TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/14 97/01/0736

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Veröffentlicht am 14.01.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des John Abaga in Graz, geboren am 26. März 1964, vertreten durch Dr. Werner Thurner und Dr. Peter Schaden, Rechtsanwälte in Graz, Sporgasse 2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. Juni 1997, Zl. 4.347.423/1-III/13/95, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Ghana, der am 16. September 1995 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 20. September 1995 die Gewährung von Asyl.

Die Behörde erster Instanz wies den Antrag ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, daß der Beschwerdeführer in Frankreich vor Verfolgung sicher gewesen sei, weshalb ihm nicht Asyl gewährt werden könne.

In der dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer auf die von der Behörde erster Instanz im Vernehmungsprotokoll im wesentlichen richtig und vollständig wiedergegebenen Angaben hin. Aus diesen sei zu schließen, daß er von den Behörden in Ghana aufgrund seiner politischen Gesinnung verfolgt werde und ihm deshalb die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Genfer Konvention zukomme. In der Folge legte der Beschwerdeführer einen Mitgliedsausweis der New Patriotic Party (NPP) vor. In diesem ist die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen beginnend mit August 1992 und endend mit Dezember 1995 vermerkt. Mit Schreiben vom 24. April 1997 ordnete die belangte Behörde eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens an. Der Beschwerdeführer sei neuerlich einzuvernehmen, weil er im Rahmen seiner niederschriftlichen Ersteinvernahme angegeben habe, seit dem Jahr 1991 Mitglied der Oppositionspartei NPP zu sein und als solches am 11. Mai 1995 an einer Demonstration gegen die Einführung der Mehrwertsteuer teilgenommen zu haben. Diese Demonstration sei von der NPP organisiert worden und habe in Accra stattgefunden. Dem Länderfolgebericht Ghana des Ludwig Boltzmann Institutes für Menschenrechte vom Juni 1995 sei jedoch zu entnehmen, daß am 11. Mai 1995 die Oppositionsgruppierung "Alliance for Change" (AFC) zu einer Kundgebung in Accra aufgerufen habe. Ein weiterer Widerspruch ergebe sich bezüglich des Beitrittsdatums des Beschwerdeführers zur NPP. Dem nachgereichten Mitgliedsausweis sei zu entnehmen, daß der Beschwerdeführer erst ab August 1992 seinen Mitgliedsbeitrag eingezahlt habe, obwohl er im Zuge der niederschriftlichen Ersteinvernahme als Beitrittsdatum das Jahr 1991 genannt habe.

Die Niederschrift über die ergänzende Einvernahme vom 16. Mai 1997 beinhaltet folgendes:

"Vorhalt:

Dem Länderbericht Ghana vom Juni 1995 des Ludwig Boltzmann Institutes ist zu entnehmen, daß am 11.5.1995 nicht wie von Ihnen angegeben die NPP die Demonstration organisiert hat, sondern die AFC. - Dazu gebe ich an: Das ist nicht wahr. Wenn man das genauer untersuchen würde und die Vorfälle dieses Tages überprüft würden, muß festgestellt werden, daß es sehr wohl die NPP war. Es waren aber auch andere beteiligt, die gegen Rawlings waren. Alle diese Gruppen sind zusammengekommen. Es wurde eine Dachorganisation gegründet, die "Alliance for Change" genannt wird.

Wann wurde diese AFC gegründet?

Im Jahr 1995.

Aus welchem Grund?

Um Opposition gegen das Regime zu bilden.

In welchem Verhältnis stehen AFC und NPP zueinander, welche

Verbindungen bestehen?

AFC ist nur ein Name. Die Führer der AFC sind die Führer der NPP, sowie auch Führer anderer Gruppen, zum Beispiel der PNC. Im Zuge der Demonstration kam es dann zu Zusammenstößen mit Mitgliedern einer Gegengruppe der Regierung, nämlich mit der ACDR.

Wann sind Sie der NPP beigetreten?

Im August 1992.

Vorhalt:

In Ihrer ersten Aussage haben Sie 1991 als

Beitrittszeitpunkt angegeben - Dazu gebe ich an: Ich war seit 1991 Mitglied, aber nicht voll registriert (Anmerkung: Aussage des AW "not fully registered"). Voll registriert wurde ich dann im August 1992. Voll registriert bedeutet, daß man ab diesem Zeitpunkt auch den Mitgliedsbeitrag zahlt. Zuvor habe ich nur an Aktivitäten der Partei teilgenommen."

Daraufhin erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid. Sie sprach dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Fluchtgründe die Glaubwürdigkeit mit folgender Begründung ab:

"Sie führten in Ihrer Niederschrift aus, am 15.09.1995 von Togo mit der Air-Afrique nach Paris geflogen zu sein, von wo aus Sie nach einer Zwischenlandung ohne Umsteigen nach Wien weiter geflogen seien.

Erst auf den Vorhalt, daß ein Direktflug von Togo mit der Air-Afrique nach Wien mit einer Zwischenlandung in Paris nicht möglich sei, zumal die Air-Afrique nur bis Paris fliege, erklärten Sie, im Rahmen der Erstbefragung die Unwahrheit gesagt zu haben, um eine Abweisung des Asylantrages wegen Sicherheit in einem Drittland zu vermeiden.

Weiters erklärten Sie während der Niederschrift, daß Ihre Partei, nämlich die NPP, die Demonstration am 11.05.1995 organisiert habe.

Auf den Vorhalt, daß laut Bericht eines Institutes für Menschenrechte diese Protestveranstaltung von der AFC veranstaltet wurde, gaben Sie an, daß dies nicht wahr sei.

Die erkennende Behörde ist der Ansicht, daß davon ausgegangen werden kann, daß Menschenrechtsinstitute in ihren Berichten bezüglich öffentlichen und somit allgemein bekannten Ereignissen, von Tatsachen berichten.

Auch sind Ihre Angaben, daß Sie als Häftling durch ein Toilettenfenster des Krankenhauses hätten fliehen können, unglaubwürdig, zumal davon auszugehen ist, daß Sie während Ihrer Gefangenschaft entsprechend bewacht wurden - auch wenn Sie im Spital aufhältig gewesen sein sollten - sodaß eine Flucht aus einem Toilettenfenster wohl nicht möglich ist."

Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei in seiner Gesamtheit aufgrund der Unwahrheiten und Widersprüche nicht in der Lage, Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 glaubhaft zu machen, es komme dem Beschwerdeführer deshalb die Flüchtlingseigenschaft nicht zu. Daher erübrige es sich, die Frage der allenfalls in einem Drittland vor der Einreise nach Österreich erlangten Verfolgungssicherheit zu untersuchen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Der Beschwerdeführer bekämpft die Beweiswürdigung der belangten Behörde folgendermaßen:

"Die belangte Behörde übersieht jedoch dabei, daß der BF sehr glaubwürdig und ausführlich darstellte, wie die von der belangten Behörde angesprochene AFC aufgebaut ist. Der BF gab an, daß die AFC (Alliance for Change) eine Dachorganisation ist, welche im Jahr 1995 ins Leben gerufen wurde. Geführt bzw. geleitet wird die AFC von Führern der NPP sowie auch von Führern anderer Oppositionsgruppen, wie zum Beispiel der PNC.

Hätte die erkennende Behörde Ermittlungen darüber angestellt, wie sich die von ihr angesprochene AFC im Heimatland des BF organisiert hat, bzw. welcher Dachaufbau bzw. welche Untergruppen im Namen AFC zusammengefügt sind, so wäre die belangte Behörde jedenfalls zu dem Schluß gekommen, daß die Angaben des BF vollinhaltlich richtig sind.

Da die belangte Behörde die diesbezüglichen Ausführungen des BF ohne nähere Begründungen in Zweifel zog und den BF damit als unglaubwürdig dazustellen versuchte, wäre es jedenfalls Aufgabe der belangten Behörde gewesen, entsprechend den bereits zitierten § 11 AsylG i.V.m § 37 AVG weitere Ermittlungen darüber anzustellen, inwieweit die Angaben des BF der wahren Situation in seinem Heimatland entsprechen.

In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, daß die Ausführung der belangten Behörde, daß es nicht glaubhaft sei, daß er als Häftling durch ein Toilettenfenster des Krankenhauses fliehen hätte können, da von der belangten Behörde angenommen wird, daß er bewacht wurde, jeglicher Grundlage entbehren.

Es stellt sich somit unweigerlich die Frage, wie die belangte Behörde es zu begründen vermag, daß auch in Österreich nicht nur aus Krankenanstalten, sondern auch aus Gefängnissen Häftlinge fliehen können, wo doch auch, oder vor allem in Österreich davon ausgegangen werden kann, daß Insassen eines Gefängnisses dementsprechend bewacht werden. Die Behörde führt sich mit einer derartigen Begründung selbst ad absurdum und es ist augenscheinlich, daß auch diese Begründung der belangten Behörde lediglich eine oberflächliche ist."

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beweiswürdigung ist ein Denkprozeß, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges als solchen handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt daher der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, Seite 549 ff, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Der Beschwerdeführer zeigt mit seinem Vorbringen die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde auf. Der bloße Hinweis der belangten Behörde, es könne davon ausgegangen werden, daß Menschenrechtsinstitute in ihren Berichten bezüglich öffentlicher und somit allgemein bekannter Ereignisse von Tatsachen berichteten, ist nicht geeignet, die Erklärungen des Beschwerdeführers betreffend die Organisatoren der Demonstration in Frage zu stellen. Denn im Verwaltungsakt ist der Bericht des Ludwig Boltzmann Institutes weder enthalten noch hat die belangte Behörde inhaltlich Aussagen dazu getroffen, ob dieser Bericht etwa den Angaben des Beschwerdeführers entgegenstehende Ausführungen über die Konstruktion der AFC enthalte. Ohne nähere Ausführungen bzw. durchgeführte Ermittlungsergebnisse kann aber der vom Beschwerdeführer behauptete Aufbau der Oppositionsgruppen und die maßgebliche Rolle der NPP an der Demonstration nicht als unglaubwürdig abgetan werden. Sollten diese Angaben des Beschwerdeführers der Wahrheit entsprechen, so wäre die erste Angabe des Beschwerdeführers, die Demonstration sei von der NPP organisiert worden, zwar formell, jedoch nicht materiell unrichtig und könnte dem Beschwerdeführer somit nicht als ein zur Unglaubwürdigkeit seiner Angaben führender Widerspruch vorgeworfen werden.

Hinsichtlich der Flucht aus der Haft hatte der Beschwerdeführer anläßlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 21. September 1995 angegeben:

"Nach etwa einem Monat begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen, zumal niemand wußte, wo ich mich befand. Ich verweigerte eine zeitlang die Nahrungsaufnahme, bis man mich in ein Krankenhaus zur Durchuntersuchung brachte. Nachdem ich wußte, daß die Ärzteschaft ebenfalls regierungsfeindlich eingestellt war, vertraute ich mich einem Arzt an, der mir half, eine Nachricht an meinen Freund zu senden. In der Folge ordnete er eine monatliche Durchuntersuchung an. Jedesmal gelang es mir eine Nachricht an meinen Freund zu verstecken bzw. eine zu übernehmen. Als mich die Beamten des Sicherheitsdienstes, die BNI am 12.09.95 abermals ins Krankenhaus führten, gelang es mir, durch das Fenster einer Toilette zu entkommen, nachdem mein Freund zuvor die Flucht arrangiert hatte. Er fuhr mich mit dem Auto nach Togo."

Auch diese Angaben sind allein für sich gesehen nicht derart unwahrscheinlich, daß ihnen ohne Ermittlungen zur Frage, wie die Überwachung von Häftlingen anläßlich ihrer Ausführung in ein Krankenhaus erfolgt, von vornherein die Glaubwürdigkeit versagt werden dürfte.

Die von der belangten Behörde aufgezeigte Unwahrheit der Erstaussage des Beschwerdeführers hinsichtlich seines Fluchtweges kommt im gegenständlichen Fall für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen deshalb keine Bedeutung zu, weil der Beschwerdeführer auf den Vorhalt der Unrichtigkeit seiner Angaben zum Fluchtweg am 25. September 1995 die Unwahrheit seiner am 21. September 1995 gemachten Aussage hinsichtlich des Fluchtweges zugegeben hatte, was er damit begründete, daß ihm bewußt gewesen sei, daß sein Asylantrag wegen Sicherheit in einem Drittland abgewiesen werden könnte und er deshalb verschwiegen habe, daß er bereits in Paris gewesen sei und dort einen Asylantrag hätte stellen können. Somit hat der Beschwerdeführer auf Vorhalt seine ursprünglichen Angaben zum Fluchtweg nicht aufrechterhalten, hingegen die Angaben zu den Fluchtgründen trotz Vorhalt der Unglaubwürdigkeit bestätigt und die von der belangten Behörde gehegten Bedenken durch inhaltliche Ausführungen zu zerstreuen gesucht. Aus der Unwahrheit der ersten Angaben zum Fluchtweg ist allein für sich der Schluß nicht zulässig, daß auch die Angaben zu den Fluchtgründen der Wahrheit nicht entsprächen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde (insbesondere im Hinblick auf die behauptete mehrmonatige Haft samt Mißhandlung im Gefolge einer Demonstration) zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Beweiswürdigung antizipative vorweggenommene

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010736.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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