TE Bvwg Beschluss 2020/3/16 W168 2229472-1

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Veröffentlicht am 16.03.2020
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Entscheidungsdatum

16.03.2020

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W168 2229472-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2020, Zl. 1230143205/200200789, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist nicht rechtmäßig und der gegenständliche Bescheid wird aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte nach unberechtigter Einreise in das Bundesgebiet am 16.05.2019 den ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.09.2019, ZI: 1230143205/190499236-EAST Ost wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 16.05.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl I Nr 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.).

Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.).

Eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" wurde Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.).

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.).

Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.).

Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrug die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen Sie ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Der Bescheid erwuchs am 01.10.2019 in I. Instanz in Rechtskraft.

Am 20.02.2020 stellte der Beschwerdeführer nach erfolgter Rücküberstellung aus Frankreich erneut einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Bei der am 20.02.2020 durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen folgendes an:

Meine alten bzw. damals genannten Fluchtgründe bleiben natürlich vollinhaltlich aufrecht. Diese wären insbesondere die unmögliche Sicherheitslage in Afghanistan. Die wahren Fluchtgründe habe ich damals gar nicht genannt. Meine wahren Fluchtgründe lauten: Ich habe gravierende Erbschaftsstreitigkeiten mit meinen fünf Halbbrüdern. Sie wollten mich töten, damit sie meine Grundstücke bekommen, welche ich von meinem verstorbenen Onkel geerbt habe.

Mit mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 10.03.2020 wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF gemäß § 12a Absatz 2 AsylG durch das BFA aufgehoben.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hierzu zusammenfassend aus, dass als Grund des Erstantrages genannt worden wäre, dass die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht wäre. Im Heimatort des BF wäre es andauernd zu Schusswechseln zwischen den Taliban und er Regierung gekommen. Dabei würden regelmäßig unschuldige Menschen zu Tode kommen. Der BF hätte täglich Angst um sein Leben gehabt und hätte deswegen sein Heimatland verlassen. Dies wären alle Gründe gewesen, warum der BF nach Österreich gekommen wäre und er hätte keine weitern Gründe.

Im gegenständlichen Verfahren hätte der BF in der Erstbefragung vorgebracht, dass die Fluchtgründe aus dem Vorverfahren nach wie vor noch aufrecht wären. Ergänzend hätte der BF vorgebracht, dass dieser Grundstückstreitigkeiten mit seinen fünf Halbbrüdern hätte.

Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt habe sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert.

Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.

Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände hätte nicht festgestellt werden können, dass die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Bei der gegenständlichen Einvernahme vor dem BFA hätte der BF keine neuen Fluchtgründe geltend machen können, welche asylrelevant wären.

Mit mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom 10.03.2020 wurde aus diesen Gründen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF gemäß § 12a Absatz 2 AsylG durch das BFA aufgehoben.

Mit an das BVwG übermittelter Stellungnahme der Diakonie Flüchtlingsdienst wurde betreffend der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gem. §12 a Abs. 2 AsylG zusammenfassend folgendes ausgeführt: Der BF wäre zum nunmehr erstatteten Vorbringen, dass ein Halbbruder bei der Regierung arbeiten würde und zwei bei den Taliban, nicht weiter befragt worden. Die Behörde hat ihre Ermittlungspflicht insofern verletzt, als sie nicht durch konkrete Fragen bezüglich relevanter Sachverhaltselemente darauf hingewirkt hat, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt und alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Würde davon ausgegangen werden, dass keine neuen Fluchtgründe vorgebracht worden, die allgemeine Lage als auch die persönlichen Verhältnisse sich seit der letzten Entscheidung nicht geändert hätten. wären und entschiedene Sache vorliegen würde, so wäre festzuhalten, dass der BF weder näher zu seiner Herkunftsprovinz noch zu seinen Fluchtgründen befragt worden wäre. Die Feststellung der Behörde, dass das Vorbringen des ASt. aus dem Erstverfahren (schlechte Sicherheitslage in Afghanistan) unglaubwürdig ist, erscheint angesichts der Länderberíchte zynisch. Diese würden den Bescheid damit mit einem wesentlichen Verfahrensmangel belasten und würden zu einer falschen Rechtseinschätzung führen. Dass der Asylantrag missbräuchlich gestellt worden wäre, könne im gegenständlichen Verfahren nicht angenommen werden. Auch wären es sein der Rechtskraft der Vorentscheidung zu wesentlichen Veränderungen der Lage in Afghanistan gekommen. Zum nicht zweifelsfreien Vorliegen einer 'entschiedenen Sache wurde ausgeführt, dass der BF in seinem ersten Asylverfahren nur von der Polizei erstbefragt worden wäre. Eine zweite Einvernahme durch die belangte Behörde wäre nicht erfolgt. Der ASt. hätte ergänzend angegeben, dass er bei der Erstbefragung müde gewesen wäre und Seine Fluchtgründe nicht genannt habe und dieser hätte insbesondere auch angegeben: "Ich habe meine Fluchtgründe nicht genannt. Ich habe spätabends als ich nach Österreich kam eine Einvernahme bei der Polizei gehabt. Ich war müde. " Es würde diesbezüglich auf die Judikatur des VfGH verwiesen, wonach Asylwerberlnnen im Zuge der Erstbefragung gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürfen. Daraus folgt, des die Asylbehörden ihre Entscheidung nicht vorrangig auf das Fluchtvorbringens bei der Erstbefragµng stützen dürfen. Darüber hinaus muss auch der psychische und physische Zustand des Asylwerbers bei der Erstbefragung besonders berücksichtigt werden. Auch hätte der BF nunmehr angegeben, dass das angegebene Geburtsdatum nicht richtig wäre, bzw.- hätte hierzu Dokumente angegeben. Diesen Indizien wäre die Behörde nicht näher nachgegangen. Weiters wurde angeführt, dass sich seit der Entscheidung des 1. Verfahrens die Situation in Afghanistan wesentlich geändert hätte und bereits deswegen nicht von einer entschiedenen Sache auszugehen wäre. Die objektive Lage in Afghanistan sowie die subjektive Lage, des ASt haben sich seit der rechtskräftigen Entscheidung vom 01.10.2019 in wesentlichen Punkten geändert. Die belangte Behörde liefert zwar eine _rudimentäre Begründung, weshalb sie die Ausführungen des ASt. für unglaubwürdig befindet, verkennt hierbei jedoch, dass lediglich eine Grobprüfung durchzuführen ist, welche sich darauf zu beziehen hat, ob es sich um einen offensichtlich missbräuchlichen Folgeantrag handelt. Die Frage, ob das neue Vorbringen "im Kern glaubhaft" ist. ist von der Behörde in einem anderen Verfahrensschritt - der Überprüfung der Zulässigkeit des Folgeantrages zu überprüfen. Obwohl der ASt. in der Einvernahme die Probleme in seinem Herkunftsstaat geschildert-hat. Auf das erstattete Vorbringen wäre die belangte Behörde in der Begründung mit keinem Wort darauf eingegangen. Auch wäre der BF nicht zu den konkreten Hintergründen des Vorfalls befragt worden. Hätte sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen des ASt. beweiswürdigend auseinandergesetzt. so hätte sie erkennen müssen., dass sich der entscheidunqsrelevante Sachverhalt jedenfalls verändert hätte, hätte weitere Ermittlungen anstellen müssen und wäre der faktische Abschiebeschutz nicht aberkannt worden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der ASt. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden iSd. Art 15 Status-RL bzw. eine Verletzung der in Art 3 EMRK garantierten Rechte erleiden. weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung dem non- refoulement Gebot widersprechen -würde und die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gem. § 12a (2)23 AsylG daher jedenfalls rechtswidrig ist. Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes wäre erfolgte daher unrechtmäßig und wäre durch das BVwG aufzuheben.

Zusammenfassend hätte sich somit der entscheidungsrelevante Sachverhalt sowohl in Hinblick auf die Lage in Afghanistan als auch hinsichtlich der vom ASt. vorgebrachten Fluchtgründe verändert.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und führt die im Spruch angegebenen persönlichen Daten; seine Identität kann dem Verfahren nicht zugrunde gelegt werden. Er hält nach einer Rücküberstellung aus Frankreich nunmehr wieder im Bundesgebiet auf, wobei er nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens verfügte.

Der Antragsteller stellte nach unrechtmäßiger Einreise am 16.05.2019 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.

Der Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom 01.09.2019, gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Antragsteller gem. §§ 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 idgF wurde gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde dem Antragsteller eine Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt. Gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 1 Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen.

Der Bescheid erwuchs am 01.10.2019 in I. Instanz in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer begab sich nach Frankreich und wurde von dort nach Österreich zurückgeschoben, wo er am 20.02.2020 gegenständlich zweiten Antrag auf internationalen Schutz (erster Folgeantrag) einbrachte.

Mit mündlich verkündetem Bescheid vom 10.03.2020 wurde der faktische Abschiebeschutz des Antragstellers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben.

2. Beweiswürdigung:

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Person und den privaten und familiären Verhältnissen des Antragstellers ergeben sich aus seinen Angaben, jene zum Verfahrensablauf ergeben sich aus der Aktenlage.

Das im erstverfahren erstattete Fluchtvorbringen, die Befürchtungen im Falle einer Rückkehr, sowie die Lage im Herkunftsstaat wurden umfassend im rechtskräftigen Erkenntnis des BFA erörtert und abgewogen und es wurde hierüber bereits rechtskräftig entschieden.

Der übrige festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat im Zuge eines Verfahrens über einen Folgeantrag gemäß § 2 Abs 1 Z 23 AsylG 2005 den faktischen Abschiebeschutz des Antragstellers gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 aufgehoben.

Daher war diese Entscheidung vom Bundesverwaltungsgericht gemäß § 22 BFA-VG dahingehend zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG 2005 im gegenständlichen Fall vorliegen.

Im Einzelnen bedeutet dies:

Zur Prüfung der Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005:

1.) Aufrechte Rückkehrentscheidung (§ 12a Abs 2 Z 1 AslyG 2005):

Das Vorliegen einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, einer Ausweisung gemäß § 66 FPG oder eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 FPG ist notwendiges Tatbestandselement des § 12a Abs. 2 AsylG 2005.

Gegen den Antragsteller liegt eine rechtskräftige aufrechte Rückkehrentscheidung vor.

2.) Res iudicata (entschiedene Sache) (§ 12a Abs 2 Z 2 AsylG 2005):

Eine weitere Voraussetzung für die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes ist, dass "der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist". Es ist also eine Prognose darüber zu treffen, ob der Antrag voraussichtlich (insbesondere wegen entschiedener Sache) zurückzuweisen sein wird (§ 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005).

Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 27.11.2018, Ra 2018/14/0213, vom 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).

Nach der Rechtsprechung zu § 68 Abs. 1 AVG liegen verschiedene "Sachen" im Sinne des vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht.

Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegig Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (siehe zB VwGH 17.09.2008 2008/23/0684).

3.) Prüfung der Verletzung von Rechten nach der EMRK (§ 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005):

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz ist weiters nur zulässig, wenn die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung für den Asylwerber keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeutet und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt (§ 12a Abs 2 Z 3 AsylG 2005).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.12.2017, Ra 2017/18/0451 ausgeführt hat, genießt ein Fremder, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, gemäß § 12 AsylG 2005 grundsätzlich bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder nach einer Einstellung bis zu dem Zeitpunkt, an dem eine Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 nicht mehr zulässig ist, faktischen Abschiebeschutz; das bedeutet, dass er weder zurückgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben werden darf. Durch das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009, BGBl. I Nr. 122/2009, wurden für Folgeanträge auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 Sonderregelungen geschaffen, die in bestimmten Fällen Ausnahmen vom faktischen Abschiebeschutz vorsehen. Sie haben - nach den Gesetzesmaterialien (RV 330 BlgNR 24. GP 11) -

"unter Wahrung der notwendigen rechtsstaatlichen Garantien ... das

Ziel, jene Fälle, in denen ein berechtigtes Interesse an einem neuerlichen Asylverfahren besteht, möglichst früh von klar missbräuchlichen Antragstellungen zu unterscheiden und diese in weiterer Folge als Mittel zur Hintanhaltung fremdenpolizeilicher Maßnahmen unbrauchbar zu machen." Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art. 41 Abs. 1 lit. b der Verfahrensrichtlinie - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte.

Im vorliegenden Fall ist eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:

Das BFA hält im gegenständlichen Bescheid fest, dass der BF im nunmehrigen Asylantrag offenbar die wiederholte Aufrollung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt hat. Aus diesen Gründen wäre somit zwingend nur zum Schluss zu kommen, dass der objektive und entscheidungsrelevante Sachverhalt unverändert wäre. Es würde somit eine entschiedene Sache im Sinne von § 68 AVG vorliegen. Mangels Änderung des entscheidungswesentlichen Sachverhalts wird voraussichtlich eine Zurückweisung des Folgeantrags erfolgen.

Den Informationen des vorliegenden Verwaltungsaktes ist zu entnehmen, dass sich die Entscheidung des BFA betreffend des Gründe für den ersten Asylantrag des BF durch das BFA insbesondere auf die Angaben des BF bezieht, die dieser in seiner Erstbefragung erstattet hat.

Es wird im gegenständlichen Verfahren hierzu in einer Stellungnahme zusammenfassend festgehalten, dass sich die Begründung des nunmehrigen zweiten Asylantrages auf Ausführungen stützt, die im ersten Verfahren damit nicht ermittelt worden sind, der BF dort nur im Zuge der Erstbefragung seine Verfolgungsgründe kurz darelegt habe und auch im gegenständlichen Verfahren diesbezüglich keine weiteren ergänzenden Ermittlungen seitens des BFA vorgenommen wären. Somit hätte abschließend nicht beurteilt werden können, dass sämtlichen Ausführungen des BF betreffend des gegenständlichen Folgeantrages kein glaubwürdiger Kern innewohnt , bzw. insgesamt kein neuer Sachverhalt vorgebracht worden wäre.

Der verfahrensgegenständliche Antrag stellte den ersten Folgeantrag des Beschwerdeführers dar, den der Beschwerdeführer nach Rücküberstellung aus Frankreich in Österreich gestellt hat.

Der Beschwerdeführer hat im gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz nunmehr (auch) Gründe betreffend einer Verfolgung von Familienangehörigen ausgeführt, betreffend derer aufgrund des gegenständlichen Inhaltes des Ermittlungsverfahrens und der im gegenständlichen Bescheid ersichtlichen Ausführungen im vorliegenden Fall eine Prognoseentscheidung, ob der Folgeantrag voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird, dieser Antrag keinen glaubwürdigen Kern aufweist, bzw. ob bereits insgesamt hierüber betreffend der Begründung des Folgeantrages tatsächlich bereits von einer entscheidenden Sache gesprochen werden kann, noch nicht möglich ist.

Wird zusammenfassend durch den BF nunmehr vorgebracht, dass dieser auch eine Bedrohung durch Familienangehörige befürchte, so wird dieses Vorbringen im Hinblick darauf, dass der BF im Zuge des ersten Verfahren die Angaben betreffend der Gründe für die erste Asylantragstellung insbesondere bei der Erstbefragung angegeben hat, im gegenständlichen Vefahren einer genauere Überprüfung und Beurteilung, auch hinsichtlich einer allfällig hierzu eingetretenen Präklusion, zu unterziehen sein.

Der Umstand allein, dass eine spätere Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt nicht schon zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes.

Dass die belangte Behörde im gegenständlichen Bescheid hinreichend dargelegt habe, dass die nunmehr vorgebrachten Fluchtgründe im Wesentlichen ident mit denen des Vorverfahrens sind, bzw. auch im ersten Verfahrensgang gänzlich vorzubringen gewesen wären und daher präkludiert wären, kann aufgrund der hierzu nur sehr kursorischen Ausführungen im vorliegenden Akteninhaltes insgesamt abschließend nicht erkannt werden.

Auch, dass das nunmehrige Vorbringen gänzlich unglaubwürdig wäre, bzw. dass sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt somit seit Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert habe und der neue Antrag auf internationalen Schutz werde voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein hat die Behörde ausreichend begründet im gegenständlichen Bescheid nicht dargelegt.

Die Beurteilungen der belangten Behörde greifen im gegenständlichen Verfahren im Ergebnis jedoch zusammenfassend zu kurz. So kann aufgrund der vorliegenden Informationen noch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die nunmehr vorgebrachten Fluchtgründe mit jenen des Vorverfahrens ident sind.

Wie oben festgestellt, brachte der Beschwerdeführer im ersten Verfahren insgesamt vor, dass er aufgrund der Sicherheitssituation in seiner Heimat Afghanistan verlassen hätte. Der Beschwerdeführer hat zwar nunmehr angegeben, seine im ersten Verfahren vorgebrachten Gründe aufrecht zu erhalten. In seinem Folgeantrag hat er jedoch zusätzlich eine Bedrohung durch Familienangehörige vorgebracht.

Dabei handelt es sich folglich nicht um dasselbe Vorbringen, sondern um von den früheren Angaben unabhängige Ereignisse.

Im vorliegenden Fall kann auch nicht von einer "Steigerung" des Vorbringens im engeren Sinn gesprochen werden, da aufgrund des vorliegenden Verwaltungsaktes im gegenständlichen Verfahren davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführer hierzu noch gar keine Angaben während des ersten Verfahrensganges vor dem BFA erstatten hat, bzw. hätte können.

Nachdem es sich weder um ein identes Vorbringen, noch um eine Steigerung handelt, ist schlussendlich auch nicht relevant, dass das frühere Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers durch das BFA in seiner Entscheidung als unglaubwürdig beurteilt wurde.

Die belangte Behörde führt zwar auch aus, dass kein glaubwürdiger Kern des neuen Vorbringens ersichtlich sei, dies allerdings lediglich pauschal und ohne nähere Begründung.

Das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers weist somit in Zusammenschau mit den Ausführungen des BF die dieser im erstinstanzlichen Verfahren insbesondere im Zuge der Erstbefragung erstattet hat, insgesamt zumindest darauf hin, dass eine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes zumindest eingetreten sein könnte, bzw. dass im gegenständlichen Verfahren betreffend sämtlichen Vorbringen noch nicht ohne weitere Abklärungen und Begründungen von einer res iudicata gesprochen werden kann.

Die belangte Behörde hat sich im gegenständlichen Verfahren daher mit dem nunmehr erstatteten Vorbringen verglichen mit den Umständen des Erstvefahrens und den dort erstatteten Ausführungen nicht ausreichend auseinandergesetzt.

Dass die neuerliche Antragstellung einzig zu dem Zweck erfolgte, die Durchsetzung der gegen den Beschwerdeführer bereits rechtskräftig ergangenen Entscheidung des BFA zu verhindern, kann im Rahmen der hier vorzunehmenden Grobprüfung nicht ohne weiteres als gegeben angenommen werden.

Im derzeitigen Verfahrensstadium und aufgrund der hier lediglich vorzunehmenden Grobprüfung kann nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der gegenständliche Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein wird.

Somit ist jedenfalls eine der drei Voraussetzungen, unter denen der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben werden darf, derzeit nicht erfüllt.

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist damit nicht rechtmäßig, weshalb der vorliegende Bescheid aufzuheben war.

Mit Aufhebung des vorliegenden Bescheides kommt dem Beschwerdeführer faktischer Abschiebeschutz iSd § 12 Abs. 1 AsylG 2005 zu.

Gemäß § 22 Abs. 1 zweiter Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Vielmehr spricht die gegenständliche Tatsachenlastigkeit des vorliegenden Falles gegen das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

entschiedene Sache faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Folgeantrag glaubhafter Kern private Verfolgung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W168.2229472.1.00

Im RIS seit

15.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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