TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/26 E3964/2019

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen von Afghanistan; mangelnde Nachvollziehbarkeit der Begründungstechnik ermöglicht bloße Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitskontrolle

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger mit muslimischer Religionszugehörigkeit und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er stammt aus der Provinz Parwan, wo er bis zu seinem fünften Lebensjahr lebte. Bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2005 lebte er mit seiner Mutter und seiner Schwester in Mazar-e Sharif. Anschließend übersiedelte er im Alter von zehn Jahren in den Iran. Der Beschwerdeführer stellte am 26. Mai 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz mit der wesentlichen Begründung, er werde von den Taliban verfolgt.

2. Mit Bescheid vom 7. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten als unbegründet ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und setzte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

3. Die gegen den Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12. September 2019 als unbegründet ab. In seiner Entscheidung führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Gegen eine etwaige Bedrohung stehe dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, etwa in den Städten Herat, Kabul oder Mazar-e Sharif. Die Schlussfolgerung des UNHCR in den Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018, dass Kabul grundsätzlich keine interne Schutzalternative darstelle, "vermag nicht zu überzeugen". Auch die EASO, Country Guidance zu Afghanistan aus Juni 2018 schließe eine solche keineswegs aus. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ("Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides") führt das Bundesverwaltungsgericht weiter aus, dass nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keinerlei Umstände vorliegen würden, die eine Rückkehr in den Herkunftsstaat unzulässig erscheinen ließen. Rückkehrern sei grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative zumutbar, etwa in die von der Regierung kontrollierten Städte, wo es ihnen möglich sei, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die Sicherheits- und Versorgungslage in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif sei jedenfalls ausreichend. Der Beschwerdeführer sei 24 Jahre alt und habe wie jeder Rückkehrer die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Bekannten bzw Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft zu suchen. Die Mutter und die Schwester könnten den Beschwerdeführer ebenfalls notfalls finanziell unterstützen. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung nicht überwiegen. Insbesondere sei der Beschwerdeführer erst knapp zweieinhalb Jahre in Österreich und habe noch keine Deutschprüfung abgelegt.

4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht schildert nach dem Spruch den Verfahrensgang, wobei es diesen, ebenso wie etwaige Feststellungen und die Beweiswürdigung, dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl entnimmt und auszugsweise direkt zitiert. Sodann trifft das Bundesverwaltungsgericht basierend auf dem Bescheid eigene Feststellungen ua zur Person des Beschwerdeführers und schließt sich zur Lage im Herkunftsstaat den Länderfeststellungen des Bescheides an. Unter "2. Beweiswürdigung" folgt das Bundesverwaltungsgericht "bei den maßgeblichen Feststellungen der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides. Demnach stellen sich die Schilderungen der beschwerdeführenden Partei zu einer behaupteten Verfolgungsgefahr als vage, unplausibel und unaktuell dar".

In der unter Punkt 3. folgenden rechtlichen Beurteilung stellt das Bundesverwaltungsgericht sodann zu jedem Spruchpunkt zunächst textbausteinartige Ausführungen voran und hält schließlich "[z]u Spruchpunkt I." fest, dass dem Beschwerdeführer zwar keine asylrelevante Verfolgung drohe, ihm aber gegen eine etwaige Bedrohung in seiner Heimatprovinz eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. "Zu Spruchpunkt II." führt es allgemein gehalten, ohne die konkrete individuelle Situation des Beschwerdeführers mit aktuellen Länderinformationen in Beziehung zu setzen, aus, dass Rückkehrern grundsätzlich eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in die von der Regierung kontrollierten Städte zur Verfügung stehe, und der Beschwerdeführer "wie jeder Rückkehr-er" die Möglichkeit habe, "Unterstützung bei Verwandten, Bekannten bzw Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft" zu erhalten. Insoweit das Bundesverwaltungsgericht annimmt, dass der Beschwerdeführer notfalls finanzielle Unterstützung von seiner Mutter oder Schwester erhalten könne, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht nachzuvollziehen, woher das Bundesverwaltungsgericht diese Informationen nimmt, zumal der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl – deren Niederschrift das Bundesverwaltungsgericht seinem Erkenntnis zugrunde legt und auch auszugsweise im Erkenntnis zitiert – ausgesagt hat, das letzte Mal vor einem Jahr und zehn Monaten via Skype Kontakt zu seiner Familie gehabt zu haben und sie seither nicht mehr erreichen zu können. Eine mündliche Verhandlung hat das Bundesverwaltungsgericht nicht durchgeführt. Zu den Spruchpunkten III. bis VI. verfährt das Bundesverwaltungsgericht ähnlich.

3.2. Zusammenfassend erschöpft sich die Begründung der angefochtenen Entscheidung daher neben der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen ohne für den vorliegenden Einzelfall nachvollziehbaren Begründungswert, die jeweils mit den – nicht näher erläuterten – Aussagen über das Ergebnis, zu dem das Bundesverwaltungsgericht gelangt, abschließen. Das bloße Abdrucken der Begründung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung ist zwar zulässig, stellt aber für sich keine ausreichend nachvollziehbare Begründung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung dar (zu den rechtsstaatlichen Bedenken gegen eine solche Begründungstechnik vgl VfGH 7.3.2017, E2100/2016; 9.6.2017, E3235/2016). Letztlich läuft die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründungstechnik auf eine bloße Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus. Folglich erweist sich die Begründung als unzureichend und nicht nachvollziehbar, was das angefochtene Erkenntnis insgesamt mit Willkür belastet.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3964.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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