TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/10 W175 2195608-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.03.2020
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Entscheidungsdatum

10.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W175 2195608-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Neumann über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , afghanischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.04.2018, ZI: 1101049304/160020443, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.12.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat sechs minderjährige Kinder. Die Beschwerdeverfahren seiner Ehefrau (P1) sowie der Kinder (P2 bis P7) sind beim Bundesverwaltungsgericht zu W175 2195624-1, W175 2196903-1, W175 2195622-1, W175 2195618-1, W175 2195621-1, W175 2195616-1 und W175 2195619-1 anhängig; mit heutigem Tag ergeht eine gesonderte Entscheidung.

1. Der P2 reiste gemeinsam mit dem Bruder des BF unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge seiner Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.08.2015 gab er an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und Schiit. Er stamme aus der Provinz Kunduz. Seine Eltern und Geschwister würden sich in der Türkei aufhalten. Er sei vor längerer Zeit mit dem BF, der P1 und der P3 in den Iran gereist. Im Iran seien die P4 bis P6 geboren worden. Danach seien sie in die Türkei gereist. Er sei mit seinem Onkel von der Türkei nach Österreich gekommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt, konnte er keine Angaben machen.

Mit Beschluss des BezG vom 20.10.2015 wurde der Kinder- und Jugendhilfeträger, Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie (MA11) mit der Obsorge des P2 betraut.

2. Der BF stellte gemeinsam mit der P1 und den P3 bis P6 am 21.11.2015 nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 06.01.2016 fanden die Erstbefragungen des BF und der P1 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

Hierbei gab die P1 an, sie sei afghanische Staatsangehörige, stamme aus der Provinz Kunduz, sei verheiratet, volljährig, Hazara und Schiitin. Ein Reisedokument habe sie nie besessen.

Sie sei Analphabetin und bisher Hausfrau gewesen. Ihre Eltern, zwei Brüder und acht Schwestern würden in Afghanistan leben. Sie habe Afghanistan erstmals vor drei Jahren gemeinsam mit ihrer Familie verlassen und sich für zwei Jahre im Iran aufgehalten. Dann sei ihr Mann nach Afghanistan abgeschoben worden. Sie sei ihm gefolgt. Vor rund sechs Monaten seien sie erneut aus Afghanistan in den Iran und später die Türkei gereist. Dort seien sie vom P2 getrennt worden. Dieser sei vor rund vier Monaten nach Österreich gekommen. Kurz zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die P1 an, die Sicherheitslage in Afghanistan habe sich verschlechtert. Ihre Kinder und sie hätten keine Sicherheit. In den Dörfern hätten sich die Taliban verbreitet.

Der BF gab an, afghanischer Staatsangehöriger, volljährig, Hazara und Schiit zu sein. Er stamme aus der Provinz Kunduz. Er sei mit der P1 verheiratet und Vater der minderjährigen P3 bis P6. Ein Reisedokument habe er nie besessen.

Er sei Analphabet und habe als Landarbeiter gearbeitet. In Afghanistan habe er keine Familienangehörigen mehr, diese würden im Iran, Deutschland und Österreich leben. Die Angaben betreffend die Fluchtroute und die erstmalige Ausreise aus Afghanistan deckten sich mit den diesbezüglichen Angaben der P1. Kurz zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, die Sicherheitslage in seiner Heimatregion habe sich verschlechtert. Die Taliban und die Daesh hätten sich verbreitet. Er sei Hazara und habe Angst, enthauptet zu werden.

3. Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.03.2016 wurden gegen den BF wegen des Verdachtes des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB die Untersuchungshaft verhängt.

4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 03.05.2016 wurde dem BF der Verlust seines Aufenthaltsrechtes gemäß § 13 Abs. 2 AsylG mitgeteilt.

5. Am 06.09.2016 wurde die P7 in Österreich geboren. Die P7 stellte durch ihre gesetzlichen Vertreter am 15.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.07.2016 wurde der BF wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt. Der BF habe seinem Sohn (P5) eine schwere Körperverletzung herbeigeführt, indem er auf den auf dem Boden liegenden Buben getreten sei, ihn anschließend bis auf Schulterhöhe hochgehoben, zu Boden geworfen und ihm weitere Fußtritte versetzt habe, wodurch der P5 einen Schädelbasisbruch mit Beteiligung der linken Felsenbeinpyarmide und Blutung im Mittelohr sowie eine Blutung zwischen den weichen Hirnhäuten und ein geringes Hirnödem erlitten habe. Mildernd wurde sein bisher ordentlicher Lebenswandel und als erschwerend die massiv angewendete Gewalt gegen das eigene, seinem Schutz unterworfene Kind, die auch nach einem heftigen Aufprall mit dem Kopf am Boden fortgesetzt wurde sowie das Nachtatverhalten durch Einschüchterung des schwer verletzten unmündigen Opfers gewertet.

7. Dem Aktenvermerk des BFA vom 28.11.2016 ist zu entnehmen, dass der Obsorgebeschluss betreffend den P2 aufgrund familiärer Probleme nach wie vor aufrecht bleibe.

8. Mit Beschluss des Landesgerichtes vom 03.05.2017 wurde dem BF der Rest der Strafe von acht Monaten bedingt nachgesehen und dieser am 28.07.2017 bedingt entlassen.

9. Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA am 21.02.2018 gab die P1 an, sie sei afghanische Staatsangehörige und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Schiitin. Sie habe deswegen nie Probleme gehabt. Sie komme aus der Provinz Kunduz und habe dort bis zur ersten Ausreise aus Afghanistan vor rund vier Jahren gelebt. Danach habe sie rund zwei bis drei Jahre im Iran gelebt, dann wiederrum zwei Wochen in Afghanistan und danach rund ein Jahr im Iran. Dann sei sie in die Türkei gereist und habe dort rund fünf Monate gelebt. Der BF, der P2 und der P4 seien zwei Jahre in der Türkei aufhältig gewesen. Sie habe nie eine Schule besucht und habe nie gearbeitet. Ihre Eltern seien im Iran aufhältig. Eine Tante und ein Onkel väterlicherseits würden in Afghanistan leben; letzterer in Mazar-e Sharif. Zwei weitere Tanten väterlicherseits seien in Australien und dem Iran. Die Onkel und Tanten mütterlicherseits seien im Iran und der Türkei aufhältig. Die P1 habe zehn Geschwister. Davon seien sieben im Iran, zwei in Deutschland und eine Schwester in Afghanistan aufhältig. Ihre Schwester lebe in Kunduz Stadt; sie hätten manchmal Kontakt.

Zu ihrem Fluchtgrund befragt, gab die P1 an, dass die Nachbarn ihren Onkel mütterlicherseits vor rund zehn Jahren erschossen hätten. Fünf Jahre später sei der P4 von der Nachbarin geblendet worden. Ein Jahr später hätten die Cousins der P1 den Vater und Sohn der Nachbarsfamilie getötet. Daraufhin sei die gesamte Familie von den Nachbarn mit dem Tod bedroht worden, sodass diese geflüchtet seien. Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

In Österreich gehe sie keiner beruflichen Tätigkeit nach. Sie führe den Haushalt, bringe die Kinder zum Bus beziehungsweise Kindergarten und besuche einmal wöchentlich einen Deutschkurs. Könne sie in Österreich bleiben, würde sie gerne in einem Kindergarten arbeiten.

Sie legte Bestätigungen über den Besuch von Deutsch-Alphabetisierungskursen, Teilnahmebestätigungen diverserer Info-Module für Flüchtlinge, die Geburtsurkunde der P7 und Zeugnisse beziehungsweise Kindergartenbestätigungen der Kinder vor.

Der P2 gab am 21.02.2018 an, er könne nicht bei seiner Mutter wohnen, da diese nicht genug Platz hätte. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und Schiit. Er stamme aus der Provinz Kunduz. Als er klein gewesen sei habe die Familie ein paar Jahre im Iran gelebt und sei anschließend in die Türkei gereist. Von dort seien sie zurück nach Afghanistan geschickt worden, wo er rund vier Monate in die Schule gegangen sei. Im Iran sei er nicht in die Schule gegangen. In Österreich besuche er die Volksschule. Zum Fluchtgrund befragt, gab er an, seine Eltern hätten gesagt, es wäre wegen des Krieges gewesen. In Österreich spiele er in einem Verein Fußball, treffe sich mit Freunden, besuche an den Wochenenden seine Eltern. Mittwochs habe er eine Gesprächs- und Spieltherapie und gehe danach in eine Jungschargruppe.

Er legte einen psychologischen Befund, einen Entwicklungsbericht, Schulzeugnisse, eine Bewilligung für eine Psychotherapie und Fotos seiner Fußballmannschaft vor.

Der BF gab im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 22.02.2018 an, afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und Schiit zu sein. Er sei in der Provinz Kunduz geboren und aufgewachsen und habe in der Landwirtschaft gearbeitet. Das erste Mal sei er vor rund vier Jahren in den Iran gereist. Dort habe er sich mit seiner Familie rund zwei Jahre aufgehalten und seien dann nach Afghanistan abgeschoben worden. Danach seien sie wieder in den Iran gereist. Seine Mutter, seine Schwester, sein Bruder, seine Frau und seine Kinder seien nach Afghanistan geschickt worden. Er sei mit dem P2 und dem P4 in die Türkei gereist. Dort hätten sie sich zehn Monate aufgehalten. Dann seien sein Bruder, die P1 und die übrigen Kinder in die Türkei gekommen. Dort hätten sie sich gemeinsam noch acht Monate aufgehalten. Insgesamt habe er sich rund eineinhalb Jahre in der Türkei aufgehalten. Sein Vater sei bereits verstorben. Seine Mutter und zwei Geschwister seien in Deutschland aufhältig. Seine weiteren Geschwister würden im Iran, der Türkei und ein Bruder in Österreich leben. Er habe Onkel und Tanten im Iran. Die Tante und die beiden Onkel mütterlicherseits seien noch im Heimatort in Kunduz. Zu diesen habe er aber keinen Kontakt. Er habe Kontakt zu seinem Bruder in Deutschland, dieser habe Kontakt nach Afghanistan.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, gab er an Probleme mit den Nachbarn gehabt zu haben. Diese hätten vor zehn oder elf Jahren seinen Onkel getötet. Fünf oder sechs Jahre später sei der P4 von der Nachbarin geblendet worden. Ein Jahr danach hätten seine Cousins den Nachbarn und dessen Sohn getötet. Sie seien in den Iran geflüchtet. Zwei Jahre später seien sie nach Afghanistan abgeschoben worden und rund einen Monat danach wieder in den Iran gereist. Die Kinder hätten keine eigenen Fluchtgründe.

In Österreich besuche er einen Deutschkurs. Er sehe seine Frau und seine Kinder fast jeden Tag. Wenn er in Österreich bleiben könne, würde er gerne putzen oder sich um Blumen kümmern.

Er legte eine Psychotherapiebestätigung, die Entlassungsbestätigung der JA, die bedingte Entlassung aus dem Vollzug des Landesgerichtes, den Beschluss über die Aufhebung der Bewährungshilfe wegen mangelnder Sprachkenntnisse, die Kopie seiner Tazkira sowie türkische Ausweise der Familie vor.

10. Am 11.03.2018 brachte der P2 eine Stellungnahme zu den Länderinformationen zu Afghanistan ein. Zusammengefasst wurde ausgeführt, dass der Minderjährigkeit des P2 besondere Bedeutung zukomme. Es müsse das Kindeswohl berücksichtigt werden. Der P2 sei Hazara und würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan als verwestlicht angesehen werden. Er gehöre zur sozialen Gruppe der wegen Grundstückstreitigkeiten von Blutrache bedrohten Personen. Verwiesen wurde unter anderem auf die UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, die ACCORD Anfragebeantwortung betreffend die Situation für Afghanen (insbesondere Hazara), die ihre ganzen Leben im Iran verbracht haben vom 12.06.2015, das Gutachten von Friederike Stahlmann aus 2017 sowie den EASO Bericht betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan.

11. Nach Durchführung der Ermittlungsverfahren wies das BFA mit den gegenständlichen Bescheiden vom 18.04.2018 die Anträge der Familie des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Der Familie des BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

In den Bescheidbegründungen traf die Erstbehörde Feststellungen zur Person der Familie des BF und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat. Sie hätten keine Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft gemacht.

Betreffend den BF wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und gemäß § 12 Abs. 2 Z 1, 2 und 3 AsylG ausgesprochen, dass dieser sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 30.03.2016 verloren habe (Spruchpunkt VIII.).

12. Mit Schreiben vom 12.05.2018 brachten der BF, die P1 und die P3 bis P7 das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem die jeweiligen Bescheide vollinhaltlich angefochten wurden. Die BF würden Verfolgung aufgrund von Verfolgungshandlungen infolge einer Blutfehde, Verfolgung durch islamistische Terroristen und Verfolgung aufgrund der entwickelten westlichen Lebenseinstellung befürchten. Betreffend die P1 wurde eine westliche Orientierung vorgebracht. Betreffend den BF wurde ausgeführt, dass die Begründung, dieser würde wegen seiner strafrechtlichen Verurteilung eine Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen, nicht alleine aus der Verurteilung zu schließen sei, sondern sei auch eine auf die persönliche Situation bezogene Zukunftsprognose zu erstellen. Ihm sei durch die Haftstrafe seine Schuld vor Augen geführt worden, was ein Umdenken zu einem künftigen rechtstreuen Verhalten bewirken habe können und sei daher von einer günstigen Zukunftsprognose auszugehen. Für die Erlassung eines Einreiseverbotes bestehe daher kein dringender Anlass.

Mit Schreiben vom 24.05.2018 brachte der P2 das Rechtsmittel der Beschwerde ein, mit dem der Bescheid vollinhaltlich angefochten wurde. Dem P2 drohe Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der wegen Ehrverletzung von Blutrache bedrohten Personen. Aufgrund des langen Aufenthaltes im Iran und in Österreich im Zusammenspiel mit seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara würde der P2 als "unafghanisch" und "zu westlich" wahrgenommen werden. Eine von der Behörde angenommene innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul liege nicht vor.

13. Mit Beschluss des Bezitksgerichtes vom 19.10.2018 wurde die Obsorge betreffend den P2 an den BF und die P1 übertragen.

14. Mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme brachte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Afghanistan, Gesamtaktualisierung 29.06.2018 (incl. die dazu erstellten Updates), die UNHCR Guidelines - Afghanistan, 30.08.2018 und den Bericht - EASO - European Asylum Support Office - Sozioökonomische Kennzahlen, vom 20.04.2019 in das Verfahren ein.

15. Am 26.11.2019 legte die Familie eine Teilnahmebestätigung des BF und der P1 an einem A1-Deutschkurs, eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeiten der P1, Teilnahmebestätigungen betreffend diverser Workshops durch den BF, einen psychotherapeutischen Kurzbericht betreffend die P4 und P5 sowie Schulzeugnisse und Kindergartenbestätigungen betreffend die Kinder vor.

16. Am 04.12.2019 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) durchgeführt, zu der die Familie in Begleitung ihrer gewillkürten Vertreterin erschienen. Mitarbeiter der MA11 erschienen als Zeugen.

Der BF und die P1 gaben an, traditionell verheiratet zu sein. Die Kinder seien die gemeinsamen ehelichen Kinder. Diese würden die Fluchtgründe von ihren Eltern ableiten.

Die P1 wiederholte ihr Fluchtvorbringen. Betreffend die Verurteilung des BF führte sie aus, dass dieser den P5 nicht absichtlich verletzt habe. Der P5 sei aus dessen Armen zu Boden gefallen. Sie besuche derzeit einen Deutschkurs, führe den Haushalt und kümmere sich um die Kinder. In Österreich könne sie sich frei bewegen, einkaufen gehen und müsse keine Kopfbedeckung tragen. Bei einem Verbleib in Österreich würde sie gerne in einem Kindergarten arbeiten. Die Kinder könnten hier zur Schule gehen.

Der BF gab an, dass die Geburtsdaten der Kinder nicht korrekt protokolliert seien. Die Schwester der P1 hätte ihnen zwischenzeitlich ein Foto geschickt, auf welchem die richtigen Geburtsdaten der Kinder vermerkt seien. Er könne jedoch kein Beweismittel vorlegen, da die Kinder das Foto auf dem Handy der P1 gelöscht hätten. Die P1 gab an, die Nachricht ihrer Schwester nicht vorlegen zu können, da ihr Handy kaputt geworden sei. Er wiederholte das Fluchtvorbringen. Betreffend seine Verurteilung in Österreich führte er aus, dass ihm der P5 aus den Armen gefallen sei.

Die Mitarbeiter der MA11 gaben an, dass die Obsorge betreffend den P2 nunmehr wieder an die Kindeseltern übergegangen sei. Der BF würde mit seiner Familie zusammenleben. Die Familie bedürfe auch in Zukunft die Unterstützung durch die MA11. Bei Gesprächen zum Thema Gewalt zeige sich der BF ernst, reflektierend und problemeinsichtig.

Weiters wurde eine Freundin der Familie als Zeugin einvernommen. Ihre Tochter und die P3 hätten gemeinsam die Schule besucht. Sie könne nur Positives über die Familie berichten.

Die rechtliche Vertretung der Familie gab in der Verhandlung folgende mündliche Stellungnahme zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat der Familie ab: "Zum Spruchpunkt 1 der angefochtenen Bescheide wird zunächst auf die Beschwerde verwiesen. Die BF haben auch heute detailliert vorgebracht, dass sie in Afghanistan eine Verfolgung aufgrund der Blutfehde mit ihren Nachbarn fürchten. Die P1 befürchtet außerdem eine Verfolgung aufgrund der Lebensweise, die sie in Österreich angenommen hat. Sie lernt Deutsch, bestimmt selbst über ihren Alltag und hat konkrete Berufswünsche. Und das, obwohl sie sich gleichzeitig um sechs Minderjährige kümmert. Zum Spruchpunkt 2 der angefochtenen Bescheide wird zunächst auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen. Der bereits wiederholt ausgesprochen hat, das die spezifische Vulnerabilität der Kinder besonders zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Familie mit sechs minderjährigen Kindern und somit um eine besonders schutzbedürftige Personengruppe. Der BF und die P1 können auch Dari weder schreiben noch lesen und verfügen über keine besondere Berufserfahrung. Dazu kommt die schlechte Versorgungslage und ihre Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Sie gehören somit zu einer ethnischen Minderheit, die ständigen Diskriminierungen ausgesetzt ist. Aufgrund dieser Faktoren hätten sie im Falle einer Rückkehr besondere Schwierigkeiten, sich um eine Arbeit und Wohnraum zu kümmern. Daher würde die Rückkehr eine Verletzung ihrer Rechte nach Artikel 2 und 3 EMRK darstellen."

Die Familie legte diverse Integrationsunterlagen, einen fachärztlichen Befund betreffend die P1 mit der Diagnose innere Unruhe und Insomnie, ein persönliches Empfehlungsschreiben, und psychotherapeutische Befunde betreffend den BF, den P4 und den P5 vor.

17. Mit der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 20.01.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Afghanistan, Gesamtaktualisierung 13.11.2019, die UNHCR Guidelines - Afghanistan, 30.08.2018 und den Bericht - EASO - European Asylum Support Office - Sozioökonomische Kennzahlen, vom 20.04.2019 in das Verfahren ein.

18. Mit Stellungnahme vom 03.02.2020 wurde auf die volatile Lage in Kunduz verwiesen, sowie global auf eine allgemeine Diskriminierung der Hazara, ohne dies zu einem konkreten, den BF treffenden Geschehen in ezug zu setzen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweisaufnahme:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsicht in:

- die dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakten des BFA, beinhaltend vor allem die Niederschriften der Erstbefragungen am 27.08.2015 und 06.01.2019, die Niederschriften der Einvernahmen vor dem BFA am 21.02.2018 und 22.02.2018 sowie die Beschwerden vom 12.05.2019 und 24.05.2019.

- die Verwaltungsakten der P1 bis P7.

- die Länderinformationen des BFA zu Afghanistan (Gesamtaktualisierung 13.11.2019), die UNHCR Guidelines zu Afghanistan von 30.08.2018, den "EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2018" und den Bericht - EASO - European Asylum Support Office - Sozioökonomische Kennzahlen, vom 20.04.2019, sowie die dazu ergangene Stellungnahme vom 03.02.2020.

Weiters herangezogen wurden die Angaben des BF, der P1, der Mitarbeiter der MA11 sowie der weiteren Zeugin in der Verhandlung vor dem BVwG am 04.12.2019.

2. Feststellungen (Sachverhalt):

Zur Person des BF:

Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und ist der schiitischen Glaubensrichtung des Islam zuzurechnen. Die Muttersprache des BF ist Dari. Der BF ist traditionell mit der P1 verheiratet. Die P2 bis P7 sind die leiblichen Kinder des BF.

Der P2 stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 27.08.2015, der BF sowie die P1, P3 bis P6 am 21.11.2015 und die in Österreich geborene P7 am 15.09.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die Asylverfahren der P1 bis P7 sind zu ZIen. W175 2195624-1, W175 2196903-1, W175 2195622-1, W175 2195618-1, W175 2195621-1, W175 2195616-1 und W175 2195619-1 ebenfalls am BVwG anhängig. Mit Erkenntnis vom heutigen Tag wird den P2 bis P7 gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG und der P1 gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 34 Abs. 3 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Der BF und seine Frau wurden in Afghanistan, Provinz Kunduz geboren. Der Geburtsort der P2 bis P6 kann nicht festgestellt werden. Die P7 wurde in Österreich geboren. Der BF hat mit seiner Familie in der Provinz Kunduz gelebt. Der Zeitpunkt der erstmaligen Ausreise aus Afghanistan und die Dauer der Aufenthalte im Iran sowie in der Türkei konnten nicht festgestellt werden.

Der BF hat keine Schule besucht und mehrjährige Berufserfahrung als Landarbeiter in Afghanistan und in der Gebäudebewachung im Iran gesammelt.

Der BF verfügt über Familienangehörige in Afghanistan: eine Schwester der P1 und deren Mann in Kunduz Stadt, eine Tante mütterlicherseits der P1, ein Onkel väterlicherseits der P1 in Mazar-e Sharif, Tanten und Onkel des BF in Kunduz. Darüber hinaus hat die Familie mehrere Familienangehörige im Iran (Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten der P1, Geschwister des BF), der Türkei und Deutschland. Ein Bruder des BF lebt in Österreich; dieser reiste gemeinsam mit dem P2 in das Bundesgebiet ein. Das Beschwerdeverfahren betreffend den Bruder des BF ist zu W154 2196704-1 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Am 18.06.2018 verständigte die Staatsanwaltschaft das BFA über die Anklageerhebung gegen den Bruder des BF wegen §§ 12, 15, 127 StGB.

Der BF hat Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Die P1 hält Kontakt zu ihrer in Afghanistan lebenden Schwester und der BF hat Kontakt zu seinem in Deutschland aufhältigen Bruder, welcher wiederrum Kontakt nach Afghanistan hat.

Der BF ist in Afghanistan weder vorbestraft, noch wurde er jemals inhaftiert oder hatte mit den dortigen Behörden sonstige Probleme.

Der BF ist in Österreich weder Mitglied eines Vereines noch einer sonstigen Organisation. Er hat sich in Österreich keinen Freundes- oder Bekanntenkreis aufgebaut. Der BF hat einen Deutschkurs auf Niveau A1 besucht, jedoch keine Prüfungsbestätigung vorgelegt.

Der BF ist arbeitsfähig und gesund. Außergewöhnliche Gründe, die diesbezüglich eine Rückkehr des BF ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden.

Er geht keiner Erwerbstätigkeit nach, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30.03.2016 wurden gegen den BF wegen des Verdachtes des Verbrechens der absichtlich schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 25.07.2016 wurde der BF wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Mit Beschluss des Landesgerichtes vom 03.05.2017 wurde dem BF der Rest der Strafe von acht Monaten bedingt nachgesehen. Am 28.07.2017 wurde der BF aus der Freiheitsstrafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren und Anordnung der Bewährungshilfe entlassen.

Der BF lebt seit April 2018 (wieder) in einem gemeinsamen Haushalt mit den P1 bis P7. Der BF befand sich von 28.03.2016 bis 28.07.2017 in Haft. Von 28.07.2017 bis April 2018 bestand kein gemeinsamer Haushalt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern.

Es wird festgestellt, dass aufgrund der Schwere und Intensität der Straftat ein Einreiseverbot für die Dauer von 10 Jahren gerechtfertigt ist.

Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Zu den Fluchtgründen:

Dem BF droht bei einer Rückkehr keine physische oder psychische Gewalt, Strafverfolgung oder sonstige Verfolgung durch die Nachbarsfamilie oder andere Personen.

Ebenso wenig droht ihm Verfolgung, Gewalt oder Diskriminierung von erheblicher Intensität aufgrund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit oder einer (ihm unterstellten) politischen Gesinnung.

Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass dem BF aufgrund einer Asylantragstellung oder aufgrund seines Auslandaufenthaltes Repressalien von erheblicher Intensität drohen.

Er wurde in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme. Er war nie politisch tätig und gehörte keiner politischen Partei an.

Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat droht dem BF kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention. Es ist ihm zumutbar, in Afghanistan zu leben.

Der volljährige BF ist gesund und arbeitsfähig. Außergewöhnliche Gründe, die diesbezüglich eine Rückkehr des BF ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden.

Er kehrt ohne seine Frau und seine sechs minderjährigen Kinder nach Afghanistan zurück. Er hat in Afghanistan und dem Iran mehrjährige Berufserfahrung gesammelt.

Der BF verfügt über Verwandte in Afghanistan, dem Iran und der Türkei, zu welchen der BF Kontakt hat und die den BF zumindest marginal unterstützen können.

Der BF kommt aus der Provinz Kunduz. Die Lage dort hat sich in den letzten Jahren verschlechtert und die sichere Erreichbarkeit des Heimatdistrikts ist nicht gewährleistet. Aufgrund der vorliegenden Länderberichte wird somit festgestellt, dass dem BF eine Rückkehr in seine unmittelbare Heimatprovinz aufgrund der dort herrschenden schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar ist.

Es stehen ihm aber auch zumutbare innerstaatliche Flucht- beziehungsweise Schutzalternativen in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Er verfügt in Mazar-e Sharif über ein familiäres Netzwerk in Form eines Onkels seiner Frau. Als junger und gesunder Mann kann er jedoch in diesen Städten auch ohne familiäres und soziales Netzwerk, auf Grund der dort herrschenden Versorgungs- und Sicherheitslage, Fuß fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen. Der BF kann bei einer Rückkehr diverse Unterstützungsleistungen staatlicher und nichtstaatlicher Natur in Anspruch nehmen.

Zur Lage im Herkunftsstaat:

Unter Bezugnahme auf die oben genannten Quellen werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433.

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

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High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).

Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Balkh gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

Tabelle kann nicht abgebildet werden

(ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).

Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.6

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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