TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/12 W108 2204161-1

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Veröffentlicht am 12.02.2020
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Entscheidungsdatum

12.02.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
GEG §1
GEG §6
GEG §6a Abs1
GGG Art1 §19a
GGG Art1 §32 TP1
GGG Art1 §9 Abs1
VwGVG §28 Abs2
ZPO §64 Abs1
ZPO §64 Abs3

Spruch

W108 2204161-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. BRAUCHART über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch CHG CZERNICH HAIDLEN GUGGENBERGER UND PARTNER RECHTSANWÄLTE, gegen den Bescheid der Präsidentin des Handelsgerichtes Wien vom 23.07.2018, Zl Jv 3192/18g-33, betreffend Einbringung von Gerichtsgebühren zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang/Sachverhalt:

1. Im Grundverfahren zur Aktenzahl XXXX des Handelsgerichtes Wien brachte die nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft (Beschwerdeführerin) am 31.01.2017 beim genannten Gericht einen Antrag auf Verfahrenshilfe zur Klagsführung gegen zwei Klagsgegner ein.

Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 07.03.2017, AZ XXXX , wurde der Beschwerdeführerin die Verfahrenshilfe in vollem Umfang bewilligt.

Mit weiterem Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 10.03.2017, AZ XXXX , wurde die Verfahrenshilfe hinsichtlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes für erloschen erklärt und der Beschluss vom 07.03.2017 dahingehend berichtigt, dass der Beschwerdeführerin die Verfahrenshilfe zur Einbringung der Klage mit einem Streitwert von EUR 37.000,000 bewilligt wurde.

Am 13.03.2017 brachte die Beschwerdeführerin beim Handelsgericht Wien die Klage mit einem Streitwert von EUR 37.000,000 gegen zwei Klagsgegner unter Hinweis auf die gewährte Verfahrenshilfe ein.

Die erstbeklagte Partei erhob gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe das Rechtsmittel des Rekurses.

Mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 22.09.2017, AZ XXXX , wurde dem Rekurs Folge gegeben und der Beschluss dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe abgewiesen wurde.

Der Revisionsrekurs der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 20.10.2017, AZ XXXX , als unzulässig zurückgewiesen. Dem dagegen erhobenen Rekurs der Beschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 28.12.2017, AZ XXXX , nicht Folge gegeben.

Am 10.04.2018 wurde von der Beschwerdeführerin neuerlich ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gestellt.

2. Im Verfahren zur Einhebung im Grundverfahren aufgelaufener Gebühren wurden der Beschwerdeführerin zunächst mit - aufgrund rechtzeitig erhobener Vorstellung gemäß § 7 Abs. 2 Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG) außer Kraft getretenem - Mandatsbescheid (Zahlungsauftrag) vom 13.04.2018 die Pauschalgebühr nach der Tarifpost (TP) 1 Gerichtsgebührengesetz (GGG) in Höhe von EUR 491.685,70, die Kosten für das Zustellungsersuchen (Konsulargebühren) in Höhe von EUR 110,91 sowie die Dolmetschergebühren in Höhe von EUR 1.156,00 samt der Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG in Höhe von EUR 8,00 zur Zahlung vorgeschrieben.

Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung im Akt XXXX des Handelsgerichtes Wien die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG sowie die Konsular- und Dolmetschergebühren, welche bereits aus Amtsgeldern ausbezahlt worden seien, einzuheben seien.

In ihrer Vorstellung, in der u.a. beantragt wurde, den Zahlungsauftrag vom 13.04.2018 ersatzlos aufzuheben, brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, die Vorschreibung der Konsular- und Dolmetschergebühren in der Höhe von EUR 1.266,91 sei im Hinblick auf den Antrag auf Verfahrenshilfe vom 10.04.2018, der auch die rückwirkende Befreiung von Kosten und Gebühren umfasse, rechtswidrig. Die Pauschalgebühr sei infolge der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach eine rückwirkende Befreiung von Gerichtsgebühren nicht möglich sei, nicht vorzuschreiben.

3. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid erließ die Präsidentin des Handelsgerichtes Wien (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) erneut einen Zahlungsauftrag, mit welchem die Beschwerdeführerin aufgefordert wurde, die im Grundverfahren aufgelaufene Pauschalgebühr nach TP 1 GGG in Höhe von EUR 491.685,70 zuzüglich der Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 GEG in Höhe von EUR 8,00, sohin einen Betrag von insgesamt EUR 491.693,70, binnen 14 Tagen auf das angegebene Gerichtskonto einzuzahlen.

Nach Darstellung des Verfahrensganges/Sachverhaltes (im Wesentlichen wie oben unter Punkt 1. und 2. beschrieben) führte die belangte Behörde begründend aus, dass die Pauschalgebühr nach TP 1 GGG gemäß § 2 Z 1 lit. a GGG mit Überreichung der Klage fällig werde. Bei einem Streitwert von EUR 37.000,000 betrage die Pauschalgebühr (inklusive eines Streitgenossenzuschlages von 10%) EUR 491.685,70. Werde die Verfahrenshilfe bewilligt, so trete die Gebührenfreiheit mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sei. Die Gebührenfreiheit gemäß § 9 GGG hänge von der Bewilligung der Verfahrenshilfe ab. § 9 Abs. 1 GGG stelle auf die bewilligte, nicht auf die beantragte Verfahrenshilfe ab. Nur dann, wenn letzten Endes überhaupt die Verfahrenshilfe bewilligt werde, trete die Verfahrenshilfe rückwirkend mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sei. Im vorliegenden Fall liege keine rechtskräftige Bewilligung der Verfahrenshilfe vor, der neuerliche Verfahrenshilfeantrag komme für die Pauschalgebühr nicht zum Tragen. Hinsichtlich der Dolmetscher- und Konsulargebühren sei jedoch die Entscheidung über den neuerlichen Verfahrenshilfeantrag abzuwarten und sei erst danach zu entscheiden, ob die diese Gebühren vorzuschreiben seien.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, in welcher sie vorbrachte, dass der Bescheid, soweit mit diesem die Pauschalgebühr in Höhe von EUR 491.685,70 vorgeschrieben worden sei, insbesondere wegen Vorliegens von Verfahrensmängeln und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung rechtswidrig sei.

Das Verfahren sei mangelhaft, da sich die belangte Behörde mit keinem Wort mit den Argumenten der Beschwerdeführerin in der Vorstellung auseinandergesetzt hätte. Die Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach eine rückwirkende Befreiung des Verfahrensbeholfenen von den Gerichtsgebühren nicht möglich sei, für die den Gerichtsgebühren vergleichbare Kosten, wie beispielsweise Amtshandlungen außerhalb des Gerichts jedoch schon, stelle nach Ansicht der Beschwerdeführerin eine unsachliche Ungleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte dar, welche dem Gleichheitssatz widerspreche. Die Pauschalgebühr sei daher infolge der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung nicht vorzuschreiben. Zudem habe die belangte Behörde die Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 1 ZPO unrichtig ausgelegt: Nach der verfassungskonformen Wortlautinterpretation dieser Bestimmung komme es für die Wirkungen der Verfahrenshilfe nicht darauf an, ob der Antrag auf Verfahrenshilfe zu einem späteren Zeitpunkt abgewiesen werde, sondern es werde einzig und allein darauf abgestellt, ob die Verfahrenshilfe bewilligt worden sei. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Entstehens der Pauschalgebühr am 13.03.2017 die mit Beschluss vom 07.03.2017 bewilligte Verfahrenshilfe vorgelegen, sodass die Pauschalgebühr nicht vorzuschreiben sei.

5. Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Ausführungen oben unter Punkt I. zum Verfahrensgang (Verwaltungsgeschehen) und Sachverhalt werden festgestellt.

Damit steht insbesondere fest, dass die Beschwerdeführerin am 31.01.2017 den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung der am 13.03.2017 gegen zwei Klagsgegner erhobenen Klage mit einem Streitwert von EUR 37.000,000 eingebracht hat und dieser Verfahrenshilfeantrag letztlich rechtskräftig abgewiesen wurde sowie, dass die Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 10.04.2018 einen neuen Verfahrenshilfeantrag gestellt hat.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt. Die relevanten Ermittlungsergebnisse und Urkunden liegen in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten ein. Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides den maßgeblichen Sachverhalt in Übereinstimmung mit der Aktenlage richtig festgestellt. Diesem Sachverhalt trat die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde nicht entgegen. Es wurde kein (von den behördlichen Feststellungen abweichendes) konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Insbesondere stellt die Beschwerdeführerin nicht in Abrede, dass die von ihr am 31.01.2017 beantragte Verfahrenshilfe zur Einbringung der am 13.03.2017 erhobenen Klage mit einem Streitwert von EUR 37.000,000 letzten Endes nicht bewilligt wurde (s. den oben genannten Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 22.09.2017; der gegen diesen Beschluss erhobene Revisionsrekurs wurde als unzulässig zurückgewiesen und dem dagegen erhobenen Rekurs keine Folge gegeben). Der für eine abschließende rechtliche Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes maßgebliche Sachverhalt steht anhand der Aktenlage und des Beschwerdevorbringens fest und ist nicht ergänzungsbedürftig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Zu den Prozessvoraussetzungen:

Die Beschwerde wurde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG fristwahrend erhoben und es liegen auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vor.

3.3. In der Sache:

3.3.1. Zur Rechtslage:

Tarifpost (TP) 1 des § 32 GGG legt Gerichtsgebühren (Pauschalgebühren) in zivilgerichtlichen Verfahren erster Instanz in abgestufter Höhe nach dem Wert des Streitgegenstandes fest.

Nach der TP 1 in der maßgebenden Fassung (zum Zeitpunkt der Klagseinbringung) beträgt die Pauschalgebühr 1,2% vom jeweiligen Streitwert zuzüglich EUR 2.987,00 bei einem Wert des Streitgegenstandes über EUR 350.000,00.

Gemäß § 19a GGG erhöhen sich die in den Tarifposten 1 bis 4 angeführten Gebühren, wenn in einer Rechtssache mehrere Personen gemeinsam einen Anspruch gerichtlich geltend machen oder gerichtlich in Anspruch genommen werden oder wenn mehrere Personen gemeinsam ein Rechtsmittel erheben oder wenn dem Rechtsmittelwerber mehrere Personen als Rechtsmittelgegner gegenüberstehen. Die Erhöhung beträgt 10 vH, wenn zumindest auf einer Seite zwei Streitgenossen (Antragsteller, Antragsgegner), Rechtsmittelwerber oder Rechtsmittelgegner vorhanden sind, und 5 vH für jeden weiteren Streitgenossen (Antragsteller, Antragsgegner), Rechtsmittelwerber oder Rechtsmittelgegner, jedoch nie mehr als insgesamt 50 vH; Erhöhungsbeträge, die nicht auf volle 10 Cent lauten, sind auf die nächsten vollen 10 Cent aufzurunden.

Der Anspruch des Bundes auf die Gebühr wird hinsichtlich der Pauschalgebühren für das gerichtliche Verfahren erster Instanz gemäß § 2 Z 1 lit. a GGG mit der Überreichung der Klage begründet.

Gemäß § 64 Abs. 1 ZPO kann die Verfahrenshilfe für einen bestimmten Rechtsstreit und ein nach Abschluss des Rechtsstreits eingeleitetes Vollstreckungsverfahren die folgenden Begünstigungen umfassen:

1. die einstweilige Befreiung von der Entrichtung

a) der Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren

b) der Kosten von Amtshandlungen außerhalb des Gerichtes;

c) der Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer;

d) der Kosten der notwendigen Verlautbarungen;

e) der Kosten eines Kurators, die die Partei nach § 10 zu bestreiten hätte;

[...]

Gemäß § 64 Abs. 3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen und Rechte nach Abs. 1 mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind. Die Befreiungen nach Abs. 1 Z 1 Buchstaben b bis e können wirksam noch bis zur Entrichtung dieser Kosten und Gebühren beantragt werden. Gleiches gilt für die Befreiung von der Gebühr für den Kinderbeistand.

§ 9 Abs. 1 GGG bestimmt, dass bei Bewilligung der Verfahrenshilfe die Gebührenfreiheit mit dem Tag eintritt, an dem sie beantragt worden ist; sie erstreckt sich nur auf Schriften und Amtshandlungen, deren Gebührenpflicht zu diesem Zeitpunkt oder erst später entsteht (§ 2). Wird einer Partei die Verfahrenshilfe auf Grund eines Antrages bewilligt, den sie anlässlich ihrer ersten Verfahrenshandlung gestellt hat, so erstreckt sich die Gebührenfreiheit auch auf das vorangegangene Verfahren.

3.3.2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

3.3.2.1. Die Beschwerdeführerin erblickt die Rechtswidrigkeit der Vorschreibung der Pauschalgebühr zum einen darin, dass die Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 2 ZPO nach ihrer Ansicht eine unsachliche Differenzierung vornehme, weil eine rückwirkende Befreiung von den Gerichtsgebühren nicht möglich sei, von damit vergleichbare Kosten hingegen schon. Die Pauschalgebühr sei daher infolge der Verfassungswidrigkeit der Bestimmung nicht vorzuschreiben.

Das Oberlandesgericht Wien hat in seiner Entscheidung vom 28.06.2010, AZ 10 Ra 72/10x (RIS-Justiz RW0000470), diese Bestimmung als verfassungskonform angesehen und dies wie folgt begründet:

"Die in § 64 Abs. 1 Z 1 lit. b bis e ZPO genannten Kosten und Gebühren (von Amtshandlungen außerhalb des Gerichts, von Zeugen, Sachverständigen, Dolmetschern, Übersetzern und Beisitzern, von notwendigen Verlautbarungen und von Kuratoren) sind Kosten, die erst im Zuge eines laufenden Verfahrens entstehen, die dem Grunde und der Höhe nach auch für die zur vorläufigen Kostentragung pflichtige Partei nicht immer voraussehbar sind und auch nicht unbedingt von eigenen Prozesshandlungen abhängen; das Entstehen der Pauschalgebühr für eine Klagseinbringung bzw. Klagsausdehnung ist hingegen dem Grunde und der Höhe nach eindeutig vor der entsprechenden Prozesshandlung für die Partei erkennbar. Der in § 64 Abs. 3 ZPO unterschiedlich geregelte Wirksamkeitszeitpunkt der Verfahrenshilfe bezieht sich daher auf ungleiche Sachverhalte und erscheint die für die mittellose Partei günstigere Regelung in Bezug auf (im Wesentlichen) Zeugen- und Sachverständigengebühren im Vergleich zu den Gerichtsgebühren jedenfalls im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers."

Das Bundesverwaltungsgericht teilt die Auffassung des Oberlandesgerichtes Wien, welche im Übrigen auch vom Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 01.12.2015, 19 Ob 1/15h (implizit) vertreten wird. Das Bundesverwaltungsgericht vermag eine Verfassungswidrigkeit (Gleichheitswidrigkeit) der Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 2 ZPO nicht zu erkennen und sieht sich aufgrund der gegenständlichen Beschwerde daher nicht veranlasst, einen Antrag auf Aufhebung dieser Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.

3.3.2.2. Die Beschwerdeführerin meint zum anderen, die Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 1 ZPO sei unrichtig ausgelegt worden. Nach der Ansicht der Beschwerdeführerin komme es nur darauf an, ob zum Zeitpunkt des Entstehens der Pauschalgebühr eine bewilligte Verfahrenshilfe vorgelegen sei. Da dies im vorliegenden Fall zutreffe, zumal die Gebührenbefreiung mit der Beantragung der Verfahrenshilfe eingetreten sei und mit der Abweisung der Verfahrenshilfe geendet habe, sei die Pauschalgebühr nicht vorzuschreiben.

Dieser Ansicht der Beschwerdeführerin steht jedoch schon der klare Wortlaut der Bestimmung des § 64 Abs. 3 Satz 1 ZPO entgegen, wonach die Befreiungen (wie hier von den Gerichtsgebühren) eintreten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird. § 64 Abs. 3 ZPO stellt auf die bewilligte, nicht auf die beantragte Verfahrenshilfe ab (vgl. VwGH 21.11.2013, 2011/16/0132).

Die Gebührenfreiheit nach § 9 GGG hängt von der Bewilligung der Verfahrenshilfe ab. Nur dann, wenn letzten Endes die Verfahrenshilfe bewilligt wird, tritt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 GGG die Verfahrenshilfe rückwirkend mit dem Tag ein, an dem sie beantragt wurde (vgl. die in Dokalik, Gerichtsgebühren13 zu § 9 GGG E 16 genannte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und VwGH 21.11.2013, 2011/16/0132 unter Hinweis u.a. auf Bydlinski in Fasching, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen, 2. Band, 1. Teilband, § 64 ZPO Rz 33).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der Verfahrenshilfe vom 31.01.2017 - nach zunächst erfolgter, jedoch nicht rechtskräftiger Bewilligung - letztlich durch den Beschluss des Oberlandesgericht Wien vom 22.09.2017, welcher in Rechtskraft erwuchs, im Instanzenzug abgewiesen wurde und somit letzten Endes die Verfahrenshilfe nicht bewilligt wurde. Eine rückwirkende Befreiung von der Pauschalgebühr kommt daher nicht in Betracht.

Angesichts der einer Bewilligung von Verfahrenshilfe innewohnenden Vorläufigkeit der Befreiung von der Entrichtung der Gerichtsgebühren führt ein Beschluss des Rekursgerichtes, der die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe entgegen dem Erstgericht als nicht gegeben annimmt und den Antrag auf Verfahrenshilfe im Instanzenzug deshalb abweist, in Bezug auf die Gerichtsgebühren zum selben Ergebnis wie ein Beschluss des Prozessgerichtes erster Instanz, das die seinerzeit angenommenen Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht mehr annimmt und die Verfahrenshilfe deshalb gemäß § 68 Abs. 2 ZPO mit Rückwirkung in Bezug auf die Gerichtsgebühren entzieht (VwGH 29.04.2013, 2011/17/0112).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage und der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Interpretation der Bestimmung des § 64 Abs. 3 ZPO und ihre Ansicht, die Pauschalgebühr sei infolge der zum Zeitpunkt des Entstehens der Pauschalgebühr (vorläufig) bewilligten Verfahrenshilfe nicht vorzuschreiben, als unzutreffend.

Die belangte Behörde hat der Beschwerdeführerin die Pauschalgebühr daher zu Recht vorgeschrieben.

Der neuerliche Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Verfahrenshilfe vermag daran nichts zu ändern, da die bewilligte Verfahrenshilfe frühestens mit dem Tag, an dem sie beantragt wurde, wirksam werden kann. Da im vorliegenden Fall die Gebührenpflicht für die Klage gemäß § 2 Z 1 lit. a GGG mit deren Überreichung am 13.03.2017 entstanden ist, der neuerliche Antrag auf Verfahrenshilfe aber erst am 10.04.2018 gestellt wurde, kann - selbst bei Bewilligung der Verfahrenshilfe aufgrund dieses neuerlichen Antrages - keine Gebührenfreiheit (rückwirkend) in Bezug auf diese Gebührenpflicht nach § 64 ZPO bzw. § 9 GGG eintreten.

Die Pauschalgebühr gemäß TP 1 GGG beträgt im vorliegenden Fall bei einem Streitwert von EUR 37.000,000, wie von der belangten Behörde richtig errechnet, EUR 491.685,70 (EUR 444.000 [EUR 37.000.000 x 1,2%] + EUR 2.987 + EUR 44.698,70 [10 % Streitgenossenzuschlag] = EUR 491.685,70).

Da diese Gebühr nicht entrichtet wurde, war die belangte Behörde gemäß § 1 iVm § 6a Abs. 1 GEG verpflichtet, der zahlungspflichtigen Beschwerdeführerin diese gleichzeitig mit der Einhebungsgebühr von EUR 8,00, die sich aus § 6a Abs. 1 GEG ergibt, - somit insgesamt EUR 491.693,70 - zur Zahlung vorzuschreiben.

3.4. Die behauptete Rechtswidrigkeit des Bescheides liegt nicht vor. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Bescheid aus anderen, nicht geltend gemachten Gründen iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG rechtswidrig wäre. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

3.5. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG entfallen. Im vorliegenden Fall lässt die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten und die Notwendigkeit der Durchführung einer Verhandlung ist auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC nicht ersichtlich (vgl. dazu auch VwGH 26.06.2003, 2000/16/0305, wonach die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Verfahren zur Vorschreibung/Einbringung von Gerichtsgebühren nicht erforderlich ist, und VwGH 11.01.2016, Ra 2015/16/0132 [betreffend ein Nachlassverfahren nach dem GEG], wonach Angelegenheiten der Gerichtsgebühr nicht in den Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK fallen). Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt, die Beweiswürdigung der Verwaltungsbehörde wurde nicht substantiiert bekämpft und es wurde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet. Zu einer Lösung von Rechtsfragen ist im Sinne der Judikatur des EGMR (vom 10.05.2007, Nr. 7401/04 [Hofbauer/Österreich Nr. 2] und vom 03.05.2007, Nr. 17.912/05 [Bösch/Österreich]) eine mündliche Verhandlung nicht geboten.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor. Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

gerichtliche Einbringung Gerichtsgebühren Gerichtsgebührenpflicht Pauschalgebühren Pauschalgebührenauferlegung Verfahrenshilfeantrag Verfahrenskosten Zivilprozess

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W108.2204161.1.00

Im RIS seit

20.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.08.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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