TE Vfgh Erkenntnis 1995/12/4 KI-11/94

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Veröffentlicht am 04.12.1995
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Index

74 Kirchen, Religionsgemeinschaften
74/01 Gesetzliche Anerkennung, äußere Rechtsverhältnisse

Norm

B-VG Art132
B-VG Art138 Abs1 litb
AnerkennungsG §2

Leitsatz

Zulässigkeit des Antrags auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof nach Zurückweisung von Säumnisbeschwerden wegen Untätigkeit des Kultusministers hinsichtlich eines Antrags der Baha'i auf Anerkennung als Religionsgesellschaft; Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs zur Entscheidung über diese Säumnisbeschwerde ebenso wie im Falle des Anerkennungsantrags der Zeugen Jehovas

Spruch

Der Verwaltungsgerichtshof ist zuständig, über die bei ihm von Dr. G C u.a. zu Zl. 94/10/0087 eingebrachte, auf Art132 B-VG gestützte Säumnisbeschwerde zu entscheiden, in der primär begehrt wird, "der Verwaltungsgerichtshof möge über die an den Bundesminister für Unterricht und Kunst gerichteten Anträge vom 31.8.1981 und 7.9.1988 (GZ 12075/1-9c/81-85) selbst in der Sache erkennen".

Das entgegenstehende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Oktober 1994, Zl. 94/10/0087, wird aufgehoben.

Der Bund (Verwaltungsgerichtshof) ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Dem Antragsvorbringen zufolge sind die Antragsteller Mitglieder des "Nationalen Geistigen Rates" der Baha'i in Österreich.

Mit Schriftsatz vom 31. August 1981 beantragten die für das Jahr 1981 gewählten Mitglieder des "Nationalen Geistigen Rates" beim (damaligen) Bundesminister für Unterricht und Kunst - als dem zur Vollziehung des Gesetzes vom 20. Mai 1874, RGBl. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften (AnerkennungsG), berufenen Minister (im Gesetz und in den folgenden Ausführungen als "Kultusminister" bezeichnet) - die Anerkennung der Baha'i-Religion im Sinne des AnerkennungsG.

Am 7. September 1988 wurde neuerlich ein Antrag an den Kultusminister gestellt, mit dem begehrt wird, die Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft im Sinne des AnerkennungsG mittels Bescheid auszusprechen bzw. das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung festzustellen.

b) Da der Bundesminister untätig blieb, brachten die Einschreiter am 1. Juni 1994 beim Verwaltungsgerichtshof zu dessen Zl. 94/10/0087 eine "Beschwerde gemäß Art132 B-VG" ein.

Die Antragsteller vertreten darin - unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 12.12.1988,

B13,150/88 (= VfSlg. 11931/1988), und vom 25.6.1992, G282/91

(= VfSlg. 13134/1992), - die Meinung, sie hätten einen

individuellen Anspruch auf eine der Rechtskraft fähige und nachprüfbare Erledigung ihres Antrages. Sie fahren sodann fort:

"Die bescheidmäßige Nichterledigung der Anträge der Beschwerdeführer vom 31.8.1981 und 7.9.1988 verletzt sohin die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Entscheidung, weshalb sie gemäß Art132 B-VG und §§26 ff VwGG

S ä u m n i s b e s c h w e r d e

an den Verwaltungsgerichtshof erheben, mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge

1. über die an den Bundesminister für Unterricht und Kunst gerichteten Anträge vom 31.8.1981 und 7.9.1988

(GZ 12075/1-9c/81-85) selbst in der Sache erkennen und das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes vom 20.5.1874 RGBl. 68 feststellen; und

2. ..... (Begehren auf Kostenzuspruch)."

Der Verwaltungsgerichtshof erkannte mit Entscheidung vom 24. Oktober 1994, Zl. 94/10/0087-5, über diese gegen den Bundesminister für Unterricht und Kunst gerichtete "Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht zu Recht":

"Der Antrag der Beschwerdeführer, bescheidmäßig festzustellen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes vom 20. Mai 1874, RGBl. Nr. 68, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften (Anerkennungsgesetz), vorlägen, wird zurückgewiesen.

..... (Kostenentscheidung)."

Der Verwaltungsgerichtshof begründete diese Entscheidung wie folgt:

".....

Zunächst ist klarzustellen, daß das Begehren der Säumnisbeschwerde - ungeachtet der Erwähnung der nach der Sachverhaltsdarstellung inhaltlich (auch) auf die 'Anerkennung der Religionsgemeinschaft' gerichteten Anträge vom 31. August 1981 und 7. September 1988 - seinem Wortlaut nach nur auf die Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft im Sinne des Anerkennungsgesetzes gerichtet ist; nur dieses Begehren ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung.

Nach der insoweit im Einklang mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 29. Februar 1988, VfSlg. 11624, und den Beschluß vom 25. Juli 1992, G282/91, = VfSlg. 13134/1992) stehenden ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. den Beschluß vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0155, und die dort zitierte Vorjudikatur) ist die Anerkennung eines Religionsbekenntnisses als Kirche oder Religionsgesellschaft durch Rechtsverordnung auszusprechen. Im letztgenannten Beschluß ist der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes, über den Antrag einer Religionsgemeinschaft auf Anerkennung sei bescheidmäßig abzusprechen, hingegen nicht gefolgt. In der Begründung dieses Beschlusses hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf seinen Beschluß vom 27. September 1982, Slg. 10833/A - folgendes dargelegt:

.....

Diese Auffassung hält der Gerichtshof aufrecht. Im Hinblick darauf, daß das vom Verwaltungsgerichtshof zu entscheidende Begehren der Beschwerdeführer nicht auf 'bescheidmäßige Anerkennung', sondern auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der Anerkennung gerichtet ist, erweist sich die Beschwerde jedoch als zulässig; denn insoweit besteht ein Rechtsanspruch der Beschwerdeführer auf bescheidmäßige Erledigung ihres unerledigt gebliebenen Begehrens, und zwar ungeachtet des Umstandes, daß dieses - wie noch darzulegen sein wird - nur zurückgewiesen werden kann (vgl. z.B. den Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. 9458/A, und das Erkenntnis vom 5. Juli 1993, Zl. 92/10/0123).

Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für die begehrte Feststellung käme im Beschwerdefall nur die Erlassung eines auf allgemeinen Verfahrensgrundsätzen beruhenden Feststellungsbescheides in Betracht. Derartige Feststellungsbescheide können nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von Verwaltungsbehörden im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit nur dann erlassen werden, wenn die Feststellung entweder im öffentlichen Interesse oder im rechtlichen Interesse einer Partei liegt und die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen. Gegenstand eines derartigen Feststellungsbescheides kann grundsätzlich nur die Feststellung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses sein; darüber hinaus kann die Behörde weder über die Anwendbarkeit von gesetzlichen Vorschriften noch über ihre Auslegung und über das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen spruchmäßig entscheiden. Auch die rechtliche Qualifikation eines Sachverhaltes kann nicht Gegenstand eines Feststellungsbescheides sein (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 20. September 1993, Zl. 92/10/457, mit zahlreichen weiteren Hinweisen).

Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die begehrte Feststellung in mehrfacher Hinsicht als unzulässig.

Ein rechtliches Interesse der Antragsteller an der begehrten Feststellung ist nicht ersichtlich; denn ein an die Anerkennungswerber gerichteter, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung feststellender Bescheid hätte weder die Wirkung der an die Allgemeinheit gerichteten Anerkennung noch könnte er eine den Verordnungsgeber bindende bzw. erzwingbare Verpflichtung zur Erlassung einer Verordnung begründen (vgl. nochmals den bereits zitierten Beschluß vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0155). In diesem Zusammenhang ist auch auf den oben bereits erörterten Umstand hinzuweisen, daß eine in Bescheidform intendierte Anerkennung einen Rechtsformenmißbrauch bedeutete; nichts anderes könnte gelten, wollte man den Verordnungsgeber an einen die gesetzlichen Voraussetzungen der Anerkennung feststellenden Bescheid binden.

Ebensowenig kann davon die Rede sein, daß der vorliegende Antrag darauf gerichtet wäre, ein einer bescheidmäßigen Feststellung zugängliches 'Recht oder Rechtsverhältnis' festzustellen. Daß die Behörde nicht berufen ist, über die Anwendbarkeit gesetzlicher Vorschriften, ihre Auslegung und das Vorliegen von 'Anspruchs'-Voraussetzungen spruchgemäß zu entscheiden, wurde bereits dargelegt.

Die begehrte Feststellung erweist sich daher als unzulässig; der Antrag der Beschwerdeführer war zurückzuweisen.

..... (Begründung der Kostenentscheidung)."

c) Mit einer beim Verfassungsgerichtshof am 14. Dezember 1994 eingebrachten, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde machten die Einschreiter gleichfalls die Säumnis des Bundesministers geltend und begehrten, der Verfassungsgerichtshof wolle über die erwähnten Anträge vom 31. August 1981 und vom 7. September 1988 entscheiden. Der Verfassungsgerichtshof wies diese Beschwerde mit Beschluß vom 16. März 1995, B2693/94, mit der Begründung zurück, daß ihn keine Rechtsvorschrift zur Entscheidung über Anträge, mit denen die Verletzung der Entscheidungspflicht einer Behörde geltend gemacht wird, berufe.

2. Die Einschreiter haben gleichzeitig mit der Säumnisbeschwerde (siehe Pkt. I.1.c.) "für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof mangels der gesetzlichen Grundlage und damit wegen Fehlens seiner Zuständigkeit die Säumnisbeschwerde zurückweist und demnach davon auszugehen ist, daß in derselben Sache sowohl der Verwaltungsgerichtshof als auch der Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeit verneint hat", gem. Art138 Abs1 litb B-VG iVm §46 Abs1 VerfGG an den Verfassungsgerichtshof den Antrag "auf Entscheidung dieses negativen Kompetenzkonflikts mit dem weiteren Begehren, etwaige dem Erkenntnis entgegenstehende behördliche Akte aufzuheben und die Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtshofes bindend festzustellen", gestellt.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Kompetenzfeststellungsverfahren am 27. November 1995 eine Äußerung erstattet. Darin begehrt er, den Antrag auf Entscheidung eines negativen Kompetenzkonfliktes mangels Bestehens eines solchen Kompetenzkonfliktes zurückzuweisen, und führt hiezu im wesentlichen aus:

".....

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem in Rede stehenden Erkenntnis vom 24. Oktober 1994, Zl. 94/10/0087, keineswegs die 'Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsgerichtsweges schlechthin verneint'. Er hat vielmehr seine Zuständigkeit zur Sachentscheidung ausdrücklich bejaht und auch das Vorliegen der übrigen Prozeßvoraussetzungen angenommen; demgemäß hat er auch mit Erkenntnis in der Sache selbst entschieden (§42 Abs4 letzter Satz VwGG).

.....

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Zulässigkeit der im Verwaltungsverfahren begehrten bescheidmäßigen Feststellung nicht allein wegen des fehlenden rechtlichen Interesses der Antragsteller an der begehrten Feststellung unter dem Gesichtspunkt seiner Auffassung, daß ein an die Anerkennungswerber gerichteter, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung feststellender Bescheid weder die Wirkung der an die Allgemeinheit gerichteten Anerkennung hätte noch eine den Verordnungsgeber bindende bzw. erzwingbare Verpflichtung zur Erlassung einer Verordnung begründen könnte, verneint. Vielmehr war der Feststellungsantrag nach der Begründung des Erkenntnisses auch deshalb zurückzuweisen, weil er nicht auf die bescheidmäßige Feststellung eines 'Rechtes oder Rechtsverhältnisses' gerichtet war und die Verwaltungsbehörde nicht dazu berufen ist, über die Anwendbarkeit von gesetzlichen Vorschriften, deren Auslegung, das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen oder die rechtliche Qualifikation eines Sachverhaltes einen Feststellungsbescheid zu erlassen.

Daß die vom Verwaltungsgerichtshof in der Verwaltungsrechtssache getroffene Entscheidung in der Zurückweisung des Feststellungsantrages bestand, bedeutet nicht, daß der Verwaltungsgerichtshof seine Zuständigkeit zur Sachentscheidung bzw. die 'Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsgerichtsweges schlechthin' verneint hätte. Ein Kompetenzkonflikt liegt somit nicht vor."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über den Antrag auf Entscheidung des behaupteten negativen Kompetenzkonfliktes erwogen:

A. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art138 Abs1 litb B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte "zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und allen anderen Gerichten, insbesondere auch zwischen dem Verwaltungsgerichtshof und dem Verfassungsgerichtshof selbst, sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten".

Nach der zitierten Verfassungsbestimmung iVm §46 Abs1 VerfGG besteht ein verneinender Kompetenzkonflikt u.a. dann, wenn in derselben Sache der Verwaltungsgerichtshof und der Verfassungsgerichtshof eine Sachentscheidung aus dem Grund der Unzuständigkeit abgelehnt haben und diese Ablehnung in einem Fall zu Unrecht erfolgt ist (vgl. z.B. VfSlg. 13409/1993).

2.a) Im Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, KI-9/94, (betreffend Anerkennung der "Zeugen Jehovas" nach dem AnerkennungsG) hat sich der Verfassungsgerichtshof mit der Frage auseinandergesetzt, ob er oder der Verwaltungsgerichtshof unzuständig waren, über eine Säumnisbeschwerde wegen Untätigkeit des Kultusministers hinsichtlich eines Antrages auf Anerkennung einer Religionsgemeinschaft nach dem AnerkennungsG zu entscheiden.

Er hat dargetan, Art138 B-VG (bezogen auf den negativen Kompetenzkonflikt) wolle ganz allgemein sicherstellen, daß die Durchsetzung eines Rechtsanspruches nicht schon daran scheitere, daß sich die in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden und Gerichte für unzuständig erklären. Art138 Abs1 litb B-VG ziele darauf ab, dem einzelnen - auch und gerade in jenen Fällen, in denen dies im gerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Instanzenzug nicht möglich sei - Gewißheit darüber zu verschaffen, ob überhaupt eine(s), und bejahendenfalls welche(s) der beiden angerufenen Gerichte oder Verwaltungsbehörden in seiner Sache zuständig sei. Die Voraussetzung für das Vorliegen eines zwischen dem Verfassungsgerichtshof und dem Verwaltungsgerichtshof bestehenden negativen Kompetenzkonfliktes (daß nämlich beide Gerichtshöfe ihre Zuständigkeit abgelehnt haben) werde auch dann erfüllt, wenn einer der beiden Gerichtshöfe die Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsgerichtsweges (richtig: des Verwaltungsweges) - aus welchen rechtlichen Gründen immer - schlechthin verneine und sich daraus unmittelbar seine Unzuständigkeit zur Erledigung einer bei ihm eingebrachten Beschwerde ergebe. Ob "dieselbe Sache" i.S. des §46 Abs1 VerfGG vorliegt, sei insbesondere danach zu beurteilen, ob die vom Einschreiter an die beiden angerufenen (Gerichts-)Behörden gerichteten Begehren identisch seien; ob diese Sachidentität gegeben sei, hänge weder von den in den beiden die Sachentscheidung verweigernden Erledigungen verwendeten Formulierungen noch von den darin zitierten Rechtsvorschriften ab.

b) Die im soeben zitierten Erkenntnis angestellten Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall zu übertragen:

Zwar hatte der Verwaltungsgerichtshof mit der dem damaligen Kompetenzkonflikts-Verfahren zugrundeliegenden Entscheidung (Beschluß vom 22. März 1993, Zl. 92/10/0155) die an ihn gerichtete (ausschließlich und eindeutig die Anerkennung der "Zeugen Jehovas" betreffende) Säumnisbeschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, nach dem AnerkennungsG komme niemandem ein Rechtsanspruch auf Erlassung eines diesbezüglichen Bescheides oder einer Verordnung zu, während er hier den an ihn adressierten Antrag (s.o. I.1.b) nicht mit der Begründung zurückgewiesen hat, er sei an sich zur Entscheidung über die Säumnisbeschwerde unzuständig, sondern damit, daß das in der Säumnisbeschwerde enthaltene, nur auf Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Anerkennung der Baha'i als Religionsgesellschaft i.S. des AnerkennungsG gerichtete Begehren unzulässig sei (s.o. I.1.b).

Der Sache nach läuft diese - obschon nicht in Form eines Beschlusses, sondern eines Erkenntnisses ergangene - Entscheidung aber darauf hinaus, daß der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit der Beschreitung des Verwaltungsweges schlechthin verneint.

Das Anliegen der im Fall "Baha'i" an den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof gerichteten Säumnisbeschwerden war nämlich offenkundig dasselbe, nämlich die Anerkennung als Religionsgesellschaft zu erreichen:

Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit seinem Beschluß vom 16. März 1995 eindeutig als unzuständig erklärt, anstelle der säumigen Verwaltungsbehörde diese Anerkennung vorzunehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar formell lediglich über den Antrag auf Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Anerkennung der Baha'i als Religionsgesellschaft i.S. des AnerkennungsG abgesprochen, indem er den Antrag im Zuge eines - als zulässig erkannten - Säumnisbeschwerdeverfahrens zurückwies, weil die begehrte Feststellung unzulässig sei (Näheres s.o. I.1.b). Implizit hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch mit dieser Entscheidung auch über den - im Wege einer Säumnisbeschwerde gestellten - Antrag auf Anerkennung der Baha'i als Religionsgesellschaft abgesprochen. Aus dem klaren Wortlaut und dem Sinn der beim Kultusminister eingebrachten Anträge, aber auch aus dem Sinn der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Säumnisbeschwerde geht nämlich hervor, daß die rechtliche Anerkennung das eigentliche Begehren der Einschreiter war.

Der Wortlaut des Spruches des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 94/10/0087 läßt sowohl die Annahme zu, damit werde - anstelle des säumigen Kultusministers - der Antrag auf Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung zurückgewiesen, als auch jene, der Verwaltungsgerichtshof weise damit die an ihn gerichtete Säumnisbeschwerde als unzulässig zurück. Bei Ermittlung des normativen Inhaltes des Erkenntnisses kann bei der gegebenen besonderen Situation - insbesondere unter Bedachtnahme auf das soeben geschilderte primäre Anliegen der Einschreiter - die Begründung der Entscheidung nicht zur Ermittlung des Inhaltes ihres Spruches herangezogen werden.

Der auf Feststellung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung gerichtete Antrag ist der Sache nach lediglich eine andere Facette des unmittelbar auf den Ausspruch der Anerkennung gerichteten Antrages. Die Zurückweisung des die Feststellung begehrenden Antrages bedeutet daher gleichzeitig auch eine Zurückweisung des Antrages auf Anerkennung.

Damit ist deutlich gemacht, daß sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof in derselben Sache (Anerkennung der "Baha'i" als Religionsgesellschaft) ihre Zuständigkeit negiert haben.

Wie die folgenden Ausführungen (II.B) nachweisen, hat eines der Gerichte seine Zuständigkeit zu Unrecht abgelehnt.

c) Zusammenfassend ist sohin festzuhalten, daß der vorliegende Antrag auf Entscheidung eines Kompetenzkonfliktes zulässig ist.

B. In der Sache

Zu klären ist, welches der beiden Höchstgerichte seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat.

1. Weder Art144 B-VG noch eine andere bundesverfassungsrechtliche Vorschrift beruft den Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung über Anträge, mit denen die Verletzung der Entscheidungspflicht einer Behörde geltend gemacht wird.

Die Bundesverfassung sieht für den Verfassungsgerichtshof überhaupt keine Kompetenz vor, die jener gleicht, die dem Verwaltungsgerichtshof mit Art132 B-VG eingeräumt wird.

Der Verfassungsgerichtshof hat also seine Zuständigkeit, über die von den Einschreitern an ihn gerichtete Säumnisbeschwerde zu entscheiden, mit Beschluß vom 16. März 1995, B2693/94, zu Recht abgelehnt.

2. Nicht so der Verwaltungsgerichtshof in Ansehung der an ihn adressierten Säumnisbeschwerde:

a) Der Verfassungsgerichtshof hat sich bereits öfters eingehend mit der Frage beschäftigt, ob der Verwaltungsgerichtshof kompetent ist, über Beschwerden wegen Säumnis des Kultusministers im Zusammenhang mit an diesen gerichteten, auf §2 AnerkennungsG gestützten Anträgen zu entscheiden (VfSlg. 11931/1988, 13134/1992 und VfGH 4. Oktober 1995, KI-9/94).

Er verweist auf diese Vorjudikatur, von der abzurücken kein Anlaß besteht. Auch der Verwaltungsgerichtshof bringt in der in diesem Kompetenzfeststellungsverfahren abgegebenen Äußerung gegen diese Rechtsprechung nichts vor.

Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner in der Vorjudikatur (zuletzt im Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, KI-9/94) geäußerten und dort näher begründeten Meinung, daß der Kultusminister verpflichtet ist, aufgrund einer begehrten Anerkennung als Religionsgesellschaft i.S. des AnerkennungsG eine Rechtsverordnung zu erlassen, gegebenenfalls aber (auch) darüber mit einem (negativen oder positiven) Bescheid zu entscheiden; damit aber ist bei Vernachlässigung dieser Pflicht eine Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

b) Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß der Verwaltungsgerichtshof - ausgehend von einer (wie sich aus der zitierten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ergibt) unzutreffenden Rechtsauffassung - den Antragstellern zu Unrecht eine Sachentscheidung über ihren Antrag verweigert hat, "der Verwaltungsgerichtshof möge über die an die belangte Behörde (BMUK) gerichteten Anträge vom 31. August 1981 und 7. September 1988 selbst in der Sache erkennen und das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft im Sinne des Anerkennungsgesetzes feststellen." Dieser Antrag war - wie oben zu II.A.2.b begründet wird - (auch) auf die Erlassung einer Entscheidung über die Anerkennung der Baha'i-Religionsgemeinschaft i.S. des AnerkennungsG gerichtet, über die - wie dargetan - vom zuständigen Bundesminister (allenfalls auch) in Bescheidform abzusprechen ist. Kommt der Bundesminister seiner Entscheidungspflicht nicht nach, so hat im Falle einer Säumnisbeschwerde der Verwaltungsgerichtshof an seiner statt die Entscheidung zu treffen. Dieser Aufgabe ist der Verwaltungsgerichtshof hier nicht nachgekommen, sondern hat den Antrag im Effekt so behandelt wie seinerzeit jenen im Fall der "Zeugen Jehovas" (s.o. II.A.2.b).

3. Es war daher auszusprechen, daß die Entscheidung über die Säumnisbeschwerde in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fällt, und das entgegenstehende Erkenntnis aufzuheben.

4. Der Kostenausspruch gründet sich auf §52 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Kompetenzkonflikt, Verwaltungsgerichtshof, Zuständigkeit Verwaltungsgerichtshof, Säumnisbeschwerde, Religionsgesellschaften

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:KI11.1994

Dokumentnummer

JFT_10048796_94K0I011_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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