TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 W214 2203096-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §15b Abs1
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2203096-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch: Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der aserischen Volksgruppe, stellte am XXXX .07.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am XXXX .07.2015 gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund befragt an, dass er vor acht Monaten Christ geworden sei und deswegen vor ca. fünf Monaten von den iranischen Behörden verhaftet und gefoltert worden sei. Er sei zwei Monate im Koma gelegen. Als er aufgewacht sei, sei er im Spital gewesen. Noch bevor er zur Gerichtsverhandlung geladen worden sei, sei er deshalb geflüchtet.

Am XXXX .06.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er wegen seiner Religion geflüchtet sei, die iranische Polizei sei hinter ihm her. Er sei in einer Hauskirche gewesen und habe dort gebetet, als die Türe aufgebrochen worden und eine Spezialeinheit der Polizei hereingestürmt sei. Er habe flüchten wollen, sei aber von hinten geschlagen worden. Er wisse nicht, was danach passiert sei, weil er ins Koma gefallen und erst drei Monate später wieder aufgewacht sei. Als er wieder zu sich gekommen sei, habe er erfahren, dass er vor Gericht gestellt werden solle. Er habe dazu ein Schreiben des Gerichts bekommen. Einen Monat danach sei er aus dem Iran geflüchtet. Der Islam besage, dass jemand, der aus dem Islam austrete, getötet werden müsse. Sollte er zurückkehren, würde er gehängt.

2. Mit Bescheid vom 16.07.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass keine Verfolgung des Beschwerdeführers im Iran durch staatliche Organe oder Privatpersonen festgestellt habe werden können.

3. Die gegen diesen Bescheid vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.08.2019, Zl. W176 2203096-1/12Z als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

Das Bundesverwaltungsgericht legte jener Entscheidung neben Feststellungen zur allgemeinen Situation im Iran den folgenden Sachverhalt zugrunde:

"1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der XXXX geborene und somit XXXX -jährige Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und gehört der aserischen Volksgruppe an. Er wuchs in XXXX auf, besuchte dort die Schule, welche er mit dem iranischen Äquivalent zur Matura abschloss, und lebte bis zu seiner Ausreise aus dem Iran dort. Er arbeitete in der Autobranche - konkret war er mit der Veränderung der Optik von Autos sowie der Verbesserung von deren Soundsystemen befasst - und war auch als Friseur tätig.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Seine Familie lebt noch im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer lebt derzeit von der Grundversorgung, zuvor hatte er sich seinen Lebensunterhalt durch eine Beschäftigung in einem Friseurgeschäft in XXXX verdient.

Er hatte in Österreich eine Freundin, mit der er nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebte; mittlerweile ist die Beziehung beendet.

Der Beschwerdeführer beherrscht die deutsche Sprache auf A1-Niveau.

Mit - rechtskräftigem - Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 01.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127 Strafgesetzbuch, BGBl. Nr. 60/1974 (StGB), zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt.

Im Falle seiner Rückkehr in den Iran könnte der Beschwerdeführer, wie bereits zuvor, für seinen Lebensunterhalt sorgen. Außerdem verfügt er nach wie vor über soziale Anknüpfungspunkte im Iran, wo seine Familie weiterhin lebt.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers sowie seiner Gefährdung im Falle einer Rückkehr in den Iran:

1.2.1. Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Iran keine Verfolgungshandlungen von hier interessierender Intensität in Hinblick auf vor seiner Ausreise gesetzte Aktivitäten zu gewärtigen hätte.

1.2.2. Der Beschwerdeführer wurde zwar am XXXX in der röm-kath. Pfarre XXXX in XXXX getauft, es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden ist. Es wird daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer keinen inneren Entschluss gefasst hat, auch im Falle seiner Rückkehr in den Iran nach dem christlichen Glauben zu leben.

1.2.3. Es wird daher festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in den Iran nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung zu befürchten hätte."

In rechtlicher Hinsicht hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass - aufgrund der näher dargestellten beweiswürdigenden Erwägungen - nicht angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr in den Iran mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Verfolgungshandlungen von hinreichender Intensität ausgesetzt wäre.

In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht angenommen werden könne, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer existentiellen Gefährdung oder einer sonstigen Bedrohung ausgesetzt wäre, sodass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde. Eine Gefährdung durch staatliche Behörden bloß aufgrund des Faktums der Rückkehr sei nicht ersichtlich, auch keine sonstige allgemeine Gefährdungslage durch Dritte. Der Beschwerdeführer habe weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.

Es sei nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer seine Existenzsicherung im Iran nicht (erneut) gelingen würde. Immerhin handle es sich bei ihm um einen gesunden, jungen Mann mit sozialem Netz durch seine Familienangehörigen. Er habe bereits vor seiner Ausreise aus dem Iran sowohl in der Autobranche als auch in einem Friseurgeschäft gearbeitet und sei finanziell eigenständig gewesen. Er habe die Schule mit dem iranischen Äquivalent der Matura beendet, verfüge über Berufserfahrung und habe den Großteil seines Lebens im Iran verbracht. Es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass eine existenzielle Bedrohung des Beschwerdeführers im Hinblick auf seine Versorgung und Sicherheit im Iran gegeben wäre.

Hinweise auf das Vorliegen einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage lägen nicht vor, weshalb hieraus aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gem. Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden könne.

Einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG sei von der belangte Behörde wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen zu Recht nicht erteilt worden, bezüglich der getroffenen Rückkehrentscheidung sei die belangte Behörde in einer Gesamtbetrachtung iS des § 9 BFA-VG zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dessen Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege. Auch sonst seien keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre. Die Abschiebung sei zulässig, da im gegenständlichen Fall keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer ein derartiges Risiko nach Art. 2 und Art. 3 EMRK darstellen würde. Da gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung verhängt worden sei und dieser keine besonderen Umstände, die er bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, behauptet habe bzw. auch keinen Termin für seine Ausreise bekannt gegeben habe, sei die Beschwerde gegen die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzuweisen gewesen.

4. Nach Erhalt der abweisenden Entscheidung reiste der Beschwerdeführer illegal nach Deutschland weiter, wo er am XXXX .10.2019 ebenfalls um internationalen Schutz ansuchte und von wo aus er am XXXX .03.2020 nach den Bestimmungen der Dublin III-VO in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt wurde. Am gleichen Datum brachte er den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein.

Bei der Erstbefragung am XXXX .03.2020 gab der Beschwerdeführer auf Vorhalt seines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens und befragt nach den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung an, dass er hierbleiben wolle, sein alter Fluchtgrund bleibe aufrecht. Er könne nicht in den Iran zurückkehren, weil er zum Christentum konvertiert sei. Er werde von den Behörden und der Polizei im Iran verfolgt. Das seien alle und seine einzigen Fluchtgründe. Im Falle einer Rückkehr in den Iran hätte er Angst um sein Leben. Es gebe bereits ein Vollstreckungsurteil zur Todesstrafe, dies sei ihm seit 2015 bekannt.

Am XXXX .03.2020 wurde der Beschwerdeführer abermals vor der belangten Behörde im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, seit Oktober 2019 unter Stress zu leiden, dadurch gehe sein Blutdruck und sein Zucker hinauf. Er sei deswegen auch in ärztlicher Behandlung. Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass seine im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe auch seine aktuellen Fluchtgründe seien. Er habe keine neuen Fluchtgründe. Er habe Werbung für das Christentum im Iran gemacht und wegen der Polizei Probleme gehabt. Auf Vorhalt der Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom XXXX .03.2020, mit welchem dem Beschwerdeführer mitgeteilt wurde, dass seitens der belangten Behörde die Absicht bestehe, den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zurückzuweisen, gab der Beschwerdeführer an, Europa verlassen zu wollen, weil er sehr viel gelitten habe. Er wolle seinen Asylantrag zurückziehen und seinen iranischen Pass, damit er aus Österreich in die Türkei reisen könne.

Am selben Tag legte der Beschwerdeführer einen Laborbefund vom 27.01.2020 vor.

5. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid der belangten Behörde vom 16.03.2020 wurde der Folgeantrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom XXXX .10.2019, eingebracht am XXXX .03.2020, sowohl hinsichtlich des Status der Asylberechtigten als auch jenes des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). In Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestünde. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.) und ihm gemäß § 15b Abs. 1 AsylG aufgetragen, "ab XXXX .03.2020" im Quartier XXXX Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Der Beschwerdeführer beziehe sich nach wie vor auf Rückkehrhindernisse, welche bereits im Kern im Vorverfahren zur Sprache gebracht worden seien. Über diese vorgebrachten Gründe sei bereits im ersten Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich negativ entschieden worden. Es sei ein unveränderter Sachverhalt festgestellt worden, weswegen sich zum jetzigen Zeitpunkt auch hinsichtlich der im Erstverfahren getroffenen Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Iran ebenfalls keine Änderung ergeben hätte und diese daher nach wie vor für zulässig erachtet werde. Die den Beschwerdeführer betreffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsland habe sich seit rechtskräftigem Abschluss des Erstverfahrens nicht geändert. Der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt sei unverändert, weshalb eine entschiedene Sache iSd § 68 AVG vorliege.

Hinsichtlich Spruchpunkt III. wurde von der belangten Behörde festgehalten, dass kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen sei, da der Aufenthalt des Beschwerdeführers nie gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder 1a FPG geduldet gewesen sei und im Zuge des Ermittlungsverfahrens auch nicht hervorgekommen sei, dass er von einer gerichtlichen Untersuchung oder einem Gerichtsverfahren oder einer (einstweiligen) gerichtlichen Verfügung in Österreich betroffen gewesen wäre.

Da ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, sei gemäß § 10 Abs. 1 AsylG diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer sei nach § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG zulässig, da sich die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers auf das Stellen eines letztlich unbegründeten und zurückgewiesenen Antrages auf internationalen Schutz beschränkt habe, dem Beschwerdeführer sei nie ein (nicht auf das Asylrecht begründetes) und dauerhaftes Aufenthaltsrecht zugekommen, er habe kein fest verankertes Privat- und Familienleben in Österreich, eine fortgeschrittene familiäre, gesellschaftliche oder berufliche Integration in Österreich sei nicht ersichtlich. Es sei weiters davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch die Möglichkeit habe, sich im Iran erneut ein relevantes Familien- und/oder Privatleben aufzubauen, nachdem er sich in einem anpassungsfähigen Alter befinde. Unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts hätten sich für das Bundesamt keine Anhaltspunkte ergeben, dass es dem Beschwerdeführer - nach einer üblichen Anpassungsphase - nicht möglich sein sollte, sich wieder in die Lebensgewohnheiten und Lebensverhältnisse im Iran einzufinden.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers sei zulässig, da keine Gefährdung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG bestünde.

Von der Erteilung einer Frist für die freiwillige Ausreise sei gemäß § 55 Abs. 1a FPG, wonach im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, abzusehen gewesen.

Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, dass mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden könne, gemäß § 53 Abs. 2 FPG sei dieses vorbehaltlich Absatz 3 für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen, wobei bei der Bemessung der Dauer das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen einzubeziehen und zu berücksichtigen sei, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Dies sei insbesondere in den in § 53 Abs. 2 FPG genannten Fällen der Fall, die Aufzählung sei jedoch demonstrativ und demnach nicht als enumerativ abschließend anzusehen, was auch eindeutig aus dem Gesetzestext hervorgehe, nachdem klar festgestellt werde, dass eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit insbesondere gegeben sei, wenn einer der aufgezählten Tatbestände des § 53 Abs. 2 FPG vorliege. Es seien daher weitere Verhaltensweisen, welche die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährden, jedenfalls auch geeignet ein Einreiseverbot zu rechtfertigen.

Aus Art. 11 Abs. 1 lit. a der Rückführungsrichtlinie ergebe sich, dass Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen würden, falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt worden sei, was im Fall des Beschwerdeführers unzweifelhaft zutreffe.

Im vorliegenden Fall ergebe sich für die belangte Behörde unzweifelhaft, dass ein unbegründeter und missbräuchlicher Asylantrag vorliege und jedenfalls auch eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit indiziert sei. Missbräuchliche und ungerechtfertigte Asylantrage insbesondere aus sicheren Herkunftsstaaten oder wenn keine Verfolgungsgründe vorgebracht worden seien, würden das gesamte Asylsystem blockieren und einen Missbrauch desselben darstellen und seien jedenfalls als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu werten. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, nämlich die Stellung eines unbegründeten und missbräuchlichen Asylantrages, habe unter keinen der in § 53 FPG aufgezählten Fälle subsumiert werden können, sei jedoch geeignet die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gefährden und laufe auch den Interessen des Art. 8 EMRK zuwider. Darüber hinaus sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer der Ausreiseverpflichtung, welche ihm gegenüber im Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2018, Zl. XXXX , ausgesprochen worden und in zweiter Instanz in Rechtskraft erwachsen sei, nicht nachgekommen sei. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorgenommenen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern. Das ausgesprochene Einreiseverbot sei daher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Aus Gründen des öffentlichen Interesses, der öffentlichen Ordnung oder aus Gründen der zügigen Bearbeitung und wirksamen Überwachung des Antrags auf internationalen Schutz sei eine Anordnung zur Unterkunftnahme gemäß § 15b AsylG 2005 geboten, nachdem vom Beschwerdeführer keine neuen, glaubhaften, asylrelevanten Fluchtgründe vorgebracht worden seien und das gegenständliche Verfahren dem öffentlichen und auch individuellen Interesse entsprechend raschest geführt und entschieden werden könne.

6. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht in welcher er (nach Wiederholung des Sachverhaltes) im Wesentlichen vorbrachte, dass sich die Lage seit der Erstantragstellung geändert habe, so habe er nach wie vor Angst bei einer Rückkehr in den Iran aufgrund seiner Konversion getötet zu werden. Sobald er mit einem Flugzeug im Iran landen würde, würde ihn die Polizei jedenfalls festnehmen. Die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend mit den neu vorgebrachten Problemen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, obwohl es seit der Rechtskraft der Erstentscheidung zu Änderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes gekommen sei. Aus diesem Grund sei eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache nicht zulässig und hätte die Behörde eine inhaltliche Sachentscheidung zu treffen gehabt.

Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes sei festzuhalten, dass die Voraussetzungen des § 53 FPG nicht gegeben seien, der Beschwerdeführer habe lediglich von seinem Recht Gebrauch gemacht, einen Folgeantrag zu stellen, da sich seine Lage im Herkunftsstaat aufgrund seiner Konversion für ihn zum Nachteil verändert habe. Folglich könne ihm dieses Verhalten nicht negativ ausgelegt werden. Der Beschwerdeführer sei 2017 wegen eines Diebstahls verurteilt worden, er habe bereits damals sein Fehlverhalten eingesehen und sei seitdem nicht mehr negativ in Erscheinung getreten, weshalb eine positive Zukunftsprognose für ihn zu erstellen sei und sein Verhalten keinesfalls eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Das Einreiseverbot sei daher nicht gerechtfertigt und die Länge jedenfalls unangemessen.

Der Beschwerdeführer beantragte unter anderem auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.

7. Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - am 02.04.2020 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, wo sie am 14.04.2020 einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird als maßgeblich festgestellt.

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der aserischen Volksgruppe. Er trägt den im Spruchkopf angeführten Namen und hat das im Spruchkopf genannte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer war zuletzt in der Stadt XXXX wohnhaft, wo er auch aufgewachsen ist, die Schule besucht und diese mit dem iranischen Äquivalent zur Matura abgeschlossen hat. Anschließend hat der Beschwerdeführer in der Autobranche und als Friseur gearbeitet.

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Die Verwandten des Beschwerdeführers leben im Iran, er hat gelegentlich Kontakt zu ihnen. In Österreich leben keine Familienangehörigen oder sonstige enge soziale Bezugspersonen des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßig im Bundesgebiet, wobei er sich zwischen XXXX .10.2019 und XXXX .03.2020 in Deutschland aufhielt. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes, von XXXX .01.2018 bis Mai 2019 war der Beschwerdeführer als Friseur im XXXX selbstständig erwerbstätig, er ist nach wie vor dort Gesellschafter.

Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse, hat jedoch keinen Nachweis über eine absolvierte Sprachprüfung vorgelegt. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Türkisch, er verfügt auch über sehr gute Farsi-Kenntnisse.

Eine ausgeprägte und verfestigte individuelle Integration des Beschwerdeführers in Österreich liegt nicht vor.

Der Beschwerdeführer ist gesund, er leidet seit Oktober 2019 lediglich unter erhöhtem Stresslevel.

Mit - rechtskräftigem - Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom 01.06.2017, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 15, 127 Strafgesetzbuch, BGBl. Nr. 60/1974 (StGB), zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt.

Der Beschwerdeführer ist im Juli 2015 illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am XXXX .07.2015 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.07.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I. und II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 28.08.2019, Zl. W176 2203096-1/15E, wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen und die Revision für nicht zulässig erklärt.

Nach Erhalt der abweisenden Entscheidung reiste der Beschwerdeführer illegal nach Deutschland weiter, wo er am XXXX .10.2019 ebenfalls um internationalen Schutz ansuchte und von wo aus er am XXXX .03.2020 nach den Bestimmungen der Dublin III-VO in das österreichische Bundesgebiet rücküberstellt wurde. Am gleichen Datum brachte er den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz ein.

Zu dessen Begründung brachte der Beschwerdeführer weder neue Fluchtgründe, noch neue Beweismittel oder eine Änderung der Lage im Herkunftsstaat oder eine sonstige Änderung der privaten Verhältnisse im Vergleich zu dem im August 2019 rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren vor. Der Beschwerdeführer berief sich abermals auf seinen ursprünglichen vorgebrachten Fluchtgrund der Konversion zum Christentum.

Eine wesentliche Änderung der den Beschwerdeführer betreffenden asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat oder eine wesentliche Änderung in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen kann nicht festgestellt werden. Dem Beschwerdeführer steht unverändert die Möglichkeit offen, sich im Iran niederzulassen und seinen Lebensunterhalt durch Teilnahme am Erwerbsleben eigenständig zu bestreiten.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

1. Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2019a).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem "Implementation Day" am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in "politischen" Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 30.4.2019

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 30.4.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 30.4.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 30.4.2019

- ÖB - Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 30.4.2019

- WZ - Wiener Zeitung (11.1.2017): Das politische System des Iran, https://www.wienerzeitung.at/archiv/iran-2017/iran-hintergrund/524691-Das-politische-System-des-Iran.html?em_no_split=1, Zugriff 30.4.2019

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 11.6.2019

- BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 11.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019)

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen - auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 12.1.2019). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.2.2019). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden eine bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 12.1.2019).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 13.3.2019).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht einmal nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelungen durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden (ÖB Teheran 12.2018).

In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen (DIS/DRC 23.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islam

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten