TE OGH 2010/6/28 10Ra72/10x

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Veröffentlicht am 28.06.2010
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Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Ciresa als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Atria und Mag. Pöhlmann (Dreiersenat des Oberlandesgerichts gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Arbeitsrechtssache der Klägerin H***** S*****, 1030 Wien, vertreten durch Mag. Michael Lang, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. H***** R***** KEG, *****, 1220 Wien, und 2. Herbert Rauch-Höphffner, ebendort, beide vertreten zuletzt durch Mag. Ursula Hückel u.a., Wirtschaftskammer NÖ, Bezirksstelle Mödling, Guntramsdorferstraße 101, 2340 Mödling, wegen EUR 408.365,15 s.A. (hier wegen Verfahrenshilfe), über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 3.5.2010, 20 Cga 49/08h - 35, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

Begründung:

              Mit der am 17.4.2008 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin von den beklagten Parteien die Bezahlung von EUR 45.032,01 brutto s.A. Mit Schriftsatz vom 9.10.2008, vorgetragen in der Tagsatzung vom 13.10.2008, dehnte die Klägerin das Klagebegehren auf Zahlung von EUR 495.620,17 brutto abzüglich EUR 87.255,02 netto samt gestaffelten Zinsen aus (ON 13 und 14).

Infolge Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der erstbeklagten Partei am 20.1.2010 (6 S 9/10f des HG Wien) und des Zweitbeklagten am 27.11.2009 (6 S 110/09g des HG Wien) erklärte das Erstgericht mit den Beschlüssen vom 11.12.2009 und vom 16.2.2010 das Verfahren für unterbrochen (ON 31 und 33).

Am 23.4.2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit.a ZPO (einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren).

Mit dem nun angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht diesen Antrag mit der wesentlichen Begründung ab, dass Verfahrenshilfe ab dem Zeitpunkt der Antragstellung nur für die Zukunft bewilligt werden könne. Lediglich für die Begünstigungen nach § 64 Abs 1 Z 1 lit.b bis e ZPO könne Verfahrenshilfe auch nachträglich beantragt werden. Die Gerichtsgebühren seien im konkreten Verfahren bereits mit der Einbringung der Klage bzw. mit der Ausdehnung des Klagebegehrens fällig geworden und könne sich die beantragte Verfahrenshilfe daher nicht mehr auf diese Gebühren erstrecken. Infolge der Unterbrechung des Verfahrens sei nicht davon auszugehen, dass der Klägerin in naher Zukunft weitere Gerichtsgebühren entstehen werden; im Falle der Fortsetzung des Verfahrens stünde es der Klägerin offen, diesbezüglich einen neuerlichen Antrag auf Verfahrenshilfe zu stellen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihrem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit.a ZPO stattzugeben.

Gemäß § 72 Abs 2a ZPO ist ein Rekurs gegen einen Verfahrenshilfebeschluss den Parteien und dem Revisor zur Ermöglichung einer Rekursbeantwortung zuzustellen. Das Erstgericht hat den Rekurs entgegen dieser Bestimmung ohne vorherige Zustellung an den Revisor und die Parteien dem Rechtsmittelgericht vorgelegt. Da das Rekursgericht die antragsabweisende Entscheidung des Erstgerichts bestätigt und diese Entscheidung unanfechtbar ist, sind die beklagten Parteien und der Revisor im Ergebnis durch die unterlassene Möglichkeit einer Rekursbeantwortung in ihrem Rechtsschutzinteresse nicht beeinträchtigt. Zur Vermeidung einer Verfahrensverzögerung war daher über den Rekurs ohne Anhörung des Revisors und der Gegenparteien zu entscheiden (Klauser/Kodek, ZPO16 § 521a E 54).

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin behauptet ausschließlich, dass die Bestimmung über die zeitliche Wirksamkeit der Verfahrenshilfebewilligung in § 64 Abs 3 ZPO gleichheitswidrig sei, da sie gleiche Sachverhalte ungleich behandle, indem die Republik Österreich als Einheber der Gerichtsgebühren unsachlich bevorzugt werde.

Sofern in dieser Behauptung ohne jegliche weitere Begründung überhaupt eine gesetzmäßige Ausführung des Rechtsmittelsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung zu erblicken ist, überzeugt das Argument nicht.

Die Befreiungen und Rechte der bewilligten Verfahrenshilfe treten an dem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind (§ 64 Abs 3 Satz 1 ZPO). Dementsprechend lautet auch § 9 Abs 1 GGG: „Wird die Verfahrenshilfe bewilligt, so tritt die Gebührenfreiheit mit dem Tag ein, an dem sie beantragt worden ist; sie erstreckt sich nur auf Schriften und Amtshandlungen, deren Gebührenpflicht zu diesem Zeitpunkt oder erst später entsteht (§ 2). Wird einer Partei die Verfahrenshilfe aufgrund eines Antrages bewilligt, den sie anlässlich ihrer ersten Verfahrenshandlung gestellt hat, so erstreckt sich die Gebührenfreiheit auch auf das vorangegangene Verfahren.“

Von dem Grundsatz keiner Rückwirkung der Verfahrenshandlung wurde erst in Bezug auf bestimmte Befreiungen durch die ZVN 1983 eine Ausnahme in Form des § 64 Abs 3 Satz 2 ZPO gemacht: „Die Befreiungen nach Abs 1 Z 1 Buchstaben b bis e können wirksam noch bis zur Entrichtung dieser Kosten und Gebühren beantragt werden.“ Diese Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass es immer wieder vorkommt, dass einer Partei die mit Beweisaufnahmen für sie verbundene Belastung erst nach dem Entstehen des Aufwands bewusst wird, was zumindest in gewissen Bereichen eine mit Rückwirkung versehene Antragsmöglichkeit voraussetzt, um eine Entlastung der Partei von diesen Aufwendungen zu erreichen; in Ansehung der Gerichtsgebühren muss die Verfahrenshilfe jedoch weiterhin spätestens gleichzeitig mit der Klage beantragt werden (Bydlinski in Fasching/Konecny² II/1, § 64 ZPO Rz 32 und 33 mit Hinweis auf die Gesetzesmaterialien zur ZVN 1983; so auch in der Rechtssprechung Klauser/Kodek aaO § 64 ZPO E 42 und 44).

Die in § 64 Abs 1 Z 1 lit.b bis e ZPO genannten Kosten und Gebühren (von Amtshandlungen außerhalb des Gerichts, von Zeugen, Sachverständigen, Dolmetschern, Übersetzern und Beisitzern, von notwendigen Verlautbarungen und von Kuratoren) sind Kosten, die erst im Zuge eines laufenden Verfahrens entstehen, die dem Grunde und der Höhe nach auch für die zur vorläufigen Kostentragung pflichtige Partei nicht immer voraussehbar sind und auch nicht unbedingt von eigenen Prozesshandlungen abhängen; das Entstehen der Pauschalgebühr für eine Klagseinbringung bzw. Klagsausdehnung ist hingegen dem Grunde und der Höhe nach eindeutig vor der entsprechenden Prozesshandlung für die Partei erkennbar. Der in § 64 Abs 3 ZPO unterschiedlich geregelte Wirksamkeitszeitpunkt der Verfahrenshilfe bezieht sich daher auf ungleiche Sachverhalte und erscheint die für die mittellose Partei günstigere Regelung in Bezug auf (im Wesentlichen) Zeugen- und Sachverständigengebühren im Vergleich zu den Gerichtsgebühren jedenfalls im Rahmen des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Das Rekursgericht erkennt daher auch nicht die von der Rekurswerberin pauschal behauptete Gleichheitswidrigkeit der Regelung.

Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses gründet sich auf § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.

Textnummer

EW0000713

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0009:2010:0100RA00072.10X.0628.000

Im RIS seit

03.09.2010

Zuletzt aktualisiert am

04.09.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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