TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/26 B2722/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.1996
beobachten
merken

Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
DSt 1990 §2 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen standeswidrigen Verhaltens aufgrund Ausübung ungebührlichen Drucks auf die Anzeigerin zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs hinsichtlich eines gemeinsamen Kindes; kein Eintritt der Verjährung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 23. September 1992 wurde er für schuldig erkannt, auf R M ungebührlichen Druck ausgeübt zu haben, indem er sie im September 1985 zum Schwangerschaftsabbruch drängte, wobei er drohte, andernfalls Aktfotos von ihr dem Bürgermeister ihrer Heimatgemeinde zu übermitteln. Der Beschwerdeführer wurde hiefür wegen Verwirklichung des Disziplinarvergehens der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes unter Bedachtnahme auf die in den Erkenntnissen der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. Februar 1987, Z D 139/85, und 13. November 1987, Z D 136/87, sowie dem Erkenntnis der Rechtsanwaltskammer Wien vom 16. März 1989, Z D 249/87, ausgesprochenen Verurteilungen in sinngemäßer Anwendung der §§31, 40 StGB zur Disziplinarstrafe einer Zusatzgeldbuße in Höhe von S 20.000,-- sowie zur anteiligen Tragung der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

1.2.1. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer sowie vom Kammeranwalt Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) erhoben. Mit Bescheid der OBDK vom 6. Februar 1995 wurde der Berufung des Disziplinarbeschuldigten nicht Folge gegeben. Hingegen wurde der Berufung des Kammeranwaltes Folge gegeben und die über den Beschwerdeführer als Zusatzstrafe verhängte Geldbuße auf S 45.000,-- erhöht und der Disziplinarbeschuldigte auch zur Tragung der Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt.

1.2.2. Die OBDK begründete ihre Entscheidung auszugsweise wie folgt:

"Es liegt aber auch die unter dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung eingewendete Verjährung nicht vor. Im ausgeschiedenen Verfahren D 249/87 kam die Disziplinaranzeige am 10. Dezember 1987 dem Disziplinarrat - durch den Antrag des Kammeranwaltes auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs (ON 1) - zur Kenntnis, worauf bereits am 18. Dezember 1987 die Bestellung des Untersuchungskommissärs durch den Präsidenten des Disziplinarrates erfolgte (ON 2). In der Disziplinaranzeige wurde namens der Zeugin R M um disziplinäre Beurteilung nicht nur der Klagsführung zum AZ 14 Cg 107/87 des Landesgerichtes für ZRS Wien, sondern unter anderem auch des dieser Klagsführung zugrunde liegenden Sachverhalts ersucht (ON 1 des im zuletzt bezeichneten Disziplinarakt erliegenden Aktes 2137/87 des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien). Zu diesem Sachverhalt gehörte - laut der der Disziplinaranzeige angeschlossenen Durchschrift der Klagebeantwortung der R M - auch, daß der Disziplinarbeschuldigte sie 'massiv' bedrängte, das gemeinsame Kind abtreiben zu lassen. Daß auch dieser Vorwurf zu dem vom Untersuchungskommissär zu erhebenden Sachverhalt gehörte (obgleich er erst später konkretisiert wurde), ergibt sich nicht nur aus dem mit R M aufgenommenen Protokoll (ON 12 in D 249/87) - worin sie unter anderem auch auf ihre Aussage im erwähnten Zivilprozeß verwies, in welchem sie in der mündlichen Streitverhandlung vom 30. Mai 1988 den Vorwurf konkretisierte (vgl. S 1 der Ablichtung des Verhandlungsprotokolls in der Beilagenmappe Nr. 3) - und aus dem Aktenvermerk vom 1. Februar 1989, ON 21 in D 249/87 betreffend die von R M bei einem Anruf des Untersuchungskommissärs angekündigte bessere Präzisierung ihrer Vorwürfe, sondern auch aus dem Bericht des Untersuchungskommissärs (ON 33 S 7 f, 12), vor allem aber aus dem Einleitungsbeschluß vom 24. Jänner 1990, D 249/87-36, welcher das gegenständliche (später Gegenstand eines Ausscheidungsbeschlusses gewordene) Faktum enthält.

Insoweit ist daher davon auszugehen, daß vom Einleitungsbeschluß, und umsoweniger von der Bestellung des Untersuchungskommissärs (als einer der Sachverhaltserhebung vorausgehenden Verfügung) eine bereits ähnlich präzise Bezeichnung des zu ahndenden Verhaltens in tatsachenmäßiger und rechtlicher Hinsicht zu verlangen ist wie von einem den Sachverhalt abschließend beurteilenden Disziplinarerkenntnis. Nach Lage des Falles trat daher Verjährung des gegenständlichen - jedenfalls zum zu untersuchenden Sachverhaltskomplex gehörenden - Disziplinarvergehens weder nach §2 a Abs1 des DSt 1872 (in Geltung bis Ende 1989) ein (weil die Bestellung des Untersuchungskommissärs binnen sechs Monaten ab Kenntnis des Disziplinarrates von dem der Anschuldigung zugrunde liegenden Sachverhalt und der Einleitungsbeschluß binnen fünf Jahren nach Beendigung des disziplinären Verhaltens erfolgte) noch nach §3 Abs1 DSt 1990, weil auch die dort enthaltenen Fristen - von einem Jahr ab Kenntnis des Kammeranwaltes für die Bestellung des Untersuchungskommissärs bzw. fünf Jahren nach Beendigung der Tat für den Einleitungsbeschluß - gewahrt worden sind."

1.3.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

1.3.2. Der Beschwerdeführer bringt im wesentlichen vor, daß die erste Bestellung des Kammeranwaltes am 18. Dezember 1987 wegen eines anderen Faktums erfolgt sei. Aus der zur Bestellung des Untersuchungskommissärs führenden Anzeige des Kammeranwaltes vom 10. Dezember 1987 ergäbe sich kein Sachverhalt, der geeignet gewesen wäre, den Lauf der Frist zur Verfolgungsverjährung für das nunmehr disziplinär geahndete Faktum zu unterbrechen. Der Beschwerdeführer führt weiters aus:

"Um den Lauf der Frist zur Verfolgungsverjährung zu unterbrechen, hat sich eine disziplinäre Verfolgungshandlung auf alle das Disziplinarverfahren maßgebenden Sachverhaltselemente derart zu beziehen, daß alle Tatbestandselemente des einem Beschuldigten zur Last gelegten Disziplinarvergehens erfaßt sind.

Außerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist dürfen Tatbestandselemente nicht hinzugefügt oder ausgetauscht werden.

Der Disziplinarrat muß somit innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist klargestellt haben, welche bestimmten Vorwürfe gegen den Beschuldigten erhoben werden.

Dieser muß in die Lage versetzt sein, die von ihm für ungerechtfertigt gehaltenen Vorwürfe zu bekämpfen und zu den Sachverhaltselementen, die maßgebend für den Ausgang des Disziplinarverfahrens sind, Beweisanträge zu stellen. §2a des Disziplinarstatutes der Rechtsanwälte in der Fassung 1872 normiert ausdrücklich, daß innerhalb von 6 Monaten ab Kenntnis des Disziplinarrates ein Untersuchungskommissär bestellt werden muß.

Der Disziplinarrat hätte somit unmittelbar ab Kenntnis der behaupteten Verfehlungen, nämlich ab 17.11.1988, innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist von 6 Monaten für dieses Faktum einen Untersuchungskommissär bestellen oder den bereits bestellten Untersuchungskommissär aufrecht erhalten müssen, unter genauer Bezeichnung neu hinzugekommener zu verfolgender Sachverhalte.

Weil der Disziplinarrat vom genauen Sachverhalt seit 17.11.1988 Kenntnis hatte und keinen Untersuchungskommissär binnen 6 Monaten ab Kenntnis dieses Sachverhaltes bestellte, ist die Verfolgung wegen des gegenständlichen Faktums ausgeschlossen!"

1.3.3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diese Vorgangsweise der belangten Behörde in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Erwerbsausübungsfreiheit sowie auf ein faires Verfahren nach Art6 EMRK verletzt.

1.4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken ob ihrer Verfassungsmäßigkeit vor. Auch im Verfassungsgerichtshof sind solche aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Es ist daher ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

2.2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.2.1. Das Vorbringen des Beschwerdeführers läuft - auf das Wesentlichste zusammengefaßt - darauf hinaus, daß hinsichtlich des seiner disziplinären Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhaltes Verjährung eingetreten sei und eine disziplinäre Verurteilung daher hätte nicht erfolgen dürfen.

2.2.2. Die Beschwerdebehauptungen treffen offenkundig nicht zu. Die belangte Behörde hat sich mit der Verjährung eingehend auseinandergesetzt und begründet, warum sie nicht eingetreten ist. Der Verfassungsgerichtshof ist mit der belangten Behörde der Ansicht, daß der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte disziplinäre Sachverhalt bereits Gegenstand des Antrages des Kammeranwaltes auf Bestellung eines Untersuchungskommissärs und der Bestellungsverfügung des Präsidenten des Disziplinarrates vom 18. Dezember 1987 war, auch wenn die Vorwürfe gegen den Disziplinarbeschuldigten von der Anzeigerin erst nachfolgend näher konkretisiert wurden. Der Auffassung des Beschwerdeführers, daß aufgrund der vom Untersuchungskommissär ermittelten Fakten eine neuerliche Betrauung oder Bestellung eines Untersuchungskommissärs erforderlich gewesen wäre, um die sechs Monats(ein Jahres)frist zu wahren, vermag sich der Gerichtshof nicht anzuschließen. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers sind die Feststellungen der belangten Behörde keineswegs aktenwidrig. Der Verfassungsgerichtshof verweist auch auf seine Rechtsprechung, wonach eine konkrete Umschreibung der Tat erst im Einleitungsbeschluß erforderlich ist (vgl. hiezu VfGH 14.6.1994 B1919/93 mit weiteren Judikaturnachweisen), wie dies auch im Einleitungsbeschluß des vorliegenden Verfahrens geschah.

Da die belangte Behörde innerhalb von fünf Jahren ab Erhalt der Disziplinaranzeige einen Einleitungsbeschluß gefällt hat, trifft der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, die belangte Behörde habe sich über die inzwischen eingetretene Verjährung hinweggesetzt, offenkundig nicht zu. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt somit nicht vor.

2.2.3. Bei dieser Sach- und Rechtslage liegt aber auch eine Verletzung des Beschwerdeführers in den sonst geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Unversehrtheit des Eigentums, Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Erwerbsausübungsfreiheit, fair trial) offenkundig nicht vor. Der Beschwerdeführer begründet diese selbst lediglich mit der eingetretenen Verjährung. Daß die belangte Behörde ansonsten den Beschwerdeführer in einem der genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte verletzt hat, behauptet der Beschwerdeführer nicht und ist dem Verfassungsgerichtshof auch sonst nicht erkennbar.

Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

2.2.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Ob der angefochtene Bescheid dem Gesetz in jeder Hinsicht entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 8309/1978, 10565/1985, 12697/1991, 13419/1993).

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

2.3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Verjährung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2722.1995

Dokumentnummer

JFT_10039774_95B02722_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten