TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/23 I419 2231937-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2020
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Entscheidungsdatum

23.06.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I419 2231937-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 08.05.2020, Zl. 72286503-180398297,

zu Recht:

A) Die Beschwerde wird betreffend die Spruchpunkte I und II des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass es in Spruchpunkt I „§ 52 Abs. 4 FPG“ statt „§ 52 Absatz 5 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG)“ und in Spruchpunkt II „nach Nigeria“ anstelle von „nach“ zu lauten hat, und ihr wird teilweise Folge gegeben, in Spruchpunk III „unbefristetes“ durch „auf acht Jahre befristetes“ ersetzt sowie Spruchpunkt V ersatzlos aufgehoben. Spruchpunkt IV hat zu lauten: „Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt gemäß § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Enthaftung.“

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das BFA wider den Beschwerdeführer nigerianischer Staatsangehörigkeit eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I), festgestellt, dass dessen Abschiebung „nach“ zulässig sei (gemeint: nach Nigeria, Spruchpunkt II), über ihn ein unbefristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt III), keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV) und einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V).

2. Beschwerdehalber bringt dieser vor, er befinde sich seit 2002 im Inland und habe bis 09.01.2020 eine Rot-Weiß-Rot-Karte innegehabt, über deren Verlängerung noch nicht entschieden sei. Hier befinde sich auch seine Tochter bei einer Pflegefamilie. Er sei in gelockertem Strafvollzug und arbeite einem Metallbaubetrieb. Da er „vor kurzem“ in eine Außenstelle der Justizanstalt verlegt worden sei, werde er absehbar im Juli die Tochter treffen. Das BFA hätte demnach ein schützenswertes Privat- und Familienleben festzustellen gehabt, in das einzugreifen rechtswidrig wäre.

Dem Beschwerdeführer drohe zudem im Herkunftsstaat eine existenzielle Notlage, zumal dieser nicht in der Lage sei, am Corona-Virus Erkrankte adäquat zu versorgen, und eine weitere Verbreitung des Virus im Herkunftsstaat zu besorgen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hält sich seit 2002 in Österreich auf, wo er erfolglos internationalen Schutz beantragte. Er ist Mitte 40, war mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und hat mit dieser eine 14-jährige Tochter, die seit der Woche nach ihrer Geburt bei einer Pflegefamilie aufwuchs. Bis 2012 hatte er eine Niederlassungsbewilligung mit unbeschränktem Aufenthaltszweck, anschließend bis 09.01.2020 eine „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ inne, deren Verlängerung er am 10.12.2019 beantragte, worüber noch nicht entschieden wurde. Er ist haft- und arbeitsfähig. Deutschkenntnisse hat er nicht nachgewiesen.

Seit 2009 ist er mit einer Staatsangehörigen des Herkunftsstaats verheiratet, die dort mit zwei gemeinsamen Kindern lebt, die im Volksschul- und im Kindergartenalter sind. Er spricht Englisch, besuchte im Herkunftsstaat zwölf Jahre die Schule und vier Jahre in einem Marketing-Studium die Universität. Seine Identität steht fest. Er hatte ab 2012 einen Reisepass inne, der in Delta State ausgestellt wurde, sein Führerschein stammt aus Lagos. Derzeit hat er einen 2017 von der Botschaft des Herkunftsstaats in Wien ausgestellten Reisepass.

In Österreich war er bis März 2017 als Kraftfahrer für einen Paketdienst berufstätig, anschließend bezog er Arbeitslosengeld. Einen Kredit von € 26.000,--, den er 2007 für die Anschaffung eines Autos und zur Finanzierung seiner Wohnung aufgenommen hatte, zahlte er mit monatlich € 200,-- und während der Arbeitslosigkeit monatlich € 100,-- zurück.

Er wurde im April 2018 aus Italien kommend mit über 20 kg Marihuana festgenommen. Später gestand er weitere Kurierfahrten.

Das LGS Graz hat ihn am 07.03.2019 wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels durch Einfuhr und durch Überlassen in Bezug auf eine das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge übersteigenden Menge sowie des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel in Bezug auf eine große Menge zu einer Freiheitsstrafe von 4,5 Jahren verurteilt, weil er zumindest 62,1 kg Cannabiskraut mit 9,8 % oder 6,1 kg THC und damit 304 Grenzmengen bei mindestens 4 Kurierfahrten eingeführt, zumindest 40 kg (3,9 Kg THC, 196 Grenzmengen) gegen Provision anderen übergeben und die restlichen 22,1 kg mit 10,5 % oder 2,3 kg THC, somit 116 Grenzmengen, mit dem Vorsatz besessen hatte, dass auch diese durch Übergabe in Verkehr gesetzt würden.

Als mildernd hat das Strafgericht dabei den bisherigen ordentlichen Lebenswandel des Beschwerdeführers berücksichtigt, sowie ferner, dass die Taten mit seinem sonstigem Verhalten in auffallendem Widerspruch standen, und in Bezug auf 40 kg Cannabiskraut seine umfassende, geständige und der Aufklärung dienliche Verantwortung. Erschwerend waren dagegen das Zusammentreffen dreier Verbrechen, das mehrfache Überschreiten der 25-fachen Grenzmenge bei zwei davon sowie die professionelle Vorgehensweise.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit April 2018 in Haft, seit Juni 2019 hat er sonst keinen Wohnsitz mehr im Inland. Er hat in der Haft ständig gearbeitet und tut das seit gut einem halben Jahr im gelockerten Vollzug in einem Metallbaubetrieb. Ein über die Kontakte mit den Mithäftlingen, Arbeitskollegen, Wachorgangen und Behörden hinausgehendes Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers im Inland kann nicht festgestellt werden, zu seiner Tochter hat er kaum oder keinen Kontakt.

1.2 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Im angefochtenen Bescheid wurden die Länderinformationen zu Nigeria zitiert. Im Beschwerdeverfahren sind keine entscheidenden Änderungen der Sachverhaltselemente bekannt geworden.

Aus einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen („EASO Special Report: Asylum Trends and COVID-19“) ergibt sich zwar betreffend Nigeria, dass die Zahl der bisher gemeldeten COV-Fälle die tatsächliche Verbreitung des Virus unterschätzen könnte, insbesondere in Bundesstaaten, die keine Labors haben, andererseits zeigt das Verhältnis der Zahl Infizierter (ohne Verstorbene und Geheilte), 12.847 per 21.06.2020, davon 360 in Delta und 7.006 in Lagos State, zur Zahl durchgeführter Tests (113.575 bei ca. 200 Mio. Einwohnern oder 568 pro Million), dass auch eine Hochrechnung auf die Testquote Österreichs (63.550 pro Mio. Einwohner), keine gravierende Zahl dieser Infizierten ergäbe, nämlich 1,43 Mio. oder 0,7 % der Bevölkerung. Dem Bericht ist ferner zu entnehmen, dass Lagos die beste Abdeckung durch Labors aufweist.

Daraus folgt nicht, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr zwangsläufig in eine ausweglose Situation geriete, zumal er weder seinem Alter noch seinem Vorbringen nach einer Risikogruppe angehört.

Im gegebenen Zusammenhang sind daher mangels sonstiger Bezüge zum Vorbringen die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

1.2.1 Medizinische Versorgung

Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden. Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 3.2020b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 3.2020b; vgl. ÖB 10.2019). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch (AA 2.4.2020).

Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 16.1.2020). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern der Maximalversorgung (z.B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard. Nahezu alle, auch komplexe Erkrankungen, können hier kostenpflichtig behandelt werden (AA 16.1.2020; vgl. AA 2.4.2020; ÖB 10.2019). In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung (ÖB 10.2019).

In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 16.1.2020).

Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2019). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 3.2020b). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 100,2 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten (ÖB 10.2019).

Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 16.1.2020). Stigmatisierung und Missverständnisse über psychische Gesundheit, einschließlich der falschen Wahrnehmung, dass psychische Erkrankungen von bösen Geistern oder übernatürlichen Kräften verursacht werden, veranlassen die Menschen dazu, religiöse oder traditionelle Heiler zu konsultieren; eine Rolle spielt hier auch der Mangel an qualitativ hochwertiger psychiatrischer Versorgung und die unerschwinglichen Kosten (HRW 11.11.2019).

Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Die Behandlungskosten sind jedoch je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich. Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 16.1.2020).

Nigeria verfügt derzeit über weniger als 150 Psychiater (AJ 2.10.2019), nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019). Die WHO schätzt, dass weniger als 10 Prozent der Nigerianer jene psychiatrische Behandlung bekommen, die sie brauchen (AJ 2.10.2019; vgl. HRW 11.11.2019).

Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 16.1.2020). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).

Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 3.2020b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 16.1.2020). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2019). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019). Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2019).

Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen. In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 16.1.2020). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2019).

Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 16.1.2020). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2019).

Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 3.2020b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2019).

1.2.2 Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2019).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 16.1.2020). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JROs) gemeinsam mit FRONTEX (ÖB 10.2019). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 16.1.2020).

Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 16.1.2020). Die Erfahrungen mit den JROs seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2019). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 16.1.2020) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2019) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 16.1.2020; vgl. ÖB 10.2019). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2019).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 16.1.2020). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2019).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 16.1.2020).

1.3 Zum Vorbringen:

Der Beschwerdeführer hat im Herkunftsstaat familiäre und andere soziale Kontakte, die er nach seiner Rückkehr auffrischen und vertiefen kann. Er ist mit der Kultur des Herkunftsstaats und den Gepflogenheiten des dortigen Arbeitsmarkts vertraut. Daher wird es ihm möglich sein, dort Arbeit zu finden und von dieser zu leben.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre.

Es gibt keinen Hinweis, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr in den Herkunfts-staat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer wie immer gearteten asylrelevanten Verfolgung oder sonstigen existentiellen Bedrohung ausgesetzt oder automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt sein wird.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des Verwaltungsaktes des BFA einschließlich des Urteils des Strafgerichts (AS 171 ff) und der Beschwerde. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Register der Sozialversicherungen, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) sowie der Justizanstalt zur Nichtanmeldung in deren Außenstelle wurden ergänzend eingeholt.

2.2 Zur Person des Beschwerdeführers:

Soweit Feststellungen zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf dessen Angaben, der Beschwerde und dem Akt, speziell den Registerabfragen, sowie den dazu im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen auch in der Beschwerde nicht substantiell entgegengetreten wurde.

Seine Arbeitsfähigkeit ergab sich darüber hinaus aus der festgestellten Berufstätigkeit und seinem Alter.

Betreffend das Privat- und Familienleben war zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer in der Beschwerde angab, er sei „bemüht“ mit seiner Tochter „in regelmäßigen Kontakt zu treten“, was wegen der Haft schwierig sei, und werde diese voraussichtlich mithilfe eines Sozialarbeiters im Juli (2020) treffen. Demnach hat er sie seit längerem nicht getroffen.

Die Tochter hat nie in der Gemeinde gewohnt, die in der Beschwerde genannt wird, sondern wohnt in einer Nachbargemeinde. Sie wohnt auch nicht mehr bei der in der Beschwerde genannten Pflegefamilie. Offenbar verfügt der Beschwerdeführer also über keine aktuelle Anschrift seiner Tochter.

Daraus war zu schließen, dass er derzeit fast oder gar keinen Kontakt mit ihr hat. Inwiefern sich das durch die – nach Auskunft der Justizanstalt nicht vor kurzem, sondern bereits vor mehr als einem halben Jahr erfolgte – Verlegung in die Außenstelle ändern sollte, erschließt sich nicht, zumal diese sogar (rund eine halbe Autostunde) weiter entfernt ist.

Die Daten betreffend die Urkunden des Beschwerdeführers waren dem Fremdenregister zu entnehmen, jene des vorigen Reisepasses dessen Kopie (AS 23).

2.3 Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für Nigeria samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen. Dieser Länderinformationsbericht stützt sich auf Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des Deutschen Auswärtigen Amtes, als auch jene von internationalen Organisationen, wie z. B. dem UNHCR, sowie Berichte von allgemein anerkannten unabhängigen Nachrichtenorganisationen.

Die Länderfeststellungen entsprechen inhaltlich (großteils wortwörtlich) den bereits vom BFA übermittelten, zu denen der Beschwerdeführer trotz Einladung nicht Stellung nahm. Wenn er dies nun im Beschwerdeverfahren insofern tut, als er sie als veraltet kritisiert, ist darauf zu verweisen, dass sie bei Einräumung des Parteiengehörs zwei Tage alt waren (Stand 18.12.2019) und auch nun soweit verfahrensrelevant unverändert sind, womit ihnen der Beschwerdeführer nicht qualifiziert entgegentrat.

Die weiteren Feststellungen entstammen der genannten Veröffentlichung der EU-Agentur EASO (www.easo.europa.eu/publications/easo-special-report-asylum-trends-and-covid-19-issue-2) und des „Centre for Disease Control“ des Herkunftsstaats (covid19.ncdc.gov.ng). Die inländischen Zahlen sind die des BMSGPK (info.gesundheitsministerium.at/data/data.zip bzw. www.derstandard.at/story/2000115810293/aktuelle-zahlen-zum-coronavirus) mit Stand 22.06.2020, 09:30 h.

2.4 Zum Vorbringen:

Aus den eben erwähnten Feststellungen zum Herkunftsstaat, den festgestellten Familienverhältnissen und dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergibt sich, dass dieser nach einer Rückkehr die angeführten Gefahren und Bedrohungen nicht zu fürchten braucht.

Danach war mit Blick auf die Arbeitsfähigkeit sowie die Sozialisation und Bildung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat, dessen bisherige Vernetzung dort, die er jederzeit erneuern oder vertiefen kann, und seine in Österreich erworbene Berufserfahrung eine existenzielle Gefährdung des Beschwerdeführers im Rückkehrfall zu verneinen, die ja auch in der Beschwerde vornehmlich in Bezug auf das COV-Virus vorgebracht wurde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Teilstattgebung der Beschwerde:

3.1 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I):

Nach § 52 Abs. 5 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

Nach den Feststellungen verfügt der Beschwerdeführer nicht über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, sondern hat (im Monat vor deren Gültigkeitsende) die Verlängerung der Rot-weiß-rot-Karte beantragt, weshalb die Rückkehrentscheidung nach dieser Bestimmung nicht infrage kommt.

§ 24 Abs. 1 NAG sieht vor, dass Antragsteller nach einem vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels gestellten Verlängerungsantrag sich (unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG) bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Nach § 52 Abs. 4 FPG ist eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, wenn eine der in Z. 1 bis 5 genannten Voraussetzungen vorliegt. Dazu gehören, dass der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 oder 2 NAG entgegensteht (Z. 4), aber auch, dass ein solcher nachträglich eintritt oder bekannt wird, welcher der Erteilung des zuletzt vergebenen Einreisetitels entgegengestanden wäre (Z. 1).

Fallbezogen ist auf § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG einzugehen, wonach der Aufenthalt öffentlichen Interessen nicht widerstreiten darf. Das wäre nach § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG dann der Fall, wenn er die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet. Wann das anzunehmen ist, legen § 53 Abs. 2 und 3 FPG fest, wobei Abs. 3 Fälle einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit nennt.

Zu diesen gehören die gerichtliche Verurteilung des Drittstaatsangehörigen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten (Z. 1), die nach den Feststellungen vorliegt.

Somit ist im vorliegenden Fall die Rückkehrentscheidung vorgesehen, aber nach § 52 Abs. 4 FPG.

Das gilt nur dann nicht, wenn eine Rückkehrentscheidung wegen eines Eingriffs in das Privat- oder Familienleben eines Fremden auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für dauernd unzulässig zu erklären ist. Zu entscheiden ist dabei nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen gegenüber den öffentlichen, ob ein Eingriff im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig ist.

Eine individuelle Abwägung der berührten Interessen ergibt, dass ein Eingriff in das Familien- und Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Außerlandesbringung als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig anzusehen ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Jedoch ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. (30.04.2020, Ra 2019/21/0134 mwN)

Umgekehrt hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählen das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung, Verstöße gegen Verwaltungsvorschriften, z. B. auch die Missachtung melderechtlicher Vorschriften. (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN)

Mit Blick auf die zuletzt genannte Entscheidung, welcher ein (zum Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts) knapp 10,5-jähriger Aufenthalt zu Grunde lag, ist fallbezogen zu beachten, dass die dort betreffend das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung angeführten Beispiele jeweils Fremde betrafen, die bereits mehrmals strafgerichtlich verurteilt worden waren, ausgenommen das letzte (Ro 2014/21/0054), wo es um einen Fremden mit einer maßgeblichen Aufenthaltsdauer von etwa 8,5 Jahren ging, zu dessen Verurteilung Ausübung einer nach dem AuslBG nicht erlaubten Beschäftigung hinzutrat.

Andererseits waren die mittels der Verurteilungen ausgesprochenen Freiheitsstrafen in den in Ro 2016/22/0005 zitierten Fällen vergleichsweise gering, im Bereich von Monaten, oder lagen den Rückkehrentscheidungen ausschließlich Verwaltungsübertretungen zu Grunde.

Demgegenüber wurde der Beschwerdeführer wegen mehrerer Verbrechen zu einer jahrelangen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, wobei der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf Suchtgiftdelinquenz bereits wiederholt festgehalten hat, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (10.09.2018, Ra 2018/19/0169 mwN).

Gegenwärtig fehlt dem Beschwerdeführer demgegenüber wie dargestellt ein Familienleben im Inland praktisch zur Gänze, und sein Privatleben ist wenig ausgeprägt. Die jahrelange Trennung von Nachbarn, Freunden und Kollegen und die Verschlechterung allfälliger Chancen, seine Tochter zu treffen, hat er mit seinen Verbrechen riskiert und in Kauf genommen.

Eine Rückkehrentscheidung steht dagegen weder der Leistung von Unterhalt an die Tochter des Beschwerdeführers entgegen, noch deren Treffen in einem Drittland. Auch die spätere neuerliche Erlangung eines Aufenthaltstitels aus familiären Gründen, wenn das Verhältnis sich intensivieren sollte, ist damit nicht ausgeschlossen, und aus wichtigen öffentlichen oder privaten Gründen kann der Beschwerdeführer auch während der Zeit die Wiedereinreise nach § 27a FPG beantragen in der das mit der vorliegenden Entscheidung reduzierte Einreiseverbot gilt.

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung kann daher nicht im Sinne von § 9 Abs. 2 BFA-VG als unzulässig angesehen werden, sodass der Spruchpunkt mit korrigierter Gesetzesstelle zu bestätigen war.

3.2 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt II):

Dem Inhalt der Bescheidbegründung ist (v. a. auch wegen der Länderfeststellungen) zu entnehmen, dass das BFA die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria für zulässig erklären wollte.

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Die Abschiebung in einen Staat ist nach § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention verletzt würden, oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet. Gleichzeitig betont die Rechtsprechung des VwGH jedoch unter Hinweis auf jene des EGMR, dass eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen ist (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0174 und VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443 mwH). Nach den Feststellungen zu Gesundheit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers und den Länderfeststellungen ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

Zur Feststellung, dass eine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist, ist ausführen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Das gilt auch, wenn eine Unterstützung durch Angehörige ausbleiben sollte. Der Beschwerdeführer ist ausreichend gesund und daher erwerbsfähig.

Er spricht die Landessprache, ist arbeitsfähig und hat in Nigeria bereits gelebt und sogar eine Universität besucht, weshalb er dort zweifelsfrei die Möglichkeit hat, am Arbeitsmarkt fündig zu werden, ob mit körperlicher oder anderer Arbeit.

Die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz werden jedenfalls im konkreten Fall gedeckt werden können. Die vorgebrachten Bedenken betreffend die medizinische Versorgung haben sich nicht bestätigt. Sie würden aber auch im Fall ihres Zutreffens kein Hindernis bilden, das fallbezogen gegen eine Rückkehr in den konkreten Herkunftsstaat spräche, weder der im Alter des Beschwerdeführers zu erwartenden Schwere der Krankheit nach, noch nach der daraus folgenden Relevanz aus EMRK-Perspektive.

Dass der Beschwerdeführer möglicherweise in Österreich – auch ohne Drogenhandel – wirtschaftlich besser leben kann, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen somit im vorliegenden Fall Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Zudem besteht in Nigeria keine so extreme Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre.

Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass in Nigeria das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch in der Beschwerde nicht behauptet, sodass Spruchpunkt II des Bescheids mit der Ergänzung des Zielstaats zu bestätigen war.

3.3 Zum Einreiseverbot (Spruchpunkt III):

Nach § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt, und zwar grundsätzlich für bis zu 10 Jahre. Eine solche Tatsache, die auch bei der Bemessung der Dauer zu berücksichtigen ist, ist nach Z. 1 die gerichtliche Verurteilung des Drittstaatsangehörigen zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, aber auch nach Z. 5 seine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren.

Die Verurteilung des Beschwerdeführers erfüllt damit sowohl den Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z. 1 FPG als auch jenen des § 53 Abs. 3 Z. 5 FPG, was sich auf die Dauer des Einreiseverbots auswirkt, das wegen Erfüllung des letztgenannten Tatbestands auch unbefristet verhängt werden kann.

Nachdem der Beschwerdeführer wegen mehrerer Verbrechen nach dem SMG zu 4,5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und noch nicht bedingt entlassen wurde, hat das Einreiseverbot der in dieser Verurteilung zum Ausdruck kommenden Gefährdung Rechnung zu tragen, die vom Beschwerdeführer ausgeht, der mit seinen mehreren Schmuggelfahrten Suchtgift im zweistelligen Kilobereich importierte und damit die Volkgesundheit massiv attackierte. Eine langjährige Dauer des Einreiseverbots erscheint dem Gericht daher fallbezogen geboten.

Jedoch wird mit der vom BFA gewählten unbefristeten Dauer weder dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beschwerdeführer erstmals (und nach mehr als 15 Jahren Aufenthalt) straffällig wurde, noch jenem, dass § 53 Abs. 3 FPG in den auf Z. 5 folgenden Z. 6 und 8 auch deutlich gravierendere Verhaltensweisen als tatbestandsmäßig anführt.

Andererseits erscheint eine Herabsetzung des Einreiseverbotes auf weniger als acht Jahre als nicht angemessen, zumal das persönliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers nicht etwa in einem einmaligen „Fehltritt“ und einer daran folgenden Besserung seines Verhaltens bestand. Vielmehr hat er in einem Zeitraum von mehreren Monaten strafbare Handlungen verübt und wurde im Suchtgiftbereich professionell tätig, bis ihn die Polizei daran hinderte.

Nach all dem war auf Grund der Beschwerde dieser Spruchpunkt III wie geschehen abzuändern.

3.4 Zum Nichtbestehen einer Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt IV):

Das BFA hat die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt und dies mit den im folgenden Punkt zu erörternden Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG begründet. Wie zu zeigen sein wird, hat es diese Bestimmung zu Unrecht angewendet. Da dem Bescheid die aufschiebende Wirkung nicht abzuerkennen war, ist gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festzulegen. Besondere Umstände, die den Beschwerdeführer bei der Regelung der persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, und welche die Gründe überwiegen würden, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, wurden nicht vorgebracht.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV war demnach stattzugeben und fallbezogen im Hinblick auf die Strafhaft die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen im Anschluss an die Enthaftung (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237) festzulegen.

3.5 Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkt V):

Nach § 18 Abs. 2 BFA-VG ist die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung abzuerkennen, wenn die sofortige Ausreise eines Drittstaatsangehörigen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderlich ist (Z. 1), der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist (Z. 2) oder Fluchtgefahr besteht (Z. 3).

Das BFA begründete die Aberkennung mit Z. 1, der erforderlichen sofortigen Ausreise. Der Verbleib des Beschwerdeführers im Inland sei eine „gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“. Der Beschwerdeführer kümmere sich nicht um die Gesundheit und andere Rechtsgüter anderer und stelle seinen eigenen „unrechtmäßigen Vorteil“ über „das Gesamtwohl“.

Unter den gegebenen Umständen – der Beschwerdeführer hat bereits seit längerem Arbeit im gelockerten Vollzug und stellt damit jedenfalls in den Augen der Strafjustiz keine gravierende Gefahr im Freigang dar – vermag das Verwaltungsgericht nicht zu sehen, warum nach der Entlassung des Beschwerdeführers, der ja dann die verbleibende Hälfte seines Entgelts ausgezahlt bekommt, wovon er vorerst leben kann, die Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit derart gravierend wäre, dass sie einem zweiwöchigen Verbleib des Beschwerdeführers nach dessen rund 20-jährigem Aufenthalt entgegenstünde.

Nach all dem ist nicht zu erkennen, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers erforderlich wäre. Daher war Spruchpunkt VI ersatzlos zu beheben.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).

Der Sachverhalt weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht rund sechs Wochen liegen - die gebotene Aktualität auf. Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz des Privat- und Familienlebens bei Rückkehrentscheidungen oder zur ganzheitlichen Verhaltensbeurteilung bei der Verhängung und Bemessung von Einreiseverboten.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

Schlagworte

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European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I419.2231937.1.00

Im RIS seit

18.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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