TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/17 96/19/1554

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Veröffentlicht am 17.10.1997
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
20/09 Internationales Privatrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1994 §1 Abs1;
Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389 §2;
AufG 1992 §1 Abs1;
AufG 1992 §12;
AufG 1992 §6 Abs2;
IPRG §4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der 1973 geborenen DS, vertreten durch den bestellten Verfahrenshelfer Rechtsanwalt Dr. Werner J. Loibl, dieser vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Siebenbürgerstraße 48/11/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. September 1995, Zl. 108.964/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Reisedokument der Beschwerdeführerin wurde am 7. Jänner 1994 ein Aufenthaltsrecht in Österreich nach den gemäß § 12 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) ergangenen Verordnungen der Bundesregierung mit Geltungsdauer bis 30. Juni 1994 ersichtlich gemacht. Die Beschwerdeführerin beantragte am 17. Juni 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. August 1994 gemäß den §§ 1 Abs. 1 und 13 Abs. 1 AufG abgewiesen, da die Bestimmungen des § 12 leg. cit. nicht mehr anzuwenden seien. Aus der Begründung geht hervor, daß die der Beschwerdeführerin ausgestellte "Berechtigung" bis einschließlich 30. Juni 1994 gültig sei, die antragstellende Partei jedoch im Besitz eines serbischen Reisepasses und daher als serbische Staatsbürgerin anzusehen sei. Aufgrund der Tatsache, daß die antragstellende Partei nicht mehr bosnische Staatsbürgerin sei, könne das Aufenthaltsrecht gemäß § 12 AufG keine Anwendung finden. Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung sei somit vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen gewesen.

In ihrer Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, als Kriegsflüchtling aus Bosnien-Herzegowina mit einem "alten jugoslawischen BHR-Reisepaß" nach Österreich gekommen zu sein. Trotz ihrer Bemühungen sei ihr von der bosnischen Botschaft nach Ablauf der Gültigkeit des alten Reisepasses kein Reisepaß ausgestellt worden. Dies sei damit begründet worden, daß sie aus einem serbischen Wohngebiet komme. Sie sei in dieser prekären Situation gezwungen gewesen, einen Reisepaß bei der jugoslawischen Botschaft zu beantragen, obwohl sie selbst aus einer gemischten Familie stamme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. September 1995 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 und § 13 Abs. 1 AufG abgewiesen. Als Begründung wurde ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht für Österreich gemäß § 12 AufG vom 7. Jänner 1997 bis 30. Juni 1997 gehabt habe, welches für Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, erteilt worden sei. Im Verfahren habe die Beschwerdeführerin aber einen Reisepaß des Staates Serbien vorgewiesen und sei somit keine Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina. Daher seien die vorher bestandenen Voraussetzungen gemäß § 12 AufG nicht mehr gegeben und hätte die Beschwerdeführerin gemäß § 6 Abs. 2 AufG einen Erstantrag vor der Einreise in das Bundesgebiet vom Ausland aus zu stellen gehabt. Auch die genannten Übergangsbestimmungen fänden im vorliegenden Fall keine Anwendung. Aus diesen Gründen und infolge der Verfahrensvorschrift des § 6 Abs. 2 AufG sei die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen und auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht weiter einzugehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (6. Oktober 1995) ist für dessen Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach Inkrafttreten der AufG-Novelle BGBl. Nr. 351/1995 sowie die am 9. Juni 1995 ausgegebene Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, maßgebend.

§ 6 Abs. 2 und § 12 AufG in dieser Fassung lauten auszugsweise:

"§ 6. (1) ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ...

§ 12. (1) Für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.

...

(4) Wird infolge der längeren Dauer der in Abs. 1 genannten Umstände eine dauernde Integration erforderlich, kann in der Verordnung festgelegt werden, daß für bestimmte Gruppen der Aufenthaltsberechtigten abweichend von § 6 Abs. 2 eine Antragstellung im Inland zulässig ist."

§ 2 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, lautete:

"§ 2. Personen, die zum 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht hatten, können den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise im Inland stellen."

§ 1 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, lautete auszugsweise:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

(2) Dieses Aufenthaltsrecht besteht weiters für die nach dem 1. Juli 1993 eingereisten und einreisenden Personen gemäß Abs. 1, sofern die Einreise über eine Grenzkontrollstelle erfolgte, bei der sich der Fremde der Grenzkontrolle stellte und ihm entsprechend internationaler Gepflogenheiten die Einreise gestattet wurde.

(3) ...

(4) ..."

Unbestritten ist, daß die Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet aufgrund der gemäß § 12 AufG ergangenen Verordnungen der Bundesregierung hatte. Die belangte Behörde vertrat nunmehr die Ansicht, daß die Beschwerdeführerin nicht mehr als Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina zu behandeln sei und damit nicht mehr den erwähnten Verordnungen unterliege, weil sie "im Verfahren einen Reisepaß des Staates Serbien, gültig vom 21.03.1994 bis 21.03.1999, vorgewiesen" habe. Diese Ansicht ist rechtswidrig.

Nach dem Text der Verordnung BGBl. Nr. 368/1994 (insoweit gleichlautend auch die Verordnungen BGBl. Nr. 1038/1994 und BGBl. Nr. 389/1995), gewährt Österreich Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet (§ 1 Abs. 1 der zitierten Verordnungen). Wesentlich für das vorläufige Aufenthaltsrecht ist daher - neben den sonst normierten Voraussetzungen - das Vorliegen der Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina. Auf den Erwerb einer anderen Staatsbürgerschaft kommt es nicht an, sofern dieser nicht zum Verlust der Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina führt. Die belangte Behörde hat es im konkreten Fall - ausgehend von der von ihr vertretenen unrichtigen Rechtsansicht - unterlassen, Feststellungen über den Verlust der bosnisch-herzegowinischen Staatsbürgerschaft zu treffen. Schon im Hinblick auf die Möglichkeit der Doppelstaatsbürgerschaft (vgl. dazu näher die Bestimmungen der Republik Bosnien-Herzegowina über die doppelte Staatsbürgerschaft im Amtsblatt der Republik Bosnien-Herzegowina, Jahrgang I, Nr. 18 vom 7. Oktober 1992 ÄAuskunft des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten vom 8. Mai 1996, Zl. 280.03/134-I.2/96ö) bedarf daher der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung, u.a. dahin, ob die Beschwerdeführerin die Staatsbürgerschaft Bosniens und der Herzegowina verloren hat, wobei die belangte Behörde die hiefür maßgeblichen Rechtsvorschriften (hier: der Republik Bosnien-Herzegowina) von Amts wegen zu ermitteln haben wird (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1996,

Zlen. 95/19/0912 bis 0915, und vom 12. September 1997, Zlen. 95/19/1914 bis 1917).

Sollte die Beschwerdeführerin die Staatsbürgerschaft von Bosnien-Herzegowina nicht verloren haben, so wäre nach dem bisherigen Stand des Verfahrens nicht ausgeschlossen, daß sie gemäß § 2 der Verordnung BGBl. Nr. 389/1995 berechtigt war, den Antrag auf Erteilung der Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise vom Inland aus zu stellen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Art. III Abs. 2 dieser Verordnung kommt nicht zur Anwendung, weil das gegenständliche Verfahren im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht anhängig war.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Verwaltungsrecht Internationales Rechtsbeziehungen zum Ausland VwRallg12

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996191554.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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