TE OGH 2020/7/23 1Ob127/20p

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2020
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch die Dr. Heinz Häupl Rechtsanwalts GmbH, Nußdorf, gegen die beklagte Partei Mag. U***** K*****, vertreten durch die Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG, Wien, wegen 8.458,22 EUR sA, über den Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 11. März 2020, GZ 22 R 25/20p-13, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 3. Jänner 2020, GZ 35 C 614/19k-9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.962,92 EUR (darin enthalten 255,32 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten der Rechtsmittelverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Beklagte lebt in Wien, wo sie bis zu ihrer Pensionierung im April 2019 als Lehrerin tätig war. Sie besaß bis vor etwa vier Jahren ein Haus im Sprengel des Erstgerichts, das von ihr und ihrer Familie zu Ferienzwecken genutzt wurde. Nunmehr ist die Tochter der Beklagten Eigentümerin dieses Hauses. Bis zur Pensionierung nutzte die Beklagte das Haus in den Monaten Juli und August, wobei sie jedoch nicht durchgehend anwesend war, sondern nach etwa zwei Wochen jeweils für eine Woche nach Wien zurückkehrte, weil sie aus gesundheitlichen Gründen immer wieder ins Krankenhaus musste. Im Übrigen urlaubte sie auch an anderen Orten.

Die Klägerin deckte im Auftrag der Beklagten das Haus im Sommer 2018 neu ein. Dazu legte sie am 29. 5. 2018 das schriftliche Angebot Nr 9854, das auf jeder Seite rechts unten leserlich den Vermerk „Gerichtsstand Vöcklabruck“ enthielt. Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit E-Mail-Nachricht vom 14. 6. 2018 mit der Vornahme der Arbeiten „laut Angebot 9854“.

Die Klägerin begehrt nun 8.458,22 EUR an Werklohn und beruft sich zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auf die mit der Beklagten abgeschlossene Gerichtsstandsvereinbarung.

Die Beklagte wendete in ihrem Einspruch die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts ein. Sie habe ihren Wohnsitz in Wien und sei Konsumentin. Die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei unwirksam.

Das Erstgericht sprach seine örtliche Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Gemäß § 14 Abs 1 KSchG seien Gerichtsstandsvereinbarungen für Klagen gegen einen Verbraucher nur zulässig, wenn im vereinbarten Gerichtsstand der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt oder der Ort der Beschäftigung des Verbrauchers liege. Das treffe im Fall der Beklagten nicht zu, weswegen keine gültige Gerichtsstandsvereinbarung zustande gekommen sei.

Das Rekursgericht hob den Beschluss des Erstgerichts ersatzlos auf und trug diesem die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. § 104 Abs 1 JN fordere, dass sich die Parteien einem oder mehreren Gerichten erster Instanz namentlich angeführter Orte durch ausdrückliche Vereinbarung unterwerfen. § 14 Abs 1 KSchG, der auf § 104 Abs 1 JN Bezug nehme, binde die Wirksamkeit der Zuständigkeitsvereinbarung daran, dass das vereinbarte Gericht so gewählt werde, dass sich Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Ort der Beschäftigung des Verbrauchers in seinem Sprengel befinden. Der Wohnsitz einer Person werde an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgebrachten Absicht niedergelassen habe, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Auch ein Mehrfachwohnsitz sei möglich. Die Beklagte habe die Sommerferien regelmäßig im Sprengel des Erstgerichts in einem zunächst ihr selbst und später ihrer Tochter gehörenden Haus verbracht, wobei sie sich jeweils etwa zwei Wochen am Attersee und eine Woche in Wien aufgehalten habe. Nach Ansicht des Rekursgerichts habe sie dadurch ihre Absicht, auch diesen Ort zu einem Mittelpunkt ihrer Lebensführung zu machen, nach außen hin erkennbar gemacht und dadurch einen weiteren Wohnsitz begründet.

Den Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht über Antrag der Beklagten gemäß § 508 iVm § 528 Abs 2a ZPO nachträglich für zulässig, weil „eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Begründung eines Wohnsitzes, falls eine Wohnung ausschließlich in den Sommermonaten und auch in diesen nicht durchgängig bewohnt werde, soweit ersichtlich, nicht existiert“.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Klägerin beantwortete Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil eine Fehlbeurteilung des Rekursgerichts aufzugreifen ist; er ist auch berechtigt.

1.1 Die Bestimmung des § 14 KSchG soll den Verbraucher davor schützen, wegen einer rechtsgeschäftlichen Verschiebung der Zuständigkeit Gerichtsverfahren unter Umständen in großer räumlicher Distanz zu führen (Kathrein/Schoditsch in KBB6 § 14 KSchG Rz 1). Daher kann für Klagen gegen einen Verbraucher, der im Inland seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder der im Inland beschäftigt ist, nach §§ 88, 89, 93 Abs 2 und § 104 JN nur die Zuständigkeit eines Gerichts begründet werden, in dessen Sprengel der Verbraucher seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem der Ort seiner Beschäftigung liegt (§ 14 Abs 1 KSchG). Diese Vorschrift schafft keine positive Zuständigkeitsordnung für Verbrauchergeschäfte, sondern enthält Prorogationsverbote (RIS-Justiz RS0039759).

1.2 Die Verbrauchereigenschaft der Beklagten steht außer Zweifel; ebenso, dass sie im Sprengel des Erstgerichts keine berufliche Beschäftigung ausgeübt hat. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, auf die sich die Klägerin beruft, hängt damit davon ab, ob sich im Zeitpunkt ihres Abschlusses (Kathrein/Schoditsch aaO Rz 3 unter Hinweis auf 2 Ob 178/05y) im Sprengel des Erstgerichts ein Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt der Beklagten befand.

2. Der Wohnsitz einer Person ist nach § 66 Abs 1 JN an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, daselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Von einem Wohnsitz kann nur dann die Rede sein, wenn neben dem körperlichen Moment des tatsächlichen Aufenthalts an einem bestimmten Ort das Willensmoment der erweislichen Absicht, dort einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, nach außen hin erkennbar wird (RS0046600 [T3]). Ein Mehrfachwohnsitz ist zwar möglich, erfordert aber die Absicht, die mehreren Orte zum jeweiligen Mittelpunkt der Lebensführung zu machen (RS0046688).

3.1 Die Beklagte lebt nach den Feststellungen in Wien. Dass sie dort ihren Wohnsitz hat, ist nicht strittig. Auch das Rekursgericht geht erkennbar von einem solchen Wohnsitz aus, wenn es unterstellt, die Beklagte habe durch ihre Aufenthalte über die Sommermonate einen weiteren Wohnsitz im Sprengel des Erstgerichts begründet. Für die Frage der Begründung eines – zweiten – Wohnsitzes ist aber nicht allein die Dauer der Aufenthalte ausschlaggebend, sondern vor allem auch, ob Umstände vorliegen, die eine dauernde Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Entscheidend ist, dass der (weitere) Aufenthaltsort bewusst zum wirtschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Mittelpunkt gemacht wird (RS0046688 [T3]).

3.2 Der Beklagten ist zuzustimmen, dass sich aus den Feststellungen des Erstgerichts nicht ableiten lässt, sie habe im Sprengel des Erstgerichts einen Wohnsitz begründet. Danach hielt sie sich bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2019 und damit auch bei Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung zwar regelmäßig während der Monate Juli und August in dem im Sprengel des Erstgerichts gelegenen Wohnhaus auf, jedoch nicht durchgehend, sondern begab sich jeweils nach ca zwei Wochen für eine Woche unter anderem aus gesundheitlichen Gründen nach Wien. Dass sie damit den Aufenthaltsort bewusst zu einem Mittelpunkt ihres Lebens gemacht hätte, ergibt sich daraus gerade nicht. Dagegen spricht letztlich auch die regelmäßige medizinische Versorgung in Wien. Mit diesem Sachverhalt ist der zu 8 Ob 225/01y entschiedene Fall, den das Rekursgericht für seine abweichende Begründung herangezogen hat, nicht vergleichbar, weil der dortige Beklagte im Inland ein Haus gekauft, dieses aufwändig saniert hatte und sich dort regelmäßig an Wochenenden sowie im Urlaub aufhielt und dort auch gemeldet war.

4. Nach § 66 Abs 2 JN ist bei der Beurteilung, ob ein gewöhnlicher Aufenthalt vorliegt, auf die tatsächlichen Umstände abzustellen. Dabei sind Dauer und Beständigkeit maßgeblich und Umstände persönlicher oder beruflicher Art zu berücksichtigen, die eine dauerhafte Beziehung zwischen einer Person und ihrem Aufenthalt anzeigen. Ab wann von einem „gewöhnlichen Aufenthalt“ gesprochen werden kann, ist allein aus der Definition des § 66 Abs 2 JN nicht zu beantworten. Nach der Rechtsprechung kommt es darauf an, ob jemand einen Ort zum Mittelpunkt seines Lebens, seiner wirtschaftlichen Existenz und seiner sozialen Beziehung macht (vgl 10 ObS 74/14a mwN). Es muss zwar nicht unbedingt ein ständiger Aufenthalt vorliegen, allerdings müssen objektiv überprüfbare Umstände persönlicher oder beruflicher Art darauf hindeuten, dass eine Person nicht nur vorübergehend, sondern längere Zeit an einem Ort bleiben wird (RS0085478 [T3]). Aufenthalte zu Urlaubszwecken sind demgegenüber bloß vorübergehend (s nur Mayr in Rechberger, ZPO6 § 66 JN Rz 3 mit Judikaturnachweisen). Auch ein jahrelanges regelmäßiges Aufsuchen eines Sommeraufenthalts für jeweils mehrere Wochen dient letztlich Erholungszwecken und ändert nichts am vorübergehenden Charakter des Aufenthalts. Es würde dem Schutzzweck des § 14 KSchG zuwiderlaufen, wollte man an solche saisonale Anwesenheiten einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ iSd § 14 KSchG knüpfen, weil der Verbraucher erst recht gezwungen wäre, sich im Falle einer Prozessführung, die in aller Regel nicht auf die Zeit einer typischen Urlaubssaison beschränkt ist, an ein vom Wohnort entferntes Gericht zu begeben. Durch ihre – ohnedies nicht durchgängigen – regelmäßigen Anwesenheiten im Sprengel des Erstgerichts während der Monate Juli und August hat die Beklagte daher keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.

5. Die Vereinbarung verstößt gegen die zugunsten der Beklagten als Verbraucherin zwingende Bestimmung des § 14 Abs 1 KSchG und ist damit unwirksam. Das führt zur Unzuständigkeit des Erstgerichts, sodass dessen die Klage zurückweisende Entscheidung wiederherzustellen ist.

6. Die Beklagte ist im Streit über die Zuständigkeitsfrage mit ihrem Standpunkt durchgedrungen und hat daher gemäß den §§ 41 und 50 ZPO Anspruch auf Ersatz der dadurch verursachten Kosten.

Textnummer

E129043

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00127.20P.0723.000

Im RIS seit

10.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.01.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten