TE Vwgh Beschluss 2020/9/29 Ra 2020/21/0214

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Veröffentlicht am 29.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §33 Abs1
VwGVG 2014 §7 Abs4
ZustG §17 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S M in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. April 2020, G306 2221994-1/7E und G306 2221994-2/3E, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist in einer fremdenrechtlichen Angelegenheit und Zurückweisung der Beschwerde in dieser Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 25. Juni 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 1 und Abs. 3 Z 1 FPG ein auf sechs Jahre befristetes Einreiseverbot.

2        Der genannte Bescheid wurde dem Revisionswerber an der gemeinsam von ihm und seinem (früher ihm gegenüber obsorgeberechtigten) Großvater benutzten Wohnung nach der Aktenlage durch Hinterlegung wirksam zugestellt, der Beginn der Abholfrist fiel auf den 28. Juni 2019.

3        Dagegen erhob der - mittlerweile anwaltlich vertretene - Revisionswerber am 29. Juli 2019 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

4        Über Vorhalt der Verspätung der Beschwerde durch das BVwG äußerte sich der Revisionswerber mit Eingabe vom 19. August 2019 und beantragte die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist.

Er führte im Wesentlichen aus, er sei am 28. Juni 2019 nicht zuhause gewesen, sondern habe „für ein paar Tage“ bei seiner Freundin in Wien übernachtet. Sie hätten nämlich „am 27./28. jedes Monats ... Monatstag“. Am Montagabend [1. Juli 2019] sei er wieder nach Hause zurückgekehrt. Am Tag nach seiner Rückkehr, am 2. Juli 2019, habe ihm sein Großvater die Hinterlegungsanzeige überreicht, worauf er den erwähnten Bescheid vom 25. Juni 2019 noch am 2. Juli 2019 bei der Post behoben habe. Den - über Aufforderung seines Rechtsvertreters, um das Zustelldatum zu erfragen - angerufenen Referenten des BFA habe er „trotz zweier Versuche am nächsten Tag telefonisch nicht erreicht“, die Hinterlegungsanzeige und das Briefkuvert habe er nicht mehr „gefunden“. Sein Großvater habe ihm aber auf Nachfrage versichert, die Hinterlegungsanzeige wäre erst am 1. oder 2. Juli 2019 eingelangt. Erst durch Zustellung des Verspätungsvorhalts des BVwG habe er davon erfahren, dass die Zustellung bereits am 28. Juni 2019 erfolgt sei.

Der Revisionswerber beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung insbesondere zu seiner Einvernahme sowie zur Befragung seines Großvaters und seiner Freundin zum eben wiedergegebenen Wiedereinsetzungsvorbringen.

5        Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. April 2020 wies das BVwG den Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 und 4 VwGVG als unbegründet ab. Die Beschwerde (laut Rn. 3) wies es gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurück. Im Übrigen erklärte es gemäß § 25a Abs. 1 VwGG die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        Begründend führte das BVwG insbesondere aus, der Revisionswerber habe sich vom Abend des 27. Juni 2019 (Donnerstag) bis zum 30. Juni 2019 (Sonntag) bei einer Freundin bzw. in einer Therme aufgehalten und sei erst am 1. Juli 2019 an die gegenständliche Abgabestelle zurückgekehrt. Er sei jedenfalls ab 2. Juli 2019 über die Hinterlegung und Bereithaltung des gegenständlichen Bescheides am 28. Juni 2019 tatsächlich in Kenntnis gewesen.

Rechtlich folgerte das BVwG, die durch den dritten Satz des § 17 Abs. 3 ZustellG normierte Zustellwirkung der Hinterlegung werde nach § 17 Abs. 3 Satz 4 ZustellG nicht durch jede Abwesenheit von der Abgabestelle schlechthin, sondern nur durch eine solche Abwesenheit von der Abgabestelle ausgeschlossen, die bewirke, dass der Empfänger wegen seiner Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang habe Kenntnis erlangen können. Gegenständlich folge aus der Kürze der Abwesenheit, welche einem regelmäßigen beruflichen Fernbleiben von der Wohnung entspreche, die Wirksamkeit der Zustellung. Der Umstand, sich hinsichtlich des Zustellzeitpunktes (den 28.6.2019 habe er seinem Rechtsvertreter gegenüber ausgeschlossen, zudem habe sein Großvater Erinnerungslücken hinsichtlich des Zustellversuches gehabt) trotz erhaltener Benachrichtigung über „die Hinterlegung“ zu irren, stelle keinesfalls einen die Wiedereinsetzung zulassenden bloß minderen Grad des Versehen iSd § 33 Abs. 1 VwGVG dar. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher als unbegründet abzuweisen.

Ausgehend von der wirksamen Zustellung am 28. Juni 2019 erweise sich die am 29. Juli 2019 und somit nach Ablauf der vierwöchigen Beschwerdefrist gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG erhobene Beschwerde als verspätet.

Die Durchführung der in der Beschwerde beantragten mündlichen Verhandlung habe unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde bzw. dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung geklärt erscheine.

7        Die gegen diesen Beschluss erhobene Revision erweist sich als unzulässig:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG ist gegen den Beschluss eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

9        Insoweit erachtet die Revision die Begründung des BVwG betreffend die der Hinterlegungsanzeige jedenfalls zu entnehmende Information (Beginn der Abholfrist bereits am 28. Juni 2019) als unvertretbar und führt dazu aus:

„Bloß weil jemand den gelben Zettel in der Hand hält, bedeutet es nicht, dass er sämtliche Informationsgehalt dieses Zettels liest und dann auch versteht. Das bloße Haben des gelben Zettels lässt noch nicht den Schluss zu, dass der Habende auch die Informationen dieses Zettels liest.“

10       Mit der diesen Ausführungen zugrundeliegenden Rechtsansicht setzt sich der Revisionswerber allerdings in Widerspruch zu der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Nichtbeachtung einer Information (hier insbesondere über den Beginn der Abholfrist und die damit verbundene Zustellwirkung) auf der Hinterlegungsanzeige, welche der Revisionswerber nach seinem eigenen Vorbringen in Händen hielt, ebenso wie ein (allfälliges) Unterlassen des Lesens des Verständigungstextes schon für sich genommen grobe Fahrlässigkeit begründet (vgl. dazu etwa VwGH 1.8.2000, 2000/21/0097, 0098, Punkt II.3. der Entscheidungsgründe, und VwGH 22.3.2012, 2012/09/0019).

11       Auf die weiters als aktenwidrig beanstandete Feststellung des BVwG, das offenbar von einem Lesen der Hinterlegungsanzeige durch den Revisionswerber und seiner Kenntnis von ihrem Inhalt bereits am 2. Juli 2019 ausging, kommt es nach dem Gesagten nicht an. Eine relevante Aktenwidrigkeit liegt auch nur dann vor, wenn eine Feststellung nicht nur mit dem Akteninhalt in Widerspruch steht, sondern die Feststellung auch für den Spruch der Entscheidung ausschlaggebend ist (vgl. etwa VwGH 3.2.2020, Ra 2019/02/0201 und 0202, Rn. 14, mwN).

12       Dasselbe gilt für die in der Revision relevierte, vom BVwG angeblich unrichtig vorgenommene Beurteilung späterer Erkundigungen (etwa beim Großvater über den Zeitpunkt des tatsächlichen Einlangens der Hinterlegungsanzeige), Informationen über die Rechtslage durch den Rechtsvertreter, Nichtausschöpfen der vermeintlich offenstehenden Beschwerdefrist sowie die Vornahme weiterer dem Revisionswerber von seinem Rechtsvertreter aufgetragener Recherchen. Diese Umstände können nämlich an dem in Rn. 10 dargestellten groben Sorgfaltsverstoß, der auch nicht durch eine mögliche Akteneinsicht beim BFA beseitigt worden war, nichts mehr ändern.

13       Damit ist aber auch das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zur näheren Klärung der eben genannten Umstände (insbesondere durch Einvernahme des Großvaters des Revisionswerbers) ohne Relevanz für den Ausgang des Verfahrens.

14       Dazu kommt, dass dem Rechtsvertreter des Revisionswerbers bereits nach dem maßgeblichen Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag vorzuwerfen ist, nicht selbst eine ausreichende Klärung jenes Zeitpunktes, in dem die gesetzlichen Zustellwirkungen eingetreten sind, vorgenommen zu haben. Damit hat er die im Verkehr mit Behörden für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und zumutbare Sorgfalt grob schuldhaft außer Acht gelassen.

Wünscht ein Klient nämlich von einem Rechtsanwalt die Einbringung eines Rechtsmittels, dann gehört es zu dessen selbstverständlichen Pflichten, die maßgeblichen Daten für die Einhaltung der Rechtsmittelfrist, somit grundsätzlich den exakten und richtigen Zeitpunkt der Zustellung der anzufechtenden Entscheidung, durch Befragung der Partei oder - wenn dies wie im vorliegenden Fall, in dem die Partei auch nicht mehr über das Kuvert der Zustellsendung verfügte, zu keinem zweifelsfreien Ergebnis führt - durch Ermittlungen bei der Post und/oder bei der Behörde (also dem BFA) festzustellen. Das ist einem Rechtsanwalt auch ohne weiteres zuzumuten. Unterlässt er diese naheliegenden Schritte und gibt er sich - wie hier - mit nicht eindeutigen Angaben einer nicht rechtskundigen Partei zufrieden, dann stellt dies eine auffallende Sorglosigkeit dar, die der Bewilligung der Wiedereinsetzung entgegensteht (vgl. VwGH 26.6.2002, 2000/21/0086, und VwGH 30.8.2007, 2007/21/0242, 0243).

15       Der Revision gelingt es somit insgesamt nicht, eine im vorliegenden Fall maßgebliche grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 29. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210214.L00

Im RIS seit

17.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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