RS Vfgh 2020/9/22 E1453/2020

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 22.09.2020
beobachten
merken

Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EU-Grundrechte-Charta Art47 Abs2
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §53, §55
BFA-VG §21 Abs7
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines somalischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz; reine Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitsprüfung hinsichtlich des Asylstatus durch floskelhafte Passagen ohne Begründungswert, Verweis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie mangelhafte Länderfeststellungen; mündliche Verhandlung zur Klärung des Sachverhalts notwendig

Rechtssatz

Verstoß gegen das BVG-Rassendiskriminierung:

Die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) erschöpft sich neben der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen ohne für den vorliegenden Einzelfall nachvollziehbaren Begründungswert. Letztlich läuft die vom BVwG gewählte Begründungstechnik, zum einen ausschließlich auf die verwaltungsbehördliche Begründung zu verweisen und zum anderen der Beschwerde fehlende Substanz zu unterstellen, auf eine bloße Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus. Dies entspricht nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichtes.

Das BVwG hat es bei seinen Ausführungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt und sich auch nicht mit der Frage nach dem Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative auseinandergesetzt. Das BVwG hat es demnach unterlassen, die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung zu bringen. Einer solchen Auseinandersetzung kommt im vorliegenden Fall besondere Bedeutung zu, weil die Sicherheitslage in Somalia von Provinz zu Provinz variiert.

Verstoß gegen Art47 Abs2 GRC bzw §21 Abs7 BFA-VG:

Hinsichtlich der Beurteilung der mangelnden Glaubhaftmachung des Flucht-vorbringens stützt sich das BVwG ausschließlich auf die Feststellungen bzw Ausführungen des angefochtenen Bescheides. Eine mündliche Verhandlung zur Prüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers hat das BVwG nicht durchgeführt. Dies wäre aber insbesondere vor dem Hintergrund der Begründung der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens im angefochtenen Bescheid, die im Wesentlichen auf Widersprüche zwischen Erstbefragung und den weiteren Einvernahmen des Beschwerdeführers abstellt, geboten gewesen.

Die Akten haben erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung des Sachverhaltes im vorliegenden Fall erwarten ließe. Das BVwG hätte daher nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Der Beschwerdeführer ist daher in seinem Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 GRC verletzt worden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Verhandlung mündliche, EU-Recht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1453.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten