TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/9 W261 2215655-2

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Veröffentlicht am 09.07.2020
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Entscheidungsdatum

09.07.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §10
VOG §16
VOG §6a

Spruch

W261 2215655-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX , vertreten durch Mag. Franz GALLA, Rechtsanwalt in 1040 Wien, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 06.03.2020, betreffend die Abweisung des Antrages vom 24.8.2017 auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld für die Schädigungen am 25.11.2008 und am 06.10.2009 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin wurde am 25.11.2008 und am 06.10.2009 als Mitarbeiterin in einer Postfiliale Opfer von Raubüberfällen. Beim ersten Überfall seien sie und ihre Kollegen von drei Tätern mit einer Schusswaffe bedroht worden, wobei einer der Täter Schüsse in die Decke bzw. in ein Holzpult abgegeben habe. Im Zuge des zweiten Überfalles sei die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihren Kollegen in ein WC eingesperrt und mit einem Klebeband gefesselt worden.

Die Beschwerdeführerin stelle am 25.03.2013 einen Antrag auf Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung nach dem VOG, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.07.2013 bewilligt wurde.

Mit 30.04.2013 sei das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin zu ihrem Arbeitgeber unter Verweis auf einen gültigen Sozialplan betreffend Maßnahmen zur Milderung der Konsequenzen von Restrukturierungsmaßnahmen mit Ablauf des 30.04.2013 einvernehmlich beendet worden.

Die Beschwerdeführerin stellte am 28.01.2014 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien (im Folgenden auch als belangte Behörde bezeichnet), einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG).

Die belangte Behörde wies diesen Antrag der Beschwerdeführerin in weiterer Folge nach Durchführung eines umfangreichen Ermittlungsverfahrens und nach Einholung von Sachverständigengutachten mit Bescheid vom 21.01.2016 mit der Begründung ab, dass die Anspruchsvoraussetzungen, wonach wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit Hilfe nur zu leisten sei, wenn dieser Zustand voraussichtlich sechs Monate dauern werde, oder durch eine Handlung nach § 1 Abs. 1 VOG eine schwere Körperverletzung bewirkt werde, nicht erfüllt worden sei (§ 1 Abs. 3 VOG), ab. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Die Beschwerdeführerin stellte am 18.08.2017 (eingelangt am 24.08.2017) einen neuerlichen Antrag auf Gewährung von Hilfeleistungen für Opfer, genauer auf Ersatz des Verdienstentganges, Pauschalentschädigung für Schmerzengeld, Heilfürsorge und Psychotherapeutische Krankenbehandlung, dies mit der Begründung, dass der Täter des zweiten Überfalles aus dem Jahr 2009 erst jetzt gefasst worden sei.

Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Geschworenengericht verurteilte zwei Täter wegen des Überfalles auf eine Postfiliale aus dem Jahr 2009 mit Urteil vom 21.12.2017 wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 2 StGB zu langjährigen Freiheitsstrafen. Das Landesgericht für Strafsachen Wien als Geschworenengericht stellte in diesem Urteil im Spruch unter anderem fest, dass die Gewaltanwendung bei der Beschwerdeführerin eine Köperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StBG), nämlich eine für immer oder für lange Zeit andauernde Berufsunfähigkeit, zur Folge gehabt habe.

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 17.07.2018 wurde der Berufung eines der beiden Täter stattgegeben und dessen Strafe reduziert, sowie auch der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, und die verhängte Zusatzstrafe für einen der Angeklagten erhöht.

Die Beschwerdeführerin stellte am 28.09.2018 durch ihren anwaltlichen Vertreter unter Hinweis auf einen Beschluss des Obersten Gerichtshofes (kurz OGH) vom 22.05.2018, wonach die gegen das oben genannte Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Zweitangeklagten, welche darauf gerichtet gewesen sei, die Qualifikation der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen der Beschwerdeführerin in Zweifel zu ziehen, zurückgewiesen worden sei, einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens GZ: 114-614236-008 (rechtskräftige Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 auf Verdienstentgang mit Bescheid der belangten Behörde vom 21.01.2016).

Mit Bescheid vom 11.01.2019 wies die belangte Behörde im Spruchpunkt 1 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges zurück. Im Spruchpunkt 2. wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z 3 AVG über den Antrag vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges ab.

Hinsichtlich des noch offenen Antrages vom 24.08.2017 merkte die belangte Behörde ergänzend an, dass das Ergebnis des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht abgewartet werde. Sollte sich eine Änderung der Sachlage ergeben (in der Hinsicht, dass mittlerweile eine Arbeitsunfähigkeit bestehe), so werde über diesen Antrag vom 24.08.2017 neu entschieden werden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin durch ihren anwaltlichen Vertreter mit Eingabe vom 26.02.2019 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des genannten Bescheides an das Bundesveraltungsgericht.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.04.2020, Zl. W261 XXXX wurde der Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben. Die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Antrag der Beschwerdeführerin vom 28.01.2014 auf Ersatz des Verdienstentganges werde gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG bewilligt, und die belangte Behörde habe dieses Verfahren als Behörde I. Instanz neu zu führen.

Die belangte Behörde führte in weiterer Folge ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch und sprach der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 05.12.2019 Verdienstentgang für den Zeitraum von Februar 2014 bis November 2019 zu, wobei eine allenfalls gewährte Unfallrente von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt auf die Ersatzleistung infolge Verdientsentganges anzurechnen sei. Es bestehe kein Anspruch auf Gewährung einer einkommensabhängigen Zusatzleistung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 06.03.2020 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.08.2017 auf Gewährung von Pauschalentschädigung für Schmerzengeld für die Schädigungen am 25.11.2008 und am 06.10.2009 gemäß § 1 Abs. 1 und § 6a (in der bis 31.03.2013 geltenden Fassung), § 10 Abs.1 (in der bis 31.12.2019 geltenden Fassung) und § 16 Abs. 10 des Verbrechensopfergesetzes (VOG) ab.

In der Begründung dieser Entscheidung führte die belangte Behörde aus, dass sich die Verbrechen am 25.11.2008 und 06.10.2009 vor Inkrafttreten des § 6a VOG zugetragen hätten, bzw. der Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Ablauf der zwei Jahresfrist des § 10 Abs. 1 VOG gestellt worden sei, weswegen dieser Antrag abzuweisen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin, anwaltlich vertreten durch Mag. Franz GALLA, Rechtsanwalt in Wien, mit Eingabe vom 24.04.2020 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Darin führte die Beschwerdeführerin aus, dass die belangte Behörde eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgenommen habe. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, dass die Beschwerdeführerin bei der Gewaltanwendung am 06.10.2009 eine schwere Körperverletzung mit Dauerfolgen erlitten habe. Da diese Tat nach dem 31.05.2009 begangen worden sei, sei § 6a VOG in der Fassung BGBl. I Nr. 40/2009 anwendbar. Durch die unmissverständliche Formulierung des § 10 Abs. 1 VOG idF BGBl I. Nr. 58/2013 habe der Gesetzgeber ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, dass alle Leistungen außer Kostenersatz für Psychotherapie binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1 Abs. 1 VOG zu beantragen sind. Nach dem Wortlaut und Verwendung des Wortes „nach“ stelle der Gesetzgeber auf die Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung und nicht auf den Tatzeitpunkt ab. Im Sinne der Formulierung des Gesetzes könne der Fristlauf erst dann beginnen, wenn weitgehend eine Heilung eingetreten sei, weil erst dann das Ausmaß der Verletzung feststehe. Dies sei insbesondere dann zwingend anzunehmen, wenn die Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung in einer Traumafolgestörung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bestehe, weil diese regelmäßig erst längere Zeit nach dem traumatischen Erlebnis auftreten könne. Personen, welche als Folge von Verbrechen schwere psychische Folgen erleiden würden, seien auch besonders schutzüwürdig, was als weiterer Grund dafür anzusehen sei, dass die Frist des § 10 Abs. 1 VOG nicht vor dem Ende der Beeinträchtigung zu laufen beginne. Im gegenständlichen Fall liege die Besonderheit vor, dass die Beschwerdeführerin nach der Tat noch einige Jahre weiter im Berufsleben tätig gewesen sei, also die Traumafolgestörung erst viel später erkennbar gewesen sei. Bei Antragstellung im Jahr 2017 sei die posttraumatische Belastungsstörung jedoch noch vorgelegen, was jedenfalls daraus hervorgehen, dass der Beschwerdeführerin mit Bescheid der belangten Behörde vom 05.12.2019 für den Zeitraum vom Februar 2014 bis November 2019 Verdientsentgang zugesprochen worden sei. Daher sei die Frist zur Antragstellung gemäß § 10 Abs. 1 VOG noch nicht angelaufen gewesen.

Die Beschwerdeführerin beantragte der Beschwerde stattzugeben und den bekämpften Bescheid der belangten Behörde abzuändern und dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung einer Pauschalentschädigung von € 5.000,- für Schmerzengeld aufgrund des Vorliegens schwerer Dauerfolgen (§ 85 StGB) stattzugeben, in eventu der Beschwerde stattzugeben, den Bescheid der belangten Behörde aufzugeben und zur neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückzuverweisen.

Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 05.05.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 12.05.2020 einlangte.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist österreichische Staatsbürgerin.

Die Beschwerdeführerin wurde am 25.11.2008 und am 06.10.2009 als Mitarbeiterin in einer Postfiliale Opfer von Raubüberfällen. Die Beschwerdeführerin erlitt durch den Überfall vom 06.10.2009 eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 Abs. 1 StGB).

Die Beschwerdeführerin stellte am 25.03.2013 einen Antrag auf Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung nach dem VOG, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 19.07.2013 bewilligt wurde.

Die Beschwerdeführerin stellte am 28.01.2014 einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges nach dem VOG, welcher mit Bescheid der belangten Behörde vom 05.12.2019 für den Zeitraum vom Februar 2014 bis November 2019 bewilligt wurde.

Sie beantragte wegen der beim Überfall am 06.10.2009 erlittenen Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen am 24.08.2017 (einlangend) erstmals beim Sozialministeriumservice eine Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem VOG.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen basieren auf dem unbestrittenen Akteninhalt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

1.       Zur Entscheidung in der Sache:

Beschwerdegegenstand ist die Beurteilung der rechtlichen Frage, ob der Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.08.2017 (einlangend) auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld aufgrund der beim Raubüberfall am 06.10.2009 erlittenen schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen fristgerecht erfolgte, oder nicht.

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes (VOG) lauten auszugsweise:

Kreis der Anspruchsberechtigten (in der aktuell geltenden Fassung)

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

Hilfeleistungen (in der aktuell geltenden Fassung)

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld (in der bis 31.03.2013 geltenden Fassung)

§ 6a Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 1 000 € zu leisten. Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt ein einmaliger Betrag von 5 000 €.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld (in der aktuell geltenden Fassung)

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.

Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen (in der Fassung bis 31.12.2019)

§ 10 (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen zwei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen (in der Fassung seit 01.01.2020)

§ 10 (1) Leistungen nach § 2 dürfen nur von dem Monat an erbracht werden, in dem die Voraussetzungen hiefür erfüllt sind, sofern der Antrag binnen drei Jahren nach der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 1) bzw. nach dem Tod des Opfers (§ 1 Abs. 4) gestellt wird. Wird ein Antrag erst nach Ablauf dieser Frist gestellt, so sind die Leistungen nach § 2 Z 1, 2, 3 bis 7 und 9 mit Beginn des auf den Antrag folgenden Monates zu erbringen. Bei erstmaliger Zuerkennung von Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges ist von Amts wegen auch darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe eine einkommensabhängige Zusatzleistung zu gewähren ist. Anträge auf Leistungen gemäß § 4 Abs. 5 unterliegen keiner Frist.

Inkrafttreten (in der aktuell geltenden Fassung)

§ 16

(2) Dieses Bundesgesetz ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die nach dem 25. Oktober 1955 gesetzt wurden.

(10) Die §§ 2 Z 9 und 10, 6a samt Überschrift und 10 Abs. 1 letzter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 40/2009 treten mit 1. Juni 2009 in Kraft. § 6a ist auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die nach dem 31. Mai 2009 begangen wurden.

(13) Die §§ 1 Abs. 1 Z 1 bis 3 und Abs. 7, 2 Z 2a, 3 Abs. 1 erster Satz, 3a zweiter Satz, 4 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 2 Z 1, Abs. 2a, Abs. 4 und Abs. 5 erster Satz, 4a samt Überschrift, 5 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 3 und Abs. 4, 5a Abs. 1, 6 erster und zweiter Satz, 6a, 7 erster und zweiter Satz, 7a Abs. 1 zweiter Satz, 8 Abs. 1, Abs. 2 Z 1 und 2 und Abs. 5, 9 Abs. 4 zweiter Satz, 10 Abs. 1, 13 Abs. 1 und § 14b samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 treten mit 1. April 2013 in Kraft. Die §§ 4a, 6a und 7 erster und zweiter Satz in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 sind auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden. § 10 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 ist hinsichtlich § 2 Z 1, 7 und 9 auf Handlungen im Sinne des § 1 Abs. 1 anzuwenden, die ab dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes begangen wurden, und hinsichtlich § 2 Z 10 mit der Maßgabe anzuwenden, dass für Anträge auf Grund der Rechtslage vor diesem Zeitpunkt der Fristenlauf mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes beginnt.

Im gegenständlichen Beschwerdefall bedeutet dies Folgendes:

Der Raubüberfall, welcher ausschlaggebend für die bei der Beschwerdeführerin unbestritten vorliegenden schweren Körperverletzung gewesen ist, fand am 06.10.2009 stat. Damit ist nach § 16 Abs. 10 VOG die Bestimmung des §6a VOG, welcher die Rechtsgrundlage für die Bemessung der Höhe der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld regelt, im gegenständlichen Beschwerdefall grundsätzlich anzuwenden.

In einem nächsten Schritt war zu prüfen, ob der von der Beschwerdeführerin am 24.08.2017 (einlangend) eingebrachte Antrag auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld zeitgerecht erfolgte, oder nicht.

Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin regelt der Gesetzgeber klar und eindeutig im § 16 Abs. 13 letzter Satz VOG, dass § 2 Z 10 VOG mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass der Fristlauf für Anträge auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld auf Grund der Rechtslage vor diesem Zeitpunkt mit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013 beginnt.

Damit ist klargestellt, dass im gegenständlichen Beschwerdeverfahren der Fristenlauf zur Einbringung eines Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld für die beim Raubüberfall am 06.10.2009 erlittenen schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen mit 01.04.2013, das ist das Datum des Inkraftretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 58/2013, begann, und der Antrag der Beschwerdeführerin vom 24.08.2017 (einlangend), das ist mehr als vier Jahre nach Beginn des Fristenlaufes, jedenfalls zu spät erfolgte.

Aus der Argumentation der Beschwerdeführerin in deren Beschwerde, wonach bei dieser der besondere Fall vorliege, dass sie einige Jahre nach der Tat noch berufstätig geblieben sei, und die Traumfolgestörung erst viel später erkennbar gewesen sei, ist im gegenständlichen Beschwerdefall nichts zu gewinnen, zumal die Beschwerdeführerin bereits am 25.03.2013 einen Antrag auf Kostenübernahme einer psychotherapeutischen Krankenbehandlung und am 28.01.2014 einen Antrag auf Ersatz des Verdienstentganges jeweils nach dem VOG stellte, welche beide von der belangten Behörde bewilligt wurden. Es wäre der Beschwerdeführerin bereits in den Jahren 2013 und 2014 freigestanden, auch einen dieser beiden Anträge mit einem Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld zu verbinden, welcher sowohl in den Jahren 2013 als auch 2104 noch rechtzeitig im Sinne der zitierten rechtlichen Bestimmungen gewesen wäre, was diese jedoch nicht tat.

Demgemäß war spruchgemäß zu entscheiden.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall war die Rechtsfrage zu klären, ob der Antrag auf Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld fristgerecht erfolgte, oder nicht. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest, weitere Ermittlungen sind im Lichte dessen nicht erforderlich, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180 mit weiterem Verweis auf die Entscheidung des EGMR vom 21.03.2002, Nr. 32.636/96). All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des VwGH dazu fehlt, ob die Beurteilung des Ausmaßes und der Schwere der Körperverletzung bzw. Gesundheitsschädigung eines Verbrechensopfers durch ein Strafgericht präjudiziell und damit bindend für die Verwaltungsbehörde im Rahmen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 3 VOG ist, oder nicht.

Schlagworte

Antragstellung Fristablauf Fristenlauf Rechtslage Revision zulässig Schmerzengeld

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2215655.2.00

Im RIS seit

29.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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