TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/6 W209 2231968-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2020
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Entscheidungsdatum

06.07.2020

Norm

AuslBG §1 Abs2
AuslBG §3 Abs8
B-VG Art133 Abs4
NAG §52
NAG §54
NAG §55

Spruch

W209 2231968-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard Seitz als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes PFLUG und Philipp KUHLMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch STOCK RAFASEDER GRUSZKIEWICZ Rechtsanwälte GmbH, Schwindgasse 7/6, 1040 Wien, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 05.05.2020, GZ 08115/ABA 1733437 (GF), betreffend Abweisung eines Antrages auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG bestätigt, dass XXXX , VSNR XXXX , gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin), eine am XXXX geborene serbische Staatsangehörige, stellte am 24.03.2020 bei der belangten Behörde (im Folgenden: AMS) einen Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG. In einem beigefügten Schreiben teilte die Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin mit, dass letztere bereits 2019 einen Antrag auf Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG gestellt habe, welchen sie jedoch zurückgezogen habe. Die Beschwerdeführerin werde von ihren Eltern unterstützt. Zur besseren Verdeutlichung der Einkommensverhältnisse der Eltern seien dem Antrag umfassende Lohnnachweise des Vaters der Beschwerdeführerin, Herrn XXXX (einem serbischen Staatsangehörigen) der in Österreich mit Ausnahme weniger Wochen im Dezember 2019 und Anfang 2020 eine Vollzeitbeschäftigung ausübe, angeschlossen. Hinsichtlich der Einkommensverhältnisse der Mutter der Beschwerdeführerin (einer ungarischen Staatsangehörigen) werde darauf hingewiesen, dass diese aufgrund ihrer schweren Erkrankung keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen könne. Dem Antrag waren zahlreiche Unterlagen angeschlossen, darunter die Kopie einer bis 16.04.2021 gültigen Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) der Beschwerdeführerin.

2. Mit Schreiben vom 25.03.2020 teilte das AMS der Beschwerdeführerin mit, dass – ungeachtet der Staatsangehörigkeit – die Ausnahme von Unionsbürgern vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes auch für die sie begleitenden oder ihnen nachziehenden eigenen Verwandten und die Verwandten ihrer Ehegatten oder eingetragenen Partner in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres (Kinder, Enkelkinder) und darüber hinaus, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, gelte. Die Beschwerdeführerin habe zwar im Zuge der Antragsstellung die Einkommensverhältnisse ihrer Eltern dokumentiert, aber keine Unterhaltsleistungen ihrer Mutter, von der Sie die Arbeitnehmerfreizügigkeit ableite. Damit seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG nicht gegeben. Der Beschwerdeführerin wurde die Gelegenheit eingeräumt, zu den oben angeführten Feststellungen binnen 14 Tagen ab Zustellung des Schreibens schriftlich Einwendungen anzubringen bzw. innerhalb derselben Frist die erforderlichen Nachweise vorzulegen.

3. Mit Schreiben vom 08.04.2020 nahm die Beschwerdeführerin zum Parteiengehör des AMS vom 25.03.2020 Stellung. Dabei führte sie aus, dass sie bereits konkret dargelegt habe, dass ihr von ihren Eltern Unterhalt geleistet werde. In rechtlicher Hinsicht hielt sie fest, dass im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 und 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) unter anderem zu beurteilen sei, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfüge und ein umfassender Krankenversicherungsschutz bestehe, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaates in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genüge es, wenn dem Unionsbürger die erforderlichen Mittel zur Verfügung stünden. An die Herkunft der Mittel würden hingegen keine Anforderungen gestellt, sodass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen – etwa einem (anderen) Elternteil des betroffenen Unionsbürgers – stammen könnten (Hinweis EuGH 19.10.2014, Zhu und Chen, C-200/02; EuGH 16.07.2015, Singh, C-218/14). Zum Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung sei der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass sich die Eigenschaft als Familienangehöriger, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, aus einer tatsächlichen Situation ergebe, die dadurch gekennzeichnet sei, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt werde. Für den Nachweis zu Art, Umfang und Zeitrahmen des vom Zusammenführenden bereits geleisteten Unterhalts [§ 47 Abs. 3 NAG] könnten alle sonst im Verwaltungsverfahren in Betracht kommenden Beweismittel verwertet werden (vgl. etwa VwGH 2009/21/0277). Ausschlaggebend seien die tatsächlichen Gegebenheiten (vgl. VwGH 2008/22/0825). Vorliegend stünden ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung, um den Unterhalt der Beschwerdeführerin zu bestreiten. Die Judikatur spreche von materieller Unterstützung, welche daher nicht in einer reinen Geldleistung bestehen müsse. Die Beschwerdeführerin habe von ihrer Mutter bzw. von ihren Eltern sowohl Sach- als auch Geldleistungen erhalten. Diese regelmäßige Unterstützung dauere weiterhin an. Die Geldleistungen würden bar erfolgen. Dies sei im engsten Familienkreis eine ständige Gepflogenheit. Die Sachleistungen würden in Form von Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und sonstigen Leistungen, die in einem gemeinsamen Haushalt anfallen, geleistet. Diese Sachleistungen seien in den Unterhalt einzurechnen. Es lägen auch eidesstattliche Erklärungen der Eltern vor, welche die oben angeführten Angaben bestätigen würden.

4. Mit angefochtenem Bescheid 05.05.2020 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen und dies damit begründet, dass die Beschwerdeführerin seit 20.02.2020 nicht mehr in der elterlichen Wohnung in XXXX gemeldet sei und ihren Hauptsitz nunmehr in XXXX habe, und aufgrund der vorgelegten Unterlagen eine tatsächlich gewährte Unterhaltsleistung nicht nachgewiesen werden habe können.

5. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihre Rechtsvertretung binnen offener Rechtsmittelfrist Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin serbische Staatsangehörige sei und als Familienangehörige einer EU-Bürgerin, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Freizügigkeit genieße, eine von 21.04.2016 bis 21.04.2021 gültige Aufenthaltskarte erhalten habe. Am 24.03.2020 habe die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG gestellt. Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG seien die Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes nicht anzuwenden auf Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen. Die Ausnahme gelte auch für Kinder, die das 21. Lebensjahr bereits vollendet hätten, sofern ihnen Unterhalt gewährt würde. Die Beschwerdeführerin habe bereits in der Vergangenheit Anträge auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG eingebracht. Der zuletzt gestellte Antrag sei von der Beschwerdeführerin – auf Anraten der Behörde – zurückgezogen worden, weil nach deren Ansicht die Mutter der Beschwerdeführerin nicht über genügend finanzielle Mittel (Einkommen) für die Unterhaltsgewährung verfüge. Gegenständlich argumentiere die belangte Behörde hingegen nunmehr, dass die Beschwerdeführerin nicht im gemeinsamen Haushalt mit den Eltern lebe und auch die tatsächliche Unterhaltsgewährung nicht nachgewiesen worden sei. Die Schlussfolgerung der belangten Behörde sei jedoch unrichtig. Die Beschwerdeführerin habe im erstinstanzlichen Ermittlungsverfahren die gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere Unterhaltsleistungen, nachgewiesen. Die belangte Behörde habe es jedoch unterlassen, nachzuforschen, welche konkreten Unterhaltsleistungen der Beschwerdeführerin gewährt werden. Auch die unterschiedlichen ZMR-Meldungen hätten in einer Einvernahme geklärt werden können. Die Beschwerdeführerin habe ihre neue Wohnung erst unmittelbar vor der Antragstellung in der Hoffnung, bald eine bereits vereinbarte Tätigkeit in einer Apotheke aufnehmen zu können, neu angemietet. Eine Verlegung des Hauptwohnsitzes habe jedoch noch nicht stattgefunden, weil die Wohnung sanierungsbedürftig sei. Die Beschwerdeführerin halte sich daher nach wie vor nahezu täglich im Haushalt der Eltern auf. Im Übrigen ist auf das Vorbringen in der Stellungnahme vom 08.04.2020 zu verweisen, von dessen Wiedergabe zur Vermeidung von Wiederholungen abgesehen wird.

6. Am 16.06.2020 legte das AMS die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

7. Am 26.06.2020 teilte die Magistratsabteilung 35 als zuständige Aufenthaltsbehörde über Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts mit, dass bisher kein Sachverhalt bekannt/mitgeteilt worden sei, der zu einer Befassung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gemäß § 55 Abs. 3 NAG geführt hätte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin, eine am XXXX geborene serbische Staatsangehörige, stellte am 24.03.2020 einen Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG.

Ihre Mutter, die zusammen mit dem Vater der Beschwerdeführerin, in XXXX wohnt, ist ungarische Staatsangehörige und im Besitz einer Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG.

Die Beschwerdeführerin ist im Besitz einer von 16.04.2016 bis 16.04.2021 gültigen Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers gemäß § 54 NAG.

Nach Mitteilung der zuständigen Aufenthaltsbehörde ist dieser bisher kein Sachverhalt bekannt/mitgeteilt worden, der zu einer Befassung des BFA gemäß § 55 Abs. 3 NAG geführt hätte.

2. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Sachverhalt steht aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest. Die Mitteilung der Aufenthaltsbehörde liegt dem Gerichtsakt bei.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 20g Abs. 1 AuslBG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice, die in Angelegenheiten des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ergangen sind, das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer, angehören.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Die im vorliegenden Fall anzuwendenden maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen lauten:

§ 1 AuslBG in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (auszugsweise):

„Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§ 2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

a) bis j) …

l) Ausländer, die aufgrund eines Rechtsaktes der Europäischen Union Arbeitnehmerfreizügigkeit genießen;

m) …

(3) bis (4) …“

§ 3 AuslBG in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018 (auszugsweise):

„Voraussetzungen für die Beschäftigung von Ausländern

§ 3. (1) bis (7) …

(8) Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat Ausländern, die gemäß § 1 Abs. 2 oder aufgrund einer Verordnung gemäß § 1 Abs. 4 vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind, auf deren Antrag eine Bestätigung darüber auszustellen.

(9) bis (10) …“

Die im vorliegenden Fall anzuwendenden maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen des NAG lauten:

§ 52 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 (auszugsweise):

„Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern

§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. …;

2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;

3. bis 5. …

(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“

§ 54 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 (auszugsweise):

„Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers

§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;

2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.

(3) Das Aufenthaltsrecht der Angehörigen gemäß Abs. 1 bleibt trotz Tod des EWR-Bürgers erhalten, wenn sie sich vor dem Tod des EWR-Bürgers mindestens ein Jahr als seine Angehörigen im Bundesgebiet aufgehalten haben und nachweisen, dass sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 bis 2 erfüllen.

(4) Das Aufenthaltsrecht von minderjährigen Kindern eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt auch nach dem Tod oder nicht bloß vorübergehenden Wegzug des EWR-Bürgers bis zum Abschluss der Schulausbildung an einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule erhalten. Dies gilt auch für den Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, sofern dieser die Obsorge für die minderjährigen Kinder tatsächlich wahrnimmt.

(5) bis (7) …“

§ 55 NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 (auszugsweise):

„Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate

§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Art. 23 und 27 der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) lauten (auszugsweise):

„Artikel 23

Verbundene Rechte

Die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, sind ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger aufzunehmen.

Artikel 27

Allgemeine Grundsätze

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels dürfen die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit und das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken. Diese Gründe dürfen nicht zu wirtschaftlichen Zwecken geltend gemacht werden.

(2) bis (4) …“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Die Beschwerdeführerin, eine am XXXX geborene serbische Staatsangehörige, stellte am 24.03.2020 einen Antrag auf Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG.

Ihre Mutter, die zusammen mit dem Vater der Beschwerdeführerin, in XXXX wohnt, ist ungarische Staatsangehörige und im Besitz einer Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG.

Die Beschwerdeführerin selbst besitzt eine von 16.04.2016 bis 16.04.2021 gültige Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers gemäß § 54 NAG. Sie erhielt die Karte im Alter von 19 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt war sie gemäß § 52 Abs. 1 Z 2 NAG – unabhängig von einer tatsächlichen Unterhaltsgewährung durch ihre Eltern – als Familienangehörige einer Unionsbürgerin für mehr als drei Monate zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und genoss daher gemäß Art. 23 Freizügigkeitsrichtlinie Arbeitnehmerfreizügigkeit, auf Grund derer sie gemäß § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen war.

Nunmehr hat die Beschwerdeführerin das 21. Lebensjahr überschritten, weswegen ihr das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate (und die damit verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit) nur mehr zukäme, wenn ihr von ihren Eltern tatsächlich Unterhalt gewährt wird, was im vorliegenden Fall strittig ist.

Eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG 2005 zählt zu den Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts. In diesen Fällen ergibt sich das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Die Bescheinigung hat bloß deklaratorische Wirkung, ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender "Aufenthaltstitel" liegt mit der Aufenthaltskarte nicht vor (vgl. VwGH 26.4.2016, Ra 2015/09/0137).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18.06.2013, Zl. 2012/18/0005, festgehalten hat, bleibt ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, aber selbst bei Wegfall der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Dabei verweis der Verwaltungsgerichtshof auf die Erläuterungen der Regierungsvorlage 330 BlgNR 24. GP, 53 zur mit BGBl. I Nr. 122/2009 erfolgten (inhaltlich auch nach der Rechtslage nach dem FrÄG 2011 beibehaltenen) Änderung des § 55 NAG, wonach es einem Drittstaatsangehörigen möglich sein soll, trotz des Wegfalles der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre. Dass der Aufenthalt allein schon wegen des Vorhandenseins einer (noch gültigen) Dokumentation als rechtmäßig anzusehen ist, bringen die Erläuterungen laut Verwaltungsgerichtshof insofern deutlich zum Ausdruck als sie davon ausgehen, dass ohne die der Niederlassungsbehörde eingeräumte Überprüfungsmöglichkeit die Gefahr bestünde, Fremde könnten "weiterhin ihr gemeinschaftsrechtliches Aufenthaltsrecht behalten, auch wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen".

Dass im Gegensatz dazu die mit dem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit der Angehörigen bereits mit dem Wegfall der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht verloren ginge, ist nicht ersichtlich. Wie nämlich den oben zitierten Erläuterungen weiters zu entnehmen ist, liegt für den Fall, dass keine Ausweisung des Angehörigen erfolgt, "keine Beschränkung im Sinne der Art. 27 ff Freizügigkeitsrichtlinie" vor. Demensprechend ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit während des Verfahrens zur Überprüfung des Fortbestands des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts – im Einklang mit dem Unionsrecht – nicht beschränken wollte und daher auch diese bis zur rechtskräftigen Ausweisung des Angehörigen fortbesteht.

Damit genießt die Beschwerdeführerin – unabhängig von der tatsächlichen Unterhaltsgewährung durch ihre Eltern – bis zum Abschluss eines (von der Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörde zu initiierenden) Verfahrens nach § 55 NAG Arbeitnehmerfreizügigkeit. Den Feststellungen folgend erfolgte im gegenständlichen Fall bislang keine Befassung des BFA gemäß § 55 Abs. 3 NAG. Somit war der Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG stattzugeben und der Beschwerdeführerin die Ausnahme vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zu bestätigen.

Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Wenngleich die Beschwerdeführerin einen solchen Antrag gestellt hat, erachtete der erkennende Senat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich, weil der festgestellte Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage hinreichend geklärt erschien und daher durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war.

Da auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftraten, welche die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätten, stehen dem Entfall der Verhandlung auch weder Artikel 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen (vgl. u.a. VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0140).

Zu B) Zulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, es an einer solchen Rechtsprechung fehlt oder die vorhandene Rechtsprechung uneinheitlich ist.

Vorliegend hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, selbst bei Wegfall der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig bleibt (vgl. VwGH 18.06.2013, Zl. 2012/18/0005)

Soweit ersichtlich, fehlt es aber an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der im gegenständlichen Fall zu lösenden Rechtsfrage, ob im Falle des Wegfalles der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht auch die mit dem unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht verbundene Arbeitnehmerfreizügigkeit bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens fortbesteht.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Arbeitnehmerfreizügigkeit Aufenthaltsrecht Ausnahmebestimmung Familienangehöriger Revision zulässig Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W209.2231968.1.00

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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