rechtzeitig.

2. In der Sache selbst:

Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe sich nach seiner Einreise in das Bundesgebiet immer im Flüchtlingslager Traiskirchen (2514 Traiskirchen, Otto Glöckel-Straße 24) aufgehalten. Von einer Änderung der Abgabestelle könne daher nicht die Rede sein, was bei Vornahme geeigneter Erhebungen auch von der belangten Behörde hätte festgestellt werden können. Dazu ergibt sich aus einem von der belangten Behörde angelegten Aktenvermerk, daß eine Mitarbeiterin der "Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche" am 19. Oktober 1994 der belangten Behörde mitgeteilt hat, daß die Auskunft vom 23. August 1994, wonach der Aufenthalt des Beschwerdeführers nicht bekannt sei und über den Beschwerdeführer kein Aktenvorgang aufscheine, unrichtig sei.

Gemäß § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 sind Asylanträge in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen, wenn der Asylwerber eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1992) nicht rechtzeitig mitgeteilt hat. Hiebei steht der Terminus "rechtzeitig" nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialen in Beziehung zur Beendigung des Verfahrens, woraus folgt, daß die Unterlassung der Mitteilung einer Änderung der Abgabestelle nur dann im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 eine "Abweisung" (nach der Judikatur handelt es sich um eine Zurückweisung; vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 30. Juni 1994, B 1219/93, B 1698/93, B 397/94, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Mai 1996, Zl. 95/20/0113) des Asylantrages rechtfertigt, wenn die Behörde das Asylverfahren andernfalls nicht hätte abschließen können. Selbst wenn die unterlassene Mitteilung geeignet wäre, die Behörde an der Beendigung des Verfahrens zu hindern, könnte solange, als es der Behörde möglich ist, durch ihr - nach Lage des Falles - zumutbare Erhebungen eine Abgabestelle des Beschwerdeführers festzustellen, nicht davon die Rede sein, daß das Asylverfahren wegen der unterlassenen Mitteilung nicht habe abgeschlossen werden können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1995, Zl. 95/01/0046, mwN).

Da der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Vernehmung seine "eigene Adresse" mit "Lager Traiskirchen" bekanntgegeben hat, wäre es für die belangten Behörde naheliegend und zumutbar gewesen, nach der (unrichtigen) Auskunft der "Flüchtlingsberatung der Evangelischen Kirche" - etwa durch eine Anfrage an das Flüchtlingslager Traiskirchen - zu erheben, ob sich der Beschwerdeführer dort aufhält. Die von der belangten Behörde durchgeführte telefonische Meldeanfrage beim Gemeindeamt Traiskirchen kann derartige Erhebungen nicht ersetzen, weil - wie dem Verwaltungsgerichtshof aus zahlreichen anderen Fällen bekannt ist - von der Meldebehörde in Traiskirchen Auskünfte über Bewohner des Lagers nicht erteilt werden. Die belangte Behörde hätte daher erst nach Durchführung von Ermittlungen, ob sich der Beschwerdeführer nach wie vor im Lager Traiskirchen aufhält, davon ausgehen können, daß dieser im Sinne von § 19 Abs. 1 Z. 2 Asylgesetz 1991 eine Änderung der Abgabestelle nicht mitgeteilt hat. Im übrigen hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auch nicht dargetan, daß dem Verfahrensabschluß ausschließlich die Unkenntnis der Abgabestelle des Beschwerdeführers entgegengestanden wäre.

Da die belangte Behörde auch gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz vor Hinterlegung einer Sendung ohne Zustellversuch zu Ermittlungen über die neue Abgabestelle unter Heranziehung von "einfachen Hilfsmitteln" verpflichtet ist (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5, S. 1222 f, E 10 ff zu § 8 Zustellgesetz angeführte hg. Judikatur), wozu zweifellos auch Erhebungen darüber zählen, ob sich der Beschwerdeführer nach wie vor an dem bei seiner niederschriftlichen Vernehmung bekanntgegebenen Ort (Flüchtlingslager Traiskirchen) aufhält, ist die Zustellung des angefochtenen Bescheides durch Hinterlegung bei der belangten Behörde nicht wirksam erfolgt.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996010119.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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