TE Vwgh Erkenntnis 2020/10/22 Ro 2020/14/0003

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Veröffentlicht am 22.10.2020
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §20 Abs1
AsylG 2005 §20 Abs2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache der A B in X, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. April 2020, W199 2167453-1/16E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Syriens, stellte am 21. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den sie zusammengefasst damit begründete, dass in ihrem Herkunftsland Krieg herrsche und sie Angst habe, vergewaltigt und entführt zu werden.

2        Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den Antrag der Revisionswerberin, soweit sie damit die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten begehrte, mit Bescheid vom 26. Juni 2017 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Jedoch wurde ihr unter einem gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

3        Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, es sei nicht glaubwürdig, dass die Revisionswerberin „als Frau ständig durch die syrischen Sicherheitskräfte und andere Milizen sowie dem IS“ bedroht werde, und ununterbrochen damit rechnen müsse, vergewaltigt und entführt zu werden. Die Behörde könne nicht erkennen, dass der Revisionswerberin derartige Umstände widerfahren seien. Die Revisionswerberin habe im gesamten Verfahren weder eine konkrete Verfolgungshandlung noch eine konkrete, die Revisionswerberin treffende Verfolgungsgefährdung vorgebracht.

4        Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der sie unter anderem rügte, dass Vergewaltigungen und Entführungen in Syrien weit verbreitet seien. Der Ehemann der Revisionswerberin lebe als anerkannter Flüchtling in Deutschland, ihre Eltern als anerkannte Flüchtlinge in Österreich. Die Revisionswerberin habe in Syrien keine Familie mehr und sei aufgrund der in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, vom November 2017, genannten Risikoprofile besonders gefährdet, Opfer von sexueller Gewalt, Entführung oder Menschenhandel zu werden.

5        Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab, wobei die Verhandlung und die Entscheidung durch einen Richter männlichen Geschlechts erfolgte. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

6        Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das gegenständliche Verfahren von Relevanz - aus, die Revisionswerberin habe nicht behauptet, dass sie in Syrien bereits konkret verfolgt worden sei. Sie befürchte vielmehr Gefahren auf Grund der unsicheren Situation wie Bombardements und Explosionen sowie zukünftige Verfolgung, etwa durch Entführung oder Vergewaltigung durch „Daesh“, Islamisten oder andere Kriegsparteien. Diese Befürchtungen seien rein spekulativ, soweit sie nicht überhaupt allein in der Bürgerkriegssituation wurzelten, die bereits das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl veranlasst habe, der Revisionswerberin subsidiären Schutz zu gewähren.

7        Die Zulässigkeit der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst damit, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein (drohender) Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung im Sinn des § 20 AsylG 2005 bereits vorliege, wenn der Asylwerber einen solchen Eingriff aufgrund der in seiner Heimat allgemein verbreiteten Unsicherheit befürchte, in der es immer wieder zu derartigen Eingriffen komme, ihm aber nicht konkret mit einem solchen Eingriff gedroht worden sei oder er von bestimmbaren Personen einen solchen Eingriff mit gutem Grund fürchte. Von dieser Frage hänge die Entscheidung über die Revision ab, weil je nachdem, wie sie beantwortet werde, die Zuständigkeit des erkennenden Richters zu bejahen oder - auf Grund seines Geschlechts - zu verneinen sei.

8        Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit einwendet, dass näher genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur vom Verwaltungsgericht aufgeworfenen Rechtsfrage bestehe und das Bundesverwaltungsgericht davon abgewichen sei.

9        Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

10       Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

11       Die Revision ist zulässig und begründet.

12       Der Revisionsfall gleicht in seinem Sachverhalt und den entscheidungsrelevanten Rechtsfragen jenem, über dem mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Februar 2020, Ro 2019/01/0007, entschieden worden ist. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

13       Zusammengefasst sprach der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung mit Verweis auf seine ständige Rechtsprechung aus, dass die Verhandlungsführung gemäß § 20 Abs. 2 AsylG 2005 schon dann durch Personen desselben Geschlechts durchzuführen ist, wenn die Flucht aus dem Heimatstaat nicht mit bereits stattgefundenen, sondern mit Furcht vor sexuellen Übergriffen begründet wurde. Ein Vorbringen einer Frau, wonach im Fall einer Rückkehr (sexueller) Missbrauch befürchtet werde und im Herkunftsstaat aus Furcht vor etwaigen Übergriffen das Haus niemals alleine verlassen worden sei, ist unzweifelhaft dahingehend zu verstehen, dass es auch Furcht vor Eingriffen in die Geschlechtssphäre und damit in die sexuelle Integrität umfasst. Vor dem Hintergrund des Zwecks des § 20 AsylG 2005, nämlich des Abbaus von Hemmschwellen bei der Schilderung der Furcht vor Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung, ist auch ein solches Vorbringen vom Anwendungsbereich dieser Bestimmung erfasst, weil auch in dieser Konstellation gegenüber einem männlichen Richter allenfalls bestehende Hemmschwellen die Revisionswerberin daran hindern könnten, dieses Vorbringen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu konkretisieren und dazu weitere oder nähere Angaben zu machen (vgl. VwGH 13.2.2020, Ro 2019/01/0007).

14       Im vorliegenden Fall brachte die Revisionswerberin - wie eingangs bereits wiedergegeben - vor, im Falle ihrer Rückkehr Vergewaltigung zu befürchten. Zudem machte sie in der Beschwerde geltend, dass sie als Frau ohne männlichen Schutz besonders gefährdet sei, Opfer von sexueller Gewalt zu werden.

15       Ausgehend davon hätte die Beschwerde der Revisionswerberin, die keine Einvernahme durch einen (männlichen) Richter gemäß § 20 Abs. 1 iVm Abs. 2 erster Satz AsylG 2005 verlangt hat, einer Richterin zugewiesen werden und die Revisionswerberin in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durch eine Richterin einvernommen werden müssen.

16       Ein Verstoß gegen § 20 Abs. 2 AsylG 2005 durch das Bundesverwaltungsgericht kann vor dem Verwaltungsgerichtshof als Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes geltend gemacht werden. Eine Relevanzdarstellung ist nicht erforderlich (vgl. VwGH 27.6.2016, Ra 2014/18/0161).

17       Da das Bundesverwaltungsgericht somit nicht in der gesetzmäßigen, nach § 20 Abs. 2 AsylG 2005 vorgeschriebenen Besetzung entschieden hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.

18       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. Oktober 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020140003.J00

Im RIS seit

09.12.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.12.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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