TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/22 W173 2002652-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2020
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Entscheidungsdatum

22.06.2020

Norm

AlVG §7
B-VG Art133 Abs4
NAG §24

Spruch

W173 2002652-1/22E

Im Namen der Republik

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin, Dr. Margit Möslinger-Gehmayr, als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf North MBA und Mag. Elke de Buck-Lainer als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin, Burggasse 116, 1070 Wien, vom 12.1.2012 gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien, Dresdner Straße 110, 1200 Wien, vom 29.12.2011, VSNr: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 29.12.2011, VSNr: XXXX , gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservices Wien (in der Folge belangte Behörde) dem Antrag von XXXX (in der Folge BF) vom 28.11.2011 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gemäß § 7 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl Nr. 609/1077 idgF (AlVG) mangels Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt keine Folge. Die Begründung stützte sich auf das Fehlen eines gültigen Aufenthaltstitels des BF.

2. Der BF erhob am 12.1.2012 „Berufung“ (nunmehr Beschwerde) gegen den Bescheid vom 29.12.2011 und brachte vor, am 19.4.2011 einen Antrag auf Verlängerung seines bis 14.4.2011 gültigen Aufenthaltstitels gestellt zu haben. Das diesbezügliche Verfahren sei gegenwärtig bei der erstinstanzlichen Behörde anhängig. Die im gegenständlichen Verfahren zu klärende Rechtsfrage sei, ob dem BF ein Aufenthaltsrecht nach den Bestimmungen des NAG zukomme. Über diese Rechtsfrage sei bis dato nicht bescheidmäßig abgesprochen worden, sodass keine Bindungswirkung bestehe. Es hätten daher Feststellungen über den Verlauf und den Stand des Aufenthaltsverfahrens getroffen werden müssen und wäre zu beurteilen gewesen, ob dem BF ein Aufenthaltsrecht zukomme. Dem bekämpften Bescheid fehle es an jedweden Feststellungen in diesem Zusammenhang. Der Landeshauptmann von Wien wäre auch im Jahr 2009 verpflichtet gewesen, den bis zum 19.4.2009 gültigen Aufenthaltstitel des BF für die Gültigkeitsdauer vom 20.4.2009 bis 20.4.2011 zu verlängern. Die Verlängerung des Titels für den Zeitraum 14.4.2009 bis 14.4.2011 sei eindeutig rechtswidrig. Der BF hätte auf ein rechtskonformes Vorgehen des Landeshauptmannes vertrauen müssen. Der dem BF unterlaufene Fehler sei nicht einmal ein minderer Grad des Versehens bzw. eine leichte Fahrlässigkeit iSd § 1332 ABGB. Ein rechtswidriges Handeln des Landeshauptmannes könne nicht dem BF angelastet werden. Außerdem habe der BF bei der Antragstelle am 19.4.2011 vorgebracht, in Stress gewesen zu sein und unter Schlafstörungen zu leiden. Er habe übersehen, dass der Aufenthaltstitel nur bis zum 14.4.2011 gültig sei. Am 22.4.2011 habe der BF bei der Behörde niederschriftlich angegeben, seit 5 Wochen unter massiven Schlafstörungen zu leiden. Am 26.4.2011 habe er dazu eine fachärztliche Bestätigung vorgelegt. Der BF leide auch an depressiven Störungen. Der BF habe dazu am 4.7.2011 der Behörde eine mit 30.6.2011 datierte fachärztliche Bestätigung von Dr. XXXX vorgelegt. Der BF habe damit glaubhaft gemacht, durch ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis an der Stellung eines rechtzeitigen Verlängerungsantrages gehindert gewesen zu sein. Es fehle an einem Verschulden. Allenfalls liege ein minderer Grad des Versehens vor. Gemäß § 24 Abs. 2 NAG sei der Antrag des BF als Verlängerungsantrag zu interpretieren, sodass ihm nach Abs. 1 leg.cit. weiterhin ein Aufenthaltsrecht zukomme. Der BF habe damit die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG erfüllt. Der bekämpfte Bescheid sei auch mit Unionsrechtswidrigkeit belastet. Dazu verwies der BF als tunesischer Staatsbürger auf das Europa-Mittelmeer-Abkommen vom 26.1.1998, und auf Urteile des Gerichtshofes der europäischen Union. Art. 65 Abs. 1 dieses Abkommens komme unmittelbare Wirkung zu. Die Bestimmung des § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG entfalte nur Wirkung auf Personen, die nicht österreichische Staatsbürger seien, und stelle eine unzulässige Diskriminierung dar. Diese Bestimmung habe daher als entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht unangewendet zu bleiben.

3. Der Landeshauptmann von Wien wies den Antrag des BF vom 19.4.2011 mit Bescheid vom 16.2.2012, Zl MA35-9/2692688-06, ab. In der Begründung wurde der Antrag des BF vom 19.4.2011 als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ und nicht als Verlängerungsantrag gewertet. Die Voraussetzungen gemäß § 47 Abs. 1 NAG würden nicht vorliegen, da die Ehegattin des BF laut Aktenlage nicht dauernd im österreichischen Bundesgebiet wohnhaft sei.

4. Gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16.2.2012 erhob der BF am 8.3.2012 Berufung. Begründend wurde vorgebracht, dass aufgrund seiner Antragsstellungen in der Vergangenheit davon auszugehen sei, über einen Aufenthaltstitel bis zum 20.4.2011 zu verfügen. Auf Grund von Stress und Schlafstörungen habe der BF das Gültigkeitsende seines Aufenthaltstitels übersehen. Dazu sei eine fachärztliche Bestätigung vorgelegt worden. Es handle sich um ein unvorhergesehenes bzw. unabwendbares Ereignis, das ihn gehindert habe, seinen Verlängerungsantrag fristgerecht zu stellen.

5. Mit Bescheid vom 23.3.2012, Zl 2012-0566-9-000200, hat das Arbeitsmarktservice Wien, Landesgeschäftsstelle, der Berufung des BF gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29.12.2011 keine Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid bestätigt. Der BF sei seit 5.4.2005 mit der österreichischen Staatsbürgerin, XXXX , verheiratet, die sich derzeit in Deutschland aufhalte. Der Aufenthaltstitel des BF als „Familienangehöriger“ sei vom 14.4.2009 bis 14.4.2011 gültig. Der erst am 19.4.2011 gestellte Antrag des BF sei mit dem Bescheid vom 16.2.2012 abgewiesen worden. Die Angaben seien vom BF nicht bestritten worden. Es sei lediglich mitgeteilt worden, dagegen Berufung erhoben zu haben. Eine rechtzeitig erhobene Berufung könne aber nichts daran ändern, auf Grund eines verspätet eingebrachten Antrags seit 15.4.2011 über keinen Aufenthaltstitel zu verfügen. Ein neuerlich gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels könne nicht als rechtzeitig gestellter Verlängerungsantrag gewertet werden. Auch nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) wäre für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung ein Aufenthaltstitel nach dem NAG bzw. Fremdenpolizeigesetz erforderlich. Den Ausführungen das Europa-Mittelmeer-Abkommen mit Tunesien betreffend könne nicht gefolgt werden. Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG für den Zuspruch von Arbeitslosengeld.

6. Gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, vom 23.3.2012 erhob der BF am 27.6.2012 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Da über die Rechtsfrage, ob der Antrag des BF vom 19.4.2011 als Verlängerungsantrag zu werten wäre, bis dato nicht rechtskräftig abgesprochen worden sei, liege kein Rechtsakt vor, nach welchem eine Bindungswirkung für die Behörden erster und zweiter Instanz bestehen würde. Demnach wäre es an der entscheidenden Behörde gelegen, ihrer Entscheidung ihre eigene Anschauung zu Grunde zu legen. Dem BF müsse Gelegenheit gegeben werden, sich zum Beweisverfahren zu äußern. Auf die Ausführungen zum Europa-Mittelmeer-Abkommen/Tunesien sei nicht eingegangen worden. Es fehle an einer Würdigung des Vorbringens des BF. Dem BF müsse die Möglichkeit gegeben werden, zu den von ihm selbst ins Treffen geführten Tatsachen und Rechtsansichten Stellung zu nehmen. Es sei gegen das Ermittlungsgebot und das Überraschungsverbot verstoßen worden. Bei gesetzeskonformem Vorgehen hätte die belangte Behörde auch zum Schluss kommen müssen, dass gemäß § 24 Abs. 2 NAG ein nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellter Antrag des BF als Verlängerungsantrag zu werten wäre, sodass dem BF weiterhin ein Aufenthaltsrecht zukomme und die Voraussetzungen des § 7 AlVG für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld erfüllt seien.

7. Am 26.9.2012 (RK 18.7.2013) wurde der BF auf Grund seiner am 23.7.2012 begangenen Tat durch das LG für Strafsachen in Wien 042HV95/2012i wegen § 142 Abs. 1 StGB zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

8. Mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 18.10.2012, Zl. 161.681/2-III/4/12 wurde der vom BF bekämpfte Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 16.2.2012, MA 35-9/2692688-06, behoben.

9. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22.7.2013, Zl 2012/08/0140, wurde der Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservics Wien vom 23.3.2012 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behoben. Begründend wurde ausgeführt, eine Bindung an den erstinstanzlichen Bescheid über den Aufenthaltstitel des BF, der mit Berufung bekämpft worden sei, komme nicht in Betracht, da keine rechtskräftige Erledigung der Berufungsbehörde vorgelegen sei. Sollte das Arbeitsmarktservice Wien, Landesgeschäftsstelle, als belangte Behörde das Vorliegen eines Erst- oder Verlängerungsantrages selbst beurteilt haben, so erweise sich die Beurteilung als unzureichend. Es fehle an einer Auseinandersetzung mit § 24 Abs. 2 NAG. Vielmehr sei pauschal angenommen worden, dass ein nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellter Verlängerungsantrag als Erstantrag zu werten wäre. Wäre von einem Verlängerungsantrag auszugehen, würde sich der BF jedoch gemäß § 24 Abs. 1 NAG bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Eine Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG wäre in einem solchen Fall gegeben.

10. Auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts teilte das Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, mit, dass der Antrag des BF vom 19.4.2011 bis dato in Bearbeitung sei. Es sei derzeit ein Verfahren beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig. In einer weiteren Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts vom 1.12.2014 an das Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, wurde am 2.12.2014 bestätigt, dass der genannte Antrag des BF nach wie vor in Bearbeitung sei.

11. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.12.2014 wurde das unter der oben genannten Aktenzahl protokollierte Beschwerdeverfahren bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag des BF vom 19.4.2011 betreffend seinen Aufenthaltstitel ausgesetzt. Am 7.11.2019 wurde vom Amt der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung MA 35, mitgeteilt, dass das Verfahren zum Antrag des BF vom 19.4.2011 zu seinem Aufenthaltstitel am 20.6.2016 gemäß § 19 Abs. 6 NAG eingestellt worden sei. Der BF befinde sich nicht mehr im österreichischen Bundesgebiet.

12. Auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts teilte die Rechtsvertretung mit schriftlicher Mitteilung vom 19.5.2020 mit, mit dem BF keinen Kontakt zu haben, jedoch das Vollmachtsverhältnis aufrecht zu erhalten. Eine aktuelle Meldeadresse könnte allenfalls dem amtlichen Melderegister entnommen werden.

13. In der Folge wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.6.2020, W173 2002652-1/21Z, das gegenständliche Verfahren fortgesetzt.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 des Bundesverfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der geltenden Fassung, geht die Zuständigkeit zur Weiterführung der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei sonstigen Behörden anhängigen Verfahren, in denen diese Behörden sachlich in Betracht kommende Oberbehörde oder im Instanzenzug übergeordnete Behörde sind, mit Ausnahme von Organen der Gemeinde, auf die Verwaltungsgerichte über. Im konkreten Fall ist somit die Zuständigkeit des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsführerin von Wien, bei welcher das gegenständliche Verfahren mit Ablauf des 31. Dezember 2013 anhängig war, mit 1. Jänner 2014 auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der geltenden Fassung, geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes – AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes-oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Die entsprechende Anordnung einer Senatszuständigkeit enthält § 56 Abs. 2 AlVG, wonach das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat entscheidet, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer.

Gemäß § 7 BVwGG bestehen die Senate aus einem Mitglied als Vorsitzendem und zwei weiteren Mitgliedern als Beisitzern. Ist in den Materiengesetzen die Mitwirkung fachkundiger Laienrichter an der Rechtsprechung vorgesehen, sind diese nach Maßgabe der Geschäftsverteilung als Beisitzer heranzuziehen.

1.Feststellungen:

1.1. Der BF ist tunesischer Staatsbürger. Am 5.4.2005 heiratete der BF die österreichische Staatsbürgerin XXXX . Am 20.4.2005 wurde dem BF erstmals eine Niederlassungsbewilligung in Österreich mit Gültigkeitsdauer bis zum 20.4.2006 erteilt. Auf Grund seines Verlängerungsantrages vom 19.4.2006 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel als Familienangehöriger für den Zeitraum vom 21.4.2006 bis 21.4.2007 gewährt. Als er am 19.4.2007 einen weiteren Verlängerungsantrag stellte, wurde ihm wiederum ein solcher Aufenthaltstitel für den Zeitraum vom 19.4.2007 bis 19.4.2009 erteilt. Am 19.4.2008 begann das Dienstverhältnis des BF beim XXXX .

1.2. Als der BF am 9.4.2009 erneut einen Verlängerungsantrag stellte, wurde ihm für den Zeitraum vom 14.4.2009 bis 14.4.2011 einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger zugesprochen. Am 19.4.2011 stellte der BF bei der zuständigen Behörde persönlich einen weiteren Antrag für einen Aufenthaltstitel. Zu diesem Antrag wurde der BF von der MA 35 am 22.4.2011 nach Ausführungen zu § 24 Abs. 1 NAG einvernommen. Er gab an, den Ablauf seines alten bis Mitte April dieses Jahres gültigen Reisepasses mit dem Ablauf seines Aufenthaltstitels gleichgesetzt zu haben und seit 5 Wochen an Schlafstörungen zu leiden. Er bezog sich auf seine Tätigkeit beim XXXX und seinen Gesundheitszustand und gab weiter an, eine ärztliche Bestätigung nachzureichen. Der BF legte mit 26.4.2011 und 30.6.2011 datierte Bestätigungen von Dr. XXXX , FÄ für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeutin, vor. In der mit 26.4.2011 datierten Bestätigung ist das ursprünglich angeführte, nunmehr nicht mehr ersichtliche Datum nachträglich auf das Datum „14.4.2011“ geändert worden. Die mittlerweile geschiedene XXXX und damalige Ehefrau des BF war nicht dauernd im österreichischen Bundesgebiet wohnhaft. Am 31.7.2011 beendete der BF sein Angestelltenverhältnis bei der XXXX . Am 28.11.2011 stellte der BF erstmals einen Antrag auf Arbeitslosengeld.

1.3. Mit Urteil vom 26.9.2012 (RK 18.7.2013) wurde der BF auf Grund seiner am 23.7.2012 begangenen Tat durch das LG für Strafsachen in Wien, Zl 042HV95/2012i, wegen § 142 Abs. 1 StGB zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Als Vollzugsdatum wurde der 24.7.2014 festgelegt.

1.4. Am 20.6.2016 wurde vom Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35, das laufende Verfahren des BF zu seinem Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs. 6 NAG eingestellt.

1.5. Seit 4.1.2017 verfügt der BF über keine Meldeadresse im österreichischen Bundesgebiet. Der Aufenthaltsort des BF ist unbekannt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Unstrittig ist, dass der BF die tunesische Staatsbürgerschaft besitzt und mit der österreichische Staatsbürgerin XXXX am 5.4.2005 eine Ehe einging. Ebenso unstrittig sind die Erteilung der erstmaligen Niederlassungsbewilligung für den BF sowie die von ihm eingereichten Verlängerungsanträge verbunden mit den Gewährungen der Aufenthaltstitel als Familienangehöriger – zuletzt für den Zeitraum 14.4.2009 bis 14.4.2011.

2.2. Aus dem Auszug der österreichischen Gesundheitskasse ergibt sich, dass der BF im Zeitraum 19.4.2008 bis 30.6.2010 beim XXXX , Landesverband Wien und im Zeitraum vom 1.7.2010 bis 31.7.2011 beim XXXX angestellt war. Unstrittig ist ebenso, dass der BF am 19.4.2011 persönlich wiederum einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellte und die Ehefrau des BF sich nicht dauernd im österreichischen Bundesgebiet aufhielt. In der Niederschrift der MA 35 vom 22.4.2011 sind die Ausführungen des BF zu seiner Antragstellung festgehalten. Die oben genannten Bestätigungen der angeführten FÄ für Psychiatrie/Neurologie sind in Kopie Aktenbestandteile. Aus der mit 26.4.2011 datierten Bestätigung der FÄ für Psychiatrie/Neurologie ist der vorgesehene Termin nachträglich in einer Form auf das Datum 14.4.2011 abgeändert worden, die es offensichtlich nicht möglich machen sollte, das ursprünglich angeführte Datum der Bestätigung zu eruieren. Dass Frau XXXX mittlerweile geschieden ist, ist dem Zentralen Melderegister zu entnehmen.

2.3. Die strafrechtliche Verurteilung des BF ist im Strafregister festgehalten. Der Landeshauptmann von Wien, Magistratsabteilung 35, bestätigte mit E-mail-Mitteilung vom 7.11.2019 die erfolgte Verfahrenseinstellung gemäß § 19 Abs. 6 NAG am 20.6.2016. Im Zentralen Melderegister schien eine Wohnsitzadresse für den BF bis zum 3.1.2017 auf. Die Rechtsvertreterin des BF bestätigte schriftlich mit Mitteilung vom 19.5.2020 das Bestehen des Vollmachtsverhältnisses, jedoch mit dem BF keinen Kontakt zu haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1.Rechtsgrundlagen:

Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG)

§ 19. (1) Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder auf Ausstellung einer Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind persönlich bei der Behörde zu stellen. Soweit der Antragsteller nicht selbst handlungsfähig ist, hat den Antrag sein gesetzlicher Vertreter persönlich einzubringen.

(2) Im Antrag ist der Grund des Aufenthalts bekannt zu geben; dieser ist genau zu bezeichnen. Nicht zulässig ist ein Antrag, aus dem sich verschiedene Aufenthaltszwecke ergeben, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge während eines anhängigen Verfahrens nach diesem Bundesgesetz einschließlich jener bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts. Die für einen bestimmten Aufenthaltszweck erforderlichen Berechtigungen sind vor der Erteilung nachzuweisen. Besteht der Aufenthaltszweck in der Ausübung eines Gewerbes, so gilt die von der Gewerbebehörde ausgestellte Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für die Gewerbeausübung mit Ausnahme des entsprechenden Aufenthaltstitels vorliegen, als Nachweis der erforderlichen Berechtigung. Der Fremde hat der Behörde die für die zweifelsfreie Feststellung seiner Identität und des Sachverhaltes erforderlichen Urkunden und Beweismittel vorzulegen.

(3) Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche Urkunden und Nachweise für den jeweiligen Aufenthaltszweck (Abs. 2) dem Antrag jedenfalls anzuschließen sind. Diese Verordnung kann auch Form und Art einer Antragstellung, einschließlich bestimmter, ausschließlich zu verwendender Antragsformulare, enthalten.

(4) Bei der Antragstellung hat der Fremde die erforderlichen erkennungsdienstlichen Daten zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls an der Ermittlung und Überprüfung dieser nach Maßgabe des § 35 Abs. 3 mitzuwirken; andernfalls ist sein Antrag zurückzuweisen. Bei Verlängerungsanträgen sind erkennungsdienstliche Daten nur mehr insoweit zu ermitteln, als diese bei der Behörde nicht vorliegen oder zur Feststellung der Identität des Betroffenen erforderlich sind.

(5) Sofern bei der Erstantragsstellung die Ermittlung der erforderlichen erkennungsdienstlichen Daten auf Grund fehlender technischer Voraussetzungen nicht bereits bei Antragstellung bei der Berufsvertretungsbehörde erfolgte, hat dies durch die zuständige Inlandsbehörde zu erfolgen. Bei Verlängerungsanträgen erfolgt die Abnahme der erforderlichen erkennungsdienstlichen Daten bei jeder Antragstellung jedenfalls durch die zuständige Inlandsbehörde. Wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit gelegen ist, kann der Landeshauptmann mit Verordnung einzelne oder mehrere Bezirksverwaltungsbehörden in seinem Wirkungsbereich beauftragen, die Erfassung dieser Daten auch von örtlich nicht zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden vornehmen zu lassen; deren Handlungen sind der sachlich und örtlich zuständigen Behörde zuzurechnen.

(6) Der Fremde hat der Behörde eine Zustelladresse und im Fall ihrer Änderung während des Verfahrens die neue Zustelladresse unverzüglich bekannt zu geben. Bei Erstanträgen, die im Ausland gestellt wurden, ist die Zustelladresse auch der Berufsvertretungsbehörde bekannt zu geben. Ist die persönliche Zustellung einer Ladung oder einer Verfahrensanordnung zum wiederholten Mal nicht möglich, kann das Verfahren eingestellt werden, wenn der Fremde bei Antragstellung über diesen Umstand belehrt wurde.

Verfahren bei Erstanträgen

§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2) Abweichend von Abs.1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr gemeinschaftliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monate in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

2………………

Verlängerungsverfahren

§ 24. (1) Verlängerungsanträge (§ 2 Abs. 1 Z 11) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels, frühestens jedoch drei Monate vor diesem Zeitpunkt, bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.

(2) Anträge, die nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn
1. der Antragsteller gleichzeitig mit dem Antrag glaubhaft macht, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, und
2. der Antrag binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt wird; § 71 Abs. 5 AVG gilt.

Der Zeitraum zwischen Ablauf der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels und der Stellung des Antrages, der die Voraussetzungen der Z 1 und 2 erfüllt, gilt nach Maßgabe des bisher innegehabten Aufenthaltstitels als rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt.
(…)

Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG)

Allgemeine Bestimmungen

Geltungsbereich

§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§ 2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf
a)         …………….
m)         Ehegatten und minderjährige ledige Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) österreichischer Staatsbürger, die zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, berechtigt sind.
n)…………..

(3) ………….

Beschäftigungsbewilligung

Voraussetzungen

§ 4. (1) Einem Arbeitgeber ist auf Antrag eine Beschäftigungsbewilligung für den im Antrag angegebenen Ausländer zu erteilen, wenn die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zulässt (Arbeitsmarktprüfung), wichtige öffentliche und gesamtwirtschaftliche Interessen nicht entgegenstehen und
1.         der Ausländer über ein Aufenthaltsrecht nach dem NAG oder dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100, verfügt, das die Ausübung einer Beschäftigung nicht ausschließt, oder seit drei Monaten zum Asylverfahren zugelassen ist und über einen faktischen Abschiebeschutz oder ein Aufenthaltsrecht gemäß den §§ 12 oder 13 AsylG 2005 verfügt oder gemäß § 46a FPG geduldet ist und zuletzt gemäß § 1 Abs. 2 lit. a vom Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen war,
2.         die Gewähr gegeben erscheint, dass der Arbeitgeber die Lohn- und Arbeitsbedingungen einschließlich der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften einhält,

…………….

Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG)

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer (unter anderem) der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.

Gemäß § 7 Abs. 2 AlVG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer (unter anderem) eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs 3).

Gemäß § 7 Abs.3 Z 2 AlVG kann und darf eine Person eine Beschäftigung aufnehmen, die sich berechtigt im Bundesgebiet aufhält, um eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben.

Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)

§ 24

§ 24. (1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

(2) Die Verhandlung kann entfallen, wenn
1.         der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder
2.         die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist;
3.         wenn die Rechtssache durch einen Rechtspfleger erledigt wird.
(3)…………………………….

3.2. Verfügbarkeit des BF zur Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt

Voraussetzung für die Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG ist das Vorliegen der aufenthaltsrechtlichen Berechtigung, eine unselbständige Beschäftigung im Bundesgebiet aufnehmen zu dürfen. Es kommt dabei nicht auf die subjektive Absicht des Betroffenen an, im Inland eine Beschäftigung aufnehmen zu wollen, sondern darauf, dass seine Berechtigung zum Aufenthalt die Möglichkeit einer Beschäftigungsaufnahme in rechtlicher Hinsicht abdeckt (vgl VwGH 15.10.2014, 2013/08/0285; 22.7.2013, 2012/08/0140; 7.9.2011, 2008/08/0211).

Auch der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG für Ehegatten von Österreichern ist erst bei Vorliegen eines Aufenthaltstitels gegeben. Ebenso ist für die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 leg.cit. ein Aufenthaltstitel nach dem NAG bzw. dem Fremdenpolizeigesetz erforderlich.

Das Vorliegen einer aufenthaltsrechtlichen Berechtigung des BF ist in der gegenständlichen Fallkonstellation zu klären. Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22.7.2013, 2012/08/0140, ausgeführt hat, kommt nur einer rechtskräftigen Entscheidung über den Aufenthaltstitel des BF Bindungswirkung zu. An einer solchen fehlt es in der gegenständlichen Fallkonstellation, da die zuständige Behörde (Landeshauptmann von Wien, MA 35) das Verfahren zum Antrag des BF vom 19.4.2011 und seiner Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 Abs. 6 NAG eingestellt hat.

Zur Klärung der Frage, ob es sich beim Antrag des BF vom 19.4.2011 um einen Erst- oder Verlängerungsantrag handelte, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zur persönlichen Befragung des BF vor dem entscheidenden Senat erforderlich. In der vom BF vorgelegten, mit 26.4.2011 datierten Bestätigung von Dr. XXXX wurde offensichtlich nachträglich eine Korrektur des Datums des vorgesehenen Termins auf den „14.04.2011“ vorgenommen. Dies geschah in einer Form, die es verhindert, das ursprünglich angeführte Datum der Bestätigung erkennen zu können. In Zusammenhang damit sind auch die mit dem Krankheitsvorbringen des BF verbundenen Umstände bei der fordernden Berufstätigkeit des BF bei der XXXX zu klären. Der BF ist zudem zu seinem Vorbringen bei der MA 35 zu seinem alten Reisepass und zu den Berufungsausführungen zur Verlängerung seines Aufenthaltstitels bis zum 14.4.2011 sowie zu den näheren Umständen zum Aufenthalt seiner damaligen Ehefrau zu befragen. Auf das in der gegenständlichen Fallkonstellation erforderliche Ermittlungsgebot im Fall der eigenständigen Beurteilung der Aufenthaltsberechtigung im Verfahren zum Antrag auf Zuspruch von Arbeitslosengeld wurde auch ausführlich im oben angeführten Beschwerdevorbringen an den Verwaltungsgerichtshof zur Bekämpfung des Bescheides des Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, vom 23.3.2012 eingegangen.

Wie sich aus der Bestimmung des § 24 Abs. 2 Z 1 NAG ergibt, ist vom BF glaubhaft zu machen, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert war, rechtzeitig den Verlängerungsantrag zu stellen, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Der erkennende Senat hat sich auch durch eine unmittelbare Beweisaufnahme in Form einer Befragung des BF in der gegebenen Sachverhaltskonstellation im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des BF zu verschaffen und darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl VwGH 17.10.2019, 2016/08/0010; 24.7.2018, Ra 2015/08/0144; 20.6.2018, Ra 2015/08/0149).

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung in Verbindung mit einer persönlichen Befragung des BF ist jedoch in der gegenständlichen Fallkonstellation nicht möglich, zumal selbst seiner Rechtsvertretung der Aufenthaltsort des BF unbekannt ist. Eine Meldeadresse des BF schien im Zentralen Melderegister zuletzt im Jänner 2017 auf. Der BF hat sich damit seiner ihm zukommenden Mitwirkungspflicht im anhängigen Beschwerdeverfahren entzogen. Von einer erhöhten Mitwirkungspflicht ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Bereichen, die auf Umstände aus der persönlichen Sphäre des BF zurückzuführen sind, auszugehen (VwGH 7.8.2002, 2002/08/0010; 17.10.2002, 2001/20/0601). Der BF entzieht sich einer Befragung durch den erkennenden Senat, um im Hinblick auf seinen persönlich bei der Behörde eingebrachten Antrag vom 19.4.2011 die Frage des Vorliegens eines Erstantrages bzw. Verlängerungsantrages bzw. die Umstände zum Aufenthalt seiner damaligen Ehefrau außerhalb des österreichischen Bundesgebietes zu klären.

Auch im anhängigen Verfahren vor dem Landeshauptmann von Wien zum genannten Antrag vom 19.4.2011 scheiterte eine abschließende Entscheidung infolge einer fehlenden gesetzeskonformen Mitwirkung des BF. Vor dem Hintergrund dieser Umstände und dem vorliegenden Akteninhalt ist es dem BF daher nicht hinreichend gelungen, iSd § 24 Abs. 2 NAG glaubhaft zu machen, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis gehindert gewesen zu sein, rechtzeitig den Verlängerungsantrag gestellt zu haben, und dass ihn kein Verschulen oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. In Zusammenhang damit konnten auch die Umstände zum Aufenthalt seiner damaligen Ehefrau nicht abschließend geklärt werden. Der BF hat sich nicht bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag im Bundesgebiet rechtmäßig aufgehalten. Es fehlte ihm daher an einer Verfügbarkeit iSd § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG. Der BF erfüllt damit nicht die Voraussetzung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 leg.cit. für den Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Der Argumentation des BF zur behaupteten Diskriminierung und Unionsrechtswidrigkeit der Bestimmung des § 7 Abs. 3 Z 2 AlVG im Hinblick auf das Abkommen Europa-Mittelmeer-Abkommen/Tunesien in der Berufung vom 12.1.2012 kann nicht gefolgt werden. Ziel dieses Abkommens ist eine verbesserte Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Dialog zwischen den Staaten. Eine Verwirklichung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer ist nicht umfasst. Es wurde auch keine Bestimmung, die etwa mit Art. 6 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG/Türkei Nr. 1/1980 (ARB 1/80) vergleichbar wäre, erlassen. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat die behauptete Diskriminierung und Unionswidrigkeit trotz diesbezüglicher Ausführungen in der Beschwerde im Erkenntnis vom 22.7.2012, 2012/08/0140, nicht aufgegriffen.

3. Zu Spruchpunkt B):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 24.04.2014, Zl. Ra 2014/01/0010; VwGH vom 24.03.2014, Zl. Ro 2014/01/0011). Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. 

Schlagworte

Arbeitslosengeld Aufenthaltstitel Mitwirkungspflicht Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt Verlängerungsantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W173.2002652.1.01

Im RIS seit

05.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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