TE OGH 2020/7/22 1Ob119/20m

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Veröffentlicht am 22.07.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ferdinand Rankl, Rechtsanwalt in Micheldorf, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 28.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. März 2020, GZ 2 R 7/20a-17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 2. Dezember 2019, GZ 6 Cg 12/19d-12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die in der Abweisung eines Zinsenbegehrens in Rechtskraft erwachsen sind, werden

im Übrigen aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 19. 6. 2012 kam es bei der Beklagten – aufgrund von Schweißarbeiten eines Dritten („Schädiger“) – zu einem Brand, bei dem eine im Gebäude der Beklagten errichtete Industrieanlage (Filteranlage samt Elektroinstallationen) zerstört wurde. Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer des Schädigers und erbrachte aufgrund eines von der Beklagten gegen den Schädiger geführten Haftungsprozesses nach Vorliegen des Berufungsurteils im Dezember 2017 eine Ersatzleistung von 168.034,16 EUR zur Abdeckung der voraussichtlichen Reparaturkosten der zerstörten Anlage einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer (Deckungskapital). Die im Haftpflichtprozess erhobene außerordentliche Revision des (dort) beklagten Schädigers wies der Obersten Gerichtshof am 21. 3. 2018 zurück. Die Beklagte begann im Jahr 2018 mit der Planung der Maßnahmen zur Schadensbehebung, im Jahr 2019 wurde mit den Reparaturarbeiten begonnen, die noch nicht abgeschlossen sind.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Rückersatz der in dem – von ihr geleisteten – Deckungskapital enthaltenen Umsatzsteuer, hinsichtlich welcher der Beklagten ein Vorsteuerabzug zustehe. Der – auf Art XII Z 3 Umsatzsteuereinführungsgesetz 1972 („EG-UStG 1972“) gestützte – Rückzahlungsanspruch bestehe unabhängig davon, ob die Beklagte die Reparatur der zerstörten Anlage tatsächlich vornehmen lasse, sobald sie die im Deckungskapital enthaltene Umsatzsteuer unter Annahme einer unverzüglichen Wiederherstellung der zerstörten Sache als Vorsteuer abziehen könne. Es sei davon auszugehen, dass eine Wiederherstellung gar nicht beabsichtigt sei.

Die Beklagte wandte – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – ein, dass sie eine Behebung des Schadens beabsichtige. Sie habe nach Rechtskraft der Entscheidung im Schadenersatzprozess mit den Planungen begonnen und Anfang Februar 2019 Vorarbeiten durchgeführt. Eine Reparatur sei bisher allerdings noch nicht (vollständig) erfolgt. Da ihr noch keine Rechnungen über die Reparaturarbeiten vorlägen, sei sie noch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging davon aus, dass die geplante Wiederherstellung der zerstörten Anlage Ende 2019 abgeschlossen werde und dies im Hinblick auf den Ende 2017 erfolgten Erhalt des Deckungskapitals (gerade noch) die Annahme einer unverzüglichen Wiederherstellung iSd Art XII Z 3 EG-UStG 1972 rechtfertige. Der Anspruch der Klägerin auf Rückersatz der im Deckungskapital enthaltenen Umsatzsteuer sei daher bei Schluss der mündlichen Verhandlung im Oktober 2019 noch nicht fällig gewesen.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung ab und gab der Klage – mit Ausnahme eines Teils des Zinsenbegehrens – statt. Für die Entstehung bzw Fälligkeit des von der Klägerin erhobenen Rückersatzanspruchs sei jener Zeitpunkt maßgebend, zu dem die Beklagte den Vorsteuerabzug unter Annahme einer unverzüglichen Wiederherstellung der zerstörten Sache geltend machen könne. Da die Beklagte die Ersatzleistung von der Klägerin bereits im Dezember 2017 erhalten und der Oberste Gerichtshof im März 2018 die im Haftungsprozess erhobene außerordentliche Revision des Schädigers zurückgewiesen habe, sei nicht ersichtlich, warum bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch keine abschließende Reparatur der zerstörten Anlage erfolgt sei. Die Beklagte habe auch gar nicht behauptet, dass sie dazu aufgrund bestimmter – nicht in ihrer Sphäre gelegener – Umstände nicht in der Lage gewesen wäre, sondern nur vorgebracht, dass die Arbeiten (tatsächlich) noch nicht abgeschlossen seien, worauf es nach Art XII Z 3 EG-UStG 1972 aber nicht ankomme.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht gemäß § 508 Abs 3 ZPO nachträglich zu.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Gemäß Art XII Z 3 EG-UStG 1972 berührt der Umstand, dass jemand, der Anspruch auf Ersatz für eine Sache oder Leistung hat, als Unternehmer zum Abzug von Vorsteuern (§ 12 UStG) berechtigt ist, an sich nicht die Bemessung des Ersatzes. Schließt der Ersatzbetrag auch Umsatzsteuer ein, so erwächst jedoch dem Ersatzpflichtigen (Ersatzleistenden) gegen den Ersatzberechtigten ein Rückersatzanspruch in der Höhe des Umsatzsteuerbetrags, sobald und soweit ihn der Ersatzberechtigte als Vorsteuer abziehen könnte. Dient der Ersatzbetrag dazu, die Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung einer Sache oder Leistung zu ermöglichen, so ist als Zeitpunkt, in dem der Ersatzberechtigte den Vorsteuerabzug geltend machen könnte, der Zeitpunkt anzusehen, in dem er dies unter Annahme einer unverzüglichen Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung tun könnte.

2. Art XII Z 3 EG-UStG 1972 ist eine Bestimmung bürgerlich-rechtlicher Natur (RIS-Justiz RS0075909). Wurde – wie im vorliegenden Fall Schadenersatz aufgrund angenommener Reparaturkosten einschließlich Umsatzsteuer zuerkannt, ist der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte ohne Rücksicht darauf, ob bzw wie er die Reparatur durchführen lässt, zum Rückersatz der Umsatzsteuer verpflichtet (RS0037853). Verzichtet der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte darauf, (rechtzeitig) die Voraussetzungen für einen möglichen Vorsteuerabzug zu schaffen, so ist das seine Sache; der Ersatzpflichtige kann dadurch nicht um den ihm (bereits) zustehenden Rückersatzanspruch gebracht werden (RS0037884). Mit dem Zeitpunkt, zu dem der Ersatzberechtigte den Vorsteuerabzug „unter der Annahme einer unverzüglichen Wiederbeschaffung oder Wiederherstellung“ geltend machen könnte, legt Art XII Z 3 EG-UStG 1972 die gesetzliche Fälligkeit des Rückersatzanspruchs ausdrücklich fest (RS0075915 = 4 Ob 507/84; vgl auch RS0037861).

3. Das Berufungsgericht legte diese Grundsätze seiner Entscheidung zwar allgemein zugrunde, ging aber zu Unrecht davon aus, dass die für die Beurteilung der Fälligkeit des Rückersatzanspruchs maßgebliche Frage, ob die Beklagte den Vorsteuerabzug hinsichtlich der im Deckungskapital enthaltenen Umsatzsteuer bei Annahme einer unverzüglichen Wiederherstellung der zerstörten Anlage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz bereits geltend machen hätte können, abschließend beantwortet werden kann. Zwar wies das Berufungsgericht zutreffend darauf hin, dass den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zum tatsächlichen Fortschritt der Reparaturarbeiten für die rechtliche Beurteilung keine (alleinige) rechtliche Relevanz zukommt. Zu der gemäß Art XII Z 3 dritter Satz EG-UStG 1972 entscheidenden Frage, ob die Beklagte hinsichtlich der im Deckungskapital enthaltenen Umsatzsteuer bei Annahme einer unverzüglichen Wiederherstellung der zerstörten Anlage bereits einen Vorsteuerabzug geltend machen hätte können, ging es jedoch nur davon aus, dass „nicht ersichtlich sei“, warum die Beklagte die erforderlichen Reparaturarbeiten bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch nicht abschließend durchführen lassen hätte können. Diese Beurteilung findet aber keine hinreichende Grundlage im Sachverhalt, weil nicht feststeht, ob der Beklagten eine „unverzügliche“ (also ohne schuldhafte eigene Verzögerung vorgenommene; vgl RS0037872) Wiederherstellung der zerstörten Industrieanlage zwischen rechtskräftigem Abschluss des Haftungsprozesses Ende März 2018 (erst damit stand fest, dass die von der Klägerin bereits im Dezember 2017 – nach Vollstreckbarkeit des Urteils des Berufungsgerichts – geleistete Zahlung endgültig für die Schadensbehebung zur Verfügung stand) und Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Oktober 2019 überhaupt möglich gewesen wäre (wobei auch ein angemessener Zeitraum für die Abrechnung der von der Beklagten beauftragten Reparaturleistungen als Voraussetzung für den Vorsteuerabzug zuzugestehen wäre). Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und dem Erstgericht ist die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

4. Soweit das Berufungsgericht davon ausging, dass die Beklagte in erster Instanz gar nicht behauptet habe, dass sie aufgrund bestimmter – nicht in ihrer Sphäre gelegener – Umstände nicht in der Lage gewesen wäre, die Reparaturarbeiten abzuschließen, ist zu beachten, dass die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Beklagte die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug konkret schaffen hätte können, mit den Parteien nicht erörtert wurden. Dazu ist anzumerken, dass die Klägerin ganz allgemein die Behauptungs- und Beweislast für die anspuchsbegründenden Voraussetzungen trifft (vgl RS0037797), wozu nach Art XII Z 3 EG-UStG 1972 auch zählt, dass die Beklagte unter Berücksichtigung der notwendigen Planungs- und Vorarbeiten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit ausreichender Wahrscheinlichkeit im relevanten Entscheidungszeitpunkt (vgl RS0041116) die Möglichkeit gehabt hätte, die zerstörte Sache (hier eben eine Industrieanlage) ohne schuldhafte eigene Verzögerung („unverzüglich“) wiederherstellen zu lassen und nach Vorliegen der Rechnungen über die notwendigen Leistungen im Rahmen der Abrechnung der Umsatzsteuer die Vorsteuer zu berücksichtigen.

5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Textnummer

E129026

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00119.20M.0722.000

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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