TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/9 95/20/0418

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Veröffentlicht am 09.10.1997
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z2;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Gerhard O. Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 1995, Zl. 4.311.672/18-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, der am 11. März 1991 ins Bundesgebiet eingereist war und am 14. März 1991 den Asylantrag gestellt hatte, gab anläßlich seiner am 20. März 1991 vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erfolgten niederschriftlichen Befragung im wesentlichen an, er sei alevitischer Kurde und habe bis zu seiner Ausreise aus der Türkei in Pertek-Tunceli gelebt. 1980 sei über Tunceli ein Ausnahmezustand verhängt und seit dieser Zeit seien die Bewohner von ca. 60 Dörfern aus Tunceli vertrieben worden. Die Behörden betrachteten "sie" als potentielle Terroristen; er sei in den letzten Jahren mehrmals von der Gendarmerie festgenommen und verhört worden. Man habe ihm terroristische Betätigung vorgeworfen, was aber überhaupt nicht stimme. Während der Verhöre sei er geschlagen worden. Obwohl die kurdischen Separatisten wegen der starken Militärpräsenz Tunceli mieden, werde den Bewohnern immer wieder vorgeworfen, die Befreiungsorganisation PKK zu unterstützen. Weiters wolle er angeben, daß sich die Dorfbewohner nach 18.00 Uhr nicht mehr auf die Straße trauten. Aus diesen Gründen habe er seine Heimat verlassen.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 6. Mai 1991 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er ergänzend zu seinen Aussagen bei der Ersteinvernahme ausführte, daß die Haft, von der er gesprochen habe, nicht wegen eines Holzdiebstahles verhängt worden sei, sondern wegen des Verdachts, daß er den Aufenthalt eines "politisch tätigen" Mannes nicht "aussagen" wollte. Dabei habe er gar nicht gewußt, wo sich dieser Mann aufhalte. Er sei dafür aber verurteilt worden und habe zwei Jahre dafür in Haft verbringen müssen. Bei seiner Ankunft in Österreich sei ihm geraten worden, nichts zu sagen, was im politischen Zusammenhang stünde und aus Angst abgeschoben zu werden, habe er diesen Rat befolgt. Er sei in das Naheverhältnis einer politischen Gruppe gebracht worden, deren Mitglied er nicht gewesen sei. Seine Haft habe er wochenlang in einer knietief mit Wasser gefüllten Zelle verbracht, auf deren Boden Glasscherben verstreut gewesen seien. Zwei Monate lang sei er regelmäßig mit Stromstößen gefoltert worden, die von den Zehen bis zu den Fingern durch seinen Körper geleitet worden seien. Ebenso sei er mit einem kalten Wasserdruckstrahl immer wieder so lange besprüht worden, bis er ohnmächtig geworden sei. Nach dieser schrecklichen Zeit in Haft sei die Verfolgung erst recht nicht beendet gewesen; ständig sei er zu irgendwelchen Taten verhört und gelegentlich mißhandelt worden, bis er aufgefordert worden sei, das Dorf zu verlassen, sonst werde er umgebracht. Er wisse, was diese Todesdrohung bedeute und habe auch nicht die Möglichkeit, in ein anderes Dorf zu gehen, denn allzu schnell wäre er aufgefunden worden. Diese seine vermutete Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung hätte ihm Gefängnis, Folter und schließlich die Flucht aus der Türkei eingebracht. Auf der Flucht über Rumänien sei er von Soldaten erwischt worden und habe eine ganze Nacht lang im Freien auf dem Boden liegen müssen, doch schließlich habe er entkommen können, denn die Angst zurückgebracht zu werden, was einem Todesurteil gleichkomme, habe ihn immer weitergetrieben.

Mit ihrem Bescheid vom 27. August 1993 gab die belangte Behörde der Berufung nicht Folge. Begründend führte sie aus, die allgemeine Situation der kurdischen Volksgruppe genüge für sich allein nicht für die Gewährung von Asyl, die Verhaftungen und angeblich stattgefundenen Mißhandlungen stellten keinen ernsthaften Nachteil im Sinne des Asylgesetzes dar. Es handle sich dabei um eine verhältnismäßig geringe vorübergehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität, die keine Zwangslage zu begründen vermöge, welcher sich der Beschwerdeführer nur durch die Ausreise hätte entziehen können. Es sei auch kein zeitlicher Konnex der geschilderten Ereignisse zur Ausreise des Beschwerdeführers erkennbar. Dem Berufungsvorbringen sei schließlich wegen der offensichtlichen Widersprüche zu den Angaben der niederschriftlichen Befragung die Glaubwürdigkeit zu versagen. Wenn der Beschwerdeführer vor der Ausreise tatsächlich irgendeiner Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre, hätte er dies bereits bei seiner erstinstanzlichen Befragung vorgebracht; erfahrungsgemäß machten Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben, die der Wahrheit am nächsten kämen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er hätte die wahren Fluchtgründe verschwiegen, da er Angst vor einer Rückstellung in das Heimatland gehabt habe, sei nicht glaubwürdig.

Infolge der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 10. Oktober 1994, Zl. 94/20/0207, diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes (im Hinblick auf die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94) auf, sodaß das Berufungsverfahren wieder bei der belangten Behörde anhängig wurde.

Bereits mit Schriftsatz vom 7. Oktober 1993 hatte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme des Asylverfahrens, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Erlassung eines seine Flüchtlingseigenschaft feststellenden Berufungsbescheides beantragt. Dies wurde mit der Behauptung begründet, der Beschwerdeführer habe am 20. Juli 1991 in Salzburg vor dem türkischen Generalkonsulat an einer Demonstration teilgenommen, in deren Zuge es zu Ausschreitungen gekommen sei. Wegen dieser Demonstration sei auch gegen den Beschwerdeführer zu Zl. 26 Vr 1827/91 (des Landesgerichtes Salzburg) ein Strafverfahren eingeleitet worden, der Beschwerdeführer sei aber von der gegen ihn erhobenen Anklage zur Gänze freigesprochen worden. Im genannten Strafverfahren habe sich die türkische Republik, vertreten durch das türkische Generalkonsulat, als Privatbeteiligter dem Verfahren angeschlossen. Es stehe daher fest, daß der türkischen Staatsmacht die Geschehnisse im Zusammenhang mit der vorbeschriebenen Demonstration vom 20. Juli 1991 im Detail bekannt seien und sie insbesondere Kenntnis von allen an der Demonstration beteiligten Personen habe. Es liege daher im Zusammenhalt mit jenen Gründen, die seinerzeit den Asylwerber zur Flucht aus seiner Heimat bewogen hätten, nunmehr jedenfalls ein Sachverhalt vor, der die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft rechtfertige.

Nach bescheidmäßiger Ab- bzw. Zurückweisung dieser Anträge durch den Bundesminister für Inneres erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welcher das Beschwerdeverfahren mit Beschluß vom 10. Oktober 1994, hg. Zl. 94/20/0229, als gegenstandslos geworden erklärte. Der Beschwerdeführer habe das Ziel, daß über seinen Antrag unter Berücksichtigung der von ihm vorgebrachten Argumente neuerlich entschieden werde durch die Aufhebung des Berufungsbescheides vom 27. August 1993 erreicht.

Das im Wiederaufnahmeantrag dargestellte Vorbringen (betreffend das Auftreten des Beschwerdeführers bei der Demonstration am 20. Juli 1991) wiederholte dieser in der auf Grund einer diesbezüglichen Aufforderung durch die belangte Behörde erstatteten Berufungsergänzung vom 20. Juni 1995. Am 23. Mai 1995 hatte der Beschwerdeführer bereits bei einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt zum Vorhalt, er habe schon in Jugoslawien Verfolgungssicherheit erlangt, angegeben, daß ihm dieser Umstand nicht bekannt gewesen sei und ihn die Schlepper ständig unter Kontrolle gehalten hätten. Das Haus, in dem er sich in Jugoslawien aufgehalten habe, habe er nicht verlassen dürfen, da er sonst von der Polizei geschnappt und wieder nach Hause abgeschoben worden wäre. In der Berufungsergänzung vom 20. Juni 1995 wurde unter Bezugnahme auf die Einvernahme des Beschwerdeführers zur Frage der Verfolgungssicherheit beantragt, daß durch geeignete Ermittlungen festgestellt werde, welche Verhältnisse in Jugoslawien im Zeitpunkt der Flucht bzw. Durchreise (März 1991) bestanden hätten. Aufgrund der damals in Jugoslawien herrschenden Verhältnisse hätte keine Möglichkeit bestanden, dort effektiven Schutz vor Verfolgung zu erlangen, weshalb der Beschwerdeführer die Einholung einer Auskunft bei der österreichischen Vertretung des UNHCR beantragte.

Wie aus den Akten des Verwaltungsverfahrens weiters hervorgeht, versuchte der Beschwerdeführer am 7. Juni 1995 gewaltsam in das türkische Konsulat in Salzburg einzudringen und begründete dies mit seinem Haß auf die türkische Regierung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 27. Juni 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers neuerlich abgewiesen. Die belangte Behörde übernahm in diesem Bescheid die Sachverhaltsdarstellung und die rechtliche Begründung des Bescheides vom 27. August 1993 und führte ergänzend an, das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers habe ergeben, daß dieser bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Verfolgungssicherheit sei insbesondere dann anzunehmen, wenn der Asylwerber vor seiner Einreise nach Österreich in einem Drittland keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei und nicht befürchten habe müssen, ohne Prüfung der Fluchtgründe in sein Heimatland bzw. in einen Verfolgerstaat abgeschoben zu werden. Zur Erfüllung dieses Tatbestandes sei ein bewußtes Zusammenwirken zwischen der Person des Asylwerbers und den Behörden des Drittstaates nicht notwendig. Es müßten lediglich die rechtlichen Voraussetzungen für den geforderten Schutz bestehen und tatsächlich die Möglichkeit bestanden haben, diesen durch oder bei Kontaktaufnahme mit der Behörde zu aktualisieren.

Aus der niederschriftlichen Einvernahme vom 20. März 1991 sei ersichtlich, daß der Beschwerdeführer über das ehemalige Jugoslawien nach Österreich eingereist sei. Es sei ihm somit möglich gewesen, bei den dortigen Behörden Asyl zu beantragen. Er sei im ehemaligen Jugoslawien keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen und habe auch nicht befürchten müssen, ohne Prüfung seiner Fluchtgründe in seine Heimat abgeschoben zu werden. Denn das ehemalige Jugoslawien sei zum damaligen Zeitpunkt Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention gewesen und es spreche nichts dafür, daß dieser Staat die sich aus seiner Mitgliedschaft ergebenden Verpflichtungen, insbesondere das im Art. 33 verankerte Refoulement-Verbot vernachlässigt hätte. Somit habe der Beschwerdeführer im ehemaligen Jugoslawien Verfolgungssicherheit erlangt. Diese einschlägige Annahme sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden; da dieser dem Vorhalt nichts Konkretes, Einschlägiges, individuell seine Person Betreffendes entgegenzusetzen vermocht habe, sei jedenfalls davon auszugehen, daß er im ehemaligen Jugoslawien Verfolgungssicherheit erlangt habe. Es habe ihm daher schon gemäß § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Asyl nicht gewährt werden können, weshalb auf die von ihm in seiner Berufungsergänzung beantragten Ermittlungen, die lediglich darauf abgezielt hätten, allgemeine Tatsachen festzustellen, zu verzichten gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bringt der Beschwerdeführer vor, im Hinblick auf die Vorfälle vom 20. Juli 1991 könne nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß er nicht in die Türkei zurückkehren könne, weil ihm dort massive asylrelevante Verfolgung, sogar die Todesstrafe, drohe. Auf dieses im Verfahren erstattete Vorbringen habe die belangte Behörde nicht Bezug genommen, weshalb eine Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliege, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen müssen. Des weiteren stelle eine monatelange Haft mit Folter keine verhältnismäßig geringe vorübergehende Beeinträchtigung der körperlichen Integrität dar. Nach seiner Enthaftung habe sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Flucht versteckt und mit Sicherheit mit nochmals verschärfter Willkür von seiten der Militär- und Polizeiorgane des türkischen Staates rechnen müssen. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Enthaftung nicht noch Jahre bis zu seiner Ausreise gewartet. Darüber hinaus hätte die belangte Behörde zumindest prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer wirklich zum Zeitpunkt seiner Flucht, da die Spannungen im ehemaligen Jugoslawien am Höhepunkt gewesen seien, vor Verfolgung sicher gewesen wäre. Die bloße Mitgliedschaft bei der Genfer Flüchtlingskonvention mache das ehemalige Jugoslawien nicht verfolgungssicher. Die belangte Behörde habe eine Untersuchung dieser Frage unterlassen, weshalb der angefochtene Bescheid unter einer mangelhaften und ergänzungsbedürftigen Tatsachenfeststellung leide.

Im Beschwerdevorbringen betreffend die inhaltliche Rechtswidrigkeit bezieht sich der Beschwerdeführer ebenfalls auf die von der belangten Behörde angenommene Verfolgungssicherheit und meint, im Zeitpunkt seiner Flucht sei das Asylgesetz 1968 in Geltung gestanden und habe damals das Gebot, im Erststaat um Asyl anzusuchen, nicht gegolten. Auf dieses schon in der Berufungsergänzung erstattete Vorbringen sei die belangte Behörde nicht eingegangen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Gemäß § 2 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er die Umstände, mit denen er seine Furcht vor Verfolgung begründet, in Österreich mit der Absicht herbeigeführt hat, Asyl gewährt zu erhalten. Gemäß Z. 3 dieser Bestimmung wird einem Flüchtling kein Asyl gewährt, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war.

§ 20 leg. cit. bestimmt in seinem Abs. 1, daß der Bundesminister für Inneres über eine zulässige Berufung in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden und seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrunde zu legen hat. Abs. 2 legt fest, daß eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens anzuordnen ist, wenn es mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der Sachverhalt, der der Entscheidung erster Instanz zugrunde gelegt wurde, in der Zwischenzeit geändert hat.

Gemäß § 25 Abs. 2 leg. cit. sind am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen. In den Fällen des § 20 Abs. 2 ist mit der Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens das Bundesasylamt zu betrauen.

Die belangte Behörde übernahm im angefochtenen Bescheid die Sachverhaltsdarstellung und rechtliche Begründung ihres Bescheides vom 27. August 1993 und fügte ergänzend hinzu, daß das Ermittlungsverfahren das Vorliegen der Verfolgungssicherheit des Beschwerdeführers in Jugoslawien ergeben habe. Die übernommene und damit einen Bestandteil des angefochtenen Bescheides bildende Sachverhaltsdarstellung und rechtliche Begründung des Bescheides vom 27. August 1993 bezog sich auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Ersteinvernahme und in seiner Berufung. Auf die Berufungsergänzung des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides nur insoweit ein, als sich diese auf die vorgehaltene Verfolgungssicherheit im ehemaligen Jugoslawien bezog. Mit keinem Wort wurde auf den - schon im Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens genannten und in der Beschwerdeergänzung erneut vorgebrachten - Umstand eingegangen, wonach beim Beschwerdeführer durch seine Teilnahme an einer illegalen Demonstration ein subjektiver Nachfluchtgrund eingetreten wäre, der gemäß § 20 Abs. 2 dritter Fall Asylgesetz 1991 zu einer Ergänzung des Ermittlungsverfahrens Anlaß gegeben hätte. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 19. Mai 1994, Zl. 94/19/0052, ausgesprochen hat, können auch Umstände, die während des Aufenthaltes des Asylwerbers in Österreich eingetreten sind, zur Asylgewährung führen, soweit sie nicht vom Asylwerber in der in § 2 Abs. 2 Z. 2 Asylgesetz 1991 genannten Absicht herbeigeführt wurden (vgl. hg. Erkenntnisse vom 25. April 1995, Zl. 94/20/0258, vom 20. September 1995, Zl. 94/20/0242 u.a.). Ohne nähere Prüfung des Sachverhaltes kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß der vom Beschwerdeführer genannte Umstand nicht zur Asylgewährung hätte führen können.

Die belangte Behörde hätte daher vom Vorliegen einer der Fälle des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 ausgehen und weitere Ermittlungen in Ergänzung des erstinstanzlichen Verfahrens anordnen müssen. Dabei wäre die belangte Behörde auch gehalten gewesen zu überprüfen, ob im gegenständlichen Fall § 2 Abs. 2 Z. 2 des Asylgesetzes 1991 verwirklicht wurde oder nicht. Bei dieser Prüfung wäre auch der - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde schon bekannte - Vorfall am 7. Juni 1995 (Versuch des Beschwerdeführers, gewaltsam in das türkische Konsulat einzudringen) zu berücksichtigen gewesen. Im letztgenannten Zusammenhang wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das dieselbe Demonstration und einen ebenfalls kurdischen Asylwerber betreffende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Februar 1996, Zl. 95/20/0187, verwiesen.

Selbst bei Zutreffen der von der belangten Behörde angestellten rechtlichen Beurteilung der übrigen vom Beschwerdeführer schon früher geltend gemachten Fluchtgründe stellt die Unterlassung entsprechender Ermittlungen zum vorgebrachten Nachfluchtgrund einen den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastenden Umstand dar, da auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes allein (bei Nichtvorliegen des Versagungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 2 leg. cit.) zur Asylgewährung hätte führen können.

Ergänzend sei in diesem Zusammenhang bemerkt, daß auch hinsichtlich dieser übrigen Begründungsteile des angefochtenen Bescheides Ermittlungsmängel der belangten Behörde insofern vorliegen, als diese unter anderem einen fehlenden zeitlichen Konnex zwischen den Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer und dessen Ausreise im Jahre 1991 annimmt, ohne aber Feststellungen darüber getroffen zu haben, wann und in welchem zeitlichen Abstand zur Flucht des Beschwerdeführers diese Mißhandlungen sowie die behauptete zweijährige Haft stattfanden.

Sollte sich im weiteren Verfahren ergeben, daß sich der Beschwerdeführer rechtens nicht auf den geltend gemachten Nachfluchtgrund stützen kann, jedoch seine Flüchtlingseigenschaft aus bereits zum Zeitpunkt seiner Flucht vorgelegenen Gründen zu bejahen wäre, so wäre hinsichtlich des herangezogenen Ausschließungsgrundes der Verfolgungssicherheit noch folgendes zu bedenken: Der Annahme der Verfolgungssicherheit im Gebiet des "ehemaligen Jugoslawien" tritt die Beschwerde einerseits mit dem Argument entgegen, daß im Zeitpunkt der Flucht des Beschwerdeführers das Asylgesetz 1991 noch nicht in Geltung gestanden sei und daher der erst dort normierte Ausschließungsgrund nicht angewendet werden könne. Das gegenständliche Verfahren war am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängig (die Berufung wurde am 27. Mai 1991 erhoben), weshalb nach der Übergangsbestimmung des § 25 Abs. 2 Asylgesetz 1991 das gegenständliche Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen war. Die belangte Behörde war daher berechtigt, das Vorliegen des Asylausschließungsgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 zu prüfen.

Die Beschwerde macht andererseits ebenso wie die Berufungsergänzung geltend, daß es darauf ankomme, ob ein Flüchtling im Sinne der Konvention im Falle der Inanspruchnahme der Rechtsschutzeinrichtungen des Durchreisestaates wirksamen Schutz vor Rückschiebung in den Verfolgerstaat hätte finden können. Die belangte Behörde führt dazu in ihrer Bescheidbegründung aus, "das durchgeführte Ermittlungsverfahren, insbesondere Ihre niederschriftliche Ersteinvernahme" habe ergeben, daß der Beschwerdeführer bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Tatsächlich läßt sich dieses "Ergebnis" aus der Einvernahme des Beschwerdeführers keinesfalls ableiten; es ergibt sich aus dem "durchgeführten Ermittlungsverfahren, insbesondere der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers" nicht, daß die Behörden "im Gebiet des ehemaligen Jugoslawien" im fraglichen Zeitraum Asylansuchen entgegennahmen und daß es der Praxis dieser Behörden entsprach, Asylwerber nicht ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in ihre Heimat zurückzuschicken.

Die belangte Behörde hat zwar dem Beschwerdeführer ihre Annahme über das Vorliegen dieser Umstände anläßlich der ergänzenden Einvernahme im Berufungsverfahren vorgehalten, dazu jedoch - trotz entsprechenden Ersuchens in der Berufungsergänzung - keinerlei Ermittlungsverfahren durchgeführt. Demgemäß konnte sie dem Beschwerdeführer diesbezüglich keinerlei Beweisergebnisse vorhalten. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber bereits ausgesprochen, daß die Mitwirkungspflicht einer Partei nicht so weit geht, daß sich die Behörde ein ordnungsgemäßes Verfahren ersparen könnte, zu dessen Durchführung sie (hier gemäß den §§ 11 und 16 Asylgesetz 1991 in Verbindung mit §§ 39, 40 und 60 AVG) verpflichtet ist. Die das Verwaltungsverfahren führenden Behörden haben vielmehr von sich aus zum Vorliegen des Asylausschlußgrundes des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 Ermittlungen anzustellen, die im besonderen auch die Frage des Rückschiebungsschutzes zu umfassen haben, zumal sich "Jugoslawien" im Durchreisezeitraum (Anfang März 1991) bereits in einer politischen Umwälzung befand. Die Frage, welche Vorgangsweise in bestimmten Drittstaaten in bezug auf den Schutz von Flüchtlingen vor einer Abschiebung in ihren Heimatstaat beobachtet wird, zählt dabei nicht zu jenen, bei deren Klärung der Mitwirkungspflicht des Asylwerbers Bedeutung zukäme (vgl. hg. Erkenntnisse vom 20. März 1997, Zl. 95/20/0606, sowie vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0179 u. a.).

Im angefochtenen Bescheid zieht die belangte Behörde als Begründung für die Anwendbarkeit des Asylausschlußgrundes nur die nicht schlüssige Folgerung, aus dem Beitritt des ehemaligen Jugoslawien zur Genfer Flüchtlingskonvention sei auf die effektive Geltung des Refoulement-Verbotes zu schließen, heran. Weiters führt sie aus, daß der Beschwerdeführer dem Vorhalt "nichts Konkretes, Einschlägiges, individuell seine Person Betreffendes entgegenzusetzen vermocht habe, weshalb davon auszugehen gewesen sei, daß er im ehemaligen Jugoslawien Verfolgungssicherheit erlangt habe". Damit bürdete die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aber zu Unrecht die Beweislast auf und setzte sich auch über das "individuell seine Person betreffende" Vorbringen in seiner Einvernahme hinweg, wonach der Beschwerdeführer unter Hinweis auf die Gefahr der Abschiebung von seinen Schleppern angehalten wurde, sich nicht außerhalb des von ihm als Unterkunft kurzfristig bewohnten Hauses zu zeigen. Auch durch diesen Begründungsmangel entzieht die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid der nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof.

Da die belangte Behörde ihren Bescheid daher mit Ermittlungs- und Begründungsmängeln belastete, bei deren Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Angenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel) Sachverhalt Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1995200418.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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